Raus aus dem Käfig der Romantik!

von Georg Kasch

Berlin, 16. Februar 2017. Ellida geht. Am Ende öffnet Angela Winkler das Bild, das die ganze Zeit im Fluchtpunkt der Bühne hing und in Anlehnung an Caspar David Friedrichs "Mönch am Meer" eine junge Frau am Meer zeigt, steigt durch die vernebelte Öffnung, verschwindet. Ausgerechnet sie, die doch in Henrik Ibsens "Die Frau vom Meer" noch bei ihrem Langweilergatten Wangel geblieben ist. Jetzt ist sie weg, gegangen wie Undine, die auch eine Rolle spielt in Olga Bachs neuem Stück "Die Frauen vom Meer", das voller Bezüge steckt. Zu Ibsen, aber auch zu all den anderen Wasserfrauen-Werken von Friedrich de la Motte Fouqué bis Ingeborg Bachmann.

Eine Ibsen-Neuschreibung mit Tschechow-Anklängen

Bach setzt einige Jahre nach Ibsens "Die Frau vom Meer" an und zugleich heute: Wangel ist tot, die Stieftöchter Bolette und Hilde erwachsen. Sie alle hängen im Haus auf dem Land herum und langweilen sich. Ein bisschen erinnert das an Anton Tschechow, weil sich die Zeiten ändern, kaum aber die Menschen: Die Frauen nehmen immer noch die falschen, zu viel redenden Männer. Aber selbst, wenn zwei Frauen einander näherkommen wie die Malerin Lyngstrand und Hilde, ergibt das noch kein emanzipatorisches Projekt.

frauen vom meer2 560 Andi Weiland uTotengespräche Im Bühnenbild von Paula Wellmann: Szene mit Aaron Smith, Zora Schemm, Juliana Götze, Hieu Pham (liegend), Joachim Neumann, Angela Winkler, Nele Winkler © Andi Weiland

Diese Begegnung inszeniert Lilja Rupprecht am Theater RambaZamba als großen Geisterwirbel und Defilee der mythischen Frauenfiguren. Wie überhaupt die Stärke dieses Abends im Atmosphärischen liegt, im Wechsel zwischen Seifenoper, Drama und Geisterspiel, kommentiert von Friederike Bernhardts elektronischer Livemusik. Geisterspiel, weil die Toten anwesend sind, aber nur mit Ellida kommunizieren. Sie tragen Weiß und sitzen bevorzugt im zentralen, mit Ascheflocken gefüllten Becken.

Das sieht ebenso gut aus wie der übrige Raum von Paula Wellmann, der das Fliesenmuster der Theaterwände aufnimmt. Sie künden wie die transparenten Regenmäntelchen der Lebenden vom Wasser, das sich nie materialisiert, Symbol bleibt, eingesperrt ins romantische Strand-Bild. Drei Frauen immerhin brechen aus: Ellida, die verschwindet. Bolette, die sich von ihrem anstrengenden Mann trennt und zugleich die nächste Generation im Bauch trägt. Und Undine, die Mensch wird und ausgerechnet mit Bolettes Ex geht.

Das neue Star-Theater am RambaZamba

Dass sich das RambaZamba eine Uraufführung von Olga Bach sichern konnte, Nachwuchsdramatikerin 2017, ist ein Coup. "Macht uns zum Stadttheater" hatte RambaZamba-Gründerin Gisela Höhne einst gefordert. Ihr Sohn Jakob Höhne, Nachfolger in der Theaterleitung seit dieser Spielzeit, die er selbst mit Die Räuber eröffnete, krempelt das stilprägende Inklusionstheater-Haus entsprechend um, nennt sich selbstbewusst Intendant und hat die Premierenzahl verdoppelt. Schon früher hat das RambaZamba mit berühmten Schauspielerinnen wie Angela Winkler und Eva Mattes (letztere in Der gute Mensch von Downtown) zusammengearbeitet. Jetzt kommen Kooperationspartner wie die Universität der Künste, Theaterschaffende wie Thomas Bo Nilsson und Lilja Rupprecht, Autorinnen wie Olga Bach hinzu.

In deren Stück bleibt zwar Vieles in der Schwebe, aber jeder Satz reißt doch literarische Vorbilder und Diskurse an. Ein Bedeutungsüberschwang, der sich am Plauderton reibt, der mal nach Ibsen, mal auch nur banal klingt, ähnlich Simon Stones Klassikerüberschreibungen.

frauen vom meer1 560 Andi Weiland uFrauen im Geisterwirbel: Nele Winkler (als Bolette) und Angela Winkler (als Ellida). Im Hintergrund: Joachim Neumann (Dr. Wangel) © Andi Weiland

Für die Bach-Uraufführung stehen die prominentesten RambaZamba-Spieler auf der Bühne. Ihre Besetzung ist selbst schon eine energische Interpretation, eine Setzung. Zora Schemm etwa mit ihrer Stimme wie Edelrost stanzt als Malerin Lyngstrand jeden Satz wie ein Ausrufezeichen in die Luft. Hieu Pham flirrt als Wassergeist, eine zugleich entschlossene wie verführerische Undine. Juliana Götzes Hilde zickt hemmungslos mit Nele Winkler herum, die ihrer Bolette eine trotzige Würde verleiht. Angela Winkler als Stargast spielt einmal mehr eine Frau wie nicht von dieser Welt, tastend, zart, spinnert.

Vermutlich hätte das Olga Bach gefallen, auch wenn mancher Satz der Unter- oder Überspannung zum Opfer fällt und Aaron Smith und Joachim Neumann, die eigentlich Psychologie können, hier als Nerv-Männer etwas eindimensional bleiben. Bach kam nicht zur Premiere, weil Rupprecht den Abend mit einem Prolog beginnt, "der meinem ästhetischen Urteil völlig widerspricht", wie sie auf ihrer Facebook-Seite schreibt. Dabei bleibt das kurze Gedicht von Elisabeth Borchers über das Ende von Allem eher Atmosphäre. Gravierender ist Rupprechts Entscheidung, dass Ellida geht. Denn das ist schon ein Unterschied: Bei Bach kann sie ihrem Mann nicht entkommen, obwohl sie ihn hat töten lassen. Rupprecht gönnt ihr das Verschwinden, zwischen die Zeilen: in die Kunst.

 

Die Frauen vom Meer
von Olga Bach nach Henrik Ibsen
Uraufführung
Regie: Lilja Rupprecht, Bühne: Paula Wellmann, Kostüme: Geraldine Arnold, Musik: Friederike Bernhardt, Dramaturgie: Kristina Ohmen.
Mit: Juliana Götze, Hieu Pham, Joachim Neumann, Zora Schemm, Aaron Smith, Angela Winkler, Nele Winkler.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.rambazamba-theater.de

 

Kritikenrundschau

"Ein großer, nicht nur biografischer Reiz der Inszenierung liegt darin, dass Tochter Bolette von Nele Winkler gespielt wird und die Mutter Ellida von Angela Winkler, der leiblichen Mutter Neles. Angela Winklers zarte, poetische Sprechweise kontrastiert stark mit den Wort- und Körpereruptionen der mit dem Down-Syndrom zur Welt gekommenen Spielerinnen und Spieler des Ramba-Zamba-Ensembles", schreibt Tom Mustroph im Neuen Deutschland (23.2.2018). "Die Feinsinnigkeit der Mutter fällt aus der Norm, wird zum Gespött – die Normative tanzen."

"Ein toller Text." Es sei ein stimmungsvolles, suggestives Geisterhaus voll Meeres- und Mythen-Rauschen, das Olga Bach errichte, lobt Patrick Wildermann im Tagesspiegel (4.3.2018). Regisseurin Lilja Rupprecht inszeniere den Text mit offenem Ohr und schöner assoziativer Fantasie.

 

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