Burgtheater
Kaputtmenschenzoo
von Martin Thomas Pesl
Wien, 16. Februar 2018."Die Glasmenagerie" hat ein Problem, zumindest auf Deutsch. Tennessee Williams wollte mit seinem autobiografisch gefärbten Stück Theaterkonventionen gebrochen wissen. Die Figur des Tom erinnere die Handlung als Rückblende, schnöder Realismus sei nicht angebracht. So der Autor 1944. Nun könnten Regisseur*innen diesen kühnen Zug als Einladung zu mutiger Modernisierung wahrnehmen, verböte nicht Williams' deutscher Verlag Jussenhoven & Fischer als eine der letzten Bastionen der Werktreuepolizei jeden nennenswerten Eingriff.
Eine Reaktion darauf könnte sein, von Neuinszenierungen dieser recht angestaubten Momentaufnahme einer US-Kernfamilie abzusehen. Das Burgtheater hingegen legte sie David Bösch in die Hände. Bösch ist beim Wiener Publikum gut gelitten, es weiß, dass es sich vor ihm nicht fürchten muss – nur als er einmal Nestroys Talisman gegen den Strich bürstete, buhte man ihn aus. Auch bei dieser Premiere erntet Bösch nun überschwänglichen Jubel, hat er doch vier virtuosen Spieler*innen Zeit und Raum gegeben, ihr Können zu entfalten (und das, wo sein Bühnenbildner Patrick Bannwart sie in eine enge Kammer mit sehr tiefliegender Dachschräge gesteckt hat).
Geschwisterbande gegen Hausmutter-Diva
Da ist einmal Regina Fritsch. Sähe und hörte man nur ihrer Amanda Wingfield zu, könnte man meinen, die Inszenierung sei komplett in den 1940ern belassen worden, nonchalante Verwendung des N-Worts inklusive. Mühelos wechselt Fritsch zwischen dem kleinlichen Hausmütterchen, das selbst die Kaubewegungen seiner erwachsenen Kinder kontrollieren möchte, und der Diva, die Amanda einmal gerne gewesen wäre, hätte sie nicht diesen Trinker geheiratet, der längst über alle Berge ist.
Dass der Vater den Absprung geschafft hat, macht ihn insgeheim zu Toms großem Vorbild und bei Bösch ein wenig auch dem seiner Schwester Laura. Wiewohl die Regie versucht, zarte Momente einer geschwisterlichen Allianz gegen die Mutter zu zeichnen, kommt sie damit gegen die allzu typisiert gestalteten Figuren des Stücktextes nicht sehr weit. So ist Merlin Sandmeyer als Tom ein veritabler Rebell, der stur nach vorne blickt, während das Geplapper der Mutter erkennbar an ihm zehrt. In den Familienszenen trifft er einen moderneren, in sich runden Ton. Nur wenn er als Ich-Erzähler das Publikum adressiert, muss er sich zwischen ironisierende Gänsefüßchen flüchten oder rumalbern. So präsentiert er etwa mithilfe eines übermütig doofen Diavortrags seinen Arbeitskollegen Jim O'Connor, mit dem Laura verkuppelt werden soll.
Glücklich Kind geblieben
Gekonntes Handwerk gibt es zu sehen, wenn Bösch stummes Spiel zulässt. Da hängt Tom sturzbesoffen das Bild seines Vaters an die Wand, bearbeitet Laura mit einem Bohrer ihre Sammlung aus 47 gläsernen Tieren (hier: überlebensgroßen Fluginsekten) oder bricht sich der Weltekel der Mutter Bahn, indem es sie ordentlich durchschüttelt. Oder man setzt sich zum Kartenspiel, und darin, wie ernst jede Figur das Spiel nimmt, offenbaren sich Feinheiten ihrer Charaktere. Für sich genommen sind das alles schöne Szenen, die der Dichte des Abends aber nicht zuträglich sind (Gleiches gilt für die spärlich gesäten Videoeinspielungen wie jene vom animierten Einhorn).
Auch bei Sarah Viktoria Frick als Laura lautet der vordringliche Gedanke: Toll besetzt! Das verkürzte Bein der Schüchternen, die, wenn sie "Mir ist schlecht" sagt, auch wirklich kotzt, wird nur durch ihre Schuhe angedeutet. Mit ihrem wieder ganz eigenen Stil spielt Frick keine Behinderte, auch keine bemitleidenswerte Frau, sondern eine, die innerhalb ihrer weirden Welt freiwillig und daher glücklich Kind geblieben ist. Da sind Karriere und Ehemann natürlich nichts für sie.
Zielgruppe: Schauspieler
Schon gar nicht, wenn der potenzielle Verehrer, den ihr Bruder auf Drängen der Mutter einlädt, ausgerechnet ihr heimlicher Schwarm aus der Highschool ist. Martin Vischers Jim stapft mit rührender Unbedarftheit in den Zoo aus gläsernen Tieren und kaputten Menschen hinein. Einst ein Schultheaterstar, ist er mittlerweile ein etwas trotteliger Lagerarbeiter, der behäbig geht und spricht, aber große Stücke auf den Rhetorikkurs setzt, den er besucht. Als Jim Laura küsst, glaubt man ihm ohne Weiteres, dass er wirklich kurz vergessen hat, eigentlich mit einer anderen verlobt zu sein.
Und so verschwindet die – ohnedies nie sehr stark aufgeflammte – Hoffnung auf einen Ausbruch aus dem Elend also wieder aus dem Leben der Wingfields und war nur ein kleines Missverständnis. Wie die Annahme, "Die Glasmenagerie" diene heute irgendwem anderen als Schauspieler*innen und deren Fans.
Die Glasmenagerie
von Tennessee Williams
Deutsch von Jörn van Dyck
Regie: David Bösch, Bühnenbild: Patrick Bannwart, Kostüme: Falko Herold, Video: Patrick Bannwart, Falko Herold, Musik: Bernhard Moshammer, Licht: Michael Hofer, Dramaturgie: Florian Hirsch.
Mit: Sarah Viktoria Frick, Regina Fritsch, Merlin Sandmeyer, Martin Vischer.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.burgtheater.at
Bösch habe das Stück Streng nach der Vorgabe und so behutsam inszeniert, "dass vier Burgstars Paradebeispiele an Figurenzeichnung hinlegen können", schreibt Norbert Mayer in der Presse (17.2.2018). Die Langsamkeit der Inszenierung habe aber ihren Preis. "Wer das Filigrane nicht schätzt, könnte sich bei dieser perfekten Zurschaustellung in Zeitlupe auch ein wenig fadisieren."
"Dieser noch immer junge, fabelhaft einfühlsame Regisseur ist der beherzteste Anwalt seiner Figuren", lobt Ronald Pohl den "Regiekünstler" David Bösch im Standard (17.2.2018). "Weil Bösch bei aller Behutsamkeit ein genauer Beobachter ist, erhebt der Trumpismus – als neuartige Form, den Mittelstand aufzuwerten – in dieser Inszenierung sein blondiertes Schreckenshaupt." Sarah Viktoria Fricks Laura bilde das poetische Wunder eines geheimnisvollen Kraftzentrums.
David Bösch biete "in seiner gar nicht so freien, zeitweise leider auch etwas behäbigen" Interpretation des Textes den Charakteren "zumindest eine Ausflucht aus der bitteren Realität: Tanzmusik!", berichtet Martin Lhotzky in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (22.2.2018). Die berührendste Szene gehöre Sarah Viktoria Fricks Laura und ihrer Traumwelt, in der das Glasspielzeug-Einhorn zum Pegasus mutiert. "David Bösch lässt diese Träume in seiner leider insgesamt zu langen Inszenierung zu. Das ist fein, kein Trost, denn den gibt es bei Tennessee Williams nicht."
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