Monstrum mit Gründen

von Andreas Wilink

Düsseldorf, 17. Februar 2018. Vielleicht ist es richtig so. Den Ballast des Dramas um den verteufelten Juden erleichtern, der auf seinen Vertrag mit dem Christen pocht, den Schuldschein um 3000 Dukaten nur gegen ein Pfund Fleisch des Schuldners lösen will, der auf seinem Recht beharrt und dann im Tiefsten gedemütigt wird, während ihm Kind, Hab und Gut und sein Glaube genommen werden. Je weniger Wesen man davon macht, desto besser. Nur gerad' heraus und drauflos, wird schon schief gehen.

Bling Bling Belmont

Leuchtbänder blenden markante Sätze des englischen Originaltexts ein, sie laufen um die Ecken des schwarz ausgeschlagenen Kastens. Die wie auf Stelzen stehende Bühnenfläche (Muriel Gerstner) lässt abstrahiert an die "Republik der Biber" (Goethe über Venedig) denken. Zwei Musiker zupfen freundlich an Bass und Gitarre. Überhaupt wird viel musiziert und gesungen, darunter Elisabethanisches von Purcell, aber auch Jiddisches aus dem Shtetl, unter anderem von Shylocks Tochter Jessica (in schlichter Anmut: Lou Strenger), die offenbar ihre Herkunft doch nicht los werden kann und dies wohl gar betrauert.

Ein Flitter-Vorhang schließt nach hinten hin den Raum im Schauspielhaus-Central ab: Belmont leuchtet. Portia – eine Celebrity-Beauty und Party-Queen, die bei Minna Wündrich auch neben Anke Engelke das Berlinale-Opening moderieren könnte, die #MeToo-Debatte für sich schon gewonnen hätte und die auch mal ulkig der Affe laust – überbietet den Tand noch mit luxuriösem Silber- und Gold-Lamee.

kaufmann4 560 thomasrabsch uAndreas Grothgar und Burghart Klaußner © Thomas Rabsch

Es ist eine Welt der flachen Gefühle und leeren Gemüter. Präpotente, latent aggressive Rowdys stolzieren geckenhaft modisch mit bloßen Füßen in Slippern, schnauben verächtlich, wenn das Wort "Jude" fällt, und tun sich mit ihrem Männerding groß. Stenz Bassanio (Sebastian Tressenow) sucht bei seinem Freund, dem raubeinigen Antonio (Andreas Grothgar), sogleich intimen Hautkontakt und dessen Kussmund und nestelt berechnend am Hemdenknopf, obgleich eine erotische Beziehung zwischen den beiden hier beileibe nie zu spüren ist. Die ganze christliche Bagage schließlich rückt bei einer Polonaise ins falsche Happy-End aus, vermutlich nach Venice-Beach. Das Liebes-Paradies von Belmont hat geschlossen: Bassanio und Portia, nun, die werden auch nicht glücklicher als das junge Paar im "Rosenkavalier". Aber während dort im Wiener Rokokopalais die große Liebende, die Marschallin, abdankt und verzichtet, tut Antonio, der doch im falschen Fühlen einsam bleibt, in Düsseldorf beim trivialen Scherzen munter mit. Da fehlt eine ganze Dimension des Stücks.

Die Regie schnippt mit den Fingern

Roger Vontobel ist fein raus, als Schweizer, könnte man meinen. Er macht fast alles richtig, trotzdem fühlt es sich falsch an. "Der Kaufmann von Venedig" – flott arrangiert und konsumabel – geht ihm leicht von der Hand, als würde er sich zum Dramen-Personal in seiner Oberflächen-Schmuckheit adäquat verhalten wollen. Aber kann eine Inszenierung auf deutscher Bühne anders als mitzudenken, dass Shakespeares Rialto durch seine Rezeption den Brückenschlag bedingt – und erzwingt – nach Berlin, Buchenwald und darüber hinaus? Die Regie schnippt mit den Fingern. Die Darsteller tun es ihr nach: auch Shylock.

kaufmann3 560 thomas rabsch uUnten angekommen. Burghart Klaußner, Minna Wündrich, Andrei Viorel, Matthias Luckey, Sebastian Tessenow, Andreas Grothgar, Florian Lange, Tanja Schleiff, Alexej Lochmann
© Thomas Rabsch

Der Jude vom Rialto und seine Tochter sitzen seitlich auf der Bühne wie auf der Arm-Sünder-Bank. Burghart Klaußner ist ein Herr, ein Bankier im dunklen Anzug, mit Seidenschal, teurer Armbanduhr und Siegelring. Äußerlich souverän, zieht er die Figur etwas in die Krümmung des Komikers, der im Slapstick die Hacken zusammenschlägt, als wollt' er sich einen Jux machen, der im Übermut vermeintlichen Triumphes die Beine wirft und den Rabbi Jacob mimt, der eine Wut im Bauch und ein paar ausholende Gesten parat hat. Dabei ist Klaußner – schmal der Mund, als wolle er sich Lippenbekenntnissen verweigern – sonst eher Minimalist und von evangelischer Lauterkeit. Shylocks "Hass"-Gefühl drückt er aus mit geschäftsmäßigem Gesicht. Einstweilen. Auch der große Monolog ("Hat nicht ein Jude Hände ...") beginnt bei ihm räsonabel, bis er "Rache" und Rage herausbrüllt.

Im Modus eines Lehrstücks

Gibt es das aber, ein Monstrum mit Gründen? Guten Gründen, gewiss, wenn man die höhnischen "dreckiger Jude"-Rufe von Antonios und Bassanios johlender Gang hört. Klaußner tänzelt mit dem Klischee vom Juden, hält es gewissermaßen als Partner künstlerisch im Arm – und zugleich auf Abstand. Er zeigt den Typus, indem er ihn entertaint. Drückt den Schuldschein um ein Pfund Fleisch zwanghaft verkrampft hinter verschränken Armen an sich, schnallt den Ledergürtel fest, um Antonio zu fesseln und zu metzgern, hantiert gar mit einem echten Batzen Braten, bis er – nach dem Richterspruch der kostümierten Portia – das Haupt auf die Schlachtbank legt, um dann wie ein Verurteilter vor dem Erschießungskommando gegen die Wand gekehrt zu verstummen. Der Düsseldorfer "Kaufmann" verbleibt im Spiel-Modus eines Lehrstücks – so, wenn Portia dem Shylock zögernd die Kippa vom Kopf nimmt, als sei ihr die eigene Rolle nicht geheuer. Den schicken Rest muss man ohnehin nicht ernst nehmen, weiß man doch, die Idylle trägt an sich selbst schon ihr Gegenteil.

 

Der Kaufmann von Venedig
von William Shakespeare; Deutsch von Elisabeth Plessen; Regie: Roger Vontobel, Bühne: Muriel Gerstner, Kostüm: Tina Kloempken, Musik: Keith O’Brien, Licht: Gerard Cleven, Dramaturgie: Robert Koall.
Mit: Andreas Grothgar, Burghart Klaußner, Kilian Land, Florian Lange, Alexej Lochmann, Matthias Luckey, Tanja Schleif, Lou Strenger, Andrei Viorel Tacu, Sebastian Tessenow, Jan-Sebastian Weichsel, Minna Wündrich.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.dhaus.de

 

Kritikenrundschau

"Klauß­ner spielt den Ju­den Shy­lock so, dass ei­nem das Herz weich wer­den muss", schreibt Simon Strauß in der FAZ (19.2.2018). "Aber das heißt eben auch: Kei­ne Hin­ter­list, kei­ne Täu­schungs­ab­sicht, kei­ne Ge­fahr geht je von die­sem Shy­lock aus." Und weiter: "Die Inszenierung geht kein Ri­si­ko ein, spürt dem mit­tel­al­ter­li­chen An­ti­se­mi­tis­mus, der die Shy­lock-Fi­gur frag­los mit­ge­zeich­net hat, nicht nach, son­dern stellt nur das aus, was sich an Frem­den­feind­lich­keit der Ve­ne­zia­ner als war­nen­de Bot­schaft für die Jetzt­zeit ab­lei­ten lässt." Die Wi­der­sprüch­lich­keit der Fi­gu­ren gehe ver­lo­ren. Man ver­stehe den Im­puls, der Shy­lock-Fi­gur al­les zwie­lich­tig Zwei­deu­ti­ge aus­zu­trei­ben. "Aber so­sehr man sich das Gu­te auch wünscht, nicht im­mer ist man da­mit im Recht."

"Eine unterhaltsame, musikalisch ansprechende und solide Stadttheater-Inszenierung. Nicht mehr, nicht weniger", beschreibt Max Kirschner von der Westdeutschen Zeitung (19.2.2018) den Abend. Die Inszenierung vermittele zwar keine neuen Erkenntnisse, überzeuge indes durch die Schauspieler, allen voran Burghart Klaußner, Sebastian Tessenow, Matthias Luckey und Minna Wündrich. Vontobel inszeniere vom Blatt, zeige Mut zur deftigen, stilsicheren Shakespeare-Komödie und führe die Schauspieler sicher durch manchmal fliegende Wechsel zwischen Venedig und dem 'Belmont'.

"Regisseur Roger Vontobel hält sich aus dem besonders nach dem Völkermord durch die Nationalsozialisten vieldiskutierten Konflikt heraus, wie stark der 'Kaufmann' ein antisemitisches Stück sei, indem er den Juden als Stellvertreter für alle Außenseiter der Gesellschaft markiert", schreibt Annette Bosetti von der Rheinischen Post (19.2.2018) über "ein sehenswertes Stück über das Treten in der Gesellschaft, über Hass und perfide Formen im menschlichen Umgang".

Als unterhaltsamen Abend "mit wenig Standpunkt, aber viel guter Musik" beschreibt Anna Brockmann die Inszenierung in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (18.2.2018). Der Musiker Keith O’Brian habe einen fabelhaften düster-dramatischen Soundtrack geschaffen. Klaußner erde die schwere Rolle, gebt ihr Gelassenheit, Größe, Verletztheit, "ganz leise passiert das, großartig". Aber am Ende bekomme Vontobel die Kurve nicht. "Als sich alles in Wohlgefallen auflöst, die Paare beieinander stehen, der Jude allein – überwiegt dann doch das Unbehagen: Ende gut, alles gut? Das darf ja wohl nicht wahr sein."

Mit Gewissenhaftigkeit rücke Vontobel dem problematischsten aller Shakespeare'schen Dramen zu Leibe, schreibt Christian Bos im Kölner Stadtanzeiger (20.2.2018). "Alles, was den 'Kaufmann' so schwierig, aber auch so faszinierend macht, ist hier in wohlgeordneter Klarheit ausgestellt." Das Stück oszilliere zwischen den Zuständen. Burghart Klaußner spiele Shylock als den kalten Geschäftsmann, "aber er springt auch im Kreis und wetzt das Messer" - der Spagat gelingt übergangslos, aber das zeuge eher von Klaußners Virtuosität als von einer schlüssigen Interpretation. Fazit: "Ein mustergültig aufgedröselter, vorbildlich unterhaltender 'Kaufmann'", der aber "die Weite und Undurchschaubarkeit" des Textes schmerzlich vermissen lasse.

Vontobel besitze "im Allgemeinen das Talent, spannende Geschichten spannend und meist ohne Schnörkel zu erzählen", erläutert Martin Krumbholz in der Süddeutschen Zeitung (22.2.2018). Er gebe sich alle Mühe, die christliche Boygroup um den homosexuellen Kaufmann Antonio und seinen leichtlebigen Freund, den Glücksritter Bassanio mit den Insignien übelster Ressentiments zu versehen. "Lustig ist das überhaupt nicht." Klaußner agiere als Shylock "die Figur offensiv, manchmal grandios aus, ohne sie in die Nähe der Karikatur zu treiben". Die Demütigung, die Shylock am Schluss erfahre, inklusive Enteignung und Zwangskonversion, sei unerträglich. "Daran kann keine Inszenierung der Welt das Geringste ändern."

einen mustergültig aufgedröselten, vorbildlich unterhaltenden "Kaufmann" gesehen. Aber die Weite und Undurchschaubarkeit des Textes schmerzlich vermisst. – Quelle: https://www.ksta.de/29724212 ©2018

Burghart Klaußner spielt als Shylock den kalten Geschäftsmann, der den zutiefst gekränkten Juden verbirgt, aber er springt auch im Kreis und wetzt das Messer wie ein Rumpelstilzchen von der Marionettenbühne - der Spagat gelingt übergangslos, aber das zeugt eher von Klaußners Virtuosität als von einer schlüssigen Interpretation. – Quelle: https://www.ksta.de/29724212 ©2018

Roger Vontobel, der das Stück in Düsseldorf inszeniert, besitzt im Allgemeinen das Talent, spannende Geschichten spannend und meist ohne Schnörkel zu erzählen. Muriel Gerstner hat die Bühne als eine Art Showroom eingerichtet, mit LED-Laufband und abschließendem Glittervorhang. Vontobel gibt sich alle Mühe, die christliche Boygroup um den homosexuellen Kaufmann Antonio und seinen leichtlebigen Freund, den Glücksritter Bassanio mit den Insignien übelster Ressentiments zu versehen. Lustig ist das überhaupt nicht.

Und Klaußner? Er macht nichts falsch. Er agiert die Figur offensiv, manchmal grandios aus, ohne sie in die Nähe der Karikatur zu treiben. Er bohrt den Daumen in die Handfläche, wenn er erregt ist, er legt ein Tänzchen hin im Vorgefühl des vermeintlichen Triumphs. Die Kippa trägt er unterm Hut, und die hochmütige Portia, seine selbsternannte Richterin, gespielt von Minna Wündrich, wird sie ihm vom Kopf schälen, behutsam zwar, aber es sieht doch so aus, als würde sie ihn skalpieren. Die Demütigung, die Shylock am Schluss erfährt, inklusive Enteignung und Zwangskonversion, ist unerträglich. Daran kann keine Inszenierung der Welt das Geringste ändern.

es steht für die Gewissenhaftigkeit, mit der Vontobel dem problematischsten aller Shakespeare'schen Dramen zu Leibe rückt. Alles, was den "Kaufmann" so schwierig, aber auch so faszinierend macht, ist hier in wohlgeordneter Klarheit ausgestellt. – Quelle: https://www.ksta.de/29724212 ©2018
aber es steht für die Gewissenhaftigkeit, mit der Vontobel dem problematischsten aller Shakespeare'schen Dramen zu Leibe rückt. Alles, was den "Kaufmann" so schwierig, aber auch so faszinierend macht, ist hier in wohlgeordneter Klarheit ausgestellt – Quelle: https://www.ksta.de/29724212 ©2018
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