Puppenhaus mit Partisanin

von Jürgen Reuß

Freiburg, 17. Februar 2018. Die Grundidee von Tena Štivičićs Stück "Drei Winter" ist schnell erzählt: Die Geschichte Jugoslawiens wird auf die Saga einer Familie und eines Hauses eingedampft, in die zu drei historischen Schlüsseldaten jeweils zur gleichen Jahreszeit hineingezoomt wird. Da ist der Nachkriegswinter 1945, Startschuss für Titos Jugoslawien mit dem Partisanenkampf als Gründungsmythos, der Januarwinter 1990, an dem dieses Staatengebilde beerdigt wird, und der Winter 2011, in dem Kroatien den Beitrittsvertrag für die EU unterzeichnet.

Für die Freiburger Inszenierung hat Bühnenbildner Kaspar Zimpfer das Große Haus mit mobil einsetzbaren und auf Geschichtspatina gestalteten Seitenwandsegmenten in ein entsprechend möbliertes, wandvariables Puppenhauszimmer verwandelt und ihm mit einem auf die Drehbühne dahinter ausgelagerten Treppenhaus Tiefe gegeben. Das macht das altmodisch Reißbretthafte der Textkonstruktion schön sichtbar und stimmt auf den nostalgischen Ton ein, in dem Peter Carp das Stück inszeniert.

Mit Pathos und 'nem Schuss Humor

Es beginnt 2011, die jüngste Vertreterin der jüngsten Generation, Lucija, wird einen Mann heiraten, der ihr das Haus gekauft hat, aus dem ihre Urgroßmutter als Dienstmädchen verstoßen wurde, in das ihre Großmutter als siegreiche Partisanenkämpferin zurückkehrte, und in dem die Rente ihrer Eltern kaum noch für die Nebenkosten reicht. Der Vater präsidiert den Familientisch mit Mutter, Tante, Lucija und Schwester Alisa ein bisschen wie einst Alfred Tetzlaff – ein Herz und eine Seele, nur ohne den Biss von Wolfgang Menges legendären TV-Dialogen. Trotzdem sind Vater Vlado und Mutter Mascha für den Humor zuständig und in einer späteren Bettszene, in der sie einander ihr Ehedesaster gestehen, sogar witzig.

DreiWinter 1 560 Rainer MuranyiNostalgisch am Familientisch: Anna Stieblich, Angela Falkenhan, Hartmut Stanke © Rainer Muranyi

Aber Humor ist eher ein Randphänomen der Inszenierung, mehr Gewicht bekommt das Geschichtspathos. Mit großem Choreinsatz und Partisanenliedern zieht Kämpferin Rose ins von bürgerlich-feudalen Resten befreite Haus ein, lässt ihre Dienstmagdtochtervergangenheit hinter sich, die ihr aber in Gestalt von Karolina, der zähen Großbürgerin und ehemaligen Dienstherrin ihrer Mutter, noch Jahrzehnte als mittelloser Hausgeist erhalten bleiben wird.

Hochzeitstotentanz

Der 1990er Winter mit all den monströsen Folgen des Staatszerfalls bleibt in der Inszenierung recht blass. Wenn Karl, Prototyp des Führerpsychopathen im folgenden Nationalistenwahn seine Frau Dunja, Roses Tochter und und Lucijas Tante, prügelt, geschieht das so beiläufig, dass man später staunt, wie daraus ein zehnjähriger Gerichtsprozess entstehen konnte. Auch der bosnische Familienfreund, der plötzlich am Tisch sitzt und 2011 betrauert werden wird, bleibt so blass, wie der Aufstieg des Brutalos Karl zum EU-Diplomaten, der nebenbei im Fernsehen läuft.

DreiWinter 2 560Rainer MuranyiBlasser Winter, immerhin mit Schnee: Marieke Kregel, Tim Al-Windawe © Rainer Muranyi

Das ganze kulminiert dann 2011 am Vorabend der Hochzeit von Lucija, bei der die vermeintlich nur schöne Tusse sich in eine fies-pragmatische Gewinnlerin verwandelt und den Schlusspunkt einer Reihe starker Frauen setzt, die sich über die Generationen von der Dienstmagd zur Hauseigentümerin gemausert haben. Lucijas Schwester Alisa, die schon lange nach England entschwunden war, steht mit dem Rollkoffer auf der Bühne und schaut in die Tiefe, wo sich alle Generationen zu einem Hochzeitstotentanz vereinen. Da wird die Textkonstruktion noch mal vorgeführt: Das ganze Stück ist wie das Blättern in einem Familienalbum, aus dem die Figuren im historischen Teil wie aus einem Guido-Knopp-Reenactment und im aktuelleren wie aus einer Telenovela hervortreten.

So etwas kann man mögen, wie das Publikum, das begeistert applaudierte. Oder als langes zähes Waten in flachen Gewässern empfinden. Eine Frage der persönlichen Disposition.

 

Drei Winter
von Tena Štivičić
Regie: Peter Carp, Bühne: Kaspar Zwimpfer, Kostüm: Gabriele Rupprecht, Licht: Stefan Meik, Ton: Sven Hofmann, Chor: Norbert Kleinschmidt, Dramaturgie: Rüdiger Bering.
Mit: Marieke Kregel (Alisa Kos), Angela Falkenhan (Lucija Kos, Alisas Schwester), Anna Stieblich (Mascha Kos, Alisas und Lucijas Mutter), Henry Meyer (Vlado Kos, Alisas und Lucijas Vater), Laura Angelina Palacios (Krankeitsvertretung)/Anja Schweitzer (Dunja König, Maschas Schwester), Tim Al-Windawe (Marko Horvat, Nachbar von oben / Marinko, kommunistischer Beamter), Holger Kunkel (Karl Dolinar, Dunjas Mann), Margot Gödrös (Karolina Amrus, ursprüngliche Besitzerin), Victor Calero (Igor Maljevic, Freund der Familie), Hartmut Stanke (Aleksander König, Dunjas und Maschas Vater), Janna Horstmann (Rose König, Maschas und Dunjas Mutter), Thieß Brammer (Aleksander König, ihr Mann (1945)), Stefanie Mrachacz (Monika Zima, Roses Mutter), Kyoung-Eun Lee (Soli Ederlezy), Jelena Milovic (Soli Ederlezy), Opernchor des Theater Freiburg
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.theater.freiburg.de


Kritikenrundschau

In drei Stunden Spieldauer erzählt die Familiensaga alles, was man so genau vielleicht gar nicht wissen will, so Bettina Schulte in der Badischen Zeitung (19.2.2018). Intendant Peter Carp, der seine erste hier entstandene Produktion vorlegt, gelinge es nicht, aus der Vorlage Funken zu schlagen. "Brav, harm- und einfallslos lässt er 'Drei Winter' sozusagen vom Blatt spielen. An machen Stellen sei das ein bisschen komisch, an anderen betulich." Aber nie passiere Unerwartbares. Die Figuren bleiben einem fern und herzlich egal.  

 

 

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