Stuttgart

Wut hat Vorfahrt

von Verena Großkreutz

Stuttgart, 23. Februar 2018. Das ist ein lustiger Alter: Hängt seine Krone einfach an den Nagel und freut sich diebisch auf den Ruhestand. Herrlich, wie Martin Schwab (80) als König Lear (80) mit gelenkigen Knien herumhüpft wie ein Gummiball. Kann's halt kaum erwarten, sich endlich einen schönen Alterslenz zu machen. Den weißen Ausgehanzug hat er schon an. Man kann ihn sich vorstellen mit Strohhut, wie er die Promenaden mondäner Kurorte entlangschlendert und nach flotten Damen Ausschau hält.

So ruft er geschäftig noch schnell seine drei Orgelpfeifen-Töchterlein zusammen – reine Routine –, um ihnen endlich sein Reich in Dritteltortenstücken zu verabreichen. Fordert dafür lediglich eine kleine Show: Sein Nachwuchs soll ihm sagen, wie lieb er ihn hat. Ist ja jetzt eigentlich auch nicht die Welt, die er für ein Drittel-Königreich fordert, denkt sich der Alte. Aber eine, die Jüngste, Cordelia, macht nicht mit. Sie nimmt's mit der Wahrheit sehr ernst. Das Liebesgehudel der Schwestern widert sie an: Sie, die tief Empfindende, ist nicht fähig, auch nur ein nettes Wort zu sagen. Und damit ist grobkörniger Sand im nun knirschenden Getriebe der royalen Eitelkeit. Das blutige Drama beginnt. Lear verstößt Cordelia im kindischen Wahn und entscheidet sich fürs Altenteil bei seinen anderen Töchtern. Ein fataler Fehler. Denn die denken nur an sich.

Ohne Video, mit Nebel

Claus Peymann (80) hat in Stuttgart Shakespeares "König Lear" inszeniert. Nicht als bittere, finstere, verstörende Weltuntergangstragödie, sondern eher als schwarzhumorige Weltuntergangskomödie – mit leichter Altmeisterhand gewoben und von einem fantastischen Ensemble umgesetzt. Man mag sich in alte Theaterzeiten zurückversetzt fühlen: So nah am Original wird gespielt, so klar und verständlich und immer schön nacheinander rollt sich die Geschichte auf, so locker und flockig entfaltet sich das modern bearbeitete Prosadeutsch, und ganz ohne Videoprojektionen kommt man aus. Ja, man mag das altbacken finden. Aber man muss zugeben: Es sind durchweg sehr unterhaltsame dreiunddreiviertel Stunden.

Gespielt wird auf kahler, komplett schwarzer Bühne. An allen Seiten jeweils eine Glastüre, in der Mitte baumelt eine Glühlampe und schon bald Lears Krone. Ein dicker weißer Kreidekreis umsäumt die Spielfläche. Zwischendurch herrscht krasser Naturalismus: heult Sturm, blenden grelle Blitze, dröhnt Donner in die Ohren. Nebelwolken und Regen machen die Bühne glitschig. Und auch die Augen, die Cornwall dem Grafen von Gloster ausreißt und sie dann auf den Boden klatscht, wirken ziemlich echt.

Lear3 560 ThomasAurin uIm Regen stehend: Peter René Lüdicke, Martin Schwab, Lea Ruckpaul © Thomas Aurin

Keine gemütliche Welt, in die es Lear nun verschlägt, der sich mehr und mehr in den Wahnsinn flüchtet. Peymann fokussiert das Stück auf den Generationenkonflikt. Und da ist bei den bösen Töchtern – elegant und schön zickig: Manja Kuhl und Caroline Junghanns – kein Platz für den royalen Rentner. Der Alte nervt. Macht sich mit seiner Riesenentourage breit in den Heimen der Kinder und hört lauten Balkan-Rock. Martin Schwabs Lear wäre sicher ein netter Opa, wenn sein Nachwuchs schon Kinder hätte. Aber in seiner Rolle als Vater verhält er sich wie ein Teenager, der ständig Grenzen überschreitet. Kriegt er seinen Willen nicht, dann trampelt er mit den Füßen wie ein Kind.

Der andere, Graf von Gloster, wird auch von der Jugend ausgehebelt. Sein unehelicher Sohn Edmund, genervt von der väterlichen Bevorzugung des Bruders Edgar, will endlich auch an die Reihe kommen. Fantastisch Jannik Mühlenweg als wütender junger Wilder, verführerisch, hübsch und stylisch, sehr mephistophelisch in seinem destruktiven Wollen, selbst überrascht darüber, wie leicht es ist, die Menschen zu manipulieren: sowohl seinen Vater, den Elmar Roloff als freundlich-angepassten und recht einfach strukturierten Mann spielt, als auch Edgar (Lukas T. Sperber), den naiven Sanftmütigen, der bald als Bettler getarnt die Flucht ergreift. Eine witzig-rührende Szene, wie Edgar nackt, verdreckt und vor sich hin brabbelnd auf Lear trifft und dieser ihn sachte und mitleidig fragt, ob er auch sein Hab und Gut an Töchter habe abgeben müssen?

Lea Ruckpaul als doppelte Wahrheits-Hoheit

Weil Lear so kindisch ist, liegt die Regieidee nicht fern, sein Alter Ego, den stets ihn begleitenden Narren, mit derselben Schauspielerin zu besetzen, die auch Cordelia spielt – wiewohl diese beiden ja im Strudel der Intrigen, Egoismen und Verlogenheiten die Hoheit in Sachen Wahrheit gepachtet haben. Lea Ruckpaul im Narrenkappenkostüm spielt das wunderbar: mal Gelsomina, mal Rad schlagender Derwisch, mal altkluges Kind, mal rational analysierender Philosoph, und immer wieder zur Mini-Konzertina altenglische Melodien summend.

In der Rolle des Außenseiters Kent kann sich Peter René Lüdicke mal wieder als glänzender Komödiant beweisen: Schnell eine struppige Rothaarperücke aufgestülpt – schon wandelt sich der gutherzige, höfliche Adelige in einen grobschlächtigen, herumprollenden Bauern, jederzeit bereit, zu explodieren ("Wut hat Vorfahrt!"). Und auch Horst Kotterba als Oswald zeigt sich als umwerfender Komödiant mit präziser, geschmeidig sich windender Körperkomik.

Am Ende ist der Leichenberg bekanntermaßen groß. Und das Publikum ist sehr begeistert. Es feiert Peymann, der vor fast 40 Jahren Stuttgart gen Bochum verließ. Es feiert ihn ein bisschen wie den verlorenen Sohn.

König Lear
von William Shakespeare
Neufassung von Jutta Ferbers nach der Übersetzung von Wolf Baudissin
Regie: Claus Peymann, Bühne: Karl-Ernst Herrmann, Kostüme: Margit Koppendorfer, Dramaturgie: Jutta Ferbers und Jan Hein, Licht: Karl-Ernst Herrmann und Felix Dreyer, Fechtszenen: Annette Bauer, Lieder nach Motiven aus der Shakespeare-Zeit: Max Braun.
Mit: Boris Burgstaller, Caroline Junghanns, Horst Kotterba, Manja Kuhl, Andreas Leupold, Jürgen Lingmann, Peter René Lüdicke, Jannik Mühlenweg, Elmar Roloff, Lea Ruckpaul, Martin Schwab, Lukas T. Sperber, Michael Stiller.
Dauer: 3 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.schauspiel-stuttgart.de

 

Kritikenrundschau

"Was für ein Bühnenbild! Und was für ein grandioser Einfall, die Figur der Cordelia und die des Narren mit derselben Schauspielerin zu besetzen", findet Rainer Zerbst in Fazit auf Deutschlandfunk Kultur (23.2.2018). Den übrigen Figuren fehle es an Glaubwürdigkeit. Selbst altgediente Ensemblemitglieder wie Elmar Roloff und Wolfgang Stiller seien in dieser Inszenierung zur Farblosigkeit verdammt. "Bewegt hat mich nichts", so der Kritiker, als habe Peymann verlernt wie Tragik wirklich überkomme. Leiden und Emotion werde nicht spürbar.

Roland Müller schreibt in der Stuttgarter Zeitung (online 24.2.2018, 18:57 Uhr): "Klar, präzise, mit poetischen Bildern" entwerfe Peymann die "Ausgangslage der Tragödie". "Stilsicher" die Ouvertüre und Kostüme, der ganze Abend ein "darstellerischer Triumph" für Caroline Junghannsin und noch mehr für Lea Ruckpaul. Peymann entfalte auch, zuerst geduldig, später hastig und mit "vielen Schlaglichtern"nicht nur sie Lear-Geschichte, auch die Familiengeschichte von Gloster und seinen Söhnen. Allerdings – was sich bei Shakespeare "zur Apokalypse der Menschheit" verdichte, käme in Peymanns "handwerklich perfektem", aber "überraschungslosem Erzähltheater" über "blutige Moritaten" nicht hinaus. Der Inszenierung fehlten "Wut, Zorn, Gefahr", das läge auch an Titeldarsteller Martin Schwab, dem es an "zerstörerischer Energie" mangele. Insgesamt verkleinere und verharmlose Peymann seinen "Lear" zu einem "Märchen aus mythischer Zeit". Doch das Publikum jubele "der Vergangenheit zu".

Peymann betone den "märchenhaften Charakter" der Tragödie, so Nicole Golombek in den Stuttgarter Nachrichten (online 24.2.2018, 14:10 Uhr). Lear sei für Peymann ein "unberechenbarer, oft ungerechter Kerl" – aber mit Martin Schwab "im Grunde ein guter Mensch". Der Fall lasse "vom ersten Moment an keinerlei Zweifel zu", schon die Kostüme zeigten die Guten und die Bösen an, dennoch verfolge man die "stringent und präzise wie ein Uhrwerk ablaufende Katastrophengeschichte mit Interesse". Claus Peymann demonstriere seine Stärken, seinen Blick für die Schauspieler, seine Liebe zum Text. Aber ein bisschen mehr "Ungereimt" hätte dem Abend gut getan.

"Peymanns Inszenierung ist in der ästhetischen Anmutung zwar altmodisch, märchen- und theaterdonnerhaft. Aber dieses Analog-Theater hat auch seine Stärken und anrührenden Momente, vor allem ist es klar und nachvollziehbar erzählt, mit einem großen, nicht zu unterschätzenden Theaterwillen und einem ebenso großen Interesse am 'Menschen an sich'", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (26.2.2018). "Zu Tränen gerührt ist man an diesem Abend nicht unbedingt, dazu ist er dann doch zu fantasielos und zu wenig beseelt, zumal da Peymann das Drama gegen Ende schlaglichtartig abhandelt." Aber kalt lasse einen dieser 'Lear' nicht. Er habe seine eigene Würde.

Claus Peymann biete noch einmal alle tausendfach von ihm erprobten Überredungskünste einer aufgeklärten Regiekunst auf, schreibt Ronald Pohl im Wiener Standard (24.2.2018). In manchen Augenblicken komme das Peymann-Theater ganz zu sich. "Da kann es den Umschlag von mythischer Vorzeit in echten Fortschritt behaupten. Es nennt dann alle Schurken beim Namen und stellt die Verblendung der Mächtigen zu Demonstrationszwecken vorbildhaft aus." Claus Peymann behaupte noch einmal mit schönem Ernst die Errungenschaften des ausgehenden 20. Jahrhunderts: die Bühne als semi-abstrakten Raum der Erkenntnis, als heilige Stätte des Mitleidens und Einfühlens. "Und das klappt ganz famos, weil das Stuttgarter Ensemble Kontakt zur grauen Vorzeit hält – und doch auch schon die bürgerlichen Deformationen in die Figuren einarbeitet."

Judith von Sternburg von der Frankfurter Rundschau (26.2.2018) sah "dreidreiviertel Stunden der Eindeutigkeiten, dargereicht in attraktiven Bildern". Über weite Strecken sei das unterhaltsam, gegen Ende zeige der Abend Ermüdungserscheinungen. Peymann bemühe sich redlich möglichst wenig in Shakespeares Stück hineinzulesen. "Drastisch ist er in seiner Entscheidung für einen armen Lear ohne Abglanz eben erst verspielter Größe (die man übrigens durchaus für werktreu hätte halten können). Nicht drastisch, aber geradlinig ist er im nicht ganz einleuchtenden Wunsch, 'König Lear' ins Kleine, Überschaubare, im Sturm nachher fast Puppentheaterhafte zu wenden."

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (1.3.2018) schreibt Martin Halter: Das "hier ist natürlich kein Lear-Jet des Regietheaters, sondern eine altersgerechte, barrierefreie Peymanniade: Shakespeare, wie ihn die gebildeten Alten und die Abonnenten noch heute lieben. Solides, altmodisches Erzähltheater ohne Videomätzchen, Zusatztexte und Regieeinfälle; und für Selbstironie ist die Sache sowieso viel zu ernst." Jedoch: Bei "al­lem Re­spekt vor Er­fah­rung und Rou­ti­ne: So dis­tanz- und ein­falls­los, so alt­ba­cken und selbst­ge­fäl­lig kann man Shake­speare heu­te nicht mehr spie­len. Die­ser 'Lear' hat kein Herz und kei­ne See­le."

 

Kommentare  
König Lear, Stuttgart: treffend
Eine unsäglich treffende Kritik finde ich.
König Lear, Stuttgart: zutreffend
Wunderbar zutreffende Kritik, ganz im Gegensatz zu derjenigen von Roland Müller, Stuttgart Zeitung.
König Lear, Stuttgart: Frage
War das nicht immer ein lang gehegter Wunsch von Karin Beier? Den Lear mit Martin Schwab machen.
König Lear, Stuttgart: Hallo?!
Es war die langweiligste, konventionellste, phantasieloseste, bürgerlichste Inszenierung, die ich je gesehen habe.
Arme Schauspieler.
Armes Publikum.
König Lear, Stuttgart: irritiert
Ich habe die Inscenierung leider noch nicht gesehen, lese nur gerade die Kritiken und bin sehr irritiert über R.Z erbst Deutschlandfunk Kultur. Er hebt hervor als "grandiosen Einfall" Cordelia und Narren von derselben Schauspielerin spielen zu lassen. Diesen grandiosen Einfall gibt es seit Jahrzehnten fast in jeder 2. Inscenierung. Ansonsten hat ihn nichts "bewegt"!! Eine solche Kritik über einen solchen Abend scheint zu zeigen,dass er das Stück nie sah,sich aber auch vorher nicht "schlau machte"! SCHLIMM !
König Lear, Stuttgart: Meinung einer Spielerin
#4 Zu dem „Armen Publikum“ gehörte ich auch und ich sah eine völlig andere Aufführung als die SPIELERIN. Ich sah ein grandioses Stück in einer klaren Aufführung ohne eitlem Firlefanz und besserwisserischem Schnickschnack. Peymann inszeniert nicht anders als vor 40 Jahren.Er nimmt Stücke genau und ernst; die SPIELERIN mag das vielleicht nicht, ich glaube das Publikum denkt anders, jedenfalls die habe ich es am BE in all den Jahren so erlebt. Ich bin neugierig, ob es, wie einst, in Stuttgart auch so sein wird.
König Lear, Stuttgart: Unsinn
zu 5
Liebe Frau Lieneweg, in der Sache haben Sie absolut Recht - auch ich bin entsetzt, dass so ein objektiver Unsinn ("genialer Einfall der Dopplebesetzung Cordelia/Narr" - seit Jan Kott eine Selbstverständlichkeit für die meisten Regisseur*innen) auf DEUTSCHLANDFUNK KULTUR gesendet wird. Aber - kleine Randfrage - verraten Sie uns, weshalb Sie die Schreibweise "Inscenierung" bevorzugen? Das Wort heißt im allgemeinen Sprachgebrauch und auch laut Duden eindeutig "Inszenierung"... :)
König Lear, Stuttgart: Erinnerung
Ja, das war's: schön und "ohne Mätzchen" vom Blatt gespielt, angeleitet von einem Regisseur, den wir damals, ja damals, wegen seiner unkonventionellen Art des Inszenierens geliebt haben. Er war unser Held, weil er Faust und Käthchen aus der Klassiker-Kiste geholt hatte. Nun brüstet er sich, kein Video, keine Fremdtexte zu benötigen. Klar, es geht auch ohne, und zwar wunderbar und eindringlich: ich erinnere an LEAR in Wien mit Gerd Voss von Luc Bondy. Und Martin Schwab war damals ein hervorragender Gloster.
König Lear, Stuttgart: Bravo
Ich war in der Voraufführung und extra deswegen aus Wien angereist. Ich habe Gert Voss in der Luc Bondy-Inszenierung und Klaus Maria Brandauer in Peter Steins Inszenierung gesehen. Die Vergleichsmöglichkeiten und die Erwartungshaltung waren also dementsprechend hoch.

Die Inszenierung zog vom ersten Moment in ihren Bann. Wie meine Sitznachbarin in der Pause bemerkte...“Alles mucksmäuschenstill im Publikum. Kein Hüsteln, kein Rascheln, kein Knarren.“

Erzähltheater, dem man vom ersten Moment mit Spannung zuhört. Eine klare Geschichte, die nicht unbedingt eine „Königstragödie“ erzählt sondern den Kontrollverlust eines Menschen über eine Situation. Wie sich Jähzorn rächen, Fehler gemacht werden aber auch wie ein Mensch enttäuscht wird, wie er immer weiter seine Welt verliert, seine eigene Kontrolle. Martin Schwab war ganz eindeutig der menschlichste, der zerbrechlichste Lear, kein betrogener Herrscher sondern ein gescheiterter Erdenbürger.

Ganz aussagestark von der Regie gezeichnet, fand ich auch die oft in Inszenierungen vernachlässigten bösen Töchter mit ihren Ehemännern. Der Frust über den schrulligen Vater, die nicht passenden Ehemänner und der „geile“ Bastard, ein faszinierendes Familiendrama in sich. Spannend wie ein Krimi.

Die Doppelrolle Cordelia/Narr hervorragend besetzt. Das ganze Stuttgarter Ensemble braucht absolut keinen Vergleich mit den Burgtheatergrößen scheuen.

Und das Publikum war in der Voraufführung voll der Begeisterung. Und war trotz Wochentag und 3,5 Stunden Länge bei der Stange geblieben. Körperlich und geistig. Zollte lange Applaus mit Bravos. Und sprach an der Garderobe voll des Lobes.
König Lear, Stuttgart: Publikum begeistert
Irgendwie ist es mit den Kommentatoren auf Nachtkritik in Sachen Peymann-Inszenierungen immer das Gleiche. Man echauffiert sich über vermeintlich biederes Schauspiel. Interessant ist aber doch, dass in fast jeder Kritik am Ende ein Satz wie "Und das Publikum ist sehr begeistert" erscheint.
Immer dieses Publikum.
König Lear, Stuttgart: Erzähltheater
Kann mich den vorstehenden Kommentaren nur anschließen, sind aus München extra nach Stuttgart gereist, um mal wieder richtiges Erzähltheater zu erleben, lieber so als der Performance-Quark und die Ensemblelosigkeit an den Kammerspielen.
König Lear, Stuttgart: seit ich denken kann
Zu #7: ich weiß nicht, wer mich befragt betr. Schreibart von Inscenierung/Inzenierung = schreibe das so seit ich zurückdenken kann, habe nie darüber nachgedacht. Wenn es falsch ist, versuche ich es nun richtig! Ob es gelingt.....??
König Lear, Stuttgart: Inscenierung
Im 19. Jh. war die Schreibweise INSCENIERUNG absolut gebräuchlich, aus dem Französischen abgeleitet: La mise en scène. Mich stört es nicht, wenn Frau Lieneweg an die Herkunft des Wortes erinnert!
König Lear, Stuttgart: Schmierentheater
Von Anfang an regelrechtes Schmierentheater, sorry, nicht nur, weil wir die Luc-Bondy-Inszenierung mit Voss in Wien dreimal gesehen haben. Erinnerte mich über Strecken an den "Raub der Sabinerinnen". Schwab nehme ich den abgedankten König nicht ab, und somit fehlt mir die tragische Fallhöhe. Ohne nun andere Darsteller*innen zu bewerten, hat mich in keiner Minute irgend etwas berührt, am ehesten aber noch das Gewitter/1.Teil (ab dem Regen wurde es albern). Den zweiten Teil der Aufführung habe ich mir dann geschenkt, ich hätte es nicht ertragen. Nochmal sorry.
König Lear, Stuttgart: berührend
Ich halte den Stuttgarter King Lear für eine der besten Arbeiten hier seit langem und habe ihn mehrmals gesehen. Natürlich muss man sich auf einen so komplexen Text wie King Lear einlassen. Dennoch sind die Klarheit der Darstellung, die Schnörkellosigkeit und die Charakterzeichnung der Figuren immer wieder eine Wohltat für Geist und Sinn. Sehr berührend finde ich vor allem alle Szenen mit Cordelia (mit der grandiosen Lea Ruckpaul), im ersten, vor allem aber auch im zweiten Teil. Eine tiefsinnigere und schönere Figur wie die gezeigte Darstellung des Narren habe ich selten gesehen. Darüber hinaus ein reines Schauspielerfest!!
König Lear, Stuttgart: kein Wunder
Großes Manko, das die Glaubwürdigkeit beschädigt: Lear ist "80 und darüber hinaus", seine Töchter aber erst thirtysomethings.
Wie anders dagegen Andrea Clausen und Caroline Peters in Wien, eher 50+ - das haut hin. Oder ganz anders: Lear ist um die 50 und seine Kinder um die 20 - siehe die herrliche Aufführung in Bern, Einblicke in YouTube.
Das ist dann heutig, ohne modisch zu sein, auch beklemmend, inszeniert von einer jungen Frau, die einen kritischen Blick auf Väter richtet. Peymann dagegen versucht alles, nicht selbst gemeint zu sein, gut wegzukommen - und so kann er für Lears (und sein eigenes) Ende fünfzehn Minuten rasenden Applaus rausschinden von den mehrheitlich älteren Zuschauern, die noch mal davon gekommen sind. Nur nicht an die eigene Nase fassen...
König Lear, Stuttgart: Ernte seines Schaffens
Sehr geehrte(r) Wilky!
Ich halte Ihre Herangehensweise an Schwabs/Peymanns „LEAR“ doch ein wenig skurril. Ob wer der 80 ist und dann wie 50 wirkt oder ob Töchter zu jung oder alt sind, halte ich schwer in Vorurteile eingegrenzt. Weder Bondy noch Voss, den Sie da als Vorbild sehen, hätten Ihre Rechnung nachvollziehen können. Schockzustände über Erlebtes sollen sogar schon bei Jugendlichen Wahnverhalten ausgelöst haben.

Peymann hat wohl auch keinen Grund sich im Schicksal Lears wiederzufinden. Im Gegenteil! Der Verlust des Intendantensessels hat keinerlei Liebesentzug gebracht. Es ist ja nicht nur Stuttgart, das seine sehr schöne Inszenierung liebt, seine Lesungen sind sowohl in Deutschland als auch in Österreich bejubelt, sein Publikum drängt nach diesen in Scharen zu ihm um Hochachtung, Bewunderung, Sympathie und Liebe auszudrücken. Und Berlin hat gerade erlebt, dass er in Sachen Dercon die richtige Prognose gestellt hatte. Ehrlich und mutig!

Ich meine, dass er im Gegensatz zu Lear mit vollem Recht die Ernte seines von Mut und Energie, Beobachtungsvermögen, Intelligenz, Eloquenz und Empathie geprägten Schaffens einfährt. Und das bleibt hoffentlich noch sehr lange so!
König Lear, Stuttgart: nicht gepackt
Einverstanden, Susanne Peschina. Was nichts an der Tatsache ändert, dass ich (und auch eine ganze Reihe anderer Zuschauer und Kritiker) von dieser sog. werkgetreuen (was heißt das schon bei Shakespeare!!!) Aufführung - sprich: von Lears tragischem, selbst verschuldeten Schicksal - nicht gepackt wurden, sondern eher Peymanns Inszenierungskunst und seinem - auch wieder so genannten - Mythos gehuldigt haben.
PS. Ich war übrigens damals in Stuttgart glühender Peymann-Fan!
Lear, Stuttgart: wie einst
Wenn WILKY wirklich ein glühender Peymann-Fan gewesen ist, so nennt sich WILKY selbst, denn müßte WILKY doch wissen und sehen, daß Peymann nicht anders inszeniert wie einst in Stuttgart: dem Stück verpflichtet, nur dem Stück. Heute eine seltene Tugend!
König Lear, Stuttgart: Ärger
Allmählich verfertigt sich der Eindruck, eine Diskussion von Peymanns Lear spiele notgedrungen auf nostalgieverregneter Heide halbwegs zwischen Stuttgart und einem überzeitlichen Theaterparnass. Warum nicht zunächst zum Problem der Inszenierung auf der Bühne des Staatstheaters?

Warum denn nennt das niemand, unter all den Ausverkaufsauskäufern, einen Theaterabend zum richtig schön Ärgern? Der Ärger nämlich reichte leicht von, sagen wir, zwei frühen Vorstellungen - der öffentlichen, ausverkauften Probe und der Dritten - bis in diesen Moment, wie immer bei Großem Theater natürlich gemildert von Nachbildern echter, teils überwältigender Schönheit des Bildes und sehr gelungener Konstellationen der Personenregie. Erstere, etwa der großen Regensturm, beeindrucken mehr von Reihe 23 aus, die Feinheit einzelner schauspielerischen Darstellung intensiver in Reihe 1. Szenisch meisterlich im Sinne von almeisterlich ist das, oft hilfreich und angemessen bemüht um das Material eines großen, nicht verbesserbaren Autors. Eine hoch gehängte Krone.

Nun könnte man abwarten, dass einem das jemand abnähme - alles ausverkauft und wirklich niemand, der den Ärger teilte? -, und am Ende fände man sich alt und arm und hätte einen Ärger mit sich herumgetragen und nicht vererbt, für nichts.
Wer so gleichgültig wäre, bräuchte nicht ins Theater zu gehen, nein er sollte nicht. Leben doch diese Shakespearemenschen, hat man ein, zwei Abende mit ihnen verbracht, ganz von selbst weiter in ihrer Sprache. Und wenn einen schon diese ärgerte, wieviel schlimmer müsste es für sie selbst sein, die so sprechen müssen, sechs Wochen und länger im Repertoirebetrieb, denn sie sprechen hier die Sprache einer lausigen Textfassung.
Wenn's außer dem eigenen Ärger keiner tut, dann sollte man also ein paar Dinge festhalten, bevor sie über die glitschige Heide verschwinden können - zum Parnass oder über die Klippen der Einbildung. -

Lear ist ein kompliziertes Stück, in dem Anachronismen nicht an sich zum Beweis irgendeiner Widersprüchlichkeit taugen, denn sie gehören zu seinem Stoff und Wesen. Schon klar, siehe Peter Brook et al.
Dennoch ärgern besonders die Anachronismen am verwendeten Textbuch: Baudissin-aka-Schlegel-Tieck, versetzt mit (für uns) zeitgemäß Gemeintem. Mit Versatzstücken der heiklen Sorte, denn sie werden vom Publikum in Stuttgart unmittelbar und unwillkürlich geahndet: genau dafür setzen Regie und Dramaturgie sie ein, nicht versehentlich und nicht naiv. Aufs Risiko dessen hin, was Fritz Kortner treffend wie folgt beschrieben hat: "Die Anbiederung an den heutigen Jargon ist kein legitimer Weg, Shakespeare heutig zu machen ... , sondern ein banaler Ausweg ..."

Es geht nicht um die Verkennung der Vielschichtigkeit des Übersetzungsproblems eines heterogenen, ohne Rücksicht auf Anachronismen gebauten Textgefüges - Frank Günther nennt es " ... ein sperriges, schwer zugängliches Trumm Text. Seine Sprache wirkt seltsam grau und alltäglich, ist achtlos in der Verssprache und ohne Brillanz und zitierbare Formulierungen." Sehr wohl aber geht es um die (auf den ersten Blick) grundlose, (auf den zweiten Blick) unverständliche Verhunzung einer potentiell und prinzipiell in jeder Sprache zunächst vielschichtigen Vorlage.

Was das denn ist, was das denn solle, ärgert sich hier mindestens ein Zuschauer. FACK JU SCHECKSBIER? Von Beginn stinkt es nach "Shakespeare deutsch, in leichter Sprache", or for Dummies. Etwa wenn Martin Schwab bestimmt: "Ich sage, WER WAS kriegt." Macht er dann mal drei Länder klar und drei Mädels, Alter? Soll man das wünschen?

Natürlich ist es (auf den dritten Blick) Kalkül und Teil der Rollenanlage - insbesondere bei Goneril vs. Regan drängt sich das auf: größerer sprachlicher Kontrast ist kaum vorstellbar geschweige denn plausibel, im fiktionalen Soziotop der Fam. Lear.

Wo Bühnensprache trivialisiert wird, immer da darf auch massenmediale Referenz ins Spiel kommen, und Shakespeares Dialoge, ja die rhetorischen Fähigkeiten seiner Figuren, wirken dann laffer als die der Fernsehvorstadtweiber oder besseren Tatortschurk*innen. Warum? Weil ein Ersatz einzelner idiomatischer Wendungen, eine Teilmodernisierung (denn dafür steht, wie man hören muss, "Neufassung nach der Übersetzung von") nicht reicht.

Übrigens bleibt eine Figur, so scheint es, davon verschont, nämlich Regan. Wie zur Strafe muss sie - gräßlicher Lapsus - am "Zyankali" sterben, und Goneril gesteht das schon mit einem blöden Hinweis auf dieses - im 19.Jh. in Deutschland eingeführte - Gift, wo sie bei Shakespeare noch in feiner Ironie "If not, I'll ne'er trust medicine" ...einfließen lässt. (Abgesehen davon wirkt Zyankali mit seinen historischen wie aktuellen Selbstmordkonnotationen schlechter als etwa Polonium, Arsen oder, post-anachronistisch, Nowitschok?)

Überhaupt liegt der Verdacht nahe, Goneril sei hier von der Regie vulgarisiert. Tatsächlich darf Manja Kuhl sehr professionell die meisten Boulevardlacher produzieren, und das ist zweifellos Peymanns Kalkül -, während Regan in Caroline Junghanns' überwältigender Konzentriertheit als Zentrum des unschuldig Bösen und Musterbild hedonistischen Generationenwechsels da steht, bis Goneril sie zu fällen weiß.

Vor allen ist Junghanns für ihre Sprache zu bewundern, die ganz von derben sprachlichen Modernismen verschont und frei bleibt von dem leider von Peymann bei anderen geduldeten Bedeutsamkeitszögern, einer Nebenwirkung des schlechten Textes.
Der Text schleppt sich ungünstigenfalls als Trochäengeklapper dahin, Martin Schwab benutzt das immerhin, wenn er sprachliche Senilität der Rolle zu Alterseinsilbigkeit von Fazits und Befehlen verdichtet.

Die Textversatzstücke scheinen sich immer wieder zu rächen, denn - ohne dass ja ein Ideal oder Urtext auch nur in der Luft läge wie bei Faust oder selbst Macbeth oder Hamlet, - nie ahnt man ein homogenes Idiom, eine Hofsprache oder eine Hochsprache.
Manche dieser Fremd-'Meme' suchen Anschluss, wollen in (unsere) Gesellschaft - aber ihr trivialer Bezug wirkt wichtiger als ihre Funktionalität in der Stücklogik. Die Meme springen über ins Parkett, treiben dort ihr Unwesen oder verbünden sich mit solchem, Sitznachbarn werden verdächtig, je nach Reaktion auf Bröckchen wie (mehr als sinngemäß, aber aus dem Gedächtnis) "die Blödheit (dieser) Gutmenschen", die "Anarchos" in Lears Gefolge-Gesindel und den ungeheuerlich - ohne Reaktion übrigens -, im 3. Akt verpuffenden Halbsatz "Du (böser) Terrorist, kommst als armer Flüchtling und...", dessen Zusammenhang schon beim Hören auf der Strecke bleibt. Was soll dieser Quatsch? Wen ärgern? Wessen Ängste manipulieren? -

Judith von Sternburg in der FR hat völlig Recht über die unwürdige weil unglaubwürdige Anlage der Learfigur von Beginn an, "Burgund" und "Frankreich" dürfen folglich kaum mehr als Herrscherplatzhalter geben. Das ist nicht die Schuld der Darsteller, denn die Sprache zieht sie hinunter, genauer: das Konzept von der Abwesenheit "hoher" Sprache. "Mach dir nichts draus, Cordelia, Frankreich ist auch ganz schön", sinngemäß oder ähnlich schlimm. Warum lässt ein Regisseur, der im Interview mit seinen nicht vorhandenen "Latifundien" kokettiert, einen Länderherrscher auf der Bühne einfach so verteilen "wer was kriegt" ?!

Es kann nur eine Antwort geben, doch will ich sie mir kaum vorstellen: weil er das Publikum für blöder hielte.
Als das Stück? Geschenkt!
Aber der Ansatz bliebe ärmlich.
Ärger.
König Lear, Stuttgart: Einfall
Noch einmal zum hier zitierten Beitrag auf Deutschlandfunk Kultur. Einzige Erklärung für mich ist, daß Herr Zerbst mit Ironie arbeiten wollte, leider etwas verunglückt. Wenn das nicht der Fall ist, frage ich mich, warum jemand, die keinerlei Ahnung vom Stück hat, eine Kritik darüber verfassen darf, und das auf einem Sender wie DLF Kultur! Wahrscheinlich war es schon zu Shakespeares Zeiten üblich, die Rollen Cordelia und Narr mit dem gleichen Schauspieler zu besetzen, denn die beiden Figuren treten im Text nie gleichzeitig auf. Wenn es also ein grandioser Einfall ist, so hat ihn schon Shakespeare gehabt. Aber vielleicht hat Herr Zerbst das ja auch gemeint? Er sagt schließlich nicht, daß es Peymanns Einfall gewesen wäre.
König Lear, Stuttgart: früherer Held
Mein früherer Held Peymann hat damals ganz und gar nicht wie jetzt brav den Lear inszeniert. Faust 1/2, Käthchen von Heilbronn, Iphigenie, Hermannschlacht, Nathan - alles originell und packend. Ohne Video und Fremdtexte zwar und doch ein frischer, origineller Zugriff. Damals liefen in Stuttgart die 70jährigen Zuschauer Sturm gegen Peymann. Jetzt ist es für sie Wohlfühltheater.
Und Susanne P. schrieb:" Martin Schwab war ganz eindeutig der menschlichste, der zerbrechlichste Lear, kein betrogener Herrscher, sondern ein gescheiterter Erdenbürger." Dann frage ich mich, warum die beiden Töchter so böse und hinterhältig mit ihm umgehen, wenn er doch so ein lieber Herrscher ist. Und dann muss er auch nicht so blöd fragen, wer ihn am meisten liebt, sondern gibt mit vollem Herzen. Hugh, ich habe gesprochen.
König Lear, Stuttgart: das Zuzwinkernde
Für Wilky!
Sie sind offensichtlich dem was „cronaca“ und „yellow press“ heißt abhold. Sonst wäre Ihnen schon begegnet, dass nicht unbedingt die Opfer Schuld tragen, an dem was Ihnen passiert.

In meiner Deutung wollte der Schwab/Lear einfach in Pension gehen, stolz auf sich, seine Leistung und seine Kinder. Das eine Kind (Cordelia) stört gleich zu Beginn seinen Lob und Ehre spendenden Rückzugstraum. Dann trifft er bockig und enttäuscht die Fehlentscheidung. Die anderen zwei Töchter sind einfach nicht „ganz ohne“, wie man auch an ihrem gegenseitigen Verhalten in Sachen Bastard sieht.

Schwab mag schon nicht als durchblickend und clever erscheinen, aber genau das finde ich das Spannende. Die vereinbarten Unterstützungen werden nach „Hof- und Hausübergabe“ schnell gekürzt, ausgesetzt. Seine Freunde und Freuden verboten, vertrieben oder minimiert. Mobbing und Ausgrenzung setzt ein. Berechtigtes Entsetzen. Rückzug, Paranoia, Depression folgen. Das Ende naht und ist eine Erlösung. Das kann aber nicht nur königlichen Greisen passieren.

Dieses „Alltägliche“ hat mich sehr angesprochen. Und dieses „nicht Erhabene“, das „Zuzwinkernde“, das dem Publikum die Möglichkeit gibt, sich in dem Geschehen zu finden….genau dieses liebe ich so sehr an Peymann Inszenierungen, ob modern oder klassisch. Heute genauso wie vor Jahrzehnten.
König Lear, Stuttgart: viele Knallchargen
Für Susanne P.!
Also ich glaube, wir würden uns gut unterhalten! Gefällt mir, wie Sie dranbleiben. Gleich zu Beginn: Ich bin der yellow press überhaupt nicht abhold, sondern zeitweise sogar verfallen.Und ich wollte natürlich auch keine Kopie von Voss sehen, ich wollte es eigentlich überhaupt nicht sehen, aber dann wurde ich mitgeschleppt. Ich ahnte aber schon...und um von Schwab wegzukommen: die anderen Rollen waren, außer Cordelia/Narr, schon rechte Knallchargen, die beiden bösen Töchter, die Glostersöhne, die Ehemänner, selbst mein geliebter Elmar Roloff als Gloster...Vielleicht hatte sich auch schon Routine eingeschlichen. Schade, ich bedauere es selbst am meisten, habe 34 Euro gezahlt, wäre so gerne stolz auf mein Stuttgarter Theater gewesen, wohin man extra von Wien anreist! Aber was rede ich da: ist ja immer ausverkauft!
König Lear, Stuttgart Redundanzen
Eine Veranstaltung vorzeitig zur Pause zu verlassen, ist sicher legitim (#14). Dann aber dieses Forum zu ventilieren über ein Stück, das man ja nur zur Hälfte kennt, grenzt nicht nur an Glaubwürdigkeit, sondern hat tatsächlich auch einen Unterhaltungswert. Ich würde aber trotzdem empfehlen, auf Redundanzen nicht mehr weiter einzugehen, weil das ja unmittelbar wieder Redundanzen nach sich zieht.
König Lear, Stuttgart: zum Vergessen
König Lear, Regie Claus Peymann in der Übersetzung von Wolf Baudissin. Den Namen William Shakespeare möchte ich eigentlich im Zusammenhang mit dieser Aufführung überhaupt nicht nennen, denn Shakespeare habe ich die ganzen dreieinhalb Stunden vermisst. Was geboten wurde erinnert mich eher an den Fürstenhof in der ZDF Soap 'Sturm der Liebe'. Mit dem Unterschied, dass die Soap um einiges mehr Tiefgang hat als diese Inszenierung - und das will was heißen. Zu keiner Zeit hat mich das Geschehen auf der Bühne im entferntesten berührt. Die Übersetzung von Wolf Baudissin hat mit flapsigen Einwürfen jene Faszination erstickt, die die Sprache und den Sprachrhythmus Shakespeares so einzigartig machen. Es war weder tragisch noch unterhaltsam und höchstens unfreiwillig komisch. Die gute Energie einzelner Schauspieler/innen - sinnlos verschwendet. Für mich, ein Abend zum Vergessen.
König Lear, Stuttgart: nicht Baudissin
Die Assoziationen eines Kenners von "Sturm der Liebe" kann ich nicht beurteilen. Nur so viel: was ihm an der Übersetzung flapsig erschien, stammt nicht von Baudissin, sondern von dessen Bearbeiterin.
König Lear, Stuttgart: Übersetzung
Der arme Graf Baudissin! Die Stuttgarter Version ist nämlich keineswegs, da hat Thomas Rothschild völlig Recht, ein Text "nach Baudissin", sondern "hinter Baudissin zurück", und zwar soweit zurück, wie der Regisseur und seine Übersetzerin meinten gehen zu müssen, um dem lieben Stuttgarter Publikum seinen Shakespeare schmackhaft zu machen - und das ist sehr weit.
Wenn das die Opfer sind, die im Hinblick auf den Autor Shakespeare gebracht werden müssen, um ihn heutzutage "verständlich" zu machen, dann ist er jetzt schon ein vergessener Autor. Und wenn, liebe Frau Peschina, es tatsächlich diese horrende Verballhornungsmanier ist, "das dem Publikum die Möglichkeit gibt, sich in dem Geschehen zu finden…", dann muß dieses Publikum sich fragen lassen, ob es noch bei Trost ist. Das Theater Claus Peymanns hat seinen Erfolg, da haben Sie Recht, schon immer daraus bezogen, seinem Publikum einen Theatertext "nahezubringen". Es war aber immer schon richtiger, das Publikum dem Text nahezubringen, wollte man solche literarhistorischen Schwundstufen, wie die Stuttgarter LEAR-Übersetzung sie repräsentiert, vermeiden - oder wenigstens verzögern.
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