Vor den Keksen und danach

von Matthias Schmidt

Naumburg, 2. März 2018. In der Pause wird fast ausschließlich über Kekse gesprochen. An der Bar kann man sie kaufen, auf jedem Tisch steht ein Teller voll. Othello-Kekse. Kennen Sie nicht? Dann kommen Sie aus dem Westen. Oder haben die Gnade der späten Geburt. So einfach ist das. Und so kompliziert. Denn Othello-Kekse sind dunkle Kekse, und wir befinden uns in Sachsen-Anhalt. Gefühlt schon in Thüringen, natürlich. An diesem Gesprächsthema ist nicht Shakespeare allein schuld, schon klar, doch dazu später.

Das Dama gesellschaftlicher Akzeptanz

Zunächst nämlich ist alles ganz einfach an diesem Abend im Naumburger Theatersaal. Auf der Bühne, die kleiner sein dürfte als manches Intendantenbüro, läuft straff und knackig "Othello" in der Regie von Georg Münzel. Ein Satz jagt den nächsten, feinste Dialoge. Klug gekürzt, Nebenschauplätze sind weggelassen. Toll, was man so machen kann mit einem Ensemble von komplett vier Schauspielern und zwei Gästen. Othello bekommt Ärger, weil er Desdemona liebt. Und sie ihn. Das Paar träumt von gesellschaftlicher Akzeptanz, doch das Leben ist anders. Voller Neid. Und manchmal erschreckend primitiv. Die siegreichen Soldaten besaufen sich und grölen obszöne Sprüche: "Zur Mitte, zur Titte, zum Sack!" Wie es draußen im Lande "unter dem Einfluss von..." eben so vorkommt.

Othello1 560 theaternaumburgDer Intrigant und sein Opfer: Tom Baldauf als Jago und Michael Naroditski als Othello © Torsten Biel

Jago beherrscht die Bühne. Tom Baldauf spielt ihn von Beginn an demagogisch gegen den "Schwarzen", was hier und dort ein ganz klein bisschen an André Poggenburg erinnert (vom Rollenfach im Grunde eine Witzfigur, die meine sachsen-anhaltischen Landsleute 2016 tatsächlich gewählt haben), nur eben professionell. Weniger unfreiwillig komisch. Es gibt kein Bühnenbild, die Schauspieler sitzen im Publikum und treten, wenn sie dran sind, kurz auf ein kleines Podium. Einfaches Theater, aber sehr spannend. Es knistert förmlich, das Thema interessiert die Leute. Das ist nicht wenig für Theater, wer wüsste das nicht. Im Fall von "Othello" konnte man ja eigentlich erwarten, dass der Stoff als gegenwärtig erkannt und vielleicht sogar behandelt wird. Ein Nordafrikaner! Mit der Tochter eines Einheimischen! Stark sexuell konnotiert! Umso angenehmer war es dann, dass vordergründig nichts dergleichen geschah. Zunächst, wie gesagt. Dann kamen die Kekse.

Vormundschaftlicher Exkurs

Als Erste tritt Elena Weiß aus der Rolle. Sie macht ein paar grenzwertige Witze über die Hautfarbe Othellos und kalauert mit dem Namen herum. Hotelo, Motelo, Mortadello. Sie macht das gekonnt. Und sich nebenbei über politische Korrektheiten in Geschlechterfragen lustig. Bodenständig. Wer's mag, der lacht. Es lachen viele. Kurz darauf kommt Markus Sulzbacher auf die Bühne, im Bademantel und mit österreichischem Einschlag, also sozusagen privat. Er spricht nun also über die Othello-Kekse und eine Lübecker Torte gleichen Namens, über das Mohren-Café am Naumburger Dom, den Rassismus der Worte und die Macht falscher Wahrheiten. Heutzutage. Er bekommt dafür Szenenapplaus, was fast schon beängstigend ist. Den Leuten zu erklären, wie sie das alles einzuordnen haben – ist das mutig? Oder belehrend? Ist das richtig? Oder überflüssig?

Dann war Pause, und die Leute redeten tatsächlich darüber. Das Haus ist klein, man kann hier quasi jedem Gespräch folgen. Es ging viel um das Mohren-Café in der Stadt und dass das nun wirklich nicht rassistisch verstanden werden könne. Oder doch? Dazu wurden die Kekse gemümmelt, und man denkt sich, wie schön, dass hier noch richtig darüber gesprochen wird und nicht mit fertigen Meinungen gegeneinander angekämpft. Und dass ein Theater eben doch eine Menge erreichen kann. Obwohl es Minuten zuvor dabei war, das Stück, in dem das alles so wunderbar verdichtet ist, sagen wir, leicht vormundschaftlich zu erörtern. Erstaunlich.

Othello 560 theaternaumburgFußnoten zu Shakespeare: Elena Weiß spielt Emilia und gibt Erläuterungen © Torsten Biel

Nach den Keksen ist "Othello" wieder ganz das Drama. Ganz die Tragödie mit den letztlich tödlichen Intrigen, der Eifersucht, den Missverständnissen. Schön fokussiert übrigens auch auf Emilias Emanzipations-Monolog, von dem man kaum glauben kann, dass Shakespeare ihn vor mehr als 400 Jahren geschrieben hat. Wir sind zurück in einer forschen Inszenierung. Jung, ein bisschen schauspielstudentisch anmutend. Man fiebert mit. Als hätte es den Rassismus-Exkurs nie gegeben – was nur bedeuten kann, dass er klug platziert war vor der Pause – spielen sie den Shakespeare zu Ende: straff und knackig und klug gekürzt.

 

Othello
von William Shakespeare
Fassung von Georg Münzel nach der Übersetzung von Wolf Graf von Baudissin
Regie: Georg Münzel, Ausstattung: Ute Radler, Dramaturgie: Katja Rosin.
Mit: Tom Baldauf, Michael Naroditski, Adrien Papritz, Markus Sulzbacher, Elena Weiß, Patricia Windhab.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.theater-naumburg.de

 

Kritikenrundschau

"Weder ins überzogene Lächerliche oder verkrampft ins Moderne ziehend noch platt auf das einmal mehr aktuelle Rassismusproblem abzielend, sondern in einer sensiblen Bearbeitung der shakespearischen (sic!) Vorlage greift Münzel die Themenvielfalt von der Liebe über die Gutgläubigkeit bis hin zu Geschlechterkampf, Neid, Hass und Eifersucht auf und lässt die Emotionen (…) aufbrausen", schreibt Jana Kainz im Naumburger Tageblatt (5.3.2018). Die prägnant gekürzte Fassung sorge für Temporeichtum. Im zweiten Teil gehe das große Morden beklemmend und dennoch teils tief berührend über die Bühne.

 

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