Acht Tage im März

von Tilman Strasser

Köln, 2. März 2018. "Vorstands-Christian hat geschrieben, dass er nicht zum Elternabend kommen kann, weil er sich den Bizeps gerissen hat. Den Bizeps, ey", sagt eine Frauenstimme, "wie reisst man sich denn den Bizeps?" Die Stimme gehört Philine Velhagen, das zustimmende Schmatzen im Hintergrund gehört zu ihrem Freund, und der Esstisch auf der Bühne des Freien Werkstatt Theaters gehört eigentlich in ihrer beider Wohnung. Jetzt sitzt Publikum um ihn herum und lauscht aus Kopfhörern dem Gespräch, das sich vor ziemlich genau einem Jahr ereignet hat: Welcher war noch mal der Bizeps, tut das arg weh, und was ist Vorstands-Christian eigentlich für einer?

Kein wirklich weltbewegender Dialog – vielmehr einer, der nie in die weite Welt wollte. Für I AM YOUR PRIVATE DANCER hat Philine Velhagen, Regisseurin, Performerin und künstlerische Leiterin der Gruppe Drama Köln, ihr Leben belauscht. Wie das womöglich die NSA und andere Geheimdienste oder facebook & Co mit allen tun, die ein Smartphone bei sich tragen.

Pfannengeklapper und Föhngebläse

Die Daten aus Velhagens Smartphone lagern nun installativ aufbereitet im Raum: Dunstabzugshaube, Duschvorhang und Bett symbolisieren Zimmer der Wohnung, ein Einkaufswagen steht für die Besorgungen außerhalb. An jeder Station lassen sich Mitschnitte hören, Pfannengeklapper und Föhngebläse, Witzeleien und Wutausbrüche. Und von der Decke hängen in meterlangen Papierfahnen die Protokolle, die eine Software aus dem Material verschriftlicht hat: Acht Tage Alltag aus dem März 2017.

Private Dancer1 560 Lenny Rothenberg uPhiline Velhagen hört sich selber ab @ Lenny Rothenberg

Ganz schön mutig. Und ganz schön knifflig – das wird nicht erst durch das von Velhagen nachgespielte Telefonat mit einer Freundin klar, die nicht glauben mag, dass ihr privater Austausch über Tampon-Alternativen plötzlich Teil eines Theaterprojektes werden soll ("Oh, und dieses Gespräch? Ähm, ja, das nehme ich auch auf."). Die Akteurin bewegt sich mit Headset zwischen Sessel, Stuhl und Zuschauer*innen umher und macht aus dem Problem keinen Hehl: "Ist jetzt eh schon komplett illegal. Scheißegal. Dann können wir gleich noch Geld damit verdienen." Das geschieht in Form einer Roulette-Variante, bei der gewettet werden kann, wo Velhagen zu einer bestimmten Uhrzeit mit wem war und was sie getan hat. Sidekick Oliver Bedorf am Laptop findet die zufällig gewählte Passage stets mühelos im riesigen Datensatz. Trotzdem, das Spiel holpert.

Radikales Material, ratloser Umgang

Die Allegorie auf das Schachern irgendwelcher Konzerne mit abgefischten Daten ist zwar bewusst schief gezimmert. Aber sie bleibt auch Grundgerüst: Was daraus folgt, dass alles und jede*r jederzeit abhörbar sind, was das für einzelne und alle bedeutet – diese Fragen kommen an dem Abend zu kurz. Wo die Darstellung banaler wie bedeutsamer Momente, die so eine Märzwoche bereithält, viel Raum einnimmt, wird ihre Verarbeitung zur Hatz: Mal zeigen Velhagen und Bedorf, wie sich im Wortgestöber einzelne Sätze verstärken und verlangsamen lassen – das ist bei Aufnahmen allerdings keine große Überraschung und auch schnell wieder vorbei. Mal soll das Publikum die Aufzeichnungen auf Nennung von Nahrungsmitteln absuchen und findet natürlich viele. Aber es naht bereits der nächste Impuls und quetscht den Raum für Implikationen. Das Material ist radikal. Der Umgang damit wirkt ratlos.

Fühlbare Ungeheuerlichkeit

Beinahe zumindest – hinge da nicht seit Beginn ein roter Kopfhörer von der Decke wie Tschechows vielzitiertes Gewehr von der Wand. Der "Giftschrank", wie Velhagen sagt: Dort werden die wenigen Sequenzen abgespielt, die selbst ihr eigentlich zu intim waren. Am Ende der Aufführung darf eine*r aus der Zuhörerschaft kurz hineinhorchen und entscheiden, ob die Passage endgültig gelöscht werden soll. Für alle anderen vollzieht sich das in einer Stille, in der Verletzlichkeit schrillt: Das derart zart gebrochene Tabu vermittelt vielleicht nichts von gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen Konsequenzen. Aber es macht die Ungeheuerlichkeit des Belauschtwerdens plötzlich fühlbar. Und das, um in auditiver Sprache zu bleiben, knallt.

 

I Am Your Private Dancer
Eine Datensicherung unter Zeugenschaft
Idee & Performance: Philine Velhagen Audiotechnik & Performance: Oliver Bedorf Raumkonzept: Cordula Körber Dramaturgie: Felizitas Stilleke  Produktionsleitung: Mirco Monshausen
Dauer: 100 Minuten, keine Pause

www.drama-koeln.de
www.fwt-koeln.de

 

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