Hello, Mister MacGuffin! - Am Schiffbau Zürich suchen Schauspieler ein Stück und machen ihren Autor und Regisseur René Pollesch weltberühmt
Förderband mit Meerblick
von Mirja Gabathuler
Zürich, 3. März 2018. Es gibt ein ganz bestimmtes Lächeln, das im Lauf dieses Abends im Publikum oft ausgetauscht wird: Ich hab's, ich hab's erkannt. Denn wer schon einmal ein Stück von René Pollesch gesehen hat, der erkennt hier vieles wieder. "Hello, Mister MacGuffin" ist im Grunde ein Pollesch-Stück über Pollesch.
Von Hitchcock lernen
Hello, Mister MacWas? MacGuffin bezeichnet einen Kniff, dem Alfred Hitchcock seinen Namen gegeben und den er wohl in fast jedem seiner Filme angewandt hat. Es gibt dieses Ding, das die Handlung in Gang setzt, aber gleichzeitig vollkommen unwichtig und austauschbar bleibt: Ein Geldkoffer oder ein Brief kann der MacGuffin sein, irgendetwas Wertvolles oder Geheimes. Hauptsache, auf der Leinwand suchen alle danach.
Auf der Bühne sucht nun erst einmal eine Raumschiff-Crew – der Space-Parodie "Galaxy Quest" entliehen – ihren Commander. Der liegt verkatert in einer dreieckigen Plexiglas-Kabine. Sie bildet das Zentrum des Theaterraums, den Bühnenbildnerin Anna Viebrock im Schiffbau des Schauspielhauses Zürich abgesteckt hat: Vorne ein Tisch, der wirkt, als sei er seit den Probetagen unberührt stehen geblieben. Links zwei Fenster mit zerbrochenem Glas, die in einen Gang blicken lassen. "Weltberühmt" prangt, in Retroschrift, rechts über der Kabine.
Nicht gerade weltberühmt, aber im Pollesch-Kosmos wohlbekannt sind die vier Crew-Mitglieder: Hilke Altefrohne, Inga Busch, Marie Rosa Tietjen und Jirka Zett. Sophie Rois gibt den Commander – und tatsächlich ist sie es, die an diesem Abend den Ton und Takt angibt. Das Tempo zieht, wie man bei Pollesch erwarten konnte, rasch an – wenn es auch insgesamt überraschend gemächlich bleibt.
Schauspieler retten die Welt
Rollen nehmen die Schauspielerinnen nur ein, um sie gleich wieder fallen zu lassen. Die Dialoge schlagen ihre assoziativen Haken, lassen ein Zitat nach dem anderen anklingen, Weltraum-Abenteuer, Woody Allen und – immer wieder – Hitchcock. Dazu swingt Elvis, zu Beginn und zum Ende: A little less conversation, a little more action, please.
Dazwischen wird fieberhaft nach einem Stück gesucht. Ein Bühnenbild ist da, vier Schauspielerinnen, ein Schauspieler und ein Titel: "Schauspieler retten die Welt". Doch wann immer der Eindruck entsteht, dass man der Sache – sprich: dem Thema – näher kommt, donnert ein Flugzeug vorbei, ein Zug rattert, ein Auto brummt, Vögel kreischen, die Schreibmaschine hämmert – Soundeffekte aus Hitchcocks Kinoklassikern. "Das Thema ist ...", setzt Sophie Rois an – und Klack Klack, der Rest bleibt unverständlich.
Nicht die erwarteten Überschalldialoge machen dem Verständnis einen Strich durch die Rechnung, sondern präzis platzierter Lärm. "Es war ganz toll, aber ich habe nichts verstanden", kommentiert Marie Rosa Tietjen amüsiert diese Unterbrechungen. Ein Kernsatz von Pollesch, der als Autor und Regisseur gerade nicht dauernd auf das Verstehen abzielt – und in der Regel darauf verzichtet, eine nachvollziehbare Handlung oder Handlungsträger zu inszenieren.
Es gibt an diesem Abend deutlich mehr Klamauk als Reflexion. Man fühlt sich gut unterhalten – auch wenn hier und da am Lack der Gegenwart gekratzt wird. Am Probentisch wird geraucht und gefrotzelt – "Ein Raum voller Schweizer und ihr zündet euch ne Zigarette an – ab in die Raucherkabine!" – und auch in Zürich gibt es Seitenhiebe gegen den neuen Berliner Volksbühnen-Intendanten. In einer slapstickhaften Szene ohrfeigen die Schauspieler sich gegenseitig bei jedem falschen Wort – mal fast liebevoll, mal gnadenlos. Großartig auch eine Reihe von wortlosen Parodien der Hitchcock-Klassiker: So endet die Duschszene aus "Psycho" in einem grotesken Ballett um ein Stück Seife.
Scheiß Scheuklappenmentalität
Das spielerische Feuer ist ansteckend. Wie die Arbeitsteilung von Schauspieler und Regisseur auf die Schippe genommen wird, sorgt immer wieder für Lacher. Sarkastische Sätze wie "es ist nun mal Tradition, dass Schauspieler ein- und ausgeschnippst werden" demontieren das Klischee des Regisseurs als unfehlbares Genie, dessen Einfälle die Schauspieler per Fingerschnippen zu folgen haben.
Die Auseinandersetzung mit diesem überholten Genieglauben mündet in einer überspitzten letzten Szene, in der Jirka Zett als Architekt den anderen sein "Lebenswerk" vorführt: Ein Gebäude, in dem die Mieter übers Förderband mit Meeresblick direkt in rotierende Messer fahren, um anschließend fein säuberlich abgesaugt und entsorgt zu werden. Ein ausgefeilter Schlachthof – nur haben die Käuferinnen sich einen Wohnblock gewünscht. "Ich hab wohl Ihre Einstellung zu den Mietern nicht richtig eingeschätzt", sagt der Architekt beleidigt und jagt sie schließlich mit ihrer "scheiß Scheuklappenmentalität" zum Teufel.
Die Scheuklappen, die an diesem Abend adressiert werden, sind allerdings anderer Natur: das Festgefahrensein in immer gleichen Rollen, ewig gleichen Handlungsabläufen und Hierarchien, die nicht mehr auf ihre Aktualität befragt werden. Ein Gemälde hängt im Museum, obwohl es keine Wirkung mehr hat – Theater wird gespielt für Abonnenten, die ihre Dauerkarten nicht kündigen sollen. Dem setzt Pollesch eine Arbeitsweise entgegen, in dem die Schauspieler nicht Vorgegebenes imitieren, sondern sich selbst in das Stück einschreiben sollen.
Was dabei entsteht, ist in vielen Momenten beeindruckend und berührend. Am Ende verlassen die fünf Schauspieler wie Superstars die Bühne. Nur: Als Gesamtes will dieser Abend doch nicht so richtig an Fahrt aufnehmen. MacGuffin hin oder her.
Hello, Mister MacGuffin!
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne und Kostüm: Anna Viebrock, Dramaturgie: Karolin Trachte.
Mit: Sophie Rois, Hilke Altefrohne, Marie Rosa Tietjen, Jirka Zett, Inga Busch.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus.ch
"Pollesch schafft es mittlerweile, mit einem Minimum an Bedeutung oder gar gesellschaftlich relevanter 'Repräsentation' maximale Wirkung zu erzielen", bemerkt Martin Halter in der FAZ (5.3.2018). "Noch nie hat Pollesch jeden Anschein von Bedeutung so radikal durchgestrichen; selbst im Textheft sind die einschlägigen Stellen geschwärzt." Was Stück und Team zusammenhalte, sei das gemeinschaftliche Vergnügen an einem hochtourig leer drehenden 'Theatertourettebetrieb', der Korpsgeist vor, auf und hinter der Bühne. "René MacPolleschs neues Stück ist streckenweise sehr unterhaltsam und entspannt, aber über weite Strecken nur heiteres Filmeraten mit Hitchcock-Pantomimen und Paraphrasen." Pollesch müsse aufpassen, dass er nicht "der nette Diskursonkel von der Studiovolksbühne" werde, "der für Probenquatsch mit René und bedeutungslose Selbstreflexionen zuständig ist".
"Die Rois ist die ungekrönte Königin in einem Pollesch-Abend, der auch aus einem zweiten Grund bemerkenswert ist: Anna Viebrock hat die Bühne gebaut", schreibt Daniele Muscionico von der Neuen Zürcher Zeitung (4.3.2018). Und sonst? "Das alles ist ein schwer hergestelltes, doch leicht wirkendes, sprühendes Vergnügen. Ein Pollesch-Cocktail der süffigen Art." Seit Pollesch die Turbogeschwindigkeit aus seinen Abenden nehme, stelle sich sogar Poesie ein.
Die 'Mac-Guffin'-Soiree sei geglückt, obwohl sich etliche Referenzen erst durch Googeln nach der Premiere erschlossen hätten. "Auch hielt man es aus, dass die durchgängige Ausstellung von #MeToo-Mechaniken etwas angestrengt Beiläufiges bekam und der flutschige Fenstersturz-Running-Gag etwas angestrengt Penetrantes", so Alexandra Kedves vom Tagesanzeiger (4.3.2018). Sie schließt: "Herrlicher, hermetischer, mörderisch rabenschwarzer Pipifax-Pollesch! Doch, doch!"
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