In der Leere

von Henryk Goldberg

Meiningen, 8. März 2018. Alles ist da, wie später immer alle da sein werden. Die Bäumchen, das Bett mit dem roten Laken, Hammer & Sichel darauf, die Schreibtische mit den Maschinen, der Billardtisch, der Kühlschrank, der rote Stern, ein hölzerner Wachturm, so standen sie an den Grenzen und den Lagern. Der Lautsprecher kündet das Manifest dazu und die berühmte Feuerbachthese von den Philosophen, die die Welt nur interpretiert hätten, wo es doch darauf ankomme, sie zu verändern. Es ist beinahe gerümpelig, was Christian R. Müller da gebaut hat, eine Kammer voll Erinnerungsgerümpel. Es ist genau der rechte Raum für dieses Stück, denn da gehört es hin: in die Rumpelkammer der verschlissenen Kostbarkeiten, dort, wohin die Ideologien entsorgt wurden. Und draußen vor der Tür dieser Deponie historischer Altlasten leben nun wir, entspannt, fröhlich und leer.

Freier Wille zum Mord

Ungefähr das war auch das Thema des großen Jean-Paul Sartre und seines Existenzialismus: womit der Mensch, durch eigenen, freien Willen die ungeprägte Zufälligkeit seiner Existenz zu füllen vermag. "Die schmutzigen Hände" (1948) waren einmal ein Beitrag zur aktuellen Diskussionen, wenn auch die objektive antikommunistische Wirkung des Stückes nicht Sartres Intention entsprach. Hugo, ein junger Intellektueller in einem fiktiven Staat des 2. Weltkrieges, will etwas tun. Er soll, sagt die Proletarische Partei, Hoederer ermorden, einen Funktionär, der ein gerade als falsch geltendes politisches Konzept verfolgt. Hugo kann es nicht, er zögert wie Hamlet – bis Hoederer seine Frau Jessica küsst. Später ist Hoederers falsche Politik doch die richtige, der Mord war jetzt ein Fehler und Hugo soll alles vergessen. Er kann und will diesen Zynismus nicht, er bekennt sich zu der Tat und wird von seinen Genossen liquidiert.

schmutzigen haende1 560 hans joachim rodewald phillip henry brehl mira elisa goeres marie liebig uMenschen, in die Welt geworfen: Hans Joachim Rodewald, Phillip Henry Brehl, Mira Elisa Goeres
© Marie Liebig

Das Stück ist so ziemlich aus der Zeit gefallen, als Form wie als Frage. Die Frage nach der Disziplin im revolutionären Klassenkampf hat sich erledigt mit dem revolutionären Klassenkampf. Hat es sich wirklich erledigt? Gibt es nach dem Ende der Ideologien, im Zeitalter der allumfassenden, komfortablen Leere, außer der Sehnsucht danach, auch eine Möglichkeit sich politisch zu engagieren? Das ist eine sehr gute Frage. Und ein sehr schlechtes Stück, heute. Die Geschichte ist so sehr in ihrer Zeit verortet, so fest an Begrifflichkeiten und Strukturen des Kommunismus gebunden, dass es kaum möglich scheint, sie über ihren historischen Horizont hinaus ins Gegenwärtige zu holen.

Eigentlich gehen "Die schmutzigen Hände" auf der Bühne nur noch als Parodie, als zynischer Epilog auf eine verflogene Illusion. Denn das Problem unserer Zeit ist nicht das Hamlet-Problem, nicht die intellektuelle Zögerlichkeit vor der Tat: es ist vielmehr die Suche nach einem Gedanken, einem Entwurf, der überhaupt eine Tat, ein Engagement wert wäre.

Gib mir eine neue Idee

Und die Suche nach einem Gedanken, nach einem Entwurf für dieses Stück ist auch das Problem der Inszenierung von Jasmina Hadziahmetovic. Ihr Hugo ist der Junge, der verzweifelt Anschluss sucht an eine Idee, die es lohnt. Und findet in all der Leere – eine kokette Frau, ein blasser, eifernder Revolutionär, Louis – nur die Faszination des verführenden Hoederer. Die Regisseurin nimmt Text und Figuren ernst, auch wenn sie revolutionäres Liedgut vortragen lässt, begleitet von Virginia Breitenstein Krejcik mit rotem Halstuch am Klavier, dann ist das mehr fragendes Erinnern als heiteres Parodieren. Es ist, als wolle sie die Figuren nicht bewerten, nur zeigen, nur verstehen.

Zur Introduktion treten sie alle auf, sie werden die Bühne fast nie verlassen und summen die "Internationale", dann singen sie vom letzten Gefecht. Auf der Videowand sehen wir die Kriegslage um Illyrien, sie wird live auf dem Billardtisch animiert. Und schließlich erzählt uns einer das Stück, ehe das Stück beginnt.

Schmutzigen Haende3 560 mira elisa goeres phillip henry brehl marie liebig uDa sind sie, die schmutzigen Hände. Mira Elisa Goeres, Phillip Henry Brehl © Marie Liebig
Und es beginnt so recht forciert, Philipp Henry Brehl treibt seinen Hugo ohne Anlauf in eine Höhe, die weder die Figur trägt noch der Schauspieler. Er hockt, als Redakteur, unterm Tisch, Olga singt das kämpferische "Ça ira", Hugo das traurige "Bella ciao". Nach der großen Enttäuschung, seine Genossen trauen ihm nicht, wühlt er sich in die Erde, krümmt, windet sich kreatürlich, es ist seine Tragödie jetzt, verurteilt zur Freiheit, seinem Leben Sinn zu geben. Und singt, tatsächlich, stampfend "Die Partei, die Partei die hat immer recht …" als verzweifelte Selbstermunterung. Und bleibt doch immer der Pennäler. Das mag Konzeption sein, diese jugendlich-reine Naivität, diese wütend-pubertäre Sinnsuche, doch sie wirkt gleichsam unreflektiert, der Schauspieler findet kaum eine angemessene Übersetzung in eine überzeugende Figur. Und soll doch die Mitte sein, soll doch der sein, der seine Essenz sucht, der Grund, die Rechtfertigung des Abends.

Es sind zwei Darsteller, denen ich anders als gelangweilt zuschaute, Mira Elisa Goeres, die als lebensverspielte kokette Jessica eine in sich geschlossene Figur spielt und Hans-Joachim Rodewald, der den zynischen Pragmatiker Hoerderer durch seine Persönlichkeit behauptet.
Die Existenz, heißt es bei Sartre, geht dem Sinn voraus. Der Existenz dieses Stückes, fügt der Berichterstatter hinzu, folgt heute wohl kein Sinn mehr nach.

 

Die schmutzigen Hände
von Jean-Paul Sartre
Regie: Jasmina Hadziahmetovic, Bühne und Kostüme: Christian Müller, Musik: Virginia Brei-tenstein Krejcík, Dramaturgie: Anna Katharina Setecki
Mit: Phillip Henry Brehl, Mira Elisa Goeres, Hans-Joachim Rodewald, Meret Engelhardt, Björn Boresch, Matthias Herold.
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause

www.meininger-staatstheater.de

 

Kritikenrundschau

"Neben der in sich stimmigen Dramaturgie der Inszenierung, die die inneren Kämpfe der Hauptfigur immer im Fokus hat und gleichzeitig fast naturalistisch erzählt", beeindruckt  Siggi Seuss im Main-Echo (12.3.2018), "mit welcher Leidenschaft" die Darsteller ihren Charakteren "glaubwürdiges Leben einhauchen". Insgesamt setzt der Abend für Seuss sehr glaubhaft das "ewige Dilemma politischen Handelns zwischen Freiheit der Entscheidung und der Verantwortung für die Taten schmerzhaft konkret seziert". Auch das "suggestive Milieu" von Austtatter Christian R. Müller machte Seuss neugierig auf den Abend, in dessen Erzählung Seuss dann eigenem Bekunden zufolge auch von Anfang an versunken ist.

 

 

Kommentare  
Schmutzige Hände, Meiningen: Essenz
"...Die Existenz, heißt es bei Sartre, geht dem Sinn voraus. "

Die Existenz geht der Essenz voraus...so sieht Sartre das...Und Sinn als ein mögliches Synonym für Essenz zu betrachten, wäre doch für Sartre etwas zu einfach gedacht.
Und wenn hier zudem eine so klar vorgefertigte Meinung über das Stück ,("Eigentlich gehen "Die schmutzigen Hände" auf der Bühne nur noch als Parodie, als zynischer Epilog auf eine verflogene Illusion.)als quasi Überschrift hinstelle, dann frage ich mich als Leser tatsächlich was die "Kritik" soll. Nicht was die Inszenierung soll oder will oder kann...
Schmutzige Hände, Meiningen: zu ideologisch
Ist die Wahrheit nur eine Frage der politischen Nützlichkeit? Der Existentialismus Sartres ist mir zu sehr ideologisch vereinnahmt. Im Namen des Kommunismus töten? Zwei Männer streiten sich und um den "Besitz" einer Frau? Oh je. Ihr spinnt doch!
Schmutzige Hände, Meiningen: Geschichte
Da sind sie wieder, die alten Gespenster von früher: Goldberg behauptet doch allen ernstes, es handele sich um ein objektiv, antikommunistisches Stück, das dieser nicht ganz so antikommunistische Sartre geschrieben habe und damit tappt er in die Falle seiner eigenen Geschichte.

Die französischen Philosophen und Dramatiker um Sartre, waren begeistert und bemüht, die alte Idee der sozialen Freiheit, die man getrost auch mal Sozialismus oder Kommunismus nennen durfte vom Stalinismus und Leninismus zu befreien, darin lag und liegt eine große Utopie und auch die des Stückes. Die kann Goldberg, gefangen in seiner eigenen Geschichte gar nicht begreifen, denn dazu muss man sich wirklich der eigenen post-stalinistischen Geschichte gestellt haben. Und jetzt muss die Inszenierung darunter leiden? Ich habe den Abend einer jungen Frau gesehen, die großartige Spielflächen schafft für Ihre Schauspieler, damit sie tanzen und singen und der Traurigkeit des stalinistischen Terrors Bilder verleihen. Und ich habe einen großartigen Phillip Brehl gesehen, der die Vita und die Naivität eines Attentäters verkörpert, der eigentlich den Tod nicht will, so wie all die Islam-Buben, die sich in die Luft sprengen um endlich die Jungfrauen haben zu dürfen, Frauen, die ihnen als Subjekte ihre Religion verweigert. Hadziahmetovic kommt aus dem Terror Bosniens und nimmt als junge Frau Sartre so ernst, wie man ihn jung nehmen muss. als Sucher einer besseren Welt und sie hat dabei viel Phantasie, findet Bilder, für den jungen Hugo, der im Bett der Lust nach seiner Geschichte gräbt, einer Geschichte, die Meiningen und der Ex-Redakteur des Neuen Deutschland Goldberg doch bis heute verdrängen müssen. So bleibt der Blick versperrt und es entsteht Langweile beim Betrachter Goldberg, der Zuschauer hat etwas anderes gesehen: Zukunft ist wiederkehrende Erinnerung, daher hat die Gedächtnislosigkeit keine: Bravo Regie und Bühne, Bravo Spieler und Musikantin, weiter graben, weiter wühlen. Ich war froh in Meiningen gewesen zu sein: gutes Theater, bestes Hotel und einen mürrischen Kritiker.
Schmutzige Hände, Meiningen: Alte Geschichten
Tatsächlich, da sind Sie wieder. Warum eigentlich? Denn wir wissen doch beide, dass Ihre Erwiderung weniger der Verteidigung der Inszenierung gilt als dem Angriff auf den Kritiker. Ach ja: Sie haben in der Tat einen "mürrischen Kritiker" gesehen. In dem Augenblick nämlich, als Sie diesen in ein Pausengespräch verwickeln wollten, das der ablehnte mit dem Bemerken, er verspüre keinerlei Bedürfnis mit Ihnen zu reden. Dabei, unsere Bilanz war doch eigentlich abgeschlossen. Sie hatten mich damals verklagt, weil ich schrieb, Sie hätten, als Intendant in Nordhausen, die Öffentlichkeit wissentlich belogen mit der Ankündigung eines Überschusses, der sich als Defizit erwies. Das Gericht, bei dem Sie versuchten, mich politisch zu denunzieren, urteilte, es sei Ihnen diese Wissentlichkeit nicht nachzuweisen. Im Gegenzug nobilitierten Sie mich in Ihrer Selbstdarstellung "Rabenjagd" zur literarischen Figur, zum Zeitungsjuden Weinstein, dessen Zuordnung zum Thüringer Zeitungsjuden Goldberg eineindeutig war. Und ließen ihn, also mich, sagen: "Dass man als Jude in der DDR in der Partei sein musste, sonst wäre das Leben wieder einmal unerträglich für uns gewesen." Dabei, es ist viel schlimmer: Ich war freiwillig in dieser Partei, ich musste nicht, ich wollte. Im Übrigen spielte der Umstand, dass ich der Sohn eines Juden bin in der DDR nie eine Rolle, weder für mich noch für andere. Ich hielt und halte die Konstruktion dieses opportunistischen Zeitungsjuden für einen besonders ekligen Sonderfall von Antisemitismus und wiederhole gern, was ich damals darüber schrieb: Es ist "klein und mies". Und nun fallen Sie in der Tat in Ihre alten Muster zurück: In der Polemik keinerlei Hemmungen vor politischer Denunziation. Selbstverständlich kann man über diese Inszenierung und das Stück unterschiedlicher Meinung sein. In der Tat behaupte ich "allen Ernstes" die Wirkung des Textes als objektiv antikommunistisch, das machte den frühen anhaltenden Erfolg des Stückes. Und was Sartres Utopie angeht, den Kommunismus vom Stalinismus zu befreien wäre es wohl hilfreich, Sie würden sich ein wenig belesen, zum Beispiel über die Aufführungsverbote des in dieser Frage ambivalenten Autors und seine Gründe dafür. Aber darum geht es Ihnen nicht, es geht nur um den Alt-Stalinisten Goldberg, den Ex-ND-Redakteur - dessen Abneigung gegen Ideologie übrigens aus der Beschäftigung mit eben seiner Vergangenheit resultiert. Mit meiner Geschichte habe ich mich, nachlesbar, mehrfach und ohne Not öffentlich, auseinandergesetzt. Wenn Sie, Nix das auch täten mit der Ihren, dann würden Sie aufhören, in jeder von Ihnen als misslich empfundenen Situation, hier: die Verweigerung eines Gespräches, den hemmungslosen Wadenbeißer zu machen, dem die liberale Tünche rückstandslos abblättert. Das wäre im Übrigen auch ein Gewinn für Ihre berufliche Entwicklung.
Bei den übrigen Lesern von nachtkritik bitte ich um Entschuldigung, dass ich auf einen persönlichen Angriff persönlich reagiert habe. Demnächst wird hier wohl wieder über Theater diskutiert.
Schmutzige Hände, Meiningen: beispielhaft
Die Kontroverse zwischen Herrn Nix und Herrn Goldberg erscheint mir typisch:
Da der Herr Nix, der selbstgewisse "Wessi", der sich überlegen gibt, alles weiß und belehren will. Dort Herr Goldberg, der "Ossi" mit einer DDR-Biographie, der nach der selbstherrlichen Meinung seines Kontrahenten nichts versteht, da er ja mal für das ND geschrieben hat. Diese Auseinandersetzung, deren Hintergründe Herr Goldberg kurz beschreibt, hat Parallelen zur Kolumne von Frau Slevogt. Zugleich erhellt sie schlaglichtartig, wie westliche Intellektuelle immer noch eine Deutungshoheit behaupten, die Kritik nur in eine Richtung dulden will. Das ist nur arrogant und nicht zu akzeptieren.
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