Heimatmuseum im Bewegtbild

von Kornelius Friz

Bautzen, 9. März 2018. "Lausitzer Quartiere oder Der Russe im Keller" heißt das Stück, das im vergangenen Jahr den zum ersten Mal von den Lausitzer Theatern in Cottbus, Senftenberg und Bautzen gemeinsam ausgeschriebenen Theaterpreis "Lausitzen" gewonnen hat. Lutz Hillmann, Intendant des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters Bautzen, der wie bislang alle in Bautzen aufgeführten Texte des Leipziger Autors Ralph Oehme auch diesen inszeniert hat, lässt es sich in einer Adresse ans Publikum vor der Aufführung nicht nehmen, "als Lokalpatriot" die Einzigartigkeit dieser Theater-Kooperation zu betonen. Mit dem Senftenberger Intendanten Manuel Soubeyrand diskutiert er noch scherzhaft, ob die derzeitige Grippewelle das einzige sei, was Ober- und Niederlausitzer verbinde. Dann endlich kann es losgehen.

Wassermann

Das Stück besteht aus vier Einaktern und einem Nachspiel, alle spielen in verschiedenen Epochen, das Personal bleibt dasselbe: Ein Weber, seine Frau und ihre schöne Tochter müssen sich zu vier Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs (1813, 1918, 1945 und 1990) durch sämtliche Widerfahrnisse kämpfen, die ihre Heimat erschüttern. 1813, längst marodiert "der Franzose" durch die Lausitz, verirrt sich ein russischer Soldat in den Keller der Familie, ausgerechnet einer mit Bart, gekommen auf einem Schimmel, gerade so, wie es die Tochter sich vom Wassermann gewünscht hat.

Bautzen 560 Theater 087 Uwe Soeder uDrinnen vergebliche Liebeshändel, und draußen zieht "der Franzos" durchs Land 
© Uwe Soeder

Der Wassermann, der Wodjanoi, ist eine bedeutende Figur in der sorbischen Sage, der sowohl für das Hochwasser verantwortlich ist als auch Helfer sein kann für diejenigen, die in der Spree zu ertrinken drohen, sofern es sich um hübsche Mädchen handelt wie die Weberstochter (Lisa Klabunde) eine ist. In Bautzen soll der Nix dem Publikum als Erzähler durch die eigentlich überschaubare Dramaturgie helfen. Mit gothic-schwarzen Augen, Undercut, lederner Kluft und bemüht rauem Bass zeigt der Wassermann (István Kobjela) die stets chronologischen Zeitsprünge anhand von holzschnittartigen Reimen (Haus, raus, ...) an. Originell an dieser Figur, die der Autor erst im Nachhinein auf Wunsch des Theaters eingewoben hatte, ist einzig die enorme Stahlharfe, die er während der zahlreichen Umbauten zupft.

Schwarzblenden

Trotz der sagenhaften Harfenklänge des Wassermanns geraten die zahllosen Blacks zur Qual, in denen Webstühle verschoben und modernisiert werden, Spieler*innen auf- und abgehen oder einfach nur erstarren, um kurz darauf die neue Szene mit einem neuen Impuls zu beginnen. Die Schwarzblenden nehmen Tempo aus einem Spiel, dessen Dialoge ohnehin nicht von Esprit geprägt sind. Die Spielweise des neunköpfigen Ensembles hingegen schießt permanent über das Ziel hinaus, die Figuren werden im Naturalismus ertränkt - nicht nur aufgrund der historisch exakten Kostüme.

Bautzen 280 Theater 208 Uwe Soeder uDas völkerverbindende Wässerchen 
© Uwe Soeder
Leider halten auch die Geschichten von der Weberfamilie keine Überraschungen bereit. Der Sorbe ist von der ersten bis zur letzten Episode der verschmähte Liebhaber auf der Ersatzbank, der nie zum Ziel kommen kann, da die Hoffnung der Jungfrau zuletzt stirbt, ihren Russen doch noch aus dem Keller vor den Altar zu bringen. Der Weber selbst bleibt überraschend farblos, während die Webersfrau (Gabriele Rothmann) als Schnapsdrossel immerhin den einen oder anderen Lacher einheimst. Kurz nach der Wende entwickelt sie sich, schau an, zur lüsternen Schnapsdrossel. Mit blond toupierter Tolle darf sie ihrer Tochter den Russen ausspannen, bevor auch sie "rüber macht", um ihre Tochter alleinzulassen mit der obligatorischen Soljanka und ihrem Traum vom oberkörperfreien russischen Reiter.

Der Rest ist ein politisches Hütchen-wechsle-Dich: Ist der Arbeiter, der die Enteignung der Tuchwarenfabrik anführt, nicht eigentlich der bessere Zar und der Russe im Keller ein Widergänger Lenins im purpurnen Königsmantel? Ist der Sorbe nun Nazi oder Kommunist? Und wird er erschossen oder doch Fabrikdirektor?
Gerammelt wird dann auch noch, wie sich das gehört in der Gegenwartsdramatik sowie in der stillgestellten, nur durch Wodka erträglichen Nachwende-Lausitz. Das Gerammel ist allerdings nur hinter vorgehaltener Luke zu hören, als wolle man dem Publikum das Schlimmste vorenthalten.

Bautzen 560 Theater 478 Uwe Soeder uNach der Wende: Im Zeitalter des Monobloc-Plastikstuhls  © Uwe Soeder

Das Schlimmste jedoch ist die Legende, die hinter diesem didaktischen Heimatmuseum in Bewegtbild liegt. Sie erzählt von einer Lausitz, die spätestens seit ihrer Teilung 1815 von außen, von oben, von wem auch immer geschunden wird. Ein ums andere Mal zerbröselt, die die Lausitzer Heimat im Grunde zusammenhält, zerrieben von den jeweiligen Übermächten im Osten und im Westen. Ralph Oehme hat ein historisch fundiertes Tableau der Opferstilisierung vorgelegt, das im Frust des arbeitslosen Nachwende-Webers gipfelt: "Wir sind Statisten in einem abgespielten Stück", sagt der und man hofft, "Der Russe im Keller" wäre auch endlich durchgespielt. Vorher muss jedoch ein satirischer Gegenwartsbezug hergestellt werden, der die Opfernarration kritisch brechen soll. Mit Clownsnase und noch gepressterer Stimme als bislang faseln drei Männer – die Frauen spielen längst keine Rolle mehr – im Nachspiel von der Autonomen Lausitz Bank, anhand derer sie die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Und das alles nur aus Geltungsdrang: "Ich will noch einmal vorkommen!"

 

Lausitzer Quartiere oder Der Russe im Keller
Schauspiel von Ralph Oehme
Uraufführung
Regie: Lutz Hillmann, Bühne: Miroslaw Nowotny, Musik: Jan Heinke, Dramaturgie: Eveline Günther, Regieassistenz: Thomas Ziesch, Katharina Pöpel.
Mit: István Kobjela, Ralph Hensel, Marian Bulang, Lisa Klabunde, Olaf Hais, Gabriele Rothmann, Marvin George, Erik Dolata, Thomas Ziesch.
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause

www.theater-bautzen.de

 

Kritikenrundschau

Was Lutz Hillmann auf die Bühne bringt, lässt Rainer Könen in der Sächsischen Zeitung (12.3.2018) auf eine Entschlackung des Oehmschen Werkes schließen. "Wenig Sentimentales, wenig Dramatisches gibt es, wenn sich in den Einaktern die historischen Brüche vollziehen, die Welt der Lausitzer am Boden liegt, aus dem Ende immer wieder ein Anfang entsteht."  In dieser über mehrere Generationen hinweg erzählten Geschichte einer Lausitzer Weberfamilie ist aus Sicht des Kritikers "jedoch über weite Strecken theatralische Schonkost angesagt: Viel Text, kaum saftige Spielszenen, etwas Kostüm-Zinnober und gelegentlich militärisches Tamtam."
Oehmes Geschichte kann man aus seiner Sicht in der Bühnenversion gut folgen. Das Problem dabei sei jedoch, "dass man dies nicht mit großer Spannung tut. In den Einaktern agiert das Ensemble ausgebremst, fast alle Darsteller spielen zurückhaltend, fast sediert. So wirkt der Uraufführungsabend, bei dem im Übrigen etliche Plätze im Saal frei blieben, zäh und spröde, fehlt dem Stück jegliche Spieldynamik".

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