Im Hamam der Hölle

von Valeria Heintges

Zürich, 9. März 2018. Drei Männer haben sich gestritten, einen Krieg angezettelt, ihre Heere aufeinander gehetzt. Und jetzt stehen sie da und verhandeln. Ihre Mittel: Machtspielchen voller Rachegefühle, Drohung, Erpressung. Man kennt das. Diesmal sind es Szenen aus den Rosenkriegsdramen von William Shakespeare. Die drei Herren allerdings, die die Szene unter sich aufteilen, sehen etwas anders aus als gemeinhin üblich. Der eine mit langer, roter Mähne, der zweite mit dünnen, blonden Zöpfchen und der dritte mag mit der Frisur gar nicht recht zeigen, ob er Männlein ist oder Weiblein.

Frivol der Geschlechterdebatte auf den Zahn fühlen

Aber genau darum geht es hier, in "The Great Tragedy of Female Power" am Zürcher Theater Neumarkt "mit Texten von William Shakespeare, Lady Gaga und deiner patriarchal geprägten Dominanz", wie es im Programmheft heisst. Tatsächlich reden diese drei Herren hier waschecht Shakespeare, aber auch waschecht "patriarchal geprägte Dominanz". Andererseits unterlaufen eben sowohl Frisuren als auch Kostüme von Sara Giancane direkt alle Dominanz, verwehren die Schauspieler mit einem Hüftschwung hier, einem weichlichen Sprechen dort jegliche simple Einordnung. Unmittelbar zeigt danach der wandelbare Miro Maurer großartig lasziv den Schleiertanz der Margareta, völlig in Kauf nehmend, dass seine behaarten Männerbeine nicht ganz das sind, was man unter den Schleiern so erwartet.

In zwei Szenen setzt Regisseurin Pınar Karabulut mit ihren Schauspieler*innen gleich den Ton: Hier soll mutig, provokant, lust- und witzvoll und gerne frivol der Geschlechterdebatte auf den Zahn gefühlt werden. Hier soll aber gleich auch das Problem der LGBT und anderer Minderheiten mitverhandelt werden.

TheGreatTragedyofFemalePower2 560 Judith Schlosser uWaschecht patriarchal geprägte Dominanz? Miro Maurer, Maximilian Kraus und Martin Butzke
© Judith Schlosser

Zunächst machen die Männer das famos selbstentlarvend unter sich aus. Da ist die Rede von dem Grafen Ghislaine d'Armagnac aus "Heinrich VI.", "kein Weib mehr, eher ein Elefant". Dann wird über die "Rollen" gestritten, weil der eine Duke attraktiver sei als der andere. Die Leerstelle der Frauenrollen ist längst so gross und breit wie der Ozean. Trotzdem wickelt Miro Maurers Margareta erst alle um den kleinen Finger, lässt sich die lackierten Zehen küssen und sorgt dann dafür, dass der Krieg noch einmal aufflackert, weil sich ihr Mann, König Heinrich VI., der "elende Feigling", im Friedensvertrag hat über den Tisch ziehen lassen. Oh ja, sie können auch Kriegstreiberinnen sein bei Shakespeare, die Damen. Dann gehen die Herren ab, "ein Bier trinken".

Systemisch-subtil unterdrückt und zermürbt?

Und endlich steigt aus der Unterwelt die Frau herauf. Wütend, kriegswütend spricht Sarah Sandeh Teile des Monologs aus Richard III.: "Jetzt folgt dem Winter unsrer Bitterkeit der Sommer unsrer Macht", ein Typ, der bei Shakespeare vor keinem Mord zurückscheut, um auf den Thron zu gelangen. Time's up à la Shakespeare. Feinheiten wie diese sind für Insider, vordergründig bleiben jetzt immer mehr Fragezeichen, wenn Shakespeare verschwindet und zeitgenössischen Texten Platz macht: Lady Gagas Mother-Monster-Manifest aus dem Video von "Born this Way", Ausschnitte aus einem Interview mit dem französischen Mode-Philosophen Didier Eribon oder ein Interview, das der Journalist André Müller mit Alice Schwarzer führte.

Zunehmend zerfällt der Abend, streift die Schwierigkeiten des Mannes mit den neuen Frauen, diskutiert, ob die Mängel systemisch seien oder nicht, zeigt, wie Frauen noch immer – mehr oder weniger subtil – unterdrückt und zermürbt werden, etwa wenn Müller Alice Schwarzer mit Fragen bombardiert, mit denen er sich zwar um Kopf und Kragen redet, ihr aber weder Möglichkeit noch Zeit gibt, adäquat zu reagieren.

TheGreatTragedyofFemalePower1 560 Judith Schlosser uIm feministischen Schaumbad: Sarah Sandeh, Maximilian Kraus, Miro Maurer © Judith Schlosser

Karabulut und die Schauspieler finden schöne Bilder, lassen die Shakespeare-Helden im "Hamam of Hell" debattieren, setzen Müller und Schwarzer ins Schaumbad, lassen Frau auch mal auf der Schaukel sitzend Beziehungsprobleme ausbreiten, geben dem starken Martin Butzke für Didier Eribons Rede über die Folgen der 68er etwa für die Arbeiterbewegung Lappen und Wischer in die Hand, mit denen er den Boden putzen muss. Und turnen für ihre Messe "Im Namen der Mutter, der Tochter und der Heiligen Klitoris" auf einem überdimensionierten weiblichen Geschlechtsorgan herum, in dem sie gleich auch noch einen gigantischen Tampon wässern.

Doch rudert der Abend mit dem einen Textfragment mal hierhin, mit dem anderen ganz woanders hin. Mal scheint es um die Sicht der Männer auf die Frau zu gehen, mal um die Angst vor der weiblichen Lust, mal um die gesellschaftlichen Probleme der Frauen, dann werden gleich alle Minderheiten mitbehandelt, als ob nicht jede einzelne einen Abend wert wäre. Und so ist es die Tragödie der "Great Tragedy of Female Power", dass zwar schnell und präzis die Tragik benannt, aber noch lange nicht die Heilmittel bekannt sind. Am Ende donnert Maximilian Kraus das SCUM-Manifesto von Valerie Solanas in das Rund des Circus Maximus im Neumarkt-Theater, das Kapitalismus und Geldkritik so lange mit Feminismus vermengt, bis wir am Ende bei Vaginaneid und wüsten Beschimpfungen der "Daddy-Töchter" angekommen sind. Je nu.

 

The Great Tragedy of Female Power
Ein Projekt mit Texten von William Shakespeare, Lady Gaga und deiner patriarchal geprägten Dominanz. In einer Fassung von Pınar Karabulut und Anika Steinhoff
Regie: Pınar Karabulut, Bühne und Kostüme: Sara Giancane, Tanzchoreografie: Arzu Erdem-Gallinger, Dramaturgie: Anika Steinhoff
Mit: Sarah Sandeh, Martin Butzke, Maximilian Kraus, Miro Maurer
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theaterneumarkt.ch

 

Kritikenrundschau

"Die deutsche Regiehoffnung Pınar Karabulut" mache mit dieser Inszenierung klar: "Zu Gender, MeToo, Schwesternschaft und zu Männlichkeit ist schon alles gesagt worden – bloss noch nicht von allen. Das heisst, ihre Stimme hat gefehlt", so Daniele Muscionico in der Neuen Zürcher Zeitung (11.3.2018). Karabulut habe "die steilste Karriere des letzten Jahres" hingelegt. "Hätte diese radikale Theater-Wilde das Potenzial eine neue führende Stimme in der Geschlechterdebatte zu werden? Hätte sie das Zeug zu einer Sibylle Berg mit menschenfreundlicherem Händchen? Hätte, hätte, Fahrradkette." Im Theater Neumarkt seife Karabulut "nicht nur ihre feministische Ahnin ein, sondern auch ihr Publikum". Muscionicos Fazit: "Satire, Parodie? Wer will es wissen? Die Bar ist eröffnet!"

Für Alexandra Kedves vom Zürcher Tagesanzeiger (12.3.2018) regiert in der Inszenierung "eine neurotische Albernheit à la Woody Allen". Einserseits flirte man "mit seriösen Doktheaterformen, andererseits mit klassischen Performance-Standards". Heraus komme "ein schampar witziges Kuddelmuddel mit postfeministischem Anspruch". Nicht jeder Gag sitze. "Dennoch scheint das Neumarkt-Theater seinen Ton gefunden zu haben. In jüngster Zeit bezauberte es immer wieder mit besonderen Mischungen aus Knalleffekt und Ernsthaftigkeit: Fette Comic-Ausrufezeichen und feine Weiterdenkpünktchen wechseln sich ab. Die Genderdiskurs-Collage hat hier einige fetzige, sexy Klebränder – und beinahe alles die sympathische Anmutung eines Bastelabends unter Müttern, wo man angesichts der grossen Tragödie der weiblichen Macht schlicht lachen muss."

Schlüssige Einzelszenen und spannende Perspektiven auf die Fragestellungen entwickelt dieser Abend aus Sicht von Christian Gampert in der Sendung "Kultur heute" vom Deutschlandfunk (9.3.2018). Die Auseinandersetzung mit Fragen von Frauenrollen und Frauenmacht sei "erfreulich undogmatisch" ausgefallen. Pınar Karabulut sei keine dogmatische Feministin, sondern "eine ganz fröhliche Frau" und so sei auch die Inszenierung "sehr lustig" gewesen.

 

 

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