Knallharte Politik

von Dirk Pilz

14. März 2018. Diesmal eine Anmerkung zu Uwe Tellkamp. Es ist bereits viel zu seinem Dresdner Auftritt gesagt worden, auch von mir. Ich will nicht wiederholen. Aber es geht mir darum, wie jetzt die Causa Tellkamp diskutiert wird. Es ist bezeichnend.

Noch einmal zur Erinnerung: Uwe Tellkamp hat im Gespräch mit Durs Grünbein und der Moderatorin Karin Großmann unwidersprochen allerlei Lügen verbreitet. Ein Beispiel, das auffälligste: Er hat von "Mainstream-Medien", einem "Gesinnungskorridor" und einem "linksliberalen Lügenkartell" gesprochen. Er hat sich beklagt, dass man nicht "ohne Furcht" seine Meinung sagen könne. Das ist nicht nur deshalb falsch, weil er in Dresden einmal mehr sehr lang und sehr ausgiebig hat seine Meinung sagen dürfen, und zwar gänzlich furchtlos, nämlich begleitet von viel Applaus und Zustimmung. Es ist auch falsch, wenn man auf die jetzigen Beiträge in dieser sogenannten, im übrigen abermals auffallend weißmännerdominierten Tellkamp-Debatte schaut – die Meinungen und Wahrnehmungen gehen weit auseinander. Man lese, nur als Beispiele, die Verlautbarungen von Tilman Krause, Simon Strauß, Johan Schloeman oder Jens Bisky. Sie sind sehr verschieden.

Entweder er hat keine Ahnung – oder er lügt

Noch ein Beispiel aus den Aussagen, die Tellkamp ohne die Angabe von Belegen oder Begründungen als Tatsachen hingestellt hat: Kaum ein Flüchtling, der nach Deutschland komme, sei verfolgt, sondern Wirtschaftsmigrant; 95 Prozent wanderten in die Sozialsysteme ein. Das ist nachweislich falsch, und entweder hat Tellkamp keinerlei Ahnung, wovon er spricht – oder er verbreitet absichtlich Lügen. Und Lügen sind keine Meinung, sondern: Lügen.

kolumne 2p pilzUnd auch dies ließe sich noch anführen: Mit dem Islam werde laut Tellkamp eine Religion importiert, die "mit unserer Auffassung von Werten, speziell dem Rechtssystem, nichts am Hut habe". Er hat in diesem Zusammenhang von einem "Großexperiment im Land" gesprochen und also unterstellt, dass "der Islam" mit "unserem" Rechtssystem unvereinbar sei. Das kann man nur behaupten, wenn man von allen innerislamischen Debatten um das Verhältnis von Religion und Staat, also auch von den dezidiert demokratiebejahenden, reformislamischen Positionen absieht und überdies dem Großteil der in diesem Land lebenden Muslimen pauschal unterstellt, gegen Staat und Demokratie zu sein. Das ist so offensichtlich falsch, dass man die Aussage Tellkamps nur als vorsätzliche Herabsetzung und Stigmatisierung Andersgläubiger verstehen kann.

Wer derlei Dinge verbreitet, kann nicht anders als Lügner bezeichnet werden, es sei denn, man verabschiedet jeden Wahrheitsanspruch und damit jeden Anspruch an ein aufschließendes, erkenntnisförderndes, vertrauensstiftendes Gespräch. Wer solche Lügen wie Tellkamp überdies als politische Meinung ausgibt, ist Populist, und weil es Aussagen sind, die im politischen Spektrum auf der rechtspopulistischen Seite vertreten werden, ist es Rechtspopulismus. Um das festzustellen, muss man kein Linker sein.

Je deutlicher der Riss, desto größer der Hass

Aber was geschieht jetzt in dieser Debatte um Tellkamp? Das Lügen wird in alle Richtungen entschuldigt und relativiert. Es wird über den "Maßstab der Nation", das ostdeutsche Befinden oder Moral gesprochen. Man müsse auch über Grünbein reden!, ruft es hier, und über die Moderatorin!, dort. Ohnehin müsse man alles richtig einordnen (hat Tellkamp damals im "Eisvogel" nicht schon komische Sachen geschrieben? Und spielt nicht komischerweise im "Turm" die Politik kaum eine Rolle?). Und es gibt, wie immer, natürlich auch jene vorgeblich politisch Abgebrühten, die sich ohnehin nicht die Finger schmutzig machen mögen und sich aus der Debatte raushalten zu meinen können, weil diese Debatte, klar doch, sowieso ganz falsch und niveaulos und erbärmlich und hysterisch ist.

Das sind nicht nur Positionen einer bequemen Überheblichkeit, sie wirken, als ginge es ihnen vor allem darum, ja nicht zu genau und zu lang bei dem entscheidenden Punkt zu bleiben: eben bei dem Versuch, das Lügen als Meinen auszugeben. Es gibt ohne Zweifel viel zu reden über Ostdeutschland, Moral und meinethalben Nation. Aber darum geht es in diesem Fall nicht. Man sollte deshalb, wenn das sprichwörtliche Reden mit den Rechten (und über sie) überhaupt einen Sinn haben soll, bei diesem entscheidenden Punkt bleiben. Denn was ist das politische Ziel solchen Lügens? Was ist die Absicht?

Diese hat dankenswerterweise der Propagandist der Neuen Rechten, Götz Kubitschek, unmissverständlich (und unwidersprochen) im Rahmen der Dresdner Diskussion auf den Punkt gebracht, indem er die rhetorische Frage stellte, ob nicht der Riss, der durch die Gesellschaft gehe, "unbedingt" sein müsse, weil "alles auf den Tisch" gehöre: "Ich bin strikt dafür, dass der Riss noch tiefer wird, dass die Sprache noch deutlicher wird." Das entspricht vollumfänglich der rechtsextremen politischen Strategie: Je deutlicher der Riss, desto größer der Hass, desto verfestigter die Ressentiments – die sich politisch bestens instrumentalisieren lassen.

Es geht um Politik

Es sind eben nicht bloße Rempeleien, die da in Dresden stattgefunden haben, wie Durs Grünbein jetzt sagt. Die Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus, dem Neofaschismus, dem Rassismus ist kein Wettstreit in der Habermas’schen Arena des Argumentenaustauschs. Es geht um Politik, knallharte, rücksichtslose, kalte Politik.

Das sollten auch all jene bedenken, die naiverweise hoffen, man könne diese politischen Absichten irgendwie aussitzen. Jene, die glauben, man müsse den Rechten auch im Parlament eine Chance geben, sie seien schließlich demokratisch gewählt, als belebe der Einzug dieser Rechten in die Parlamente den politischen Diskurs, wie es der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf glaubt. Jene, die immerfort fürchten, die Rechten würden durch Kritik dämonisiert und stark gemacht. Sie sind so stark, weil ihnen nicht entschieden zuwider gesprochen und gearbeitet wurde. Sie sind so stark, weil ihre Absichten fortwährend entschuldigt oder verharmlost werden.

Er wusste, was er sagt

Deshalb: Wer so wie Tellkamp spricht, macht sich mitschuldig an einer Politik der Spaltung. Nein, das ist keine Stigmatisierung, wie es jetzt reflexhaft allerorten heißt, vom sächsischen Ministerpräsidenten bis zum Kommentar im Deutschlandfunk. Tellkamp wird nicht in die AfD-Ecke gestellt, er hat sich selbst dort platziert. Er wusste, was er sagt, und er wusste auch, von wem er dafür Beifall bekommt.

Bezeichnend ist aber, dass in diesem Zusammenhang von einer Ecke gesprochen wird, denn das menschenverachtende, rassistische, herabsetzende Denken sitzt in keiner Ecke, sondern in der Mitte, unter den feinen Leuten, den Gebildeten und Kulturliebenden, die sich für unbescholten und unbeteiligt halten. Auch das offenbart diese Debatte einmal mehr. Und das ist es, worüber zu reden ist: Der Schoß ist sehr fruchtbar wieder, aus dem all das kriecht.

 

Dirk Pilz ist Redakteur und Mitgründer von nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Experte des Monats" schreibt er über alles, wofür es Experten braucht.

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