Erklären, Verklären

von Frank Kurzhals

Hannover, 15. März 2018. Jede Schöpfungsgeschichte erzählt von gescheiterten Hoffnungen. So auch die "Edda", die jedem Isländer von Kindheit an literarisch vertraut ist. Als heidnischer Schöpfungsmythos ist sie in Island im Alltag so gegenwärtig wie das dort um das Jahr 1000 eingeführte Christentum. Das zumindest behaupten Thorleifur Örn Arnarsson und Mikael Torfason, die jetzt ihr Verständnis von Anfang und Ende der Welt à la "Edda" in Hannover fulminant auf die Bühne gebracht haben. Ganze drei Monate probten sie, um den schier unendlich verwobenen Stoff bühnenreif werden zu lassen. Gekürzt und konzentriert auf dreieinhalb Stunden atmet die Inszenierung das wohlige Pathos des Großen und Ganzen, dekoriert mit skurrilen Petitessen.

Eine davon ist der überraschende Auftritt von Donald Trump als Karikatur seiner selbst. Migration, der Bau von Grenzen und Geld sind seine wenig überraschenden Themen, die den Abend der nordischen Mythen in die Gegenwart hinein aktualisieren sollen, das wirkt leicht schal. Aber es gibt auch kleine wetterleuchtende Sternstunden des Theaters, etwa wenn die Seherin Völva (Susana Fernandes Genebra) gleich zu Beginn in tragendem Duktus vom Entstehen der Welt berichtet, nur um kurz darauf deren Untergang voll erschöpfter Verzweiflung konvulsivisch herauszuschreien: "Schwarz wird die Sonne, die Erde sinkt ins Meer, vom Himmel schwinden die heiteren Sterne."

edda54 560 Katrin Ribbe uDie Aufhängung der Weltenesche © Katrin Ribbe

Autor und Regisseur haben den überlieferten isländischen Textkorpus neu bearbeitet, im Englischen zusammengeführt und dann ins Deutsche übersetzen lassen. Und weil wohl nur noch im Fragment das Ganze sichtbar werden kann, und eine Schöpfungsgeschichte nun mal das Ganze darzustellen versucht, kommt die Inszenierung in der Stadt von Kurt Schwitters als Collage daher. In einem eisbärenähnlichen Kostüm führt ein "Herr Müller" (Christoph Müller) eine zusammengewürfelte Truppe auf schneebedeckter Bühne durch die Geschichte der "Edda", erdet sie in schnoddrigem Ton. In der halbstündigen Pause tritt zudem ein akademischer Experte auf, der vor dem eisernen Vorhang die Unterschiede von zyklischer und linearer Zeitauffassung kurzweilig erläutert. Auch hier wird dem Publikum kein weiterer Puzzlestein geboten, der aus einzelnen Theaterstückchen ein Ganzes werden ließe, sondern ein weiteres Collage-Element wird zum Besten gegeben, das erklärend verklärt.

Collage: Jonglage, Persiflage

Das alles ist rund um die in der Mitte des kargen Bühnenraums zentrierte tote Weltenesche, die von den Bühnenarbeitern während des Spielgeschehens aufgehängt wird, als Reigen des spielerischen "anything goes" arrangiert. Sif, schönste Frau der Welt und Thors Gattin, verliert ihr goldenes Haar, Loki, Halbgott des Feuers und Gestaltenwandler tragischer Güte, gewinnt die Zwerge in einem höchstkomischen Dialog dazu, es echtgolden wieder zu erschaffen. Gottvater Odin (Hagen Oechel), der sein linkes Auge für mehr Weisheit gab, treibt alle und alles an, um einer ewig zyklischen Geschichts-Erzählung Linearität und Spannung zu geben. Köstlich sind auch die Dialoge zwischen Loki (Philippe Goos) und Freya (Johanna Bantzer), die zwischen tragendem Stil und Umgangssprache changierend schlicht hinreißend ist. Alles ist Jonglage, als Slapstick, Persiflage oder ironische Brechung um die ewigen Menschheitsthemen der Schöpfung und Erkenntnis, und immer wieder erinnert tödlicher Ernst an die ursprüngliche Dramatik der Erzählung. Eben eine Collage, mit allen Klebstoffen, die es so gibt.

edda148 560 Katrin Ribbe uPhilippe Goos, Sarah Franke © Katrin Ribbe

Einer der wichtigsten Klebstoffe ist die Erzählung vom Autor Mikael Torfason und dessen Vater, der Zeuge Jehovas war und deswegen verbieten wollte, dass sein kranker Sohn als einzig lebensrettende Möglichkeit eine Bluttransfusion bekommt. Torfason mußte gegen den Willen seines Vaters von den Ärzten vor dem Tod gerettet werden. Als ein vorhergesagter Weltuntergang zu seines Vaters großer Enttäuschung nicht eintrat, kündigte der seinen Glauben auf und wechselte wieder zu isländischem Heidentum, später ertrank er des Lebens müde im Alkohol. Diese tragische, aus dem Off erzählte Geschichte wird parallel gesetzt mit der großen Götterwelt der "Edda", das Allgemeine und das individuelle Schicksal spiegeln sich.

Hamsterrad des Lebens

Eine Collage als weiterentwickelte moderne Form von Historismus besteht immer aus mehreren Schichten, deswegen spielt auch die (Live-)Musik (Gabriel Cazes) von Klassik bis Pop als Zauberer von Atmosphäre neben den Schauspielern eine fast gleichwertige Rolle. Als die kahle Weltenesche nach der Pause von einem Baugerüst umrahmt wird, wabernder Theaternebel das Licht bricht und "My Body is a Cage" von Arcade Fire wilde Assoziationen von Sklavenhandel und Freiheit, Zwang, Wille und Fügung aufkommen lässt, ist das Spiel zwischen Männern, die Frauen, die Männer sind, bereits bis zur perfekten Verwirrung getrieben. Das Baugerüst ist zum Hamsterrad des Lebens geworden.

Mit ihrem Wechsel zwischen High und Low sind diese Szenen die stärksten Bilder der ganzen Inszenierung. Baldur, Gott der Schönheit und bereits dem Tode nah (Maximilian Grünewald, er spielte auch den Pausen-Akademiker) leidet in dramatischen Tönen stellvertretend für die Menschheit. Wie Loki ist er rettungslos verloren. Nicht nur die Esche: der gesamte Stammbaum der Götter geht unter, die Welt versinkt im verschneiten Bühnenboden. Aber da hat sich der zyklische Charakter der "Edda" schon als Erkenntnis in den Zuschauerkopf eingeschrieben, so dass klar ist: Irgendwann folgt ein Neubeginn.

Die Edda
Neu erzählt von Thorleifur Örn Arnarsson und Mikael Torfason
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson, Bühne: Wolfgang Menardi, Kostüme: Karen Briem, Musikalische Leitung: Gabriel Cazes, Dramaturgie: Judith Gerstenberg / Johannes Kirsten Übersetzung: Damiàn Dlaboha.
Mit: Johanna Bantzer, Susana Fernandes Genebra, Sarah Franke, Iza Mortag Freund, Philippe Goos, Maximilian Grünewald, Mathias Max Herrmann, Sophie Krauß, Wolf List, Christoph Müller, Hagen Oechel, Andreas Schlager, Live-Musik: Gabriel Cazes.
Dauer: 4 Stunden, eine Pause

www.schauspiel-hannover.de

 

Kritikenrundschau

"Verblüffende Bilder, wunderbare Lieder, starke schauspielerische Momente und, ja, auch das: tiefe Einsichten" hat Ronald Meyer-Arlt von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (16.3.2018) gesehen. Sei die "Prosa-Edda" beim Lesen langweilig, wirkten die Geschichten bei Thorleifur Örn Arnassson "plötzlich gar nicht mehr langweilig. Sie haben etwas mit uns zu tun. Es geht um uns. Um unser Leben, um unser Sterben", so Meyer-Arlt. Die Hannoveraner "Edda" sei "keine Trailershow der besten Episoden", sondern spanne einen Bogen von der Welterschaffung zum Weltuntergang. "Es ist unmöglich, alles verstehen, aber man bekommt durchaus ein Gefühl für diesen Sagenstoff, der uns eher fremd ist." Vieles entwickle sich aus Sprache und aus Musik, "gleichzeitig sehr reich und ganz arm" sei das Theater von Arnasson. "Er arbeitet aus dem Geist der Improvisation, aber mit den Mitteln eines hochprofessionellen Theaterbetriebs." Trotz vier Stunden Spieldauer sei diese "Edda" nie langweilig, sondern immer "spannend und berührend".

Stefan Gohlisch schreibt in der Neuen Presse (17.3.2018): Arnarsson arbeite mit "großem Ensemble und großem Besteck" vom "Anfang und Ende der Welt", der "ewigen Wiederkehr des Gleichen", es sei dies eine üppige "göttliche Komödie", eine "menschliche Tragödie". Diese Geschichten riefen "archaische Weltweisheit" wach und führten manchmal "unverhofft" ins Heute. Arnarsson springe mühelos vom "albernsten Schabernack zur beklemmendsten Tragödie". "Alles drin, alles dran, ein großes Geschichtenkaleidoskop."

Eine "erst furiose, dann kurzweilig, schließlich Ernst machende Uraufführung" hat Jens Fischer erlebt und schreibt überwältigt in der taz (30.3.): Das Schauspiel Hannover wage sich "mit himmelhoch stürmendem, höllisch verzweifeltem Edda-Theater" "urück auf Anfang, zum Schöpfungsmythos".

Die Neuerzählung der "Edda" durch Thorleifur Örn Arnarsson und Mikael Torfason am Schauspiel Hannover sei "ein doppelter Gewinn", schreibt Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (3. April 2018). "Denn sie ist hochdidaktisch in ihrer Absicht, die Urmythen so verständlich wie möglich darzustellen, inklusive des Vortrags von Sekundärliteratur – und besteht aus vier Nachhilfestunden satter Bildfantasie."

Kommentare  
Edda, Hannover: Besuchswunsch
Ronald Meyer-Arlt äußert in seiner Premierenbesprechung dieser Inszenierung in der Hannoverschen Allgemeinen eine Bitte:
"Die Kandidaten für das diesjährige THEATERTREFFEN IN BERLIN, bei dem stets die 'bemerkenswertesten' Inszenierungen der Saison eingeladen werden, stehen schon fest. Aber für die nächste Ausgabe des Festivals sei den Juroren ein Besuch in Hannover dringend empfohlen."

Hannoversche Allgemeine: http://www.haz.de/Nachrichten/Kultur/Uebersicht/Urauffuehrung-Die-Edda-von-Thorleifur-Oern-Arnasson-und-Mikael-Torfason-im-Schauspiel-Hannover
Edda, Hannover: Grundhaltung?
ja, große Bilder, ja, tolle Bühne, ja, viele gute Einfälle des Ensembles, erkennbar am Stil des üblichen Probenbühnenimprostils, aber ist dem Regisseur, den man jetzt so feiert, irgendwas eingefallen, also etwa eine Grundhaltung des Abends? Mir hat sich diese jedenfalls nicht vermittelt, und das große Kino hat mich davon allenfalls eine Hälfte lang ablenken können. Schade. Und dafür 3 Monate Proben? Für ein Bekenntnis zu Hollywood?
Edda, Hannover: insgesamt sehenswert
Weniger oberflächliche Komnik (und Schwappelkostüme), stattdessen mehr Dramatik (so wie in der furiosen Eingangsszene) wären mehr nach meinem Geschmack. Insgesamt trotzdem sehenswert.
Edda, Hannover: vor der Pause besser
Viel Theater um nichts. Immerhin die erste Stunde durchaus sehenswert. In der Pause zu gehen wäre aber nicht verkehrt gewesen, dann kam nichts was man nicht schon kannte.
Edda, Hannover: Sensation
Dieser Abend ist eine Sensation. In der Neuen Presse: "Herausgekommen ist ein großer Wurf. […] Alles ist ein Spiel, alles im Wandel. Arnarsson springt mühelos vom albernsten Schabernack zur beklemmendsten Tragödie. Alles drin, alles dran, ein großes Geschichtenkaleidoskop. Und wenn der letzte Vorhang fällt, ist das immer ein Weltuntergang." Gestern die letzte Vorstellung der Spielzeit. Hoffentlich geht es in der nächsten weiter!
Edda, Hannover: hastig durch Collage-Schnipsel
Die ersten beiden Stunden sind eine Collage voller Slapstick. Es wimmelt von Zwergen, Riesen und Dämonen. Es sei ihm nicht darum gegangen, eine „von A bis Z nachvollziehbare Geschichte zu erzählen, sondern ein facettenreiches Universum auf der Bühne zu schaffen.“ Das gerät oft albern und hat deutliche Längen. Die zweite Hälfte wird ernster: Elli, das hohe Alter, droht, dass es jeden unweigerlich einholt. Nur die Frage, wann das passieren wird, lässt er offen. Aus dem Off erzählt Mikael Torfason, Koautor der Stückfassung, autobiographische Geschichten von seinem Vater.

Selten gibt es wirklich gelungene Szenen wie die tolle Choreographie zu „My Body is a Cage“ von Arcade Fire, an denen der Abend zur Ruhe findet und über die hastige Jagd zum nächsten Collage-Schnipsel hinauskommt.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/04/06/die-edda-schauspiel-hannover-theater-kritik/
Edda, Berlin: was fehlt
Tolles Bühnenbild, tolle Kostüme.Doch an der VB braucht man eher Schauspieler und besonders Schauspielerinnen die Charakter haben. Das habe ich besonders gestern gemerkt und das hat gestern gefehlt.
Edda, Berlin: unbeholfen
Schließe mich den anderen Kommentaren an, dass Bühnenbild und Kostüme durchaus sehenswert waren, die Inszenierung hatte jedoch enorme Schwächen: zuviel Slapstick, zuviel Didaktik und zuwenig Haltung. Der Trump-Auftritt war (insbesondere angesichts der diversen Blindspots des Stücks selber) ein Fremdschäm-Moment. Die Momente angeblicher "Geschlechter-Verwirrungen" haben die Heteronormativität der Inszenierung aufgrund ihrer Unbeholfenheit nur noch tiefer zementiert: Frauen, die Männer sind, die Frauen angrapschen, zum Beispiel.
Edda, Berlin: bildmächtig
Am Ende bleibt nur Loki einsam lamentierend im Schnee zurück, der Überlebende, der sich nach dem Sterben Sehnende. Denn die leere Welt bietet Platz für einen neuen Anfang. Der nur geschehen kann, wenn das Alte eben Platz macht. Da verzahnen sich die drei Schwestern der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, nehmen sich der sinnsuchende Vater und die rat- und rastlosen Götter an die Hand, wird das Sterben eines Einzelnen zum Tod und zur Wiedergeburt von allem. Nein, die Frage des Anfangs bleibt verneint, was das alles bedeutet wissen wir nicht. Nur dass es eines ist: das Hohe und das Niedrige, das Erhabene und das Banale, das Ernste und das Alberne. Leben, Welt, Mensch, Vergeblichkeit. Es dreht sich in Farce und in Pathos, in brachialem Humor und elendigem Kitsch, in existenziellem Leiden und prätenziöser Lächerlichkeit. Und in ein dringlichen, sich in die Sehnerven fressenden Bildern, mythisch, mystisch, geisterhaft und zugleich gemacht, gewollt theatral, ihre eigene Erschaffung stets mitdenkend. Thorleifur Örn Arnassons Version von Die Edda ist ein bildmächtiges Theaterspektakel, das nichts anderes sein will und kann. Und als solches Welthaltigkeit produziert, wie es eben nur das Weltlabor Theater vermag. Das scheitert, nervt, sich zieht, lose Enden hinterlässt. Und am Ende die einzig mögliche Antwort auf die Eingangsfrage findet: sie erneut zu stellen. Immer und immer wieder.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2019/04/21/die-welt-ist-eine-frage/
Edda, Berlin: Mario-Barth-Humor
Verwunderlich, das alle hier eher so froh sind über den Abend. Ich finde es entsetzlich, das sich so ein Mario Barth Humor durch das Stück zog. Man kann ja durchaus political correctness kritisieren, aber dann doch bitte intelligent und wissend was das überhaupt bedeutet. Was für schlechte Dialoge! Und überall noch ein Witzchen hingepappt... Oh man..

Ich habe schon Stücke gesehen da wurde auf gute Art das Verhältnis zwischen Schauspieler, Spiel, Erwartungen des und dem Zuschauer an sich während des Abends ausgehandelt. Dort fühlte ich mich als Zuschauer oder eher Mensch ernstgenommen. Zusammen hat man dann mit den Ensemble, dem Text und gar dem Gemäuer an der Welt geforscht.

Hier bekam ich "Schauspiel" geboten, "Unterhaltung", ja, eine Collage nannten es ja schon enige.
Denken musste ich nicht. Zumindest nichts Produktives oder Interessantes.

Ist das gutes Theater?
Dann bin ich von Kritik und Machern die es sich meines Erachtens zu einfach machen enttäuscht. Wir leben in einer Zeit in der etwas mehr selbstvertrauen in sich als Theatermacher - und Denker angesagt ist.

Theater kann weitaus mehr als das hier, das weiß ich!
Und es sollte auch mehr wollen, weitaus mehr!

Hier sollte doch ein Riss entstehen, der Boden sich auftun und dann schauen wir mal was da so alles ist. Zumal, wenn es um die Erschaffung und den Untergang der Welt, das Magische und Göttliche geht...

Das der Betrieb das jetzt bejubelt und der Regisseur als Fester an die Volksbühne kommt ist.... bitter.
Edda, Berlin: Kulturradio
"Nach der Pause wird es dann viel berührender. Da erzählt Mikael Torfason vom Sterben seines Vaters, der sich als reueloser Wikinger nur zum Glauben an die Edda bekennt. Da dreht sich dann die Bühne und Gabriel Cazes singt eine tieftraurige Version von 'My Body is a cage' von Arcade Fire. Da ist das Sterben irgendwie so ganz nah und greifbar. Und ästhetisch ist dieser Abend aber eine Mischung aus ganz vielen Dekonstruktionselementen. Also alle Geschichten enden irgendwie im Nichts, die Figuren lösen sich auf. Hier passt es sehr gut, weil die Edda ja sowieso keinen Anfang und kein Ende kennt." Barbara Behrendt, rbb kulturradio
https://mediathek.rbb-online.de/radio/Fr%C3%BChkritik/Volksb%C3%BChne-Die-Edda-neu-erz%C3%A4hlt-von-T/kulturradio/Audio-Podcast?bcastId=48865308&documentId=62148862
Edda, Berlin: entsetzt
Ich habe eine sehr alberne Vorstellung erlebt, die mir nicht das Gefühl vermittelt hat, dass sie ihren Stoff ernst nimmt oder befragt, sondern als Vorlage für Klamauk und die Vermittlung von Wikipedia-Wissen benutzt. Augenzwinkern und Ratlosigkeit in Dauerschleife. Wenn schon z.B. ein Referat über die Edda eingebaut wird, warum gibt es dann Text, den ich aus einer Kurzrecherche mir hätte selber schnell zusammenlesen können? Einige Szenen wurden so runter-gespielt, dass ich den Eindruck hatte, ok, weiter wissen die auch nicht; fiel ihnen auch nix zu ein - ‚winter is coming‘ Staffel 5 Folge 7. Für mich fehlte es an einer Haltung, auch zum Text, einem deutlichen Zugriff, einem sichtbaren Antrieb zur Auseinandersetzung. Der angestrengte Versuch, Bezüge zu heute herzustellen, hat auch den starken Bildern ihre Kraft genommen. Die Witze und Verrenkungen über das ‚politisch korrekte’ Sprechen oder eine Reihe von Kraftausdrücken, die bestimmten Charakteren zugeordnet waren, denen es bestimmt auch schlecht erging oder auch nicht: es wirkte wie ein hilf- und zielloser Versuch, irgendeine Autorität zu provozieren und bleibt dann schal im Bühnenraum stehen. Wenn man da so rüber-inszeniert, macht man sich schnell gemein mit einer bestimmten Form der Brutalität. Für mich ist das hier passiert. Klar kann/muss man Figuren Brutales sprechen lassen, die Frage ist, wie man das macht und wie man damit umgeht - mit Sprache, mit Kommentar. Eine obszöne Geste macht noch keine Figur. Im schlimmsten Fall, wie hier, ist sie brutal, weil sie zu nichts führt. Da war aus der Zwangs-Nacktheit auf deutschen Bühnen noch mehr rauszuholen, da gab es wenigstens einen Körper, der sich nicht verschanzen konnte hinter dem ganzen Gewollten. Bei mir ist das Gefühl von Verantwortungslosigkeit entstanden. Subventioniertes ‚ein bisschen Spass muss sein und ein bisschen Ernst auch‘. Generell aber dürfen wir alle weiter pennen. Manchmal war ich richtig entsetzt über das Stück. Auf die gleiche Art, wie ich manchmal entsetzt bin, wenn ich den Fernseher anschalte und die Nachrichten sehe oder was man da für „den Zuschauer“ so alles inszeniert. Gut, das hat die Regie geschafft. Aber das kann doch nicht sein, dass ich ins Theater gehe, um dann auf die gleiche (!) Art entsetzt zu sein. Über Gewalt, Klamauk und dumme Sprüche. Trump wurde auf die Bühne gezerrt wie in einer Comedy Show im US Fernsehen. Ich hatte darüber schon gelacht bei YouTube. Witzige „Regieeinfälle“ haben ein trübes Schicksal: sie führen alle nur zu dem Wissen zurück, wie die Dinge eben laufen. Dafür braucht es kein Theater. Tolles Bühnenbild und Kostüm, tolle Technik, gute Schauspieler. Hilft dann irgendwie nicht weiter.
Edda, Berlin: reinfallen
Also das Bühnenbild ist ja ganz nett. Aber die ganzen Versuche vorgeblicher philosophischer Erklärung sind nicht nur peinlicher Schulfunk, sondern vor allem grundfalsch. Am besten war es noch im inflationären Nebel, wenn man sich Theater vorstellen musste. Wenn er sich verzog, staunte man über reichlich Kindergartenklamotte. Das soll jetzt an der Volksbühne die Norm werden? Warum fallen nur Kritiker - ja, leider auch ihr lieben Nachtkritiker!? - auf sowas rein?
Edda, Berlin: Adepten
das sah schon aus, wie der leistungskurs theater, der versucht, möglichst nah und 2.0 an CASTORF ranzukommen. in dem bestreben aber, sah man eben nicht eigenes und wenn, war es nicht intelligent. das hat das original immer ausgezeichnet, CASTORF ist einfach irre scharf und schnell im denken. nur so ein bisschen wild aussehen wie CASTORF aber ohne jeden gedanken, das geht an diesem haus leider gar nicht.
Edda, Berlin: Castorf?
@eddaka ..also den Vergleich mit Castorf versteh ich nicht..das meine ich völlig wertfrei.ich habe sowohl ästhetisch, wie auch vom ganzen Regieangang wirklich nichts gesehen,was mich an einen Castorf Abend erinnert..Regie,Bühne,Kostüme,Musik,waren nun wirklich etwas gaaaanz anders..man kann über den Abend denken wie man will,aber das scheint mir an den Haaren herbeigezogen..und macht müde..,weil es mal wieder die selbe langweileilige Diskussion lauwarm aufwärmt..
Edda, Berlin: Volksbühne gefüllt
eine herausforderung in diesem schönen grossen theater. die bühne wirklich zu füllen. die edda kriegt das ganz gut hin. werden mittel benutzt, die andere vorher auch schon benutzt haben? es lässt sich kaum vermeiden. statt dauernd mit dem castorfkamm drüberzuscheren - was fand denn statt? ein versuch eine ganze sagenwelt auf heutiges zu untersuchen. für den einen schulfunk für die andere neue informationen, so unterschiedlich können wissenbestände von besucher/innen ja auch sein. dass die regie es zu beginn über das grosse bild versucht und dann en vogue an der rampe bricht, ist nicht neu, aber doch gekonnt.dass die schauspieler nicht so geil wären ist auch so ein überheblicher berlin-bullshit. am DT oder am BE ist das auch nicht besser im schnitt. am Gorki auch nicht. die spieler*innen waren 100 % überzeugt vom Ganzen und haben mit hingabe gespielt. mir gefällt das, auch mal ohne Wuttke-Pirouetten.
den Regisseur hat man in Berlin noch nicht so richtig gesehen. seine nächste produktion in der volksbühne schaue ich mir an. die anderen können ja zu hause castorf videos schauen.
Edda, Berlin: Subventions-Umschichtung
@#16 Lieber crunch,
"Opulente Bühnenshow" oder "bildgewaltiger Theaterzauber" ist ein Vokabular, dass die Theaterkritik vor 30 Jahren aus den Schubladen kramte, wenn es wieder einmal einen neuen Abend vom Zirkus Roncalli, eine Revue von Jerome Savary oder ein Spektakel vom Theatre du soleil zu besprechen galt. Nicht anstrengend klug - geschweige denn wichtig - füllten diese Darbietungen schon damals die grossen Theaterhäuser vor allem mit dem Anspruch "Wir sind schön".
Das Berlin nun (auch) am Luxemburgplatz Attraktionen hat, die das Publikum aus Dahlem und Pankow, die Touristen aus dem Adlon und dem Astoria den Weg in die einstige Piscatorbühne finden lassen, mögen Sie begrüßen. Aber 30 € pro Ticket auf den teuren Plätzen empfinde ich dann doch als zu billig fürs Vergnügen.. Warum werden den Zuschauern nicht die subventionsbereinigten "Echtpreise" abverlangt??
Gerade beklagen unsere Cineasten völlig zurecht, die eklatante Verengung der Streamingdienste auf Mainstreamprodukte aus Hollywood. Wenn Sie die zahlreichen Castorf-Fans schnöde aufs Repertoire der Home-Video-Anbieter verweisen, dann höffe ich doch wenigstens auf ihre Unterstützung, die bisherigen Subventionen der Volksbühne ab nächster Saison umzuschichten und für eine kulturelle Erweiterung der Videoangebotes im Internet bereitzustellen.
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