Woyzeck - Therese Willstedt zeigt Georg Büchners Sozialdrama am Schauspiel Köln mit sezierendem Tiefblick
Gespenstersonate
von Martin Krumbholz
Köln, 22. März 2018. In Georg Büchner, dem Dichter und Menschen, liegen zwei Tendenzen im Wettstreit: Fatalismus und Revolte. Man kann es auch Freiheit des Willens und Determinismus nennen. Das Faszinierende, aber auch Beunruhigende ist, dass Büchner diesen Kampf bis zu seinem Tod nicht entschieden hat. Der vielzitierte Fatalismusbrief auf der einen Seite, der "Hessische Landbote" auf der anderen. Der Wille zum Aufruhr, zum Widerstand gegen die schlimmen Verhältnisse nur ein paar Jahrzehnte nach der Französischen Revolution ist da, aber in der Dramaturgie der Texte, der drei Dramen und der einen Novelle, überwiegen überraschend deutlich Verzweiflung und Resignation.
"Rühr mich an!"
In der Kölner "Woyzeck"-Inszenierung der schwedischen Regisseurin Therese Willstedt ist das Moment des Aufruhrs durchaus erlebbar. Zum Beispiel in dieser grandiosen Szene: Marie, gespielt von Ines Marie Westernströer, wird von drei Männern gegen eine der hohen weißen Wände gehoben. Die Bühne (von Marten K. Axelsson) besteht aus einem sich verjüngenden, von zwei Wänden begrenzten Raum und einem Laufband dazwischen. Immer wieder schreit Marie: "Rühr mich an" und "Lass mich!" Die dröhnende, röhrende Musik schwillt zu extremer Lautstärke an. Schon Maries Outfit indiziert den puren Sex-Appeal: kurze Hosen, sichtbare Strumpfbänder, die die Strümpfe nicht mehr halten wollen, ein olivgrüner Schlabberpulli (Kostüme: Birgit Bungum). Männer nennen so eine Frau, die ihr Begehren nicht verheimlicht und manchmal selbst daran verzweifelt, schon mal "Schlampe".
Ja und Nein und ein Gedankenstrich, es macht die Leute irre. Und irgendwie irre sind hier alle. Der "hirnwütige" Woyzeck, bei Seán McDonagh ein schlanker, zarter Junge mit hoher, dünner Stimme, leidet an Wahnvorstellungen. Seine Blicke wandern immer wieder ins Leere. Der sturzdumme Hauptmann (Robert Dölle) nimmt gleichwohl mit perfidem Instinkt den Auslöser der Eifersucht wahr, der Woyzeck quält. Der Doktor, ein schief grinsender Brillenträger (Jörg Ratjen), doziert: "Im Menschen verklärt sich das Individuum zur Freiheit." Hier waltet der pure Zynismus, denn der Doktor, der Medizin mit Chemie verwechselt, missbraucht Woyzeck für seine Menschenexperimente wie gut 100 Jahre später ein Dr. Mengele in Auschwitz.
"Stinkt! Stinkt schon! Puh!"
Den ohnehin knappen, bis zur Schmerzgrenze zugespitzten Text hat Willstedt noch einmal verknappt, teilweise umgestellt. Es gibt ja mehrere Fassungen des "Woyzeck". Kirmes, andere Folklore und Requisiten fehlen. Auch weitere Figuren fehlen, hier treten nur sechs auf. Manchmal kauern sie am Boden, dann wieder lehnen sie an der Wand und werfen Schatten. Die Bühne ist eher sparsam, aber effektvoll beleuchtet. "Staub", "Sand" und "Dreck" ist der Mensch, die Worte des Tambourmajors wird Woyzeck am Schluss aufgreifen, und er wird den Phantomen, die er nach dem Mord an Marie sieht, zurufen: "Stinkt! Stinkt schon! Puh!"
Therese Willstedt macht aus dem Sozialdrama eine Gespenstersonate, aber die sechs Figuren sind dennoch greifbarer und schärfer profiliert als in manchen anderen Inszenierungen. Der Tambourmajor (Simon Kirsch), dieser "Mann wie ein Baum", ist vielleicht sogar intelligenter als die anderen. Er macht Marie unverhohlen an, aber seinem muskulösen nackten Oberkörper entspricht kein leeres Gehirn, sondern ein sezierender Tiefblick – allerdings ganz frei von Mitleid. Das unterscheidet ihn von Büchner. Man spürt schon, dieser Unteroffizier und Marie passen besser zusammen als Marie und ihr schwacher, gepeinigter Soldat, mit dem sie ein Kind hat. Deshalb wohl muss Marie sterben, die Eifersucht ist nur ein fehlgeleiteter Affekt, ein Seitenarm der unterdrückten Wut auf die gesamten Verhältnisse, die den Menschen quälen.
Bevor es so weit ist, schmiegen sich Marie und ihr Liebhaber und Mörder aber noch ein letztes Mal zusammen wie ein wirkliches Paar. Es sieht aus, als könnten sie sich gemeinsam in Maries Schlabberpulli verkriechen. Aber das täuscht.
Woyzeck
von Georg Büchner
Regie: Therese Willstedt, Bühne und Licht: Marten K. Axelsson, Kostüme: Birgit Bungum, Musik: Emil Assing Hoyer, Dramaturgie: Julian Pörksen.
Mit Seán McDonagh, Ines Marie Westernströer, Robert Dölle, Jörg Ratjen, Simon Kirsch, Justus Maier.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.schauspielkoeln.de
Kritikenrundschau
"Seán McDonagh spielt den Woyzeck als völlig passives Subjekt. Er verharrt fast die gesamten anderthalb Stunden auf dem Laufband; ein Demonstrationsobjekt, mal von vorne, mal von hinten unnachgiebig ausgeleuchtet", so Christian Bos im Kölner Stadt-Anzeiger (24.3.2018). Therese Willstedt finde allerdings keine neue, überraschende Sichtweise. "Vielleicht hat sie diese auch gar nicht erst gesucht." Der schwedischen Regisseurin "geht es um die größtmögliche Verdichtung des Dramas, bis zum alles einsaugenden Schwarzen Loch". Sämtliche Nebenfiguren seien gestrichen, Requisiten und Kulissen sowieso, "ein Wurzel-Woyzeck sozusagen". Den Figuren lasse sie keinen Raum zur Entfaltung. "Wer gerade keinen Text hat, muss mit dem Gesicht zur Wand stehen oder wie eine Marionette an unsichtbaren Drähten zappeln. Das passt ins Konzept. Aber das steht schon mit der ersten Szene, der Rest verkommt leider manchmal zur Pflichtübung."
"Dieser Abend hat immer beides: Feuer und Eis. Eine fiebrige, hart am Wahnsinn hausende Intensität und jene Kälte, die schon die Leichenstarre vorwegnimmt. Dies alles ergibt in Büchners volksliedhaft schlichtem Moritatenton und mit den Schattenrissen der Figuren an der Wand einen gespenstischen Totentanz", schreibt Hatmut Wilmes in der Kölnischen Rundschau (24.3.2018). Seán McDonagh in der Titelrolle mache spürbar, "wie hier jemand langsam, aber unausweichlich aus der Welt fällt und wie die existenzielle Ratlosigkeit eine schreckliche Gewissheit gebiert".
Jürgen Schön schreibt auf Koeln.de (online 25.3.2018): "Spartanisch" sei die Inszenierung, verzichte "konsequent auf Requisiten", auf zahlreiche Nebenrollen und "folkloristische Zugabe", und wirke "um so eindrucksvoller". Nicht zuletzt durch die Musik von Emil Assing Hoyer und das " konzentriert spielende Bühnen-Sextett" der Schauspieler*innen. Ein "dichter Theaterabend", der dem Publikum über nur 90 Minuten kein Entkommen lasse.
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Meist im Halbdunkel auf einem Laufband eingezwängt und grell ausgeleuchtet, wenn er vom Arzt (Robert Dölle) als Versuchskaninchen missbraucht oder vom Hauptmann (Simon Kirsch) gedemütigt wird, ist die Existenz der geschundenen Kreatur Woyzeck (Seán McDonagh) im Kölner Depot 1 so freudlos, wie man sie aus anderen Inszenierungen des berühmten Fragments von Georg Büchner kennt.
Mit neuen Interpretationsansätzen oder überraschenden Einfällen wartet diese Inszenierung jedoch nicht auf. In handwerklich tadelloser Stadttheater-Ästhetik nimmt das bekannte Elend des Woyzeck seinen Lauf.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2020/04/20/woyzeck-schauspiel-koln-theater-kritik/
Ich beginne also wie von ungefähr gestern Abend mir das Schauspiel hinein zuziehen komme aber nur bis: Andres, das waren die Freimaurer! ich hab`s die Freimaurer! (da verliere ich die Lust daran) - jetzt um 8 Uhr morgens sehe ich den Rest an mit wachsendem Interesse
Es ist nicht ganz und vollendet so wahnsinnig und ver-rückt wie "Erniedrigte und Beleidigte" (Hartmann) zu Ostern. Es ist anders. Es ist
aber doch ebenso im seltsamen Wahnsinn: der arme Woyzeck (erniedrigt beleidigt) psychisch gestört hört er immer wieder Stimmen ein Symptom für Schizophrenie dazu noch die extrem einseitige ihn vergiftende
Erbsen-Diaet-Ernährung (was ein Arzt, der ihn nicht heilt sondern vergiftet. der ist Teil der gebildeten Schicht, Wissenschaftleer Forscher
testet Woyzeck, Dauererbsenessen wirkt sich aus. eine Skrupellos-Natur
für ihn ist Woyzeck nicht Mensch sondern Versuchsobjekt. ist doch leicht
reizbar und findet Gefallen daran Leuten, M e n s c h e n mit Diagnose des medizinischen Zustands gehörigen Schrecken einzusagen-einzujagen)
Er Woyzeck ist nichts anderes als ein elendes Versuchskaninchen des ego
istischen Arztes, immer zu, immer zu! und am ihm seine pseudowissenschaft
lichen Experimente probiert. (ich denke dabei an Militär und Ärzte währ
end der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft die mit KZ-Häftlingen experimentierten, der Vergleich drängt sich auf)
Wie, ist der Mord an Marie mit dem heißen Hurenatmen eine Befreiung von der Gesellschaft? Woyzeck der arme Hund (ein wahrer Underdog) wird von der Gesellschaft ausgenutzt und gedemütigt. Repräsentiert wird diese brut
tale Gesellschaft vom Hauptmann dem Doktor und dem Tambourmajor. Ist nicht der Mord an der schönen betrügerischen Marie (wie kam sie nur an Woy-Zeck?) auch eine Form des Protestes gegen bestehende gesellschaft
liche Verhältnisse? ein schneller psychotischer Ausbruch auff-gestauter
Aggressionen gegen die etablierte Klasse der er ohn`Hoffnung ausgeliefert
ist? - aber doch auch die Erloesung von diesem verdammt irdisch Dasein
denn Woyzeck wird hingerichtet. am Galgen hängt er der armedumpfe Tropf
Was ist der Mensch? was ist das? nur Staub Sand und Dreck und sonst gar nichts? was ist das? Der Platz die Welt ist verflucht. sind wir nicht alle ein guter Mensch wie Woyzeck? ebenso aber Hauptmann Doktor Tambour
Major sind wir. wir sehen jetzt den Fortschritt der Zivilisation in dieser gegenwärtigen Krise.Courage Friedrich Johann Franz Woyzeck Menschheit C o u r a g e !ja, dieser nichtzuübersehende Schlapperpulli der attraktiv-gefährlichen Marie (Westernströer) den sie oft viel greift hochzerrt, ihr nichtzusehendes Kindlein darin birgt, wiegt. Nein,Woyzecks Eifersucht ist nicht nur ein fehl-geleiteter Affekt der unterdrückten Wut auf die ge
samten Verhältnisse die die Menschen quälen sondern einfach Eifersucht die zum Mord führt. mag sein dass Marie die Schlampe (rührmichan-lassmich) und der Mann-wie-ein-Baum-Tambourmajor besser zusammenpassen.
sie werden sich auch nicht vertragen. Woyzeck der unausweichlich aus der
Welt fällt in seiner Schwachheit aber sagt nicht, kann nicht sagen: Geh
nur zu, zu ihm passt du besser.So weit ist seine Liebe nicht.denn im Menschen verklärt sich das Individuum nur manchmal zur Freiheit.Eifer
sucht ist Befreiung vom Objekt der Begierde Liebe.Dazu die existenz
ielle Ratlosigkeit die schreckliche Gewissheit gebiert.Gut gesagt:ein fiebriger Abend voll am Wahnsinn hausender Intensität und Kälte die schon die Leichstarre vorwegnimmt.
Zoom-alleseinsaugenden-Schwarzen Loch eines unbarmherzigen Universums ohne Gnade.
Es ist ein "Dichter" Theaterabend man entkommt ihm nicht.