Theater-Mischform mit Zukunft

5. April 2018. Weit über zweihundert internationale, nationale und lokale Künstler*innen, die mehrheitlich mit den Münchner Kammerspielen Arbeitsbeziehungen unterhalten, haben sich in einem Protestschreiben an den Münchner Stadtrat gewandt (hier der Brief im englischen Original mit anhängender deutscher Übersetzung).

Mit dem Entzug der Unterstützung für die Intendanz von Matthias Lilienthal erfahre "die einst so couragierte Initiative der Münchner Kulturpolitik, eine tatsächliche Weiterentwicklung des deutschen Stadttheatersystems zu wagen, bereits nach fünf Jahren einen herben Rückschlag", heißt es in dem Brief. Lilienthal hatte aufgrund des Gegenwinds aus der Stadtpolitik, insbesondere aus den Reihen der CSU, seinen Rückzug aus der Kammerspiel-Intendanz zum Ablauf seines Fünfjahresvertrags 2020 angekündigt.

Reformbedarf des deutschen Stadttheaters

Unter Lilienthal hätten sich die Kammerspiele zu einer Institution entwickelt, "die es mit den komplexen künstlerischen, politischen und strukturellen Herausforderungen unserer Zeit aufnehmen kann", schreiben die Künstler*innen in ihrem Offenen Brief. Es sei "hinlänglich bekannt, dass das deutsche Stadttheatersystem stark reformbedürftig ist – insbesondere bezüglich seiner ästhetische Bandbreite, seiner Arbeitsweisen, seiner Beschäftigungsstrukturen und seines Selbstverständnisses." Und weiter: "Der aktuelle Ansatz der Kammerspiele, sowohl dem Schauspiel- und Sprechtheater als auch performativen Theaterformaten sowie Mischformen zwischen beidem eine Heimat zu geben, das Haus für Initiativen und Praktiken jenseits von Grenzen und Nationalitäten zu öffnen, ist ein unerlässlicher Schritt in der deutschen und weltweiten Theaterlandschaft."

In dem Schreiben wird namentlich die CSU angegriffen, deren Ankündigung, "die Zeit der künstlerischen Experimente solle insgesamt vorbei sein", den Künstler*innen als "Maßnahme nicht nur eines konservativen, sondern nationalistischen Rückschritts auf größerer Ebene" gilt. Zu den Unterzeichner*innen des Briefs gehören Regisseur*innen wie Toshiki Okada, Amir Reza Koohestani, Anta Helena Recke, Nicolas Stemann, Ersan Mondtag, Alexander Giesche oder Felix Rothenhäusler sowie Künstlerkollektive wie Gob Squad, Rimini Protokoll, She She Pop oder FUX, die an den Münchner Kammerspielen bei Matthias Lilienthal arbeiten.

(Münchner Kammerspiele / chr)


Presseschau

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (6.4.2018) kritisiert Simon Strauss die enge "Junktimierung der Adjektive 'ästhetisch‘ und 'politisch' sowie die qualitative Gleichsetzung von künstlerischer Variation und sozialer Diversität" in dem Protestschreiben. "Was heißt und zu welchem Zweck gebraucht man hier die Ästhetik? Wird sie als Auszeichnung, gewissermaßen als Preisschild für sozial besonders harmonische Praxisarbeit verliehen?", fragt Strauss. "Die mögliche Gefahr eines solchen Ästhetikbegriffs liegt auf der Hand: Sie besteht darin, dass das Theater in eine zu starke Abhängigkeit von tages- und moralpolitischen Entscheidungen gerät und über kurz oder lang zumindest dem Gestus nach nicht mehr von einer NGO oder Bürgerinitiative zu unterscheiden ist." Die politische Inanspruchnahme der Ästhetik durch die stadttheaterkritischen, reformatorisch auftretenden Münchner Künstler*innen erscheint dem FAZ-Kritiker ebenso als "Bedrohung" der Kunst wie der – theaterpolitisch gegenläufige – Versuch, die deutsche Stadttheaterlandschaft per UNESCO-Weltkulturerbe-Eintrag zu musealisieren.

Für Christiane Lutz von der Süddeutschen Zeitung (5.4.2018) ist die große Zahl an Unterschriften aus der freien Szene, auch der lokalen Münchens, "deshalb bemerkenswert, weil Lilienthal immer wieder vorgeworfen wurde, die besten Produktionen der wenig subventionierten freien Szene in sein Haus zu holen. Ihre Solidarisierung zeigt, dass viele die Öffnung der Kammerspiele für freie Gruppen durchaus als Gewinn verstehen." Abseits des Protestbriefs berichtet der Text schon von Nachfolge-Überlegungen für die Kammerspiele.

 

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Kommentare  
Protest Kammerspiele: wer fehlt
Spannend ist insbesondere, wer nicht unterschrieben hat. Da fehlen doch gerade ausnehmend viele "bekannte" Namen des deutschsprachigen und internationalen Theaters.
Protest Kammerspiele: andere Stimme
soso, die csu ist schuld ... etwa so wie die spd/linke an der katastrophe "volksbühne"

anscheinend haben es lilienthal und dercon nötig andere schuldige für ihre mißerfolge zu benennen ... wie peinlich ist das denn?

interessant auch, dass susanne kennedy sich ja zu BEIDEN bekennen kann ...


zum glück gibt es - neben dem publikum - auch andere stimmen, die sich mit der ARBEIT auf der bühne beschäftigen ...

"Matthias Lilienthal in München ist kein Unvollendeter, er lässt das machen, was ihm ästhetisch und intellektuell zusagt. Das Problem mit dem Großteil der in den Kammern 1 bis 3 gezeigten Arbeiten ist deren ästhetische Belanglosigkeit und intellektuelle Dürftigkeit. Der Zuschauer ist permanent unterfordert, auch von den schauspielerischen Leistungen.

Lilienthal ist nicht unvollendet, sondern wohl unbelehrbar, und wer an Schauspieltheater keinen Spaß hat, sollte halt kein Schauspielhaus übernehmen. Das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass in München so etwas wie das Stuttgarter "Theaterhaus" oder eben auch das Berliner HAU fehlen."

http://www.sueddeutsche.de/muenchen/intendant-lilienthal-verlaesst-muenchner-kammerspiele-waehrend-die-traditionalisten-jubeln-trauern-die-moderne-fans-1.3919681


"Mit der Saison 2019/20 ist für ihn Schluss. Vorher rumorte es weniger laut, weil viele Menschen bereits still verzweifelt waren wegen des Verfalls des Schauspielhaus-Niveaus. Angeblich Modernes, Experimentelles, das aber längst abgestanden war, trieb die Zuschauer aus dem Haus. Selbst die Jugend konnte durch billige Karten nicht mehr in genügend hoher Zahl angelockt werden.

Schön ist, dass es jetzt eine lebhafte Diskussion gibt und man auf diese Weise merkt, wie kunstbegeistert die Münchner und Oberbayern sind. Natürlich ist die Nachfolgefrage eine der spannendsten. Es muss eine Persönlichkeit gefunden werden, die die Bühne in eine lebendige Zukunft führt. Sie muss aber auch eine quasi ideologische Last abtragen. Es sind nämlich zwei Lager entstanden, die jeweils die andere Gruppe im Unrecht sehen. "

https://www.ovb-online.de/kultur-tv/lagerdenken-ueberwinden-9733198.html
Protest Kammerspiele: Eindruck
"... nationalistischen Rückschritts auf größerer Ebene ..." - man könnte den Eindruck gewinnen, als habe die Fraktion der CSU im Münchner Rathaus den gesamten Kulturetat der Bundesrepublik Deutschland auf Null zusammen gestrichen.
Wenn sich die SPD-Fraktion im Münchner Rathaus einen Intendanten wie Lilienthal leisten will, dann sollte sie ihm doch einen anderen Spielplatz finanzieren, als ein Theater.
Protest Kammerspiele: erhalten
Die MK unter Lilienthal müssen unbedingt erhalten bleiben. München hat ja bereits zwei andere Theater, die sich klassischen Erzählformen widmen. Gerade im konservativen Bayern muss Platz für mehr sein.
Protest Kammerspiele: zersplittert
HABE 12 STÜCKE AN DEN KAMMERSPIELEN GESEHEN!
MIR FEHLTE IMMER EINE EINHEIT! DAS ENSEMBLE WIRKTE IMMER KRAFTLOS UND ZERSPLITTERT! LEIDER! AUCH DAFÜR IST EINE THEATERLEITUNG ZUSTÄNDIG!
Protest Kammerspiele: nicht zum Publikum geredet
Es ist schon sehr selten, dass ich mich an der Seite der CSU finde, aber an diesen Punkt muss ich denen zustimmen. Ich bin seit langem ein Fan von verschiedenen Formen des Theaters, bin durchschnittlich zweimal pro Monat an einer Vorstellung. Ich habe in meiner Heimatstatt fast jedes Stück an dem Experimentellen Theaterfestival (Eurokaz in Zagreb) in den letzten 3 Jahren dessen Existenz besucht (2011-2013). Es gibt sehr viele Formen und Wege, wie man Zeitgenössisch Theater machen und verändern kann, aber mit vereinfachten Politisierung am Niveau von one-liner-Ideen , Performance-artigen spielen und Trash-Bühnenbild kommt man nicht weiter aus der 90er. In den meisten Vorstellungen kann ich an mit den Fingern zählen wieviel mal die Schauspieler miteinander und nicht an das Publikum geredet haben. Das einzige Stück, das mir in guter Erinnerung geblieben ist war Nichts von Euch am Erden, alle andere würde ich lieber vergessen.
Ein Vorteil dieser Intendanz sind die viele Veranstaltungen außerhalb des normales Theaterbetrieb (Welcome Cafe, Opernbude, die Partys), aber das genügt nicht das gesamte Bild zu retten.
Protest Kammerspiele: clever die Reißleine gezogen
1.Sorry, aber Herr Lilienthal hat doch selbst clever die Reißleine gezogen und kann die CSU zum Buhmann abstempeln!! Alles ohne Kampf und hätte die SPD in München tatsächlich noch an ihm festhalten wollen, dann hätten sie das selbstverständlich locker durchziehen können. Die CSU ist hier in München wirklich ein ganz kleiner Koalitionspartner. Also sind alle fein aus dem Schneider!!
2.Fast alle Unterzeichner sind Mitarbeiter oder Weggefährten der Kammerspiele und von Herrn Lilienthal!!
3.Das neoliberale Modell hat durch L.seinen Weg an die Kammerspiele gefunden.(...)
Protest Kammerspiele: Platz für frische Vision
Ich habe von allen, die diesen Brief unterschrieben haben, mindestens eine Produktion gesehen.(...). Dass es die Kammerspiele unter Lilienthal angeblich mit den „künstlerischen, politischen und strukturellen Herausforderungen unserer Zeit aufnehmen kann“ halte ich für eine sehr wohlwollende Einschätzung der Künstler ihrer eigenen Arbeit gegenüber. Es war hauptsächlich langweilig, erkenntnisarm, arrogant, unterfordernd. Ich finde es gar nicht schlimm, wenn man künstlerisch scheitert, aber einem Brief wie diesem muss man in irgendeiner Form antworten. Die Produktionen waren leider nicht sehr gut, auch wenn man offen für neue Theaterformen ist. Daher: Platz schaffen für eine neue, frische, hoffentlich spannendere künstlerische Vision.
Protest Kammerspiele: Strauss stimmt
"Die mögliche Gefahr eines solchen Ästhetikbegriffs liegt auf der Hand: Sie besteht darin, dass das Theater in eine zu starke Abhängigkeit von tages- und moralpolitischen Entscheidungen gerät und über kurz oder lang zumindest dem Gestus nach nicht mehr von einer NGO oder Bürgerinitiative zu unterscheiden ist." Die politische Inanspruchnahme der Ästhetik durch die stadttheaterkritischen, reformatorisch auftretenden Münchner Künstler*innen erscheint dem FAZ-Kritiker ebenso als "Bedrohung" der Kunst wie der – theaterpolitisch gegenläufige – Versuch, die deutsche Stadttheaterlandschaft per UNESCO-Weltkulturerbe-Eintrag zu musealisieren."

simon strauß nimmt mir die worte aus dem mund - auch wenn ich den artikel aus dem sie oben zitiert werden nicht finden kann ...

(Update 22:18h: Strauss' Artikel steht jetzt online, ist in der Presseschau oben verlinkt bzw. hier zu finden: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/diskussion-um-neukonzeption-deutsches-theater-15528191.html?GEPC=s3. | Der FAZ-Artikel findet sich in der Print-Ausgabe und ist online (noch) nicht veröffentlicht. d. Red.)
Protest Kammerspiele: diverse Ästhetiken
Der große Irrtum von Argumentationen à la Strauß besteht in meinen Augen, darin, dass gern so vehement behauptet wird, die zuletzt an den Münchner Kammerspielen gezeigten Arbeiten würden sich ästhetisch unter einem Programm subsumieren lassen. Und das ist schlichtweg Mumpitz - oder eben einfach faul. Die verschiedenen ästhetischen Strategien, die da gezeigt wurden, reichen von eher klassischem/zeitgenössischem Schauspieltheater (das an anderen Häusern gar nicht groß besonders betrachtet werden, sondern als "normal" angesehen würde) über One Idea Performances, über Dokumentartheater über Bastardformen verschiedener Genres, bis zu zusätzlichen Formaten wie Lesungen, Talks, Konzerte etc. Dass man da den Überblick verlieren und auch eine gewisse Beliebigkeit vorwerfen kann, das geht schon in Ordnung. Aber man soll nicht so tun, als könnte man diese ganzen Arbeiten ästhetisch in eine Schublade stecken und sie dann gesammelt abqualifizieren. Das ist dann leider einfach keine gute Arbeit von Kritiker_innen. Da muss man von ihnen wirklich mehr erwarten. Und das Publikum darf sich nicht so leicht davon mitreißen lassen, wenn dieser Mangel an Beschreibungsfähigkeit durch umso lautere unhinterlegte Urteile kompensiert wird. Wenn hier alle nur ihre Klischees reproduzieren, dann sind wir eben doch nicht weiter als vor 20 Jahren.
Protest Kammerspiele: als Brief verkleidet
Was den Brief betrifft, habe ich ihn leider nicht ernstnehmen können. Für mich gehört zu einem Brief eine persönliche Anrede (auch dann, wenn er in eine Institution gerichtet ist) und dass er primär in der Sprache verfasst ist, die die Amtsprache des Landes ist, durch das die Institution verwaltet wird. Ist das nicht der Fall, handelt es sich nicht primär um einen Brief. Sondern um einen Artikel, der sich nur als Brief verkleidet, um irgendwie eine Aufmerksamkeits-Reichweite zu generieren, ohne gründlicher und genauer über das Thema oder die Situation nachdenken zu wollen, das/die er behandelt
Und ohne sich ernsthaft mit der Institution auseinandersetzen zu wollen.
Kommunikationssignal: "Wir haben es mal versucht, aber wenns nichts bewirkt, na dann halt nicht" - Fazit: Ja, dann kann man das auch gleich lassen. Bzw. ignorieren.

München hat ein "Haus der Kunst", das bekennend nach neuen Präsentationsmodi sucht und dafür u.a. auch eine Bühne etablieren will.
München hat eine medial unterbelichtete aber aktive Freie Szene, die auch ihr Publikum hat. Aber kein zentralisiertes Quartier. Sprich: München hat kein HAU...
Wir lasen hier jüngst davon, dass offenbar eines ersehnt wird - warum nicht das unterstützen?
Was ist daran eine sowohl ästhetische als auch kulturpolitische Weiterentwicklung, wenn man ein Spitzen-Theater wie die Münchner Kammerspiele, an die traditionell auch eine sehr angesehene Schauspiel-Ausbildung angeschlossen ist, gezielt de-qualifiziert? Und damit die Stadt gleichzeitig aus der Veranwortung für ihre Freie Szene und deren spezifische Potenziale entlässt?
Protest Kammerspiele: wohlfeil
1. Mich nervt diese Selbstüberhebung in dieser Diskussion, so als sei von Lilienthal und mit den Produktionen der unterzeichnenden Künstler/innen das Theater neu erfunden worden. Es ist ja gerade nicht so, als seien die Kammerspiele zu etwas ganz aufregend Neuem geworden, sondern vielen Beobachter/innen kam es eben eher so vor, dass da ein bisschen Berlin-Hype aufgegossen wird.

2. Die Sorge um das Stadttheater wirkt ja geradezu lustig. Ihr, Ihr coolen Avantgarde-Leute sorgt Euch ums Stadttheater in Deutschland? Revolutionäre schaffen Neues, die finden ihre Plätze, die brauchen dafür kein altes Haus, das nach ihrer eigenen Einschätzung ja kurz vor der Bankrotterklärung stehen müsste. Wenn es in München so ein interessiertes Publikum für diese Sachen gibt, werden sich auch Foren dafür finden lassen.

3. Der Angriff auf die Münchner CSU (für die ich keine Sympathie hege) ist wohlfeil. Die vergibt nämlich keine Gelder an Theatermacher, die findet auch keiner aus der Theaterwelt gut; da hat man sich einen feinen Sündenbock herausgepickt, den anzugreifen keinen Mut erfordert. Möchte mal Proteste sehen, wo diese Künstler/innen den Mund aufmachen gegen Leute, bei denen es ihnen selbst weh tun würde. Sonst sind Unterschriftenlisten immer total risikolos und dienen vor allem der eigenen Vergewisserung. Wohlfeil, eben.
Protest Kammerspiele: Baumbauer und Simons
In der ganzen Diskussion vermisse ich weiterhin, dass man öfters darauf hinweist, dass Lilienthal ja nicht der Nachfolger von Dieter Dorn war, sondern von Frank Baumbauer (seit 2003 Intendant der Kammerspiele) und Johan Simons. Wie wenig muss man über das Theater der letzten Jahre Bescheid wissen, wenn man ausgerechnet die beiden ausserordentlich das Wagnis suchenden, Innovationen fördernden Theaterförderer dem "Alten", "Konservativen" zuordnet.
Ähnliches gilt für das Münchner Publikum: Baumbauer und Simons wurden gerne kontrovers diskutiert, aber man ging als Münchner Bürger oft und angeregt hin...... Das Münchner Theaterpublikum ist, und diese Meinung lasse ich mir nicht nehmen, oft toleranter und offener als Teile des Berliner Publikums
Protest Kammerspiele: Berliner Zustimmung
lieber nachmerk,
es gibt auch viele berliner, die dies genauso sehen, wie sie ...
Protest Kammerspiele: West-Import
noch ein nachtrag zu meiner sicht:

das, was sich heute "freie szene" nennt, hieß in der ddr "volks- und laienkunst" und wurde durch entsprechende professionelle unterstützung und auftrittsmöglichkeiten unterstützt. mit der "wende" ist dies alles verschwunden ...

jedoch kam kein mensch auf die idee, zwischen der lust am selbst-ausprobieren-spielen und der hochkultur an theatern eine art "diversität" herstellen zu wollen

es wurde eine wunderbare kulturpolitisch struktur zerschlagen und jetzt als neu und erstrebenswert vom "westen" neu importiert ...

ich bin sehr froh, dass kunstinteressierte (auch ohne ddr-erfahrung) diesen gravierenden unterschied bemerken und benennen ... und "sozialpolitische maßnahmen" nicht mit kunst verwechseln - natürlich hat beides seine berechtigung und simon strauß hat dies klar auseinander analysiert

"Ein Preisschild für Sozialarbeit"

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/diskussion-um-neukonzeption-deutsches-theater-15528191.html
Protest Kammerspiele: beleidigt vom Feld
Politik sollte sich nicht so in die Kunst einmischen.

Aber war es nicht Lilienthals eigene Entscheidung? Es war doch nichts entschieden, bloß eine dumme Provokation der CSU. Etwas Wahlkampf und Stimmungsmache, oder habe ich da etwas falsch verstanden?
Müssten die Beschwerden und Aufforderungen der Künstler dann nicht an Lilienthal gehen, dass er sie alleine und kampflos im Stich lässt?
Hätte man sich die CSU und ihre Ansage nicht vielleicht eher wie Tom Stromberg im Schauspielhaus Hamburg vor vielen Jahren, als Kampfansage auf die Fahne der künftigen Arbeiten schreiben können.

Bei mangelnder Annerkennung beleidigt vom Feld zu ziehen und sich dann darüber zu beschweren, dass der andere gesagt hat man solle dies tun, ist mir ehrlich gesagt etwas unsympathisch und nicht ganz nachvollziehbar.
Protest Kammerspiele: Typen
Lilienthal ist der Avantgarde-Opa und Strauß der ambitionierte Ästhetik-Oberlehrer; zwei Typen ohne die das Theater deutlich besser auskommt. Bei all diesen Abgrenzungen, verliert sich der Blick auf die Arbeit. Dann blühen die Empor- und Emergenzlinge, die sich zu Wort melden dürfen und das ganze System gerät in Gefahr aus eitlem Selbstnutz. Die Theater werden ihrer Kraft beraubt zurückgelassen und irgendwelche Renegaten übernehmen, was weiß ich, Hunstein zB. Das nächste Mal trifft es Zürich und E. Montag darf weiter empört über Kunst twittern und weiter klauen. Applaus.
Protest Kammerspiele: Mauer
die freie szene als "volks- und laienkunst", eine "wunderbare" struktur aus der ddr, da brauchte noch keiner diversität: in nuce den stand der debatte wiederspiegelnd, wie sie hier so tobt. bitte die mauer ganz schnell wieder hochziehen. wo ist trumpf, wenn man ihn braucht?
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