Gutmenschen in der Wüste

von Karolin Berg

Nürnberg, 7. April 2018. Das gelobte Land. Vier Campingstühle in der Wüste Namibias. Da haben sie sich hingepflanzt – Alice und Ben, ein Ehepaar, das es für seinen vorgerückten Lebensabschnitt in die Ferne, nach Afrika zog, wo es in ihren Augen deutscher als in Deutschland ist. Was an diesem Abend mit viel Pathos vor einem Bilderreigen afrikanischer Tier- und Landschaftsaufnahmen und affektiv aufgeladener Filmmusik hinter einem durchsichtigen Plastikfolienvorhang beginnt, erfährt einen jähen Bruch und springt abrupt in die ernüchternde, sich anödende Realität des deutschen Auswanderpaares.

Komplettiert wird das Schlagabtauschgespann in Rebekka Kricheldorfs bitterbösem Stück "Robert Redfords Hände selig" bald von dem jungen Pärchenpendant Julia und Gero, die sich auf ihrem Touritrip eigentlich auf Aidshilfemission begeben wollten. Der fremde Ort bietet einem ja die Chance mal wieder zu sich selbst zu finden.

RobertRedford 3 560 MarionBuehrle uOh wie schön ist Afrika: Adeline Schebesch (Alice), Thomas Nunner (Ben)  © Marion Bührle

Der Plastikvorhang entpuppt sich in der Inszenierung von Bettina Bruinier in den Kammerspielen des Nürnberger Staatstheaters als die Filterblase postkolonialistischer Europäer: ein hermetisch abgeschlossener Denkkosmos, in dem die Figuren um sich selbst kreisen. Die Inszenierung zitiert ineinander verklumpte kolonialistische und postkoloniale Haltungen, persifliert nicht, rückt sie jedoch ins Stilisierte.

Passend dazu: Ausstellungsstücke, wie in einem unbelebten Kolonial-Naturkunde-Museum: ein schlaff herunterhängender Löwenpelz, säuberlich drapierte afrikanische Trachten, eine thronende Djembe sowie das ausgestreckte Hinterteil eines Gauls, der sich womöglich gar aus einem Kaiser Wilhelm Denkmal hierher verirrt hat. Dazu übersäen dunkle, prallgefüllte Müllsäcke die Bühne, die zwischendurch vollkommen selbstverständlich und dementsprechend kommentarlos beiseitegeschoben oder herumgeworfen werden.

Saublöde Zebras

Das alles wirkt wie ein Schauraum im Schauraum: Während das Publikum den dialogischen Gefechten in "Wer hat Angst vor Virginia Woolf"-Manier folgt, an- und beschauen die Figuren hier nämlich ebenfalls so einiges: Saublöde Zebras, saublöde Löwen und allerlei anderes saublödes Getier, was hier so rum schleicht und kreucht. Ach, wo wir schon mal bei Aids-Toten sind, möchte Ben hinzufügen, dass da hinten übrigens auch noch ein totes Pferd liegt, falls Julia das fotografieren möchte. "Mensch, wie schön!", raunzt Alice.

Auf äußerst unterhaltsame, aber nie ins überdreht albern abrutschende, und kurzweilige Weise wird wahnsinnig viel gebabbelt in der Bubble. Über die Waschkraft von Robert Redfords Händen bis zum Fischmuseum, Fischmuseum, Fischmuseum. Die Regisseurin etabliert dabei eine sich durch die Dialogkaskaden windende chiastische Konstellation zwischen den vier Figuren. Der ältere Herr hegt Sympathien, eher intellektueller Art, für die junge Frau, die wiederum ihn nicht uninteressant findet.

RobertRedford 1 560 MarionBuehrle uProstende postkoloniale Kolonisierer © Marion Bührle

Über Kreuz zeigt die ältere Frau amouröse Neigungen zum jungen Mann, der allerdings als übersteigerter Feminist ein grundsätzliches Problem des sexuellen Verkehrs hat, als Ausdruck von Macht des Mannes über die Frau. Bettina Langeheins Julia erscheint da noch als Normalste in diesem Aussiedler-Verbund.

Beleuchtete Wischmöppe

Stefan Willi Wang ergeht sich als Gero erstmal in küchenpsychologischer Typenanalyse und stakst sodann in Blümchen-Shorts, rosa Hoody und Haarreif emotional getroffen von Dannen. Natürlich bleibt auch diese, wie andere zur Schau gestellte Befindlichkeit, nicht unkommentiert: "Guck' mal, da hinten geht ein wütender Feminist!" Schon hat das Quartett frischen Antrieb. Was soll man auch machen, wenn die Zeit als Gutmensch in der Wüste totgeschlagen werden muss. Da helfen nur Alkohol und das gute alte Geschichtenerzählen. Von beidem gibt es reichlich.

Kricheldorfs Text sprüht dabei vor spitzen Sätzen, wie "Homosexualität ist Feigheit vor dem Feind" oder "Ist doch schön, wenn man in seiner Jugend mal kurz radikal ist",  die die vier Schauspieler im Zusammenspiel rausrotzend sich gegenseitig um die Ohren knallen. "Ich bin Rentner, du bist gar nichts." – Adeline Schebesch und Thomas Nunner ergänzen sich dazu als überdrehte gute Laune Alice und trocken, zynischem Ben perfekt als desillusioniertes, abgestumpftes Paar, in ihrer "Endstation-Total-Symbiose". Vielleicht wäre der so herrlich kauzige Ben doch mal lieber nach Sylt gezogen, doch da hätte er bestimmt nicht über nicht beleuchtete "Wischmöppe" sinniert.

 

Robert Redfords Hände selig
von Rebekka Kricheldorf
Inszenierung: Bettina Bruinier, Bühne und Kostüme: Mareile Krettek, Dramaturgie: Katja Prussas, Musik: Bettina Ostermeier.
Mit: Adeline Schebesch (Alice), Thomas Nunner (Ben), Bettina Langehein (Julia), Stefan Willi Wang (Gero)
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten. Keine Pause

www.staatstheater-nuernberg.de

 

In unserer Video-Interview-Reihe Neue Dramatik in zwölf Positionen spricht Rebekka Kricheldorf über ihre Poetik und über Komik als Widerstand

 

Kritikenrundschau

Es dauere etwas, bis sich das Ensemble eingegroovt habe, doch bald schnurre der Motor wie geschmiert, schreibt Birgit Nüchterlein in den Nürnberger Nachrichten (9.4.2018). Die gut aufgelegten Schauspieler verwandelten Kricheldorfs ohnehin mit bitterbösem Humor ausgestatteten, griffigen Dialoge in zündende Wortgefechte. Jedoch: Wirklich Neues erzähle diese Geschichte nicht. Das Stück bleibe an der Oberfläche hängen.

Für blendende Unterhaltung sei gesorgt, schreibt Wolf Ebersberger in der Nürnberger Zeitung (9.4.2018). Der "Schaukampf der vier Paradedeutschen im verlorenen Paradies" entwickle zum Ende hin auch seine wilden, dunklen, magischen Stellen, "die das Konversationsstück aufsprengen und existenzielle Punkte von Angst, Einsamkeit und Fremdheit berühren". In diesen Momenten bediene Bettina Bruiniers Regie den Text nicht nur, sondern schaffe Bilder.

"Stück und Inszenierung haben am Ende der Intendanz von Klaus Kusenberg noch mal das Zeug zum Publikumsrenner", schreibt Florian Welle in der Süddeutschen Zeitung (23.4.2018). "Das liegt nicht zuletzt an den Schauspielern, die (…) sich Bosheiten im Maschinengewehrtempo an den Kopf knallen. Jeder gegen jeden, in wechselnden Konstellationen."

 

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