Freikarten für Hakenkreuze

14. April 2018. Das Theater Konstanz ist in Kritik geraten, seit Pläne bekannt wurden, Besucher der Inszenierung Mein Kampf von George Tabori müssten sich beim Kauf einer Karte entscheiden, im Theater entweder einen sogenannten "Judenstern" oder eine Hakenkreuzbinde zu tragen. Wer sich für die Binde mit dem Hakenkreuz entscheide, bekomme die Theaterkarte geschenkt. Die Premiere der Inszenierung des Regisseurs und Kabarettisten Serdar Somuncu findet ausgerechnet am 20. April 2018, Hitlers Geburtstag, statt.

Nach empörten Reaktionen (u.a. von Vertretern der Jüdischen Gemeinde, dem Verein der Theaterfreunde und Bürgermeister Andreas Osner, wie der Konstanzer Südkurier berichtete) hat das Theater die Spielregeln für die Teilnahme an der Inszenierung nun etwas abgemildert: Wer eine Eintrittskarte kaufe, könne als Teil der Inszenierung den Stern tragen, als Zeichen der Solidarität mit den Opfern, müsse es aber nicht, teilte das Theater am Freitag mit. Wer das Premierendatum als Provokation empfinde, könne seine Karten zurückgeben.

Der Regisseur des Abends, Serdar Somuncu, verteidigte in der Stuttgarter Zeitung die Idee, das Stück schon an der Theaterkasse mit der Wahl zwischen Hakenkreuz und Judenstern beginnen zu lassen, und das Publikum damit zum Teil des Spiels zu machen. Die Kunst müsse auf die radikale Hetze rechter Parteien gegen Minderheiten eine radikale Antwort geben.

Bereits 50 kostenlose Tickets für die 14 geplanten Aufführungen sind Informationen der Stuttgarter Zeitung zufolge schon 'über den Tresen' gegangen. Da das öffentliche Tragen von Nazisymbolen verboten ist,  sollen die ausgebenen Hakenkreuzarmbinden nach der Vorstellung wieder eingesammelt werden. Warum das Theater kein öffentlicher Ort sein soll, geht aus dem Bericht nicht hervor.

Ebenfalls dem Bericht der Stuttgarter Zeitung zufolge stammt die Idee für das Vorspiel zur Inszenierung aus dem Umfeld der ZDF-Satire-Sendung "Heute Show", zu deren Ensemble Somuncu gehört. Der Konstanzer Intendant Christoph Nix habe Serdar Somuncu daraufhin als Regisseur für das Tabori-Stück gewonnen. nachtkritik.de wird über die Premiere berichten.

Update, 17. April 2018. Wie u.a. 3sat meldet, sind wegen der Verwendung von Hakenkreuzen Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft eingegangen. Diese würden nun geprüft, sagte ein Sprecher der Behörde. Das Tragen von Hakenkreuzen in der Öffentlichkeit sei grundsätzlich eine Straftat. Im Fall des Theaterstückes müsse man aber prüfen, ob eventuell das Thema Kunstfreiheit eine Rolle spiele.

Update, 18. April 2018. Wie der WDR berichtet, sieht die Konstanzer Staatsanwaltschaft die Aktion als von der Kunstfreiheit gedeckt an.

(sle / Südkurier Konstanz / Stuttgarter Zeitung / 3sat / WDR)


Presseschau

Für die Süddeutsche Zeitung (online 18.4.2018) sprach Christine Dössel mit dem Konstanzer Theaterleiter Christoph Nix und brachte unter anderem in Erfahrung, warum der die Premiere von "Mein Kampf" an Hitlers Geburtstag angesetzt hat: "Sein Freund George Tabori habe ihm dereinst in Berlin gesagt: 'Wenn du 'Mein Kampf' irgendwann inszenierst, mach es an Hitlers Geburtstag: Sie werden kotzen.'"

Von der Pressekonferenz, auf der der Kritik begegnet werden sollte, berichtet Julia Nehmiz für die Luzerner Zeitung (18.4.2018): "Intendant Christoph Nix entschuldigte sich: 'Wenn wir Verletzungen bewirkt haben, das ist nicht meine Absicht gewesen, dann tut es mir leid.' Und ja, man habe Fehler gemacht in der Kommunikation." Die Kritiker seien von der Veranstaltung nicht besänftigt worden. "Wir haben das Gespräch gesucht, nun werden wir hier abgetan", habe Lasse Stodollick von der deutsch-israelischen Gesellschaft Bodensee geäußert.

 

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Kommentare  
Ärger in Konstanz: binäre Brechstange
serdar somuncu.
der mann mit der binären brechstange. jude oder nazi - du musst dich entscheiden. entweder oder. der kulturkampf tobt. in konstanz.
next time: ein stück, daß auf dem bodensee spielt - du musst dich entscheiden: flüchtling oder schlepper. wenn du eine schwimmweste nimmst, kriegst du die karte umsonst, musst aber schwimmen. danach teatime im auffanglager im steigenberger am see und heisse fussbäder mit Christoph Nix.
Ärger in Konstanz: Peinlich
"Der Regisseur des Abends, Serdar Somuncu, verteidigte in der Stuttgarter Zeitung die Idee, das Stück schon an der Theaterkasse mit der Wahl zwischen Hakenkreuz und Davidstern beginnen zu lassen, und das Publikum damit zum Teil des Spiels zu machen. Die Kunst müsse auf die radikale Hetze rechter Parteien gegen Minderheiten eine radikale Antwort geben."

Was soll denn das bitte für eine Antwort sein?
Ärger in Konstanz: Vertragsende
Christoph Nix scheint aufgrund seines Vertragendes nun komplett durchzudrehen?!
Ärger in Konstanz: Rechte gegen rechts!
Als Hinweis sei dem Update bzgl. der Strafanzeigen hinzugefügt, dass wenn man auf Facebook und Co ein wenig recherchiert, einige dieser Anzeigen von AfD-nahen Rechtsanwälten/Kanzleien stammen.
Ist das jetzt tatsächlich ein Erfolg der Billig-Provokation? Oder einfach der Irrsinn unserer Tage?
Ärger in Konstanz: Kopfschüttlen
Eine durch und durch bonsai-intellektuelle Idee aller Verantwortlichen in Konstanz. Die Reaktionen von Nix und Somuncu, diese billige und plumpe Aktion schönzureden, machen es nur noch schlimmer.
Ärger in Konstanz: Keine Strafbarkeit
Die juristische Lage ist recht eindeutig:

Nach § 86a Abs. 3 Strafgesetzbuch in Verbindung mit § 86 Abs. 3 StGB ist das Verwenden von NS-Symbolen straffrei, wenn es "der Kunst ... dient". Das ist hier der Fall, es liegt also bei der Aufführung keine Strafbarkeit von Zuschauerinnen oder Zuschauern vor.

Im übrigen liegt aus meiner Sicht nur eine aufmerksamkeitsheischende Provokation vor. Aber sie funktioniert, leider.
Ärger in Konstanz: wenn Argumente nicht zählen
Erster Gedanke: absolut geschmacklose Idee. Zweiter Gedanke: offenbar haben sich 50 Menschen bereit erklärt, während der Premiere Nazi-Binden zu tragen. Wer sind die? Ist das vielleicht genau das Publikum, das wir sonst nicht erreichen? Wie wird die Inszenierung damit umgehen? Daran muss der Abend sich messen lassen, vielleicht "dient es ja der Kunst" (s.#6) (viele Fragezeichen) - oder dem Diskurs?
Eher nicht, denn Argumente, Fakten oder tatsächlich Erfahrungen werden von Rechtsdenkenden nicht aufgenommen.
Wir haben vor kurzem im Nachgespräch an das Stück "Krieg - Stell dir vor er wäre hier" erleben müssen, wie die Schilderung der Erfahrungen zweier Geflüchteter aus Syrien, mit Fotos und persönlichen Erlebnissen "beglaubigt", von einem rhetorisch geschulten AfD-Anhänger als Lügen bezeichnet wurden. Nach dem Motto "was wollt ihr hier, in Damaskus lebt sich's doch ungefährlich." Die Kaltschnäuzigkeit, das Ignorieren von Tatsachen und die fehlende Empathie waren erschreckend. Eine Annäherung, ein "ich denke mal drüber nach" oder "informiere mich weiter" blieben aus. Es blieb eine Front zwischen diesem Menschen und dem Rest des Publikums. Was sollen wir machen, wenn Argumente nicht mehr zählen? Vielleicht ist der radikale Ansatz in Konstanz doch nicht so falsch?
Ärger in Konstanz: was für eine Erzählung
Wenn ich als Zuschauer*in wenig Geld zur Verfügung habe, trotzdem ins Theater gehen möchte, und dann das kostenfreie Angebot nutze, lasse ich mich vom Theater durch die Armbinde als Nazi kennzeichnen.
Was ist das für eine Erzählung?
Ärger in Konstanz: geschmacklose Aktion
Überhaupt auf die Idee zu kommen, mit einem Judenstern seine Solidarität zeigen zu "müssen" ist so dermaßen geschmacklos, dass man sich fragt, wer den solche Ideen prüft am Theater Konstanz. Ich wiederhole für die Ahnungslosen: Der Judenstern als Aufnäher, eine Idee des Nazi-Regimes, diente dazu die Rassenzugehörigkeit zu markieren und erkennbar zu machen. Was hat das mit Solidarität zu tun, das Label zu tragen, mit dem Menschen als rechtlos gebrandmarkt wurden? Hakenkreuzbinden um die Korrumpierbarkeit zu zeigen, wegen Freikarten? Ernsthaft? Und die Reaktion der Leitung? Die Süddeutsche zitiert Christoph Nix: "Ich bin doch kein Nazi!", "Sein Freund George Tabori: Wenn du Mein Kampf irgendwann inszenierst, mach es an Hitlers Geburtstag: Sie werden kotzen." Das ist die Reaktion eines Intendanten, der bereits 12 Jahre ein Haus leitet? So hilflos? Berät einer der zwei Referenten, die Assistentin oder der Schauspieldirektor diesen Mann vor einer öffentlichen Reaktion? Oder geht's hier jetzt nur um das verletzte Ego von Herrn Nix? Hallo Dramaturgie, hallo Presseabteilung? Was sagt das Ensemble zu diesem Vorgang? Stehen alle hinter "ihrem" Intendanten? Traut sich jemand etwas gegen diese geschmacklose Aktion zu sagen? Eigenartig für ein Haus das anscheinend seit 12 Jahren so erfolgreich arbeitet und nach außen kommuniziert, dass jeder Mitarbeiter daran interessiert zu sein scheint mit diesem Intendanten weiter machen zu wollen. Was sagt der Schauspieldirektor? Wieso benötigt es, laut offizieller Intendanzausschreibung, an einem Haus mit 99 Mitarbeitern, neben dem Intendanten überhaupt einen Schauspieldirektor? Das ist doch kein Mehrspartenhaus. Aber hey, die Provokation scheint zu funktionieren, alle Medien berichten. Darum gings doch hauptsächlich. Es ist nur leider der traurige Höhepunkt einer Intendanz, die schon viel zu lange währt. Nach 12 Jahren darf doch mal was Neues kommen. Vor allem weniger Hierarchie, mehr Offenheit und weniger Geschmackloses.

http://www.sueddeutsche.de/kultur/theaterinszenierung-in-konstanz-von-wegen-nazi-1.3949517
Ärger in Konstanz: wichtige Aktion
Die Reaktionen in den Kommentarspalten hier und anderswo belegen, wie richtig und wichtig die Aktion ist. Die Inszenierung findet genau hier statt.
Ärger in Konstanz: Spießbürgertum
Ich finde die Aktion höchst interessant. Hakenkreuz und Judenstern in die öffentliche Aufmerksamkeit zu bringen, "auf diese Art"? Das gehört eindeutig in den heutigen "Das tut man doch nicht!" Kanon der wohlmeinenden Moral. Ein Affekt. Differenzierung? Fehlanzeige! Insofern legt die Aktion nicht nur (so wie ich die Intention des Regisseurs verstanden habe) die Korrumpierbarkeit im Zusammenhang mit dem Tragen eines Labels offen, sondern auch und vor Allem eine der Grenzen des heutigen Spiessbürgertums.
Ärger in Konstanz: so viel Plattheit
#11 - Nein, sehe ich nicht so. Es gehört in den Kanon von: sovielPlattheitinderGesellschaftskritikbezahlichnichtmitmeinenSteuern.
Spießer sind ja immer die andern, nich... (Spießer, nicht Spiesser, wenns schon selbstgewiss gegen die eindeutigen Spießer gehen soll, dann bitte richtig geschrieben)
Ärger in Konstanz: ähnlicher Fall
@ wolfkran: Finde ich interessant. Denn was sagt ein Label über dessen Träger aus? Diese Diskussion fand vor langer langer Zeit auch mal an der Parkaue statt, da ging es im Rahmen einer Aufführung zum Thema Ost-Fussballverein bzw. dessen radikale Fans u.a. auch um eine umstrittene Naziklamottenmarke, Ich weiss leider nicht mehr, wie die hieß, "Hoolywood" glaube ich. Die Inszenierung hieß "Dynamoland":

http://www.taz.de/!5193048/
Ärger in Konstanz: Aktionskunst wie beim ZPS
#10: Na fein, dann kann sie ja als Inszenierung in Konstanz ausfallen, wenn sie hier schon stattfindet statt auf der Bühne. Dann ist das Aktionskunst ala ZPS und nicht Theater. Und der Tabori hat das seinem Freund Nix ans Herz gelegt, es so zu machen. Vor wieviel Jahren? Und: Nix hatte doch 12 Jahre lang Gelegenheit dazu, es zu machen, wie sein Freund vorschlug - warum hat er es nicht eher gemacht? Vielleicht hätte er doch die AfD verhindern können!, wenigstens um ein Prozent!
Ärger in Konstanz: abwarten
Warum nicht erst einmal abwarten, welche Qualität die Diskussion in und nach der Aufführung bekommt? Warum in dieser Form den Intendanten an den Pranger stellen? Ist doch ein Einfall des Regisseurs? Und die AFD wird keiner über Empörung, Wut oder Geschrei wieder klein bekommen, muß man schon mit etwas mehr Grips angehen.
Ärger in Konstanz: eher
#15. Ja. Mit mehr Grips heißt vor allem: Eher. Viel eher.
Konstanz: abwarten?
@ “wolfkran" - (15) - Klaro können wir die Aufführung abwarten. Das hätte das Theater ja auch machen können, aber sie wollten lieber überregional groß rauskommen und das mit einer undurchdachten und perfiden Idee.
- (11) - Ui, das Theater macht gegen die Spießbürger mobil. Ein völlig neuer Ansatz. Gut, dass Nix und Somuncu uns 2018 endlich wachrütteln und Sie ("wolfkran") das erkannt haben.
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