Träumt weiter

von Willibald Spatz

Augsburg, 22. April 2018. Uschi Obermaier war nie Schauspielerin und hat selbst auch nie behauptet, eine zu sein. Trotzdem wollte Rudolf Thome sie unbedingt für seinen Film "Rote Sonne" – wegen ihrer natürlichen Ausstrahlung und weil sie die Uschi Obermaier war, die damals, Ende der 60er, für alles Mögliche stehen sollte: Aushängeschild einer neuer Zeit, Symbol der Kommune 1 und so weiter.

Wenn man nun knapp 50 Jahre später den Film sieht, kann man sich gut vorstellen, dass Thome während des Drehs das ein oder andere Mal seine Hartnäckigkeit verflucht hat und sich gewünscht hat, sein Budget für echte Schauspieler ausgegeben zu haben. Dennoch ist der Film immer noch irgendwie faszinierend mit seiner stoischen Ernsthaftigkeit und in seiner Aneinanderreihung von Szenen, die wunderbar halbfertig wirken – Kompromisse zwischen dem, was im Kopf der Regisseurs spukte und dem, was er aus den vorhandenen Mitteln herausholen konnte.

Die Regisseurin Katharina Kummer hat sich nun fürs Theater Augsburg an einer theatralen Überschreibung des Films versucht – sie selbst nennt ihre Arbeit ein "Palimpsest". Damit bezeichnet man ein Pergament, von dem man die Schrift abgekratzt hat, um es neu zu beschreiben. Das vorsichtige Herantasten an das Original ist in der Inszenierung thematisiert. Wir hören anfangs und am Schluss Ausschnitte aus Mails, die Katharina Kummer zu Recherchezwecken verschiedenen Menschen geschrieben hat: an eine Schauspielerin, die sie angefragt hat, ob sie eine der Uschis spielen will, weil sie auf Facebook Uschi Obermaier heißt; an einen Mann auf Bali, der eventuell etwas über den Verbleib einer verschwundenen Original-Schauspielerin weiß.

Peggy zwischen Laberbacken und Lackaffen

Kummer hat einen einfachen, aber wirkungsvollen Weg gefunden, den Plot des Films nachzuerzählen: In der Mitte zwischen den Zuschauern im kleinen Hoffmannkeller halten sich die Schauspieler rot gekleidet auf. Sie sprechen die Beschreibungen der Filmszenen, wie sie im Drehbuch stehen, und große Teile der Originaldialoge. Andrej Kaminsky ist Thomas. Der trifft in einer Bar seine Ex-Freundin Peggy wieder und landet daraufhin in einer WG von Männer mordenden Frauen. "Keine von uns darf länger als fünf Tage mit demselben Mann zusammen sein. Nach fünf Tagen muss er tot sein. Sonst wird es gefährlich. Man verliebt sich. Oder noch schlimmer", so haben sie es beschlossen, erfährt Thomas von Isolde.

Rote Sonne II 560 Jan Pieter Fuhr uFree Love: Ilonka Batscheider, Andrej Kaminsky, Nicole Faulhaber, Luis Baumgartner
© Jan Pieter Fuhr

Isolde ist selbst schwach, die kann ihre Männer nicht töten. Sie ist deswegen nur in einem Fernseher zu sehen, der am Ende der Bühne steht. Peggy kann Männer umbringen, sie ist echt, im Original Uschi Obermaier, hier Ute Fiedler. Tatsächlich sind sie und Andrej Kaminsky ein grandioses Paar, viel besser als Uschi Obermaier und Marquard Bohm im Original, auf jeden Fall viel witziger und niemals unfreiwillig komisch. Aber auch hier ist Thomas nach fünf Tagen noch nicht tot, die anderen setzen Peggy unter Druck. Es wird kompliziert. Und auch die große Frage, ob das überhaupt noch einen Wert hat zwischen Frauen und Männern, kann keineswegs geklärt werden. Die anderen, alle von Luis Baumgartner dargestellten Typen sind aber auch zu lächerlich, als da wären "der Howard", "der Mann an der Litfaßsäule", "der Mann mit dem Mustang", "die Laberbacke" und "der Lackaffe".

Uschi mal drei

Nicht viel besser sind die Typen aus Uschi Obermaiers echtem Leben: die Rockstars Mick und der seine Drogen mehr als die Frauen liebende Keith, sowie die Kiez- und Szenegröße Dieter Bockhorn, der wahrscheinlich größte Lackaffe von allen. Mit dem war Uschi Obermaier zehn Jahre zusammen, bis er bei einem Unfall ums Leben kam. Diese biografische Ebene bildet bei Katharina Kummer den zweiten breiten Erzählstrang. Natalie Hünig trägt als Dieter dick auf und verhilft ihn damit zu Kenntlichkeit. Was wollte Uschi Obermaier mit so einem? Uschi selbst wird nun von drei Personen verkörpert: Andrej Kaminsky, Nicole Faulhaber und Ilonka Batscheider. Als Referenz zum Film kippt das Spiel immer wieder kokett ins Dilettantische. Die Souffleuse wird ins Spiel hineingezogen, bevor ihr das Textheft weggenommen wird und Andrej Kaminsky daraus vorliest. Natalie Hünig setzt sich an E-Piano und singt äußerst zaghaft und fragil Rio Reisers "Der Traum ist aus". Das ist er vielleicht wirklich.

Rote Sonne I 560 Jan Pieter Fuhr uUte Fiedler, Natalie Hünig © Jan Pieter Fuhr

Die Macher der "Roten Sonne" waren damals Getriebene: Thome wollte das Verhältnis der Geschlechter zueinander neu denken, Uschi Obermaier lieferte ein Beispiel dafür. Im Film fanden sie aber nur ansatzweise eine Möglichkeit, sich auszudrücken. Man kann erahnen, was sie wollten, auf den Punkt gekommen sind sie nicht. Katharina Kummer erzählt die Geschichte konsequent nach, so zwingt sie auch den Theaterzuschauer von heute dran zu bleiben. Obwohl sie mehr reingepackt hat, wird sie schneller fertig als Rudolf Thome. Am besten ist jedoch, dass sie einem keine Lesart aufzwingt. Sie lässt ihren Zuschauern Freiräume, wie auch der Film. Nur hat man bei ihr das Gefühl, dass sie es ganz bewusst macht.

Rote Sonne oder Dieser Planet geht mir auf die Nerven
Nach dem Film von Rudolf Thome
Inszenierung und Bühnenbild: Katharina Kummer, Kostüme: Julia Bosch, Dramaturgie: Sabeth Braun.
Mit: Natalie Hünig, Ute Fiedler, Andrej Kaminsky, Nicole Faulhaber, Ilonka Batscheider, Luis Baumgartner, Miky Oster.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

theater-augsburg.de

 

Kritikenrundschau

Der 70er-Jahre-Film "Rote Sonne“ mit seiner "Frauen-WG-Verabredung, etwaige Lover zu killen", wirkt auf Rüdiger Heinze von der Augsburger Allgemeinen (28.4.2018) heute "vor allem im Finale recht kolportagehaft. Dieses eins zu eins als Adaption auf die Bühne zu übertragen, hätte wohl eher drollige Züge." So habe Regisseurin Katharina Kummer den Stoff erst mal auseinandergenommen, "um ihn dann wieder mit gehöriger Distanz zusammenzubauen – und gegebenenfalls zu erweitern, hier mit der Lebensgeschichte der Uschi Obermaier nach 1970." Daraus entstehe eine Inszenierung, die "echt uneigentlich und recht unernst gegeben wird. Fast alles passiert gleichsam in Anführungszeichen; Schnitte werden deklariert; Szenenangaben deklamiert". Entfernt erinnere das an René Pollesch.

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