Frank Castorf: Kein Zurück an die Volksbühne
Absolut erledigt
23. April 2018. Im Interview mit dem Wochenmagazin Der Spiegel schließt Frank Castorf eine Rückkehr an die Berliner Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz, die er von 1992 bis 2017 leitete, aus. "Absolut erledigt" sei das Kapitel Volksbühne für ihn. "Ich will das Leben genießen, auch wenn es mich als Regisseur immer reizt draufzuschlagen, wenn es zu angenehm wird."
Nachdem Frank Castorfs Nachfolger Chris Dercon nach siebenmonatiger Amtszeit wegen konzeptionellen Misserfolgs beurlaubt wurde, sind die Diskussionen um die Neuvergabe der Volksbühnen-Intendanz in vollem Gange. Einige Stimmen hatten die Rückkehr von Frank Castorf auf den von ihm bis zuletzt erfolgreich bekleideten Posten in Erwägung gezogen.
(Der Spiegel / chr)
Weitere Auszüge aus dem SPIEGEL-Interview von Frank Castorf gibt es in unserer Presseschau.
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Sehr schade! Wahrscheinlich würde sich die halbe Theaterwelt Europas freuen, wenn er es doch tun würde!
Castorf: "Die Oper ist das letzte Refugium der Kunst. Als Sänger in der Oper kann ich mich nicht hinstellen und sagen: "Tut mir leid, ich kann das hohe C nicht treffen, aber dafür bin ich Syrer."
Wie lautet denn die Fragestellung?
Dass Herr Castorf etwas gegen Menschen syrischer Herkunft hat, bezweifle ich stark. Aufhänger werden sicher die vielen Theater-Stücke mit Flüchtlingen sein, die es in den letzten Jahren gab.
Die Bemerkung aus dem Interview verstehe ich vor diesem Hintergrund als Kritik an einer Aufweichung dieser Anforderung. Mit anderen Worten - aber weniger pointiert - könnte man sagen: "Ich erreiche bestimmte Standards des Handwerks nicht, aber ich bringe anderweitige Eigenschaften mit, die sich als en vogue erwiesen haben." Es geht dabei nicht um Syrien oder das hohe C als solches, sondern um das Verhältnis von (aus Castorfs Sicht) Notwendigem und Hinreichendem und der oft stattfindenden Verkehrung dieser beiden.
Oder auch "Hinreichendes" bei einer Ausweitung einmal gesetzter Qualitätsstandards zu verschiedneen Zeiten anders definiert werden könnte?
Und wäre es möglich, dass trotz dieser - eventuell - veränderbaren Definition es andererseits unerveräußerliche Bestandteile in beiden Fällen gibt?
Solche, die die Tatsache, dass es "Notwendiges" und "Hinreichendes" bei der Ausübung von Kunst gibt, nicht aufzulösen vermögen?
Dann wäre doch sehr interessant zu fragen: WAS GENAU ist änderbar zu bewerten und was als unveräußerlich? - Jedenfalls wenn man einen "Hochleistungsbetrieb" Theater bewerten möchte...
Es ist aber für Künstler nicht interessant, sich das zu fragen, nur für Kritiker und Politker.
Künstler selbst wären wohl sehr gelangweilt von solchen Fragen und hätten außerdem gar keine Zeit dafür, über sie nachzudenken... Ich glaube, ich würde mich davor hüten, u.a. Frank Castorf langweilen zu wollen...
Dankeschön!
Es ist tatsächlich ganz einfach. Es hat mit dem Alter zu tun.Der große Regisseur Peter Zadek hat zwar Heiner Müller noch verstanden, aber Einar Schleef nicht mehr.(und letzteren öffentlich madig gemacht). Claus Peymann hat zwar Einar Schleef noch verstanden (und engagiert), aber Rene Pollesch nicht mehr (und gegen ihn polemisiert). Und jetzt kommt Frank Castorf in ein Alter, wo er zwar noch Rene Pollesch verstanden hat, aber danach geht nichts mehr. Also: Ab in die Oper!
In der Tatsache, dass man bei Polleschnachfolger/innen "das hohe C" nicht mehr bräuchte?
Mir sind Künstler/innen lieber, die Kunst können und nicht alles verstehen, als Künstler/innen, die alles verstehen, aber Kunst nicht können. Alter ist mir schnurz.
Kunst ist eben mehr als Verstehen. So einfach.
Das hohe C hat nicht das Allergeringste mit "sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse " zu tun. Es ein Ton, der mit der Frequenz von 1046,5 Hertz schwingt. Entweder man trifft ihn oder man trifft ihn nicht. Das ist die einzige und notwendige Bedingung. Alles andere interessiert nicht. Ob der Sänger Syrer, Siouxindianer oder Soßenkoch ist, hat für diesen Sachverhalt keinerlei Bedeutung, und schon gar keine "hinreichende". Das "Gesellschaftliche" daran ist nur, ob man den Ton hören will oder eher nicht (er war nicht zu allen Musikepochen erwünscht, in manchen Zeiten empfand man ihn als zu grell und mied ihn). WENN man ihn aber will (z.B. weil Mozart ihn vorschreibt) und der Sänger ihn NICHT erzeugen kann, ist die Herkunft "Syrer" vollkommen irrelevant als Entschuldigung und ist schon gar keine moralische Kompensation für das sängerisches Versagen vor der objektiv meßbaren Frequenz von 1046,5 Hertz. Die ist nämlich kein relativistisches "soziales Konstrukt".
Das ist es, was Castorf wohl gemeint hat, denke ich.
Das was sich nicht ändert. Und das einzig Veränderbare daran wäre, ob in einer Zeit eine neue undoder ungewohnte Zielvorgabe zur Erreichung handwerklicher - etwa gesanglicher oder darstellerischer Perfektion - erwünscht ist oder nicht erwünscht ist? Etwa, weil die Vorgabe nicht massenkompatibel als angenehm empfunden werden kann? - Wie langweilig, emotionale Massenkompatibilität von neuen/ungewohnten Zielvorgaben für eine nach-schöpfende Kunstgattung zur "messbaren Frequenz" für Kunst zu erheben! ... Kein Wunder, dass KünstlerInnen beim Kunstmachen sowas null interessiert-
OH irrt nicht. Ich zitiere aus der taz 2002 als Pollesch mit gleich drei Inszenierungen (der Pratertrilogie) zum Theatertreffen eingeladen war und Peymann am BE ein Gegen-Theatertreffen ausrief:
Esther Slevogt schrieb damals in der taz: "Und weil die meisten Inszenierungen, die in diesem Jahr zum Theatertreffen eingeladen wurden, diesen höchst persönlichen Anspruch des Berliner-Ensemble-Intendanten nicht erfüllten, lud er in sein Haus ausgewählte Inszenierungen zum Alternativen Theatertreffen ein. Pollesch, das sei organisiertes Laienspiel, moserte Peymann publikumswirksam und lud große Berliner Schauspieler, wie Inge Keller und Jutta Lampe, die inzwischen auswärts spielen, ans BE. (Zitatende)
"KünstlerInnen", die das NICHT interessiert, bilden sich auch ein,daß man die Koloraturen der Königin der Nacht, statt sie zu singen, genauso gut auf dem Kamm blasen kann. Oder sie - "individuell interpretiert" - ohne Substanzverlust auf einer singenden Säge oder Maultrommel spielen kann.
Solche KünstlerInnen und Freie DramaturgInnen werden jederzeit jeden beliebig falschen Kreischton, der einen Kilometer am hohen c vorbeischrammt, als individuell gleichwertigen und hochinteressanten künstlerischen Ausdruck verteidigen.
Die Kunst des gestalteten Ausdrucks beim hohen c, das WIE des Singens, beginnt übrigens erst dann, wenn man den Ton überhaupt handwerklich treffen kann. Kann man ihn nicht treffen und knödelt sich stattdessen irgendwas durch die Nase, erübrigt sich sofort auch jede Debatte über die "Kunst". Dann handelt es sich nämlich um Dilettantismus.
Und überhaupt, wer will das nicht, dieses völlig avantgardistische Profil, als ehemaliger Revolutionär in einem eingebildeten Meer von Feindseligkeiten in Nizza Essen gehen. Zugeschüttet mit Preisen und Einladungen zum Theatertreffen endlich ganz und gar in die Oper einmünden, denn wo auch sonst ließe sich die damalige Revolution sinnvoller vollenden.
Es stimmt leider, Frank Castorf liegt absolut richtig: Das Schauspieltheater kennt kein hohes C. Wie unangenehm! Man kann den Wert eines Schauspielers nicht in Frequenzen messen. Obschon Castorf dort schon einiges vorgelegt hat, es bleibt dabei, Urteile über die Leistungen von Schauspielern und Innen sind technisch nicht objektiv messbar, trotz eines erlernbaren Handwerkes, es mangelt ihm allzu häufig an harten, sehr harten Kriterien. Und so kann es vorkommen, dass sich ein syrischer Schauspieler auf die Bühne verirrt, obwohl er keinen „unserer“ Töne, welche das auch immer sein mögen, richtig zu treffen vermag. Castorf hat sicherlich nichts gegen Syrer an sich. Er hat nur etwas gegen „syrische“ Leistungsverweigerer, die, genauso wie damals schon in West-Berlin die Langhaarigen, entlang der Koksline, ihr Leben in dunklen Wohngemeinschaften fristeten, während Castorf selber als Grenzsoldat am Ratzeburger See, mit sturem Blick auf Lübeck, seinen Dienst verrichtete und jeden Abend den ganzen Dostojewski verschlang, die eben genauso auf der Bühne das fiktive hohe C des Schauspieltheaters verweigern.