Schulpakete auch für Theater

27. April 2018. Im Herbst 2016 begründeten der Dramaturg Harald Wolff und der Bühnen- und Kostümbildner Gregor Sturm im Zusammenhang mit dem Ensemble Netzwerk, der Dramaturgischen Gesellschaft und dem Bund der Szenografen die Aktion "40.000 Theatermitarbeiter*innen treffen ihre Abgeordneten" – als Aufforderung an Theaterleute, in einer breiten Informationskampagne Politiker*innen darüber aufzuklären, was Theater alles leisten und unter welchen Bedingungen sie es tun. Im Herbst 2017 ging die Aktion in eine zweite Runde – Zeit, einen der "informierten Abgeordneten" zu fragen, was er aus dem Zusammentreffen mit den Theaterleuten gelernt hat und was für Vorschläge er für die Verbesserung der Theaterarbeit hat. Sophie Diesselhorst hat den Essener SPD-Bundestagsabgeordneten Dirk Heidenblut in Berlin getroffen.

Dirk Heidenblut, Sie waren im Rahmen der Aktion "40.000 Theatermitarbeiter*innen treffen ihre Abgeordneten" im November im Grillo Theater Essen zu Gast. Als Gesundheitspolitiker haben Sie viel mit professionellen Lobbyisten zu tun – wie schlägt sich die Interessensvertretung der Theater?

Für mich gut – und gut, dass es diese Aktion gab. Mit professionell aufgestellten Lobbyisten, wie etwa der Pharmaindustrie, ist es natürlich nicht zu vergleichen. Da bin ich ganz andere Angänge gewohnt. Wahrscheinlich gibt's ja auch in der Kulturszene Branchen, die vehementer auftreten, aber ich fand es gerade interessant, mit den Theatermitarbeiter*innen selbst zu sprechen, also mit Leuten, die nicht jeden dritten Tag mit Politikern zusammensitzen. Eine Kollegin aus dem Essener Stadtrat war auch da, und wir haben uns danach ausgetauscht. Ich glaube, wenn das an vielen Stellen passiert, wird das politische Gespräch über Theater sich verändern. Sinkt die Chance des Reflexes: Ach ja, das Theater wieder, das kann doch nicht wirklich soviel Geld brauchen – kann man mal kürzen.

Dirk Heidenblut 560 Deutscher Bundestag Achim Melde uDirk Heidenblut © Deutscher Bundestag / Achim Melde

Wie ist die Begegnung im Grillo Theater abgelaufen?

Es ist nicht so, dass ich das Schauspiel Essen vorher nicht kannte, ich gehe gern ins Theater. Aber ich kannte es eben nur als Zuschauer – allein den Backstage-Bereich zu sehen, war etwas ganz Neues. Ich habe aus drei unterschiedlichen Bereichen Menschen kennengelernt, einen Tontechniker, eine Schauspielerin aus dem Ensemble und einen Bühnenmeister. Wir haben uns erst einmal eine Stunde Zeit genommen zum Sprechen, danach sind wir gemeinsam durchs Gebäude gegangen, und ich habe ihre Arbeitsplätze gesehen. Ich fand das hochspannend, und ich bin sogar danach auf eigene Initiative auch ins Ballett und die Oper gegangen, um auch dort hinter die Kulissen zu gucken. Ich habe die Aktion so verstanden, dass es vor allem darum geht, Brücken zu bauen, nicht unmittelbar darum, etwas zu klären oder zu verändern – was für mich als Bundespolitiker ja auch schwierig ist, Theater ist wie Bildung Sache der Länder und Kommunen.

Was haben Sie konkret für neue Erkenntnisse mitgenommen, welche Probleme wurden angesprochen?

Das Kernproblem ist natürlich die Finanzierung des komplexen Gesamtbetriebs eines Theaters. In der kommunalen Finanzpolitik gibt es ja die Unterscheidung zwischen freiwillig und verpflichtend – und das Theater fällt unter die freiwilligen Ausgaben, was man an manchen Stellen nicht verstehen kann, weil hier sehr viel für die Gesellschaft, für den sozialen Kitt, auch für das wechselseitige Verständnis füreinander, für kulturelle Bildung getan wird, was man meines Erachtens zu den Pflichtaufgaben zählen könnte. Bei Kommunen wie meiner, die nicht auf Rosen gebettet sind, besteht durch diese Einteilung immer wieder Anlass zur Sorge, dass die Theater im Zweifel zusammengespart oder zusammengelegt werden. Mir wurde beim Besuch des Grillo zum Beispiel deutlich, in welchem Maß das Ensemble bereits durch Sparmaßnahmen geschrumpft ist, und dass das dann natürlich auch massiv Einfluss auf Umfang und Art des Spielbetriebes hat.

Auf Facebook haben Sie im Anschluss an die Aktion geschrieben, dass der Bund sich mehr engagieren sollte. Wo lägen denn Ihres Erachtens Spielräume für den Bund, mehr Geld in die Theater fließen zu lassen?

HeidenblutGrillo560 Facebook© Dirk Heidenblut / FacebookBegrenzt machen wir ja schon etwas, steigen etwa über die Bundeskulturstiftung bei Projekten oder einzelnen Produktionen mit ein, aber man könnte sich natürlich auch vorstellen – von mir völlig ins Unreine gesprochen, ich bin kein Kulturpolitiker! – so etwas wie die Schulpakete für Städte auch für Theater zu denken. Wir haben in der letzten Legislaturperiode 3,5 Milliarden Euro für finanzschwache Kommunen zur Verfügung gestellt, um neue Schulen zu bauen oder Schulgebäude zu sanieren. Gerade schnüren wir ein weiteres milliardenschweres Paket für alle Kommunen. Dafür müssen wir das Grundgesetz ändern, das ja eigentlich ein Kooperationsverbot festlegt. Aber ich gehe davon aus, dass das klappt – und wenn das machbar ist, dürfte so etwas ähnliches für die Theater auch möglich sein. Man könnte dadurch für die Theater Sanierungskosten senken oder Mietkosten aufheben. Eine einmalige Mittelvergabe, die für den Bund realisierbar wäre und für die Theater trotzdem eine nachhaltige Wirkung haben könnte. Darüber hinaus können wir im Bund natürlich da, wo es um soziale Absicherung, Befristung von Arbeitsverträgen geht, über allgemeingesetzliche Regelungen Weichen stellen, die auch für den Kulturbetrieb gelten. Die SPD etwa hat hier ja auch die Künstlersozialkasse durchgesetzt und zuletzt wieder gesichert.

Das ist aber ja gerade ein Dilemma für viele Theater in finanzschwachen Regionen, dass sie mit Tariferhöhungen zu kämpfen haben, die die Etats, die ihnen von den Kommunen zugestanden werden, nicht auffangen können ...

Ja: Was machen die Kommunen, wenn sie das Geld nicht haben? Dann werden sie im Zweifel den noch schlechteren Weg gehen, Stellen streichen, Sparten aufgeben oder, ohne dass es eine inhaltliche Notwendigkeit gibt, Fusionen planen. Deshalb müssen wir in erster Linie dafür sorgen, dass die Kommunen in die Lage versetzt werden, dass sie solche Ausgaben auch bezahlen können. Außerdem könnte man eben auch noch einmal darüber nachdenken, wie willkürlich die Definition "freiwillig" und "pflichtig" ist für die kommunalen Ausgaben.

Wie bewerten Sie Monika Grütters' Initiative eines Theaterpreises des Bundes?

Das ist natürlich gut, aber es ist kein wirklich nachhaltiges Mittel. Ich wäre eher dafür zu überlegen, die Vergabe weiterer Gelder für die Theater an bestimmte Aufgaben zu knüpfen. Ich finde es wichtig, auch auf Bundesebene darüber nachzudenken, wie wir die Theater in ihrem Engagement für Bildung, Zusammenleben, Partizipation unterstützen können. Auch bei der Frage: Wie ist eigentlich Kultur zugänglich für Menschen, die von sozialen Transferleistungen leben? Ich will nicht die kulturelle Aufgabe der Theater abbauen und sie zu Schulen machen, aber in Essen haben wir zum Beispiel ein Nord-Süd-Gefälle, und im Schauspiel Essen gibt es gerade eine Produktion, wo Kinder aus dem schlechter gestellten Norden und dem besser gestellten Süden zusammen auf der Bühne stehen und die Rollen tauschen. Solche Projekte, in denen es darum geht, Bewusstsein und neue Zugänge zu schaffen, könnte man ja vielleicht gezielt dauerhaft aus Bundesmitteln fördern und die Theater dadurch auch im Gesamtbetrieb entlasten – das wäre für mich ein Weg.

Dirk Heidenblut, geboren 1961 in Essen, ist seit 2013 (als SPD-Direktkandidat in Essen) Mitglied des Bundestages. Von Oktober 2009 bis September 2013 war er vorher Mitglied und sozialpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Essener Stadtrat. Seit 1987 ist er Geschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bunds. Im Bundestag ist er ordentliches Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales.

 

Mehr zu "40.000 Theatermitarbeiter*innen treffen ihre Abgeordneten": Interview mit Co-Initiator Harald Wolff zum Start der Aktion.

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