Einsam unter Rumba-Tänzern

von Eva Maria Klinger

Klagenfurt, 3. Mai 2018. Schon während der Vorhang im Stadttheater Klagenfurt hochgeht, legt Iwanows totkranke Ehefrau mit dem Arzt, der sie behandelt und verehrt, eine flotte Sohle aufs Parkett. Wo in anderen Inszenierungen dieses ersten vollendeten Theaterstückes von Anton Tschechow, das er in nur wenigen Tagen geschrieben hat, die Lebensmüdigkeit der Titelfigur von Anfang an lähmend über der Szene lastet, hat Mateja Koležnik die Komödie entdeckt.

IWANOW 560a c KarlheinzFessl uDas Klagenfurter Ensemble im Bühnenbild von Raimund Voigt © Karlheinz Fessl

Beschwingte Musik der 1950er Jahre gibt den Ton an, man feiert und trinkt ausgiebig, Gäste und Personal tummeln sich durch die Gänge, stolpern, sind ungeschickt, treiben Scherz, nur Iwanow ist mit Kopfhörern im Lehnstuhl versunken, hat sich vom Lärm der Gesellschaft abgeschottet. Er ist, wie viele spätere Tschechow-Figuren in den berühmteren Stücken, die das Gesellschaftsbild des russischen Fin de Siècle zeichnen, schwermütig, leidet am sinnlosen Leben ohne Hoffnung und Perspektive. Iwanow ist verschuldet, seine einstige Tatkraft ist versickert, seine Liebe zu seiner schwindsüchtigen Frau erloschen. Auch die stürmisch entflammte Liebe der Tochter seines Nachbarn, vermag ihn nicht von seiner Lebensmüdigkeit zu erlösen.

Im Look der 1950er

Aber weder der Niedergang der zaristischen Gesellschaft noch die Ahnung der kommenden Umwälzungen interessiert die aus Slowenien stammende, an deutschsprachigen Stadttheatern derzeit hoch begehrte Regisseurin. Koležniks "Iwanow"-Gesellschaft tanzt Rumba, trägt etwas zu enge Kostüme der 1950er Jahre, die Kostümbildner Alan Hranitelj mit ein bisschen Geschmacklosigkeit fit für die Komödie macht.

Die Hauptattraktion der Ausstattung aber ist, wie bei Koležnik mittlerweile üblich, der Raum ihres ständigen Bühnenbildners Raimund Voigt. Zu einem Raum werden die vier Wände allerdings erst im vierten und letzten Akt. Davor sind es Gänge, außen schwarz und innen weiß gestrichen, mit riesigen Fensteröffnungen, die um eine Hauskante verlaufen. Anfangs, im Haus von Iwanow, befindet sich die Kante vorne in der Mitte und die zwei Gänge verlaufen schräg nach rückwärts, bei den Nachbarn Lebedjew, wohin Iwanow allabendlich aus der häuslichen Bedrücktheit flüchtet, schiebt sich die Hauskante zurück und die Gänge verlaufen schräg nach vorne.

Vier Akte in nicht einmal zwei Stunden

Man spricht, wie immer bei Mateja Koležnik, hinter einer Wand unsichtbar geworden, weiter. Die Akteure sind ja während der Dialoge ständig in Bewegung, häufig verfolgen sie einander im Gänsemarsch. Das gibt eine famose Komödie, zumindest im ersten Teil. Dieser dauert nur 40 Minuten, der zweite, nach einer – wohl den Gepflogenheiten der Kärntner Society geschuldeten Pause – 55 Minuten. Nach so kurzer Zeit hat Iwanow noch nie sein Schicksal besiegelt.

Mateja Koležnik rafft und verdichtet, sie behält den Plot, die Konflikte, die Charaktere bei, erhebt sich nicht über den Dichter. Sie verwandelt eine spannungsarme Milieustudie in eine mitreißende Tragikomödie, deren bitteres Ende fast überrascht. Iwanows finale Einsicht, seiner jungen Braut die Ehe mit ihm ersparen zu müssen, hat fast etwas Tröstliches. Wie in allen Tschechow-Stücken, außer in seinem letzten, dem "Kirschgarten", fällt eben am Schluss ein Schuss.

Eine Iwanow ohne Larmoyanz

Dieses Psychogramm eines depressiven, sich überflüssig fühlenden Menschen zeichnet Markus Hering fabelhaft und pur, ohne jegliche Larmoyanz und zelebriertes Selbstmitleid. Er kennt seine Krankheit, leidet unter ihr und findet keinen Ausweg. Das macht ihn manchmal sogar zornig und störrisch. Sein Iwanow flüchtet zwar zur Unterhaltung zu den Nachbarn, aber er unterhält sich nicht, er läuft im Kreis vor sich davon. Alle Gefühle sind erstorben, er mag sich selbst nicht mehr.

Iwanow3 560 Karlheinz Fessl uDas Ehepaar Iwanow: Gerti Drassl und Markus Hering © Karlheinz Fessl

Gerti Drassl ist seine wunderbare Ehefrau, die ihre Krankheit tapfer und mit gespielter Heiterkeit verbergen möchte, auch um die Liebe ihres Mannes wiederzugewinnen. Wenn Iwanow ihr die tödliche Wahrheit ins Gesicht schreit, verharrt sie minutenlang starr und zerbrochen mit einer Schale Keksen auf den Knien, ihr Schicksal erwartend.

Katharina Wawrik spielt die verliebte junge Sascha sehr differenziert, mit einer Ahnung, dass eine Hochzeit nicht naturgemäß ein Happy End bedeuten muss. Aus dem großen exzellenten Ensemble ragen Maria Hofstätter als Sinaida Sawischna, die mit verlogener Freundlichkeit und bürgerlicher Attitude ihren maßlosen Geiz überspielt, Michael Prelle als der von ihr unterjochte Ehemann und Florentin Groll als nervender Schwerenöter mit Aussicht auf eine gute Partie heraus. Feines klassisches Theater à jour gebracht.

 

Iwanow
von Anton Tschechow
Deutsch von Thomas Brasch
Regie: Mateja Koležnik, Bühne: Raimund Voigt, Kostüme: Alan Hranitelj, Choreographie: Magdalena Reiter, Sounddesign: Philipp Haupt: Dramaturgie: Sylvia Brandl.
Mit: Markus Hering, Gerti Drassl, Florentin Groll, Michael Prelle, Maria Hofstätter, Katharina Wawrik, Holger Bülow, Heike Kretschmer, Johann Nikolussi, Axel Sichrovsky, Ilona M. Wulff-Lübbert, Kara Liebhart, Heinrich Baumgartner, Statisterie des Stadttheaters Klagenfurt.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, eine Pause

Koproduktion mit den Vereinigten Bühnen Bozen

www.stadttheater-klagenfurt.at
www.theater-bozen.it

 

Kritikenrundschau

Michael Cerha schreibt im Wiener Standard (online 4.5.2018, 17:50 Uhr): Mateja Koleznik präsentieredas Stück in einer "unaffektierten, der Aktualität des Textes fest vertrauenden Lesart". Bei der von Raimund Voigt gebauten Bühne könne man auch an Gangways denken, "auf denen die Passagiere des Narrenschiffes, das die Welt bedeutet, herumirren". Die Charakterstudien der Schauspieler*innen seien eine treffender als die andere. "Der Abend ist ein Glücksfall". Todtraurig und komisch.

Das ORF-Landesstudio Kärnten versammelt auf orf.at Stimmen von Mitwirkenden und Zuschauer*innen (online 4.5.2018): Die Reaktionen auf die Premiere hätten von "uneingeschränkter Begeisterung" bis zu "empörter Ablehnung" gereicht. Die Inszenierung, bei der "fast 60 Prozent von der Originalvorlage weggelassen" worden seien, "strenge an und fordere das Publikum". Die gesamte Handlung finde in einer "hausartigen Kulisse" statt, das Publikum sehe und höre nicht alles – "für manche ein Nachteil, für andere eine neue Theatererfahrung". Horst Ebner vom ORF wird so zitiert: "Eine der interessantesten Schauspielproduktionen der letzten Jahre am Stadttheater Klagenfurt, eine Inszenierung, die niemanden kalt lässt und das ist gut so."

 

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