Hauptsache Alltag

von Willibald Spatz

München, 4. Mai 2018. Passanten unterbrechen ihren hastigen Gang über den Platz, bleiben stehen, zunächst amüsiert, dann fasziniert. Das Open Border Ensemble hat sich mitten in der Stadt eine Bühne aufgebaut. Die Münchner Kammerspiele hatten die Idee, Theaterleute als "artists in residence" einzuladen – aus Ländern, in denen sie unter erschwerten Bedingungen arbeiten. "Miunikh-Damaskus" heißt die erste Premiere, die das Open Border Ensemble nun unter der Regie von Jessica Glause herausbringt. Die Akteure stammen aus Damaskus und leben auch noch dort. Für zehn Monate sind sie jetzt in München. Es gab Schwierigkeiten mit Visa, so dass Majd Feddah, Kinan Hmeidan und Kamel Najma statt im Januar erst im Februar ankamen, also weniger Zeit zum Proben war. Andere Probleme kamen noch dazu: Es fand sich keine passende Probebühne, ein Übersetzer stand auch nicht zu Verfügung. Diese Widrigkeiten wurden schließlich augenzwinkernd ins Stück übernommen, indem sie ihre Bühne selbst herrichten und ihre Sätze jeweils gegenseitig übersetzen.

miunikhdamaskus2 560 gabriela neeb uOpen Border Ensemble: Majd Feddah, Maja Beckmann, Kinan Hmeidan, Kamel Najma, May Al Hares
© Gabriela Neeb

Die Aufführung selbst sollte nicht nur etwas über die Stadt erzählen, sondern diese auch "in sich aufnehmen". Deswegen wurde eine mobile Bühne konstruiert, die in den kommenden Wochen an vier verschiedenen Plätzen in München aufgestellt wird. Der Hanns-Seidel-Platz, der für die Premiere ausgewählt wurde, liegt im Stadtteil Neuperlach und repräsentiert nahezu perfekt alles, wofür München nicht steht: eine riesige Kiesfläche, umgeben von einem Busbahnhof, schmucklosen Hochhäusern und einer stattlichen Baugrube. Über den Köpfen ragen Baukräne in die Luft. Von der Straße her wird man permanent mit Verkehrsrauschen berieselt. Ein Ort, der eigentlich nur junge Menschen mit billigem Alkohol zum Verweilen einlädt.

Eine Synchronstimme braucht kein Visum

Unvermittelt beginnt die Show. Kinan Hmeidan ruft hastig die anderen zusammen, die "teilnahmslos herumlungern". Die Abdeckungen der Bühne werden hochgeklappt, die Scheinwerfer einzeln eingeschaltet. Majd Feddah raucht entspannt eine selbstgedrehte Zigarette und will noch etwas erzählen, bevor es richtig losgeht, eine Geschichte von einem Bleistiftspitzer, an den ihn die Rolltafel erinnert. Dort sind auf einem weißen Stoff die Übersetzungen der Texte aufgeschrieben. Teilweise wird arabisch gesprochen, teilweise englisch. Manchmal dolmetscht Maja Beckmann, als einzige aus dem Kammerspiele-Ensemble mit dabei, manchmal kann man mitlesen.

miunikhdamaskus1 560 gabriela neeb uKamel Najma, Maja Beckmann, May Al Hares, Kinan Hmeidan, Majd Feddah © Gabriela Neeb

Es folgen knapp eineinhalb Stunden mit Geschichten, Liedern und skizzenhaften Eindrücken aus den Städten München und Damaskus, radikal subjektiv und ohne Anspruch darauf, ein vollständiges Bild der Städte zu malen. Majd Feddah fällt auf, dass er in München immer schwitzt, bei jeder Temperatur, weil er immer irgendwohin hetzt von einem Termin zum anderen, und dass er nirgendwo rauchen darf. Kamel Najma ist Synchronsprecher in Damaskus, Schwerpunkt Zeichentrickfilme, er sei die zweite Freundin von Elli, der Frau von Manni, dem Mammut, in "Ice Age" gewesen. Seine Stimme sei um die Welt gereist, ohne Pass und ohne Visum. May Al Hares ist die einzige der vier Gäste, die international arbeitet und nicht nach Syrien zurückkehren wird. Ihr Traum war es, bei den olympischen Spielen in Peking für Syrien anzutreten. Eine Verletzung ließ ihn platzen. Sie schloss sich einer weltweit auftretenden Tanzgruppe an.

Stimmung einer Begegnung

Auch wenn die Geschichten aus Damaskus von Bombenexplosionen neben fahrenden Bussen, vom Vergessen unbetretbarer Stadtteile oder von der Zerstörung der einheimischen Brauereien handeln: Es wird deutlich, dass die Menschen auch inmitten von Terror und Krieg einen normalen Alltag suchen. Kinan Hmeidan ist auch DJ, er baut irgendwo sein Soundsystem auf, ruft die Leute zusammen und macht eine Party für sie. Sie tanzen barfuß im Sand, und eine Weile lang ist alles gut.

"Miunikh-Damaskus" schrammt immer wieder knapp an der Beliebigkeit vorbei, könnte auch eine halbe Stunde länger oder kürzer dauern, fängt aber dennoch die Stimmung einer Begegnung ein. Und genau so empfinden es wohl auch die Bürger von Neuperlach, die hier von der Arbeit heimgehen, ihre Kinderwägen spazieren fahren oder sich niederlassen, um billigen Alkohol zu konsumieren. Ein hübsches Geschenk der Kammerspiele an die Stadt.

Miunikh-Damaskus (Geschichten einer Stadt)
Inszenierung: Jessica Glause, Bühne: Florian Stirnemann, Kostüme: Mai Gogishvili, Musik: Benedikt Brachtel, Dramaturgie: Johanna-Yasirra Kluhs, Produktionsleitung: Julia Zehl, Künstlerische Leitung und Koordination Open Border Ensemble: Krystel Khoury.
Mit: May Al Hares, Maja Beckmann, Majd Feddah, Kinan Hmeidan, Kamel Najma.
Dauer: 1 Stunde, 20 Minuten, keine Pause

www.muenchner-kammerspiele.de

 

 

Kritikenrundschau

Mathias Hejny schreibt in der Münchner Abendzeitung (online 6.5.2018, 17:16 Uhr): Die Leute, um die es in der Stückentwicklung der Kammerspiele und der Wohnraum- und Kulturinitiative Bellevue di Monaco gehe, seien "Wanderer zwischen Syrien und Deutschland". Alle lebten sie an einem "Zwischenort, in dem Herkunft und Fluchtpunkt zu verschmelzen" schienen. Die Uraufführung fand in Neuperlach auf einem "wenig ansprechenden Areal" statt, wie sogar das örtliche Rathaus zugebe. Es werde nicht nur von den "Abenteuern mit den immer pünktlichen Deutschen berichtet", sondern vor allem "aus dem Grauen einer einst lebendigen Stadt". Die Darstellung "eines Sprengsatzes als Purzelbaum" sei symptomatisch für einen "bunten Abend für laue Frühsommerabende, der zu nett ist, um wahr zu sein".

Im Münchner Merkur schreibt Michael Schleicher (7.5.2018): Gespielt werde "vor allem mit und gegen das alltägliche Treiben" um und auf dem Platz. "Mitten im Leben" nehme sich "Miunikh-Damaskus" seinen Platz und behaupte ihn. "Unbedingt subjektiv" berichteten die Darsteller*innen von "Momentaufnahmen" aus beiden Städten, gesprochen werden eine "herrliche, jederzeit verständliche Mixtur aus Deutsch, Englisch, Arabisch. Die Darsteller*innen zelebrierten München-Klischees und kontrastierten diese mit "Beobachtungen aus dem Krieg". Die syrischen Schauspieler*innen erzählten von sich, "ihren Ängsten, wünschen, Träumen". Diese "persönlichen Geschichten" seien die "Stärke des Abends". Manchmal jedoch werde es "arg didaktisch und schwerfällig", etwa wenn die "empörend ungerechten Zustände der Weltwirtschaft" erläutert würden. Der Soundtrack zum Stück sei großartig, es gebe ihn auf CD.

 

Kommentare  
Miunikh Damaskus, München: wer will das wissen?
Nur scheinbar politisch
Miunikh – Damaskus auf dem Hanns-Seidel Platz

Dass das nichts werden konnte, zumindest nichts Aufregendes, war dem geneigten Beobachter von vornherein klar: wie kann eine aus Damaskus eingeladene Gruppe an den Münchner Kammerspielen eine Perspektive und Einsichten bieten in das Elend in Syrien (außerhalb Damaskus)? In Syrien ist jeder Partei und wer Visa beantragen darf und Reiseerlaubnisse ausgestellt bekommt ist in Assad's Partei. Andere dürfen nämlich nicht raus aus Ihren Dörfern, Städten oder Vierteln – und sie werden dort bombardiert.

Also: kritische Darstellung der Zustände: Fehlanzeige; realistische Wiedergabe des Alltags auf der „Insel“ Damaskus: möglich – aber wer will das wissen, wer will wissen wie sich die unbetroffene Bevölkerung eingerichtet hat in dem Elend das sie umgibt? Langt es für die Münchner Kammerspiele mit ihrem Flüchtlingsreflex und ihrer notorischen Solzialverherrlichung biografische Improvisationen von Syrern auszustellen, die am Krieg vorbeileben? Solche Leute werden sie nicht brauchen wollen im Bellevue di Monaco, das wollen wir doch hoffen.

Aber, Überraschung, trotz aller systematischen Fehler dieser populistische Inszenierungs-Idee in der Vorbereitung macht es Spass den Gästen aus Syrien diesem sogenannten Open Border Ensemble (sic!) zuzusehen, den Gästen aus Damaskus (Majd Feddah, Kinan Hmeidan, Kamel Najma, May Al Hares) wie auch aus Deutschland (Maja Beckmann). Auch der Bühnen-Anhänger von Florian Stirnemann ist super geeignet für Stadtteiltheater (den möchte man öfter von Anderen, vom Anderen genutzt sehen), und die paar Requisiten sind gut durchdacht. In wie man hört kurzer Zeit ist es Jessica Glause gelungen, Schnipsel von Leben zusammenzuweben die mal elegisch, mal lustig, durchbrochen von Dolmetschereien auf verschiedenen Ebenen daherkommen. Aber: es fehlt der Schmerz des Landes im Bürgerkrieg, die destablisierte, unsolidarisch gewordene von Feindbildern durchseuchte Zivilgesellschaft, die Reibung. Die Insel der Seligen ist Damaskus sicher nicht, aber das Grauen ist schon arg weit weg.

Dem scheidenden Intendanten möchte ich zurufen: geh garstig! Such mehr Reibung, mach mehr Austand und sei politisch (das ärgert die Münchner am Meisten), einseitig wie die Sau. Schöpf doch endlich mal aus dem Vollen, hast es doch gesehen wie Schlingensief, Pollesch und Castorf das gemacht haben.
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