Mein lieber Schwan

von Frank Kurzhals

Hannover, 4. Mai 2018. Schwarze Schwäne sind selten. Wenn sie auftauchen, sind Unheil und Missverständnis nicht weit. In der Ibsen-Inszenierung von Alexander Eisenach, Hausregisseur am Schauspiel Hannover, wimmelt es nur so vor schwarzen Schwänen. Gleich zu Anfang erscheint einer, so groß, so dass Hedda Gabler auf ihm reiten kann, vor dramatisch kirschblutrotem Vorhang. Geführt wird das elegante Tier von ihrem Ehemann Jörgen Tesman, mit dem sie frisch verheiratet von einer sechsmonatigen Hochzeitsreise zurückkommt. Sie, die starke, schöne und gelangweilte Generalstochter, hat ihn geheiratet, um sich eine angemessene gesellschaftliche Stellung zu sichern, nicht aber aus Liebe. Er ist von ihr zuerst bezaubert, dann wird er sehr schnell verzaubert. Das Drama nimmt seinen Lauf. Es findet in Hannover nicht in der gerade gekauften Villa beider statt, für die sich Tesman verschuldet hat, sondern in einem ewig im Kreis fahrenden Zug mit seinen kleinen und großen Abteilen des Lebens.

Hedda gabler1 560 Katrin Ribbe uIbsen plus: Janko Kahle, Sarah Franke, unten rechts: Oliver Rossol, Anna Ohlendorf (Video, Ton)
© Katrin Ribbe

Wenn der Zug fährt, dann wippen die Personen auf den Holzbänken oder auf den Sesseln in der Zugbar. Genau genommen wippen und wanken sie eigentlich die ganze Zeit, hin und her zwischen Texten der unterschiedlichsten Autoren. Alexander Eisenach hat "Hedda Gabler" umgedichtet und läßt Autoren quer durch die Jahrhunderte zu Wort kommen. Es geht um Egoismus und Kapitalismus, Dionysisches und Apollinisches, rasende Züge und Langeweile, den Wettbewerb in der Gesellschaft und natürlich auch um den unter Dichtern und Wissenschaftlern. So werden Nietzsche und die Nihilisten zitiert, eine große Passage, ein wundervoll gespieltes Trinkgelage, wird durch Aristophanes' "Die Frösche" betextet. Und auf einmal erklärt sich auch, warum im Salonwagen des Zuges ein hüfthoher Frosch mit Leuchtaugen steht.

Aristophanes vs. Ibsen

Bei Aristophanes siegt im Wettstreit der Worte der dionysische Dichter, der bei Ibsen Eilert Lövborg heißt und ein Jugendfreund von Tesman ist. Lövborg kommt in die Stadt zurück, die Tesman und ihn einst verband und in der Lövborg Geliebter von Hedda war. Aber nicht nur dieser unausgesprochene Teil ihrer Vergangenheit, sondern auch ihre aktuelle Arbeit trennt sie: Lövborg, von einer Frau (Thea Elvstadt) geläuterter Säufer, hat einen Bestseller geschrieben. Das gefährdet Tesmans Ambitionen, der Professor werden will. Denn nun wurde dieselbe Professur auch Lövborg angeboten. Der bessere soll in einem Wettbewerb siegen, aus dem ein Trinkgelage wird. Am Ende sind alle beschädigt und Lövborg tot, erschossen mit der Pistole von Heddas Vater.

Hedda gabler2 560 Katrin Ribbe uDaniel Nerlich, Sarah Franke, Lisa Natalie Arnold © Katrin Ribbe

Als schwarzer Schwan hat Hedda das Fanal angerichtet – ganz einfach, weil sie es konnte. Sie wollte sich Unterhaltung verschaffen und probieren, ob sie Macht über Menschen bis in den Tod hinein erlangen kann. Wenigstens einmal im Leben. Alles konzentriert sich in der im Halse steckenbleibenden köstlich-sarkastischen Szene, in der Hedda (cool gespielt von Sarah Franke) zusammen mit der ländlich naiven Thea Elvstadt (Lisa Natalie Arnold) im Salonwagen versucht, einen Cocktailshaker zu öffnen. Dabei streiten sie über die Möglichkeiten von Macht und Freiheit, Vernunft und rauschhafter Sinnlichkeit, bis sie im Ringkampf auf dem Boden liegen und das Dienstmädchen Berte (Johanna Bantzer) sie lakonisch unterbricht um von dem schönen Zoo am KZ Treblinka zu berichten.

Leinwandfüllende Innerlichkeit

Einzig Assessor Brack, der zu dem Duell der Trinker eingeladen hatte, in seiner anzüglichen Mehrdeutigkeit wundervoll gespielt von Janko Kahle, scheint auf der Siegerlinie angekommen zu sein. Doch auch er nimmt Schaden. Seine perfide Hoffnung, zukünftig mit Hedda in einem Dreiecksverhältnis leben zu können, erfüllt sich nicht. Hedda will unterwerfen, nicht unterworfen werden. Das ist ihr den Tod wert. Übrig bleibt Tesman zusammen mit Thea Elvstadt, die das von Lövburg im Rausch verspielte neue Manuskript über die Zukunft der Menschheit in seinen lose verstreuten Skizzen sichern konnten und nun in trauter Gemeinsamkeit rekonstruieren.

Kammerspielartige Nähe gewinnt der Abend immer dann, wenn Alexander Eisenach in Videoübetragungnen aus Bühnendialogen leinwandfüllende Szenen werden läßt, die trotz der Größe eine Innerlichkeit entfalten. Wenn er zu sehr Slapstick-Elemente nutzt, verliert das Geschehen rasant an Intensität und wird zu einem bloßen Auffanglager von netten Ideen – und Ankerzentrum für vagabundierende Texte.

Hedda Gabler
Regie: Alexander Eisenach, Bühne: Daniel Wollenzin, Kostüme: Julia Wassner, Musik: Sven Michelson, Niklas Kraft, Video: Oliver Rossol, Dramaturgie: Johannes Kirsten.
Mit: Sarah Franke, Silvester von Hösslin, Daniel Nerlich, Johanna Bantzer, Brack Janko Kahle, Lisa Natalie Arnold, Beatrice Frey, Live-Musik: Sven Michelson, Niklas Kraft, Live-Video: Oliver Rossol.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.schauspielhannover.de

 

Kritikenrundschau

Stefan Gohlisch schreibt in der Neuen Presse aus Hannover (7.5.2018): Viel werde gefahren in Eisenachs Inszenierung "manches auch an die Wand". Eisenach suche und finde bei Ibsen die "Entstehung der Moderne". Die Inszenierung ironisiere das bürgerliche Drama und stelle es im Neonlicht zur Schau. Immer klinge "der Boulevard und dessen Dekonstruktion" an. Ungewöhnlich "spielerisch" für Eisenach sei die Unternehmung, und leicht; die Darsteller "übertouren fröhlich". Allerdings komme "manche intellektuelle Witzelei" ein wenig eitel daher, da "hakt und stockt und bremst" der Spielfluss. Sarah Franke spielt Hedda als das "sehr moderne lebenssatte Luxusweibchen in eisigem Fatalismus".

Ronald Meyer-Arlt schreibt in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (7.5.2018): Der Zug auf der Bühne komme nicht vom Fleck, kreise nur um sich selbst, sehr passend zu "Hedda Gabler". Regisseur Eisenach liefere auch keinen "Aufbruch", sondern liefere nur "ein Beispiel zeitgenössischer Theatergelehrsamkeit". Viel Nebel, viele Nahaufnahmen, Nietzsche und andere Ergänzungen. Gesprochen werde "wie unter Druck", die Personen wirkten "wie Comicfiguren, die ihre Sätze wie Sprechblasen mit sich herumtragen". Sarah Franke wirke "ein bisschen hausbacken, dazu düster und gelangweilt". Eisenach habe die Geschichte nicht "ins Heute geführt", er habe "nur modische Mittel eingesetzt, sie zu erzählen".

 

 

 

 

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