Der Stückemarkt des Berliner Theatertreffens 2018 präsentierte viel schüchterne Gesellschaftsanalyse und ein Juwel
Die Zeit der Zaghaften
von Gabi Hift
Berlin, 12. Mai 2018. Früher war alles besser? Beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens auf jeden Fall. Der war früher oft ein großer Spaß, als viele Beteiligte sich noch als junge Wilde beweisen wollten und voll auf die Kacke gehauen haben. Diesmal waren die Kriterien der Auswahljury vor allem defensiv: die Texte sollten zum Thema "Geteilte Welt" passen, sollten nicht rassistisch sein, nicht sexistisch, nicht nicht-divers und vor allem nicht "well made". Die Auswahljury hat drei Stücktexte eingeladen, die in szenischen Lesungen präsentiert wurden und drei Performances, die bereits anderswo Premiere hatten.
Die Höhle des passiven Erleidens
Den Texten merkt man an, dass sie bloß nicht zu viel vorgeben wollen, was die Phantasie potentieller Regisseur*innen einschränken könnte, sie schlagen quasi schüchtern die Augen nieder und linsen dann mit kleinen sprachlichen Frechheiten drunter vor. Nur der Text von Olivia Wenzel ist ein bisschen großmäulig, aber auch da ist die Figur im Zentrum völlig passiv.
Wo die frühere Dramatik handelnde Helden ansetzte, ist bei den meisten hier gesehenen Stücken ein Loch, eine Höhle des passiven Erleidens, in die die Zuschauer*innen hineinkriechen und sich sagen sollen: "Ist es nicht ganz furchtbar, dass ...." (Sie dürfen in an dieser Stelle jedes sattsam bekannte gesellschaftliche Problem einfügen.) Eine Ausnahme macht da nur das leiseste Stück – "Fresque" von Old Masters –, in dem ein Quantensprung von rührend übertriebener Vorsicht hin zu altmeisterlicher Schönheit vollzogen wird.
Turbo Pascals Audioperformance mit Zeigefinger gegen Rechts
Los geht's mit der Performance "Böse Häuser" von Turbo Pascal. Die Zuschauer müssen Hausschuhe anziehen und kriegen Kopfhörer aufgesetzt, über die sie eine sanfte Stimme auffordert, sich in Gruppen zusammenzufinden. Alle, trotten brav in ein Eck oder gruppieren sich im Kreis oder legen sich auf den Boden, je nach dem was der Audiokanal von ihnen verlangt. Dann wird einem was ins Ohr geflötet, das wohl wie süßes Gift wirken und einen in eine Gemeinschaft locken soll, aber man begreift sehr schnell, wo das hinführen wird, nämlich direkt in den Sumpf rechten Gedankenguts, und dass man als folgsamer Zuschauer in die Falle gehen und sich dann deshalb schämen sollte.
Ein Blick in die Runde zeigt, dass alle Anderen auch schon wissen, wie der Hase läuft. Es folgen 50 quälende Minuten, in denen man sich mies fühlt in der Gemeinschaft anderer Menschen, die sich auch mies fühlen, und zulässt, dass die Stimmen der Performer einem mit ihrem platten pädagogischen Zeigefinger im Hirn rumpulen, weil man zu höflich ist, die Kopfhörer runterzunehmen und zu gehen.
Olivia Wenzel mit Amoklauf und Emojis
In Olivia Wenzels "1 yottabite Leben" geht es um eine junge Frau, die in einem Münchner Hotelzimmer sitzt, und draußen läuft ein Attentäter herum. Die Polizei rät über Twitter nicht aus dem Haus zu gehen. Also chattet sie mit verschiedensten Leuten, surft durchs Internet und wird von den absurdesten rassistischen und misogynen Stimmen belästigt.
Irgendwann malt sie sich eine ganz normale analoge Beziehung aus und lässt sich von Google dabei helfen. Olivia Wenzels Sprache hat Schwung und einen schönen Rhythmus. Man merkt, dass ihr das Herumspielen mit skurrilen Hate Speeches und das Übersetzen von Emojis in Text Spaß macht. Aber das Ganze wirkt nur wie eine Fingerübung und so, als ob das Thema Internet halt eines wäre, über das man gerade ein Stück schreiben sollte und nicht eines, das ihr wirklich unter den Nägeln brennt.
Li Liorans brisanter "Exodus"
Notwendiger wird es in Li Liorans Lecture Performance "Exodus". Die israelische Künstlerin erforscht die Routen verschiedener Reisen übers Mittelmeer, erzwungener und freiwilliger. Eine solche Reise hat sie selbst von Jerusalem nach Berlin gebracht, und die Vorstellung findet für ein doppeltes Publikum statt: der Raum ist via Skype mit einem Theater in Jerusalem verbunden, die Zuschauer in beiden Städten können sich gegenseitig im Publikum sitzen sehen. Li Lioran zeichnet die Reise ihrer Großmutter an die Wand, die 1947 aus Europa mit dem Schiff "Exodus" nach Haifa emigrieren will, aber von den Briten zurückgeschickt wird. Und sie zeichnet die Routen der Nakba, des palästinischen Exodus: 700.000 Palästinenser, die nach dem Krieg von 1948 vertrieben wurden.
Das ist tatsächlich brisant – jedenfalls für die Zuschauer in Israel. Dort ist es kaum möglich diese beiden Erzählungen – die Flucht der Juden nach dem Holocaust nach Palästina und die Vertreibung der Palästinenser aus dem Staatsgebiet des neugegründeten Israel – nebeneinanderzustellen und für die Situation beider Seiten Verständnis zu zeigen. Li Lioran macht das sehr vorsichtig, ihre Kleidung ist fast kindlich. An die Wand heftet sie kleine Zeichen: ein ausgeschnittenes Herz, ein Pflänzchen, das "wandernder Jude" heißt, die Schlüssel ihrer Wohnung in Jerusalem.
Aus der doppelten Zuschauersituation gewinnt sie dagegen fast nichts. Die Performance ist mutig, sie bleibt nicht passiv wie die meisten anderen Stücke. Es wäre interessant, wenn Li Lioran sie noch weiter ausbauen und die widersprüchlichen Reaktionen, die bei den Zuschauern in Deutschland und Israel zu vermuten sind, herauskitzeln und miteinander konfrontieren würde.
Maya Arad Yasur Krimi "Amsterdam"
Es gibt noch ein zweites israelisches Stück: "Amsterdam" von Maya Arad Yasur. Darin geht es um eine unbezahlte Gasrechnung aus dem Jahr 1944, die einer jungen israelischen Geigerin in Amsterdam in die Wohnung flattert. Um das Rätsel dieser Rechnung wird ein Krimiplot entfaltet. Ungewöhnlich ist, wie die Geschichte erzählt wird: unbenannte Stimmen ergänzen sich, widersprechen einander, scheinen die Story gerade in diesem Augenblick zu erfinden.
Das ist genau die Art wie Fernsehserien in Writers Rooms entwickelt werden. Als Vorschlag für eine Bühnenerzählung überrascht sie allerdings, denn die konkreten Körper der Schauspieler*innen werden der Unzuordenbarkeit der Stimmen entgegenstehen. Die Geschichte selbst entwickelt sich zu einer ziemlich wüsten Kolportagestory, bei der der persönliche Auslöser leider ganz aus dem Fokus gerät: dass nämlich eine Jüdin, genau wie die Autorin selbst, dorthin zieht, wo ihre Großeltern früher verfolgt wurden, und nunmehr von den Gespenstern der Geschichte geplagt wird.
Leon Englers U-Bahn-Farce und eine Juwel von Old Masters
Leon Englers Stück "Die Benennung der Tiere" ist eine absurde Farce über einen dicken Mann, der auf die U-Bahngleise fällt und den die Menschen durch absurdes Wörtlichnehmen seiner Selbstbezichtigungen – er sei ein fettes Schwein, ein dummer Ochse – für ein Tier halten und deshalb nicht retten. Leider geht dem Text bald der Witz aus, und die moralische Botschaft – "Ist es nicht furchtbar, wie die Menschen dummes Zeug reden, statt einander aus der Not zu helfen?" – war sogar im Kontext dieses Stückemarkts zu naiv.
Und schließlich gab es noch ein kleines Theaterwunder zu bestaunen: "Fresque", ein Stück der Schweizer Performancegruppe Old Masters. Etwas, das in jeder Hinsicht so völlig anders ist als die anderen fünf Stücke, dass es wirkt, als käme es von einem anderen Planeten. Auf der Bühne steht ein Objekt, und man hat geschlagene fünf Minuten Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, bevor die beiden Darsteller auftreten. Es ist eine Art große Schrankwand aus versetzten Quadern. In der Mitte sitzt ein etwa ein Meter hohes Schaumgummiobjekt, ein an der Oberfläche leicht zerfleddertes Ei. Man weiß nicht, ob das Kunst sein soll, oder ein Wohnobjekt, es ist jedenfalls auf ganz unspektakuläre Weise hässlich.
Dann treten zwei junge Menschen auf und beginnen über dieses Objekt, das ihr Werk ist, zu sprechen. Sie verhalten sich ganz undramatisch, reden einfache und banale Dinge, die Situation bleibt ein Rätsel, Ort und Zeit bleiben gänzlich unbestimmt, die einfache, leise Ernsthaftigkeit, mit der sie die zueinander die banalsten Sachen sagen, ist unglaublich lustig und entwickelt gleichzeitig einen magischen Sog. Einfach weil die beiden dabei bleiben, weiter an dem Objekt arbeiten, mit dem sie mal mehr mal weniger zufrieden sind, öffnet sich irgendwann ein riesiger Raum, die Tür zum Weltall geht auf.
Es erinnert sehr an Stücke von Beckett. Aber bei Beckett scheint hinter den Menschen, die auf Godot warten oder ihren absurden täglichen Verrichtungen nachgehen, eine entsetzliche gähnende Leere auf. Hier hingegen ist der Raum zwar ebenso sinnlos, aber nicht bedrohlich, sondern heiter und schön. Es geht buchstäblich um alles: um das Wesen der menschlichen Existenz, das sich durch die leisen, hartnäckigen Bemühungen dieser beiden Menschen um dieses lächerliche Schrankwandding plötzlich in all seiner Schönheit zeigt.
Am Ende erwacht das Objekt zum Leben, mysteriös und lustig und großartig. Diese Stück ist wahrhaft "well made", da stimmt jeder Ton, jede Geste, jede Pause, alles ist ganz genau richtig austariert, um diese stupende Wirkung zu erzeugen. Es ist bestimmt nicht jedermanns Sache, man muss den Humor mögen, und auch bereit sein, sich am Auftreten vom Wunderbaren im Leben zu freuen, das keinen weiteren Sinn hat.
Öffentliche Jury-Debatte
Die Sache der Jury, die am Schluss den Stückauftrag zu vergeben hatte, war es leider nicht. Ihre Entscheidung wurde zum ersten Mal in einer öffentlichen Diskussion à la Bachmann-Preis oder Mülheimer Dramatikerpreis gefällt. Die Jury bestand aus Beate Heine (Chefdramaturgin am Schauspiel Köln, das das Siegerstück uraufführen wird), Dominic Huber (Szenograph und Regisseur) und Margarita Tsomou (Autorin, Kuratorin, Missy Magazine).
Leider spiegelte das Juroren-Gespräch noch einmal die extreme Vorsicht und die defensive Grundhaltung des ganzen Stückemarkts wieder. Obwohl "Dringlichkeit" immer wieder als Kriterium genannt wurde, schien den Juror*innen selbst nichts dringlich zu sein, weder fanden sie etwas wirklich schlecht (oder trauten sich jedenfalls nicht, es laut zu sagen), noch waren sie von irgendwas wirklich begeistert. Die Diskussion war ganz und gar postdramatisch. Als Kriterien wurden neben politischer Relevanz, Sprache, Innovation, der Sprecherposition (weiß/männlich/biodeutsch sollte zwar nicht direkt benachteiligt werden, aber alles andere wäre doch besser) immer wieder der Schmerz genannt: Es müsse dorthin gehen, wo es schmerzt. Damit fällt ein Stück wie "Fresque" natürlich sofort raus, weil Old Masters überhaupt nicht dorthin wollten, wo es weh tut. Sie wollten an einen Ort, an dem Schmerz schlichtweg keine Bedeutung hat, und sie haben ihn auch erreicht.
Sieg für "Amsterdam" von Maya Arad Yasur
Die Favoriten der Jury waren "Amsterdam" und "1 yottabite Leben"; und die Wahl fiel auf "Amsterdam" – wegen seiner größeren politischen Relevanz. Wieviel mehr Mut und Brisanz in der anderen israelischen Performance, "Exodus", steckte, haben sie leider nicht gesehen.
Prinzipiell ist die öffentliche Diskussion der Stücke und der Kriterien, nach denen sie ausgewählt werden, eine begrüßenswerte und interessante Sache. Das war ja eine Premiere und bestimmt werden sich die Juroren im nächsten Jahr schon mehr trauen, weniger vorsichtig und defensiv sein – was man sich auch für die Vorauswahl wünschen würde.
Das Programm des internationalen Stückemarkt des Berliner Theatertreffens 2018:
Amsterdam
von Maya Arad Yasur (Israel/Niederlande)
Die Benennung der Tiere
von Leon Engler (Österreich)
Exodus
von Li Lorian (Israel/Deutschland)
Fresque
von Old Masters (Schweiz)
Böse Häuser
von Turbo Pascal (Deutschland)
1 yottabyte leben
von Olivia Wenzel (Deutschland)
www.berlinerfestspiele.de
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ich bin auch erschüttert. Das war keine schön schmissige, rassistische, sexistisch und non-diverse Auswahl. (Beim Positivkriterium "divers" verrenken sie einfach mal die Sprache in nicht-nicht divers - ihre Leser*innenschaft merkt es schon nicht...)
(...)
Früher war alles besser. Stimmt. Da geb ich natürlich recht. Als der Stückemarkt immer nur das Gleiche gemacht hat und die Innvoation nur im Schreiben von Stücktexten gesucht wurde. Das waren noch Zeiten.
Der Berliner Stückemarkt gefällt Ihnen definitiv nicht. Da wird über Patriarchat, Rassismus und andere "kunstfremde" Kacke nachgedacht und tastend ein Neues gesucht, was leider nicht in Ihre Seh- und Kritikgewohnheiten reinpasst. Saubande! Die machen wohlmöglich ernst mit dem Versuch Kunst fürs 21. Jahrhundert zu machen. Ein Jahrhundert, was vielleicht den Schwung des 20. sucht. War ja eigentlich ne gute Zeit all in all mit zwei Weltkriegen, Genoziden, einem beginnenden Ökozid etc. Vielleicht ist die Zeitenwende weg vom geilen Rock'n'Roll Individuum hin zu kollektiveren und vorschitigeren Formen des Daseins (lesen Sie dazu doch mal Tristan Garcia, wenn Sie gerade mal Zeit haben zwischen zwei wilden Künstlerautobiographien aus dem 19. Jahrhundert) vielleicht ist diese Zeitenwende wohlmöglich angebrochen und die Kritik versagt im Denken outside the beautiful old box. (...)
Gute Nacht!
Wer hatte seinerzeit regelmäßig zum Blutspenden fürs deutsche Theater aufgerufen? Ach, ja Christoph Schlingensief. Hatte damals schon recht, und heute erst recht.
Dabei zu sein, gilt später immer als Auszeichnung.
Ihre Arbeiten sollen selbstverständlich gnadenlos kritisiert werden.
Und dann wäre die Kritik eine - die straight auch auf die Jury fällt.
Man/frau hat echt den Eindruck, die machen es sich einfach.
Auch ahnt man/frau als Autor_in, dass es völlig sinnlos ist, sich zu beteiligen.
ZB wenn man dramatische Visionen vorstellt,
die größeres Personal bräuchten.
Oder wenn man die Jugendfrische des offiziellen Alters verloren hat.
Wenn man die Vorlieben von Jurymitgliederinnen kennt
Oder ihre Beziehungen ahnt usf.
Liste bitte fortführen...
Und warum werden Arbeiten eingeladen,
die andererorts schon präsentiert wurden?
Deren bestenfalls höhere Mittelmäßigkeit längst bekannt ist.
Sich 500 + x Einreichungen zu widmen,
macht aber bestimmt von vornherein NULL LUST.
Sie sollte aber von künstlerischer Lust geprägt sein.
Mein Vorschlag: Statt Weite - wechselnde radikale Eingrenzungen.
Unbedingt lesenswert dieser Artikel in der Berliner:
https://www.berliner-zeitung.de/kultur/theater/theatertreffen-der-stueckemarkt-feiert-unscheinbar-seinen-40--geburtstag-30152790
Und zum nachhören dlf Kultur:
http://podcast-mp3.dradio.de/podcast/2018/05/11/geteilte_welt_der_stueckemarkt_des_theatertreffens_drk_20180511_2318_d21aed89.mp3
"Böse Häuser" was hier auf unsachlichste Art und Weise kritisiert wird, habe ich in Stuttgart gesehen. Der Abend war für mich vielschichtig, emotional und subtil. Es ging darum überhaupt nicht ausschließlich in die Richtung Rechtspopulismus (oder sind Anschläge auf noble Neubauten mit "Fuck Erben!" als Tag neuerdings eine rechte Spezialität?) Aber Frau Hift schreibt dann einfach mal locker flockig: "Ein Blick in die Runde zeigt, dass alle Anderen auch schon wissen, wie der Hase läuft. Es folgen 50 quälende Minuten, in denen man sich mies fühlt in der Gemeinschaft anderer Menschen, die sich auch mies fühlen, und zulässt, dass die Stimmen der Performer einem mit ihrem platten pädagogischen Zeigefinger im Hirn rumpulen, weil man zu höflich ist, die Kopfhörer runterzunehmen und zu gehen." Und da ist bei mir auch schon die Klappe gefallen. Wenn eine Kritikerin weiß was alle denken, dann lügt sie. Thomas Oberender, der nun nicht dafür bekannt ist, immer mit dem Strom zu schwimmen, hat ganz andere Bemerkungen zu "Böse Häuser" gemacht. Aber da sieht man es exemplarisch was schlechte Sprachbehandlung macht. Es werden eigene Meinungen verabsolutiert und die Bewußtheit für die eigene Perspektive oder Standortgebundenheit à la Gadamer wird komplett negiert. Und damit verpassen die Kritik (weitere Beispiele für diese finden sich im Text zuhauf [Frau Hift weiß ja auch was die moralische Botschaft von Herr Englers Stück ist...]) und auch die Kommentatoren genau das Besondere dieser wirklich mal diversen Auswahl von Arbeiten. Nämlich die Fähigkeit dieser Arbeit sich selbst zu sehen. Formales Bewußtsei, wie auch inhaltliche Schärfe-
p.s.: Gehörte im vorigen Jahr in die Vor-Jury nicht Arnim Petras und in diesem Jahr Anne Lepper? Das sind ja keine dubios Unbekannten und hochdekorierte Autoren - wieso äußern sie sich nicht zur Vor-Auswahl? Wäre das nicht auch ein interessanter Vergleich, der zwischen begründeter Vor-Auswahl und finaler Stückemarkt-Jury?
Ihre Verteidigung von Turbo Pascals "Böse Häuser" in Ehren... aber
WAS MACHEN DIE BÖSEN HÄUSER AUF DEM tt_STÜCKEMARKT 2018 überhaupt, wenn sie in Berlin in den Sophiensälen und in Stuttgart ebenfalls zu sehen waren?
Der tt_STÜCKEMARKT ist keine Leistungsschau wie das tt,
es sollte Unbekanntes, Neues, Außergewöhnliches, Geniales, Verborgenes, Nie Dagewesenes entdecken - und nicht Erkaltetes aufkochen.
Und hier eröffnet sich das 2.Dilemma - wie übrigens auch für den Heidelberger Stückemarkt.
Gruppe bzw. Einzelkünstler_in müssen sog. Gutachten von sog. Renommierten der Theaterwelt beilegen.
Zum Heidelberger Stückemarkt kann eine sog. freie jungfräu/männliche Dramatiker_in, also eine/r, die Schreibschulen hasst, eine/r, die noch keinen Verlag hat - im grunde gar nicht eingeladen werden.
Und was heißt das?
Die, die an staatlichen Schreibschulen Dramatik lernen -
Die, die die gute Beziehungen zum Lehrkörper unterhalten -
Die ihre Netze schon gespannt haben - werden vorgeschlagen und eingeladen; kurzum: Die Pflegeleichten sind dabei.
Und klingelt dann da noch eine Glocke bzgl. beruflicher Abhängigkeiten Karriereeinstieg etc. ... ?
als ich Doris Meierhenrichs Beitrag in der Berliner Zeitung las.
Ich bin noch entsetzt, wie lau Frau Meierhenrich das kommentiert.
Kurz über Lippen gleiten lassen:
Die Jurorin für den tt_STÜCKEMARKT 2018 > Joy Kristin Kalu <
ist Dramaturgin für das ausgewählte Turbo Pascal Projekt "Böse Häuser" .
Die Jurorin Joy Kristin Kalu lädt sich quasi selbst zum tt_STÜCKEMARKT 2018 ein,
und Anne Lepper, Dimitrij Schaad, Philippe Quesne und Christina Zintl tragen das mit.
(...)
(Liebe Qualle,
nein, das ist nicht korrekt. Joy Kristin Kalu arbeitet ausweislich der Website der Sophiesaele als Dramaturgin für die Sophiensaele, die Mitproduzent von "Böse Häuser" von Turbo Pascal waren. Kalu war NICHT Dramaturgin für "Böse Häuser". Siehe dazu auch noch einmal den Kommentar der Berliner Festspiele von heute 21:29 Uhr.
mit Grüßen
jnm / Redaktion)
Aber von Anne Lepper steht im obigen Beitrag gar nichts - obwohl sie doch eigentlich die prominenteste Vertreterin der Hauptjury im Moment sein dürfte? Soweit ich weiß ist auch schaeferphilippen ihr Verlag. In Köln ansässig. Er vertritt auch als Agentur RegisseurInnen z.B., nicht nur DramatikerInnen mit deren Dramatik und auch gegebenenfalls sonstigen Literatur... Milo Rau z.B., ich glaube auch Ersan Mondtag, Thom Luz und Claudia Bauer - Wieso gibt es eigentlich ausgerechnet den Preis der Uraufführung vom Schauspiel Köln? Was genau qualifiziert ausgerechnet das Schauspiel Köln dafür? Wer sucht das aus, wer bestimmt das, wer wirbt das ein, in welchem Theater der "Sieger"text des tt-Stückemarktes uraufgeführt wird? - So viele Fragen. So viele Geschichten...
da Sie mich jetzt angesprochen haben, hab ich das getan, was anscheinend Andere hier nicht so gerne machen. Ich habe mich kundig gemacht. Da ich selbst nicht den Stückemarkt weder den Heidelberg noch den in Berlin ausrichten darf, mußte ich dafür Ausschreibungen etc. angucken.
Ergebnis für mich ist folgendes: Ihr Anspruch was der Stückemarkt in Berlin zu leisten hat, nämlich: "Der tt_STÜCKEMARKT ist keine Leistungsschau wie das tt, es sollte Unbekanntes, Neues, Außergewöhnliches, Geniales, Verborgenes, Nie Dagewesenes entdecken - und nicht Erkaltetes aufkochen." entspricht Ihren Vorlieben, aber nicht den Regularien des Stückemarkts in Berlin seit einigen Jahren. Die eingeladenen Projekte müssen fertig sein und als DVD eingereicht werden. Und dann kann es ja nun auch passieren, dass eine Arbeit schon in Berlin zu sehen war und dann nochmal nach Berlin im Rahmen des Stückemarkts kommt. Na und???
Ich empfinde es als äußerst wohltuend, dass der Berliner Stückemarkt nicht dem Jugendwahn hinterhechelt und auch mal verdiente Gruppen wie Turbo Pascal mit einer Einladung "würdigt". Das war ja nun auch längere Zeit Thema, dass der Betrieb nur noch "one-hit-wonder" produziert und kein Mensch mehr die Entwicklung als Autor*in nehmen kann, weil man mit 32 und dem dritten Stück nicht mehr interessant ist, für diese Plattformen. Soweit ich das verstehe sind da die Regeln in Heidelberg ziemlich anders. Da gibt es anscheinend nur Einreichungen von ehemaligen Heidelbergautor*innen, Verlagen oder von "renommierten" Betriebler*innen. Da kann man sich wohl gar nicht direkt bewerben. Das kann man in Berlin.
Find ich einen ziemlich gravierenden und ätzenden Unterschied.
Was die Verschwörungstheorien der "Freien Dramaturgie" angeht, bin ich wirklich sprachlos. Das Schauspiel Köln ist genau wie schaefersphilippen in Köln ansässig und hat mit Anne Lepper abgesprochen, wen sie durchbringen muß... Ist das Ihr Ernst??? Der Werkauftrag war schon mal in anderen Städten habe ich ohne Probleme recherchieren können. Wo waren da die Verlage und Ihre Agenten? So langsam piss ich mir ins Hemd vor Lachen.
Eine kleine Anekdote zum Abschluß: Beim Theatertreffen konnte ich "Faust" sehen (dank einer ehemaligen Kommolitonin, die früh genug zugeschlagen hatte!). Im Garten der Festspiele hör ich dann eine Mittfünfzigerin voll aggro zischeln "Das sind wenigstens keine Genderwichser hier." Und mich hat das total getroffen. Wieso herrscht da so eine Aggression? Ist das ein Generationenkonflikt? Gönnt diese Frau jemand wie mir meine weibliche Seite nicht, weil ich vielleicht die Gnade der späteren Geburt - nach der Machoherrlichkeit - hatte. Diese ganze Gehässigkeit gegenüber einem Festival was nicht diese ganzen Verletzungen wiederholen will, sind mir mittlerweile nur noch als Geburtsjahrproblem erklärlich. Meierhenrich, Hift, Sprenger - vielleicht einfach alle zu alt für das Programm in Berlin. (Für mich klang das richtig gut, was da war und auch das Rahmenprogramm erscheint mir ziemlich neu und wichtig für das ewiggestrige Theater) Mein Umfeld kennt diese Probleme nicht, und das beruhigt mich auch. Ich kann Projekte und Texte gleichwertig nebeneinander stehen lassen - und auch mit Abstrichen vergleichen. Warum auch nicht???
Faust ist mir mit dem doch teilweise nervigen Nuttensexismus (in 7 Stunden, hätten die Frauen vielleicht 3 Stunden mal was anderes anhaben dürfen als Bordsteinchic) und dem ziemlich halbgaren Postkolonialismus schon auf die Nerven gegangen und ich glaube dass da gerade was zuende geht im Theaterland der starken weißen Männerbeserker. Und das ist auch gut so. Und ich finde es sehr gut, dass die Zuständigen beim Stückemarkt anscheinend in eine andere Richtung suchen als die des ewiggleich Althergebrachten. So weit nach einem langen Arbeitstag.
Beste Grüße!
ein paar Fakten zum (diesjährigen) Stückemarkt:
Die Auswahljury des Stückemarkts – in diesem Jahr Joy Kristin Kalu, Anne Lepper, Dimitrij Schaad, Philippe Quesne und Christina Zintl – wählt die sechs beim Stückemarkt präsentierten Arbeiten aus. Zuvor werden sämtliche Einsendungen von erfahrenen Lektor*innen gesichtet, etwa 30-40 der Arbeiten werden dabei von der Auswahljury berücksichtigt. Die Jurorin Joy Kristin Kalu hat sich bei der diesjährigen Abstimmung über das Stück „Böse Häuser“ der Gruppe Turbo Pascal enthalten.
Eine dreiköpfige Preisjury – in diesem Jahr Beate Heine, Dominic Huber und Margarita Tsomou – fällt die Entscheidung über die Vergabe des Werkauftrags an einen der sechs Autor*innen und/oder Projektgruppen, die beim Stückemarkt vertreten sind.
Das kooperierende Partnertheater für den Stückemarkt wählt das Theatertreffen/Stückemarkt-Team aus. Partnertheater für den Werkauftrag waren in den vergangenen Jahren u.a. das Deutsche Nationaltheater Weimar, das Staatstheater Hannover, das Staatsschauspiel Dresden und das Badische Staatstheater Karlsruhe und in diesem Jahr das Schauspiel Köln.
Ach Gottchen! Sie hat sich enthalten! Ja dann kann das ja auf keinen Fall Vetternwirtschaft sein!
(...)
#15: Nein, das ist eine schlechte Auswahlangewohnheit. Auch bei den Autorentheatertagen am DT z.B. gibt es eine Vor-Vor-Jury, bestehend aus den erfahrenen hauseigenen DramaturgInnen für die - es wurde uns bereits mehrfach einfühlsam erläutert - die jeweilige Jahres-Jury sehr dankbar ist. Auch UA planende DramaturgInnen sind in aller Regel sehr sehr dankbar für die Vorauswahl, die Verlage schon mal für sie treffen! Diese wohltuenden Arbeits-Angewohnheiten auch noch kombiniert mit dem, was "Qualle" unter #9 schreibt, werden ganz gewiss alle neodramatische Kraft, die sich nur denken lässt, flauschig weichgespült und angepasst an die vorbestimmten Betriebstemperaturen in die Theater befördern... Ich verstehe ehrlich gesagt auch nicht, dass man als JurorIn nicht das Bedürfnis hat, die Qualität der LektorInnen mit der eigenen zu vergleichen und deshalb nicht darauf besteht, ALLES zu lesen, was eingereicht wurde, sofern man die Sprache extrem gut beherrscht, in der die eingereichten Stücke geschrieben wurden und sie nicht nur irgendwie eingeenglischt wurden, weil ja heutzutage dem phantasievollen Regietheater ein Plot im Prinzip vollkommen ausreicht, um irgendwie Bühnenzauber daraus zu machen. Mit und ohne Schauspieler, die sichtbar präsent sind als eigenständig agierende Schauspieler...