Wakanda ForEver

von John A. Kantara

17. Mai 2018. Da bin ich nun. Schwarz und voller Erwartung auf dem Weg zum Theatertreffen in Berlin. Ich bin nicht der einzige im Deutschen Theater, der neugierig ist. Der Vorplatz vor dem Schauspielhaus ist rappelvoll. Claus Peymann ist da und Jürgen Trittin und Fridel, der Kritiker der Zitty auch. Die Berliner Theaterszene gibt sich ein Stelldichein. Alle sind gierig auf das Neue, Andere, Frische, was da als freche, intelligente "Schwarzkopie" auf die Bühne kommen soll.

Wie cool ist das denn?

Ich bin nicht allein. Ich sehe alte afrodeutsche Freunde und Bekannte, die ich zuletzt in dieser Masse bei einer von der schwarzen Community organisierten Premiere von "Black Panther" im Kino erlebt habe. Wow, denke ich, wie cool ist das denn?! "Wakanda ForEver" hallt hier laut nach. Hier treffen Leute aufeinander, die sich sonst nie begegnen würden. Theaterprofis und Menschen, die das Theater selten von innen sehen. Kein Wunder, denn mit 49 Euro ist der "Normalpreis Web" für die Theaterkarte auch kein Pappenstiel.

Trotzdem sind sie alle da, Adetoun und Jasmin, Küppers, Wagner und Jeannine – Schwarze Deutsche wie ich, denen es wichtig ist, ein Stück zu sehen, das von der afrodeutschen Regisseurin Anta Helena Recke als exakte Kopie oder besser als exakte Aneignung der Inszenierung einer anderen, weißen Künstlerin (Anna-Sophie Mahler) im Oktober letzten Jahres auf die Bühne der Münchner Kammerspiele gebracht wurde.

mittelreich2017 3 560 c judith buss u Nicht eben gemütlich, diese bayrische Stube © Judith Buss

Parkett Links, Reihe 7, Platz 13. Auf den Plätzen neben mir zwei weiße Damen im besten Alter, definitiv Theaterprofis. Skeptisch alle beide. "Selig sind die, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden" – so erklingt am Beginn von "Mittelreich" der Matthäus-Vers 5,4 aus dem "Deutschen Requiem" von Johannes Brahms. Ein Gebet, gesungen mit der Anmutung eines Spirituals und intoniert von ausnahmslos afrodeutschen Schauspielern, Sängern und Musikern. Sie sind gut, sogar sehr gut, geradezu großartig!

"Politik der Identität"

Dabei ist Josef Bierbichler kein Shakespeare und kein Brecht – doch die Geschichte einer dysfunktionalen bayrischen Bauersfamilie im Nachkriegsdeutschland bekommt durch die Spiegelung und Aneignung der schwarzen Schauspieler eine neue Bedeutung. Geboren aus dem "Unvermögen der weißen Imagination, sich einen schwarzen Körper jenseits von Prekariat, Armut, Not, Exotik oder Flucht vorzustellen", so Anta Helena Recke, entsteht durch die Spiegelung von weißen durch schwarze Schauspieler ein wirkmächtiges Versprechen der eigenen, schwarzen deutschen Befreiung und Identität. In Zeiten von PEGIDA, AfD und "Identitärer Bewegung" wird deutlich, dass Recke mit ihrer Inszenierung einen kritischen Kommentar zur "Politik der Identität" in Deutschland wagt.

mittelreich2017 2 560 c judith buss uEin theatrales Plädoyer für Vielfalt © Judith Buss

In Bierbichlers Roman wird der Kontrollverlust der bayrischen Spießergesellschaft verhandelt, komplett mit einer unter die Haut gehenden Massenvergewaltigung eines Flüchtlingsfräuleins durch die Russen, des pädophilen Missbrauchs durch den Internats-Pater oder des dunklen Geheimnisses des Vaters, der im Weltkrieg der SS bei der Vergasung von Kindern assistierte. Wenn die heile, scheinheilige Welt der Lebenslügen des bayrischen Spießertums zerbricht, kommt es zur Beichte, die Erlösung verspricht!

Deutsche Nachkriegsgeschichte, die als "Schwarzkopie" und "Appropiationskunst" einen Angriff auf das weiße Establishment des heutigen deutschen Theaterbetriebes darstellt, in dem schwarze Schauspieler schlicht kaum vorkommen. Recke macht damit genau das, was Elvis Presley schon in den 1950er Jahren mit dem Rhythm and Blues getan hat, um sich mit der Aneignung schwarzer Musik zum "King of Rock'n'Roll" weiterzuentwickeln. Nur läuft es jetzt bei Recke spiegelverkehrt.

Kritik am Status Quo

Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied, der nur schwer vermittelbar ist. Während die Aneignung schwarzer Kultur durch weiße Künstler durchaus ein Akt kultureller Gewalt sein kann, wenn er aus einer "privilegierten" Machtposition heraus geschieht, ist Anta Helena Reckes "Schwarzkopie-Inszenierung" mit großartigen schwarzen Schauspielern und Musikern wie Moses Leo, Jerry Hoffmann, Ernest Allan Hausmann, Isabelle Redfern, Victor Asamoah und Yosemeh Adjei uvm. eine Kritik am Status Quo und ein Plädoyer für mehr Vielfalt im Theaterbetrieb.

Die großartigen, talentierten schwarzen Schauspieler spielen nicht nur für sich selbst, sondern für eine Chance auf die Zukunft. Denn erst wenn sie nicht mehr nur für den Othello infrage kommen, sondern auch für die Besetzung des Gretchens in Goethes "Faust", sind sie wirklich in Deutschland angekommen. Die beiden weißen Damen im Parkett Links auf Platz 11 und 14 neben mir haben es jedenfalls verstanden. Sie klatschten gemeinsam mit dem Berliner Publikum frenetischen Beifall. Wakanda ForEver ☺.

 

JohnAKantara 180 privat uJohn Alfons Cofi Amoateng-Kantara ist Filmemacher und (Fernseh)-Journalist. 1964 in Bonn geboren, studierte er Politikwissenschaft in Berlin und International Journalism in London. Von 1993 bis 2000 war er Redakteur bei DIE ZEIT TV Magazin. Seitdem arbeitet er als freier Wissenschafts- und Technikjournalist und TV-Autor u.a. für die ARD, ZDF, 3sat und ARTE. Er schreibt für in- und ausländische Zeitungen und ist  Journalistik-Professor an der Berliner DEKRA Hochschule für Medien. Kantara wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet (Foto: privat). www.kantara.de

 

Hier die Nachtkritik zur Premiere von Anta Helena Reckes Schwarzkopie von Mittelreich an den Münchner Kammerspielen (10/2017)

Hier die Nachtkritik zu Anna-Sophie Mahlers Original-Inszenierung von Mittelreich an den Münchner Kammerspielen

(11/2015)

Hier der Überblick über unsere Theatertreffen-Berichterstattung mit Live-Blog und Gastautor*innen zu den zehn eingeladenen Inszenierungen (bisher u.a. Kevin Kühnert, Katja Berlin, Johanna Schall)