Schottisch zu dritt

von Leopold Lippert

Wien, 18. Mai 2018. Auf der Bühne steht der Zuschauerraum des Burgtheaters im Kleinformat, komplett mit Balkon, Kristalllustern, und Wandverkleidung aus rotem Samt (Bühne: Stéphane Laimé). Die Saalbeleuchtung ist noch an, als ein spitzer Schrei das Geplänkel der Premierenbesucher*innen unterbricht. Durch eine offene Tür sieht man Mädchen vorbeihuschen, mit weißen Kleidchen und langen Perücken, erst einzeln, dann im Pulk. Sie kreischen laut, und sie laufen schnell. Die Szene könnte gruselig sein, Stimmung machen für den gewitternden Auftritt der Hexen auf der Heide – im hellen Licht wirkt sie aber eher komisch, lakonisch, und atmosphärisch zutiefst ambivalent.

Untote und Karnevalsfiguren

Es ist diese Uneindeutigkeit der Stimmung, die Antú Romero Nunes' stark gekürzten, auf drei Schauspieler*innen und nur wenige Figuren fokussierten "Macbeth" am Wiener Burgtheater auszeichnet. Die Inszenierung bleibt für eine Tragödie zu flapsig, für ein Gemetzel zu entrückt und für eine Moralpredigt zu fragmentarisch. Nunes steckt Ole Lagerpusch, Merlin Sandmeyer und Christiane von Poelnitz in adernüberzogene Bodysuits und rote Kleider, und setzt ihnen lange, zerraufte, aschblonde Haare auf den Kopf (Kostüme: Victoria Behr). Manchmal macht sie das zu furchteinflößenden Untoten, manchmal aber bloß zu Karnevalsfiguren, die auf den nächsten Kalauer lauern.

Macbeth 2 560 ReinhardWernerBurgtheater uDie Untoten, die auf Kalauer lauern  © Reinhard Werner

"Heil dir, Macbeth, der König wird, danach!": Auf die verstörende Prophezeiung der Hexen, die das Morden in Gang setzt, folgt der mindestens ebenso verstörend laszive Auftritt König Duncans (Merlin Sandmeyer), der erst die Krone falschrum aufsetzt, dann im knappen roten Höschen den entscheideden Zweikampf zwischen Macbeth und dem Rebellen Macdonwald nachtänzelt, und schließlich gelangweilt verkündet: "Kurzum, der Sieg war unser."

Inniges Paar mit Pausenclown

Ole Lagerpusch und Christiane von Poelnitz sind Macbeth und Lady Macbeth, er zögernd, sie voranpreschend, in ihrem Miteinander sehr körperlich. Sie küssen sich innig, sie umarmen einander, und beschwören eindringlich zwei Dolche, uneins darüber, wieviel Nachdruck sie der Prophezeiung der Hexen geben sollen. Wenig später wird Macbeth König Duncan erdolchen und sein Blut zitternd und bibbernd an den Bühnenwänden abwischen; noch gibt Duncan aber den Pausenclown, spielt auf seiner Panflöte, und witzelt mit großer königlicher Geste vom Theaterbalkon in den Burgtheater-Zuschauerraum: "Die Burg ist schön … gelegen!"

Macbeth 3 560 Reinhard WernerBurgtheater uDie Bühne von Stephan Laime zeigt den Zuschaueraum der Burg, die Kostüme von Victoria Beh
sprechen ihre eigene Sprache. Ole Lagerpusch, Christiane von Poelnitz und Merlin Sandmeyer
© Reinhard Werner

Als Duncan ermordet ist, tritt Sandmeyer als Banquo auf, dem die Hexen weissagen, er würde einst der Ahnvater von Königen werden. Doch während Macbeth sein Schicksal selbst in die Hand nimmt, hadert Banquo und fällt schließlich Macbeths immer panischer werdenden Mordlust zum Opfer. Nunes inszeniert Banquo durchaus effektvoll, und lässt ihn im schummrigen Nebel gegen die Drehbühnenbewegung laufen, hastend und stolpernd, und doch immer auf der Stelle bleibend. Aber auch dieser Auftritt bleibt atmosphärisch ambivalent: Erst blitzt die Saalbeleuchtung, dann hustet Banquo ob des vielen Trockeneises, und schließlich fährt die Drehbühne eine Reihe trashiger LED-Flackerkerzen auf.

Mädchen singen, Kitsch trieft

Im Kleinen erschafft Nunes immer wieder gespenstische Stimmungen der Heimsuchung, der Verzweiflung: etwa durch das synchrone Keuchen der beiden Macbeths nach dem Morden, oder durch das ständige Klopfen, das Macbeth erst von der Tonspur her verfolgt, im Türenknallen widerhallt, und schließlich körperlich wird, mit Schlägen auf Brust und Bein. Trotzdem finden die einzelnen Szenen nicht zu einem größeren Ganzen zusammen, und so verwundert es kaum, dass Nunes am Ende (das – wahrscheinlich – irgendwo im vierten Akt anzusiedeln ist) mit einer groß inszenierten deus ex machina-Musiknummer zum Befreiungsschlag ausholt.

Lady Macduff (auch Merlin Sandmeyer) schleppt nämlich einen vielköpfigen Mädchenchor (The Vivid Voices) auf die Bühne, die Woodkids Central Park erst flüstern, und schließlich mit instrumentaler Unterstützung gleich einer ganzen Arbeiter-Musikkapelle (Post und Telekom Musik Wien, stilecht im Feinripp-Unterhemd) zum großen Angriff auf die Tränendrüsen blasen. Aus der reduzierten Dreipersonenkonstellation wird plötzlich ein riesiges kitschtriefendes Bühnenkollektiv; Macbeth reißt die samtrote Bühnenwandverkleidung vom Gerüst, und Lady Macbeth leert sich eine volle Flasche Theaterblut über den Kopf. Mit ihrem Selbstmord endet die Inszenierung. Großer Applaus für die Kinder.

 

Macbeth
Von William Shakespeare
Deutsch von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens, Fassung des Burgtheaters
Regie: Antú Romero Nunes, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Victoria Behr, Musik: Johannes Hofmann, Licht: Norbert Joachim, Dramaturgie: Eva-Maria Voigtländer.
Mit: Ole Lagerpusch, Christiane von Poelnitz, Merlin Sandmeyer, Musiker: Lenny Dickson, Tommy Hojsa, Paloma Siblik, Alexander Wladigeroff, Post und Telekom Musik Wien (Kapellmeister: Christian Schranz), The Vivid Voices (Leitung: Ariana Pullano).
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.burgtheater.at 

 

 

Kritikenrundschau

Reinhard Kager schreibt auf der Website von Deutschlandfunk Kultur (18.5.2018): Da Nunes sich "dramaturgisch" nicht entscheiden könne, "eine Groteske oder eine Tragödie spielen zu lassen", bleibe der Abend "Stückwerk mit viel verspritztem Blut". Als wolle er alles wieder sauber machen, zeige der Regisseur am Ende nicht Macbeth' Tod, sondern lasse Mädchen "in weißen Unschuldskleidern einen Song von Woodkid trällern" – und lande dadurch "gar im Kitsch".

"Das Tollste bei dieser Premiere sind die Details der Ausstattung und die hinzugefügte Rahmenhandlung", schreibt Norbert Mayer von der Presse (20.5.2018). "Die ganze Welt ist Bühne, das Publikum sieht sich gespiegelt im großen Welttheater." Und sonst? "Nunes hat dieses ohnehin kurze, fein austarierte Drama mit seiner unheimlichen Sogwirkung, dieses perfekte 'Schottische Spiel' über Macht und Lüge, Sein und Schein grob faschiert." Bis zur Peinlichkeit werde reduziert. Die Kunst der drei Schauspieler, raffiniert mit Emotionen zu spielen, werde zum Großteil leichtfertig verschenkt. "Nunes macht sie stattdessen zur Karikatur. Zu achtlos geht er mit dem Text um."

"Nicht die zweckgebundene Meuchelei interessiert hier, sondern das Hinschlachten um seiner selbst Willen, die pure Lust an der schändlichen Tat", schreibt Margarete Affenzeller im Standard (18.5.2018). Der Blutrausch nutze sich aber mit der Zeit ab. "Der Fokus auf diese Anatomie des Wahns und ihre immer gleichen Gebaren hat eben seinen Preis. Es wird eintönig, daran können auch die in Wiederholungen variierten neuralgischen Passagen nicht viel ändern."

"Nunes hat das Stück radikal eingekürzt, für manche vielleicht zu radikal." Thomas Trenkler vom Kurier (19.5.2018) ist dennoch beeindruckt "aufgrund der geradezu verstörend brutalen Aussagen". Nunes versage sich jedem aktuellen Bezug. Seine drei "fulminanten" Darsteller könnten einem einem dystopischen Horrorschocker entsprungen sein.

"Große Enttäuschung." Mit diesen Worten beschließt Martin Lhotzky seine Besprechung für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (22.5.2018). "Was also haben wir nun eigentlich gesehen? Jedenfalls bis auf vereinzelte Zitate nichts von Shakespeare, wie es doch angekündigt war."

 

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