Lieber Fabian Hinrichs,

Basel, 23. Mai 2018. Mit großem Interesse und einiger Verwunderung habe ich Ihre Laudatio auf Benny Claessens zum Alfred-Kerr-Preis gelesen.

Zunächst möchte ich sagen, dass es mir nicht um den ausgezeichneten Schauspieler geht, den Sie ausgewählt haben oder gar darum, seine Leistung zu schmälern, auch nicht darum, Ihnen andere Schauspieler schmackhaft zu machen oder gar beleidigt zu sein, dass die Wahl nicht auf eine/n meiner Kolleginnen bzw. Kollegen fiel. Ich möchte auch keine Geschmacksdiskussion vom Zaune brechen.

Dennoch möchte ich mich zu ein paar Dingen äußern, die nicht nur, aber auch unsere Basler Produktion Woyzeck betreffen, der Sie unzweideutig eine ganze Menge vorwerfen: Ihre Laudatio bestand ja zur gefühlten Hälfte aus der grundsätzlichen Ablehnung dieser und der Art und Weise, in der wir sie mitgetragen haben.

woyzek 560 SandraThen u"Woyzeck" in Basel. Regie und Bühne von Ulrich Rasche  © Sandra Then

Dass Sie den Abend nicht mochten, ist Ihr gutes Recht. Aber mir und den Kollegen in einer herabwürdigenden und verallgemeinernden Art und Weise "preußischen Gehorsam" zu unterstellen und uns als "freudig mitlaufendes Servicepersonal" zu titulieren, kann und will ich nicht unkommentiert hinnehmen. Und das tue ich auch als ein Vertreter meiner Zunft, die Sie im gleichen Atemzug rundheraus attackieren.

Zauber und Kraft der Schauspielerei

Ich bin zum Theater gegangen, weil ich auf unterschiedliche Sichtweisen und Ästhetiken treffen, weil ich über den eigenen Tellerrand schauen und ich mit Leuten zusammenarbeiten wollte, auch wenn sie mal einen Satz völlig anders verstehen als ich. Und auch, weil ich daran glaube, eine ganze Menge zum Gelingen eines Theaterabends beizusteuern (unabhängig vom fleißigen Textlernen), nämlich mit meiner Fantasie, Kreativität, meinem Potenzial zum offenen Diskurs und – ja, absolut! – meiner Persönlichkeit, was auch immer das sein soll. Aber nicht, um diese auf Biegen und Brechen durchzusetzen, nur, damit ich mich dabei total frei und total persönlich fühle und dann total gut gelaunt und voller Endorphine nach Hause gehe. Wir können uns sicherlich darauf einigen, dass ein Großteil des Zaubers und der Kraft, die die Schauspielerei ausmacht, darin liegt, dem Geschehen und den Partnern so persönlich, so eigen wie möglich zu begegnen und nicht wie lauter dumme Nüsse, unselbständig denkende Automaten oder als bloße hirnlose, austauschbare Masse, die ins Korsett gepresst werden, um Verse nachzuplappern. Das Ziel ist sicherlich bei keinem von uns, daran möchte ich jetzt einfach mal glauben, sich hinter einer Säule zu verstecken. Dafür stehe ich sicher nicht mit meiner Person und also Persönlichkeit jeden Abend im Licht. Es ist aber auch durchaus möglich, seine Persönlichkeit innerhalb eines strengen Formkorsetts, wenngleich schwerer, zu zeigen; das haben übrigens eine ganze Menge Leute in unserer Arbeit so gesehen.

Was wissen Sie von der Probenarbeit?

"So sollte man als künstlerischer Schauspieler nicht mit sich umgehen lassen", – wieso nicht? Weil mir das Ergebnis nicht gefällt? Wissen Sie denn, wie mit uns umgegangen wurde? Was wissen Sie eigentlich von unserer Probenarbeit? Sie sehen ein Ergebnis, das Sie mutmaßen lässt, wie es auf der Probebühne zugegangen sein muss. Sie sehen die Unfreiheit, den Gehorsam, den Sportunterricht. (Gar nicht so weit weg vom "Woyzeck", oder?) Und offensichtlich keinerlei Gedanken, keine Freiheit, folglich also keine Gedankenfreiheit. Ich hatte gehofft, dass eine schauspielerische Persönlichkeit, wie Sie eine sind, mehr Sinn, Gespür und Verständnis für einen Probenprozess hat, wenn sich ein Ensemble in ein formstarkes Konzept begibt bzw. daran mitarbeitet, es zu beglaubigen. Und sich auch in den Dienst einer Sache stellt, ohne sich gleich dabei zu verraten oder für dumm verkaufen zu lassen. Schauspielerisches Vermögen besteht auch darin, die Konsequenz eines Abends zu vertreten - auch wenn es nicht die eigene ist.

Kleinkariert

Ja, es gibt freiere Abende. Ja, es gibt offenere und uneingeschränktere Probenzusammenhänge als bei dieser Produktion, aber man sollte so einen Abend auch nicht überbewerten. Er ist nur einer von sehr vielen Aufführungen, die ein Stadttheater im Angebot hat. Aber auf die Schauspieler einzudreschen, sie hätten nichts in der Birne und würden nur wie die Lemminge mitmarschieren, halte ich doch für sehr kleinkariert.

Hier in Basel und mit Sicherheit bei allen am Theatertreffen eingeladenen Theatern und darüber hinaus arbeiten Kollegen, die sich mit viel Kraft und Spucke unterschiedlichsten Herausforderungen, Konzepten und Inhalten diverser Regisseure stellen. Sie öffnen sich diesen und arbeiten hart daran, ihnen mit ihren eigenen Konzepten und Inhalten – nämlich mit sich selbst – auf Augenhöhe zu begegnen, denen Sie allerdings mit ihren Worten die künstlerische Eignung absprechen.

Herzlich,

Michael Wächter
Theater Basel
Alfred-Kerr-Preisträger 2017

 

Waechter Michael Theater BaselMichael Wächter, geboren in Leipzig, ist seit der Spielzeit 2015/2016 Ensemblemitglied am Theater Basel. 2017 wurde er beim Berliner Theatertreffen mit dem Alfred-Kerr-Darstellerpreis für seine Rolle des Theodor in Simon Stones Inszenierung "Drei Schwestern" nach Anton Tschechow ausgezeichnet. Im selben Jahr wurde er in der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift "Theater Heute" zum Nachwuchsschauspieler des Jahres gewählt. (Foto: Theater Basel).

 

Kommentare  
Einspruch Michael Wächter: kein Widerspruch
Lieber Michael Wächter!
Ihre und die Position von Fabian widersprechen sich nicht wirklich.
Und seinen eigenen Blumentopf können wir Schauspieler ja eh fast immer gießen. Und auch Kreativität und Zusammenarbeit finden fast immer statt.
Von meinem Meister Ciulli erinnere ich den Satz: Spielen ist eine Art von Denken, die durch keine andere Art von Denken ersetzt werden kann.

Stellen wir den Satz mal gegen den Begriff „Regietheater“, haben wir - plakativ hingestellt - den eklatanten Unterschied im entstehen von Theaterproduktionen bezogen auf die Autorenschaft des Schauspielers.

Lghh
Einspruch Michael Wächter: Entfremdung
Ich glaube der ganzen Frage nach 'Autorenschaft' des Schauspielers
versus Entmündigung durch 'Regietheater', liegt auch, nicht nur, aber auch, ein Struckrurelles Problem zugrunde.
Die Reduzierung der Ensembles, die fast automatische Nichtverlängerung bei Intendantenwechsel, quasi Abschaffung der Unkündbarkeit, das alles schwächt die Machposition der Schauspieler im Betrieb. Und diese grosse z.T. existentielle Angst um den Arbeitsplatz, fördert die Anpassung, lässt den Schauspieler vor Verantwortung(was Autorenschaft immer bedeutet) zurückschrecken, führte nach meiner Beobachtung dazu, dass in den letzten zwanzig Jahren immer mehr, "schwierige" Kollegen, die auch mal wiedersprochen haben, aussortiert wurden.
Die Deutungshoheit liegt fast ausschliesslich beim Regisseur und der wird in der Regel von der Leitung vor renitenten Schauspielern geschützt.
Wer sich wie Hinrichs einen hohen Status im Betrieb erarbeitet hat, kann sich natürlich einbringen und man wird seinen Ideen und Vorschlägen Beachtung schenken und ihnen folgen, aber allzuoft bilden Regie, Leitung und Dramaturgie eine 'Entmündigende' Allianz GEGEN die Schauspieler.
Sie bilden Findungskommissionen.
Sie sitzen, wie Hinrichs treffend beschreibt gemeinsam mit Journalisten auf Podien und theoretisieren über DAS SPIEL DER SCHAUSPIELER.
Sie betreiben die Entfremdung des Schauspielers von sich selbst.
Nicht absichtsvoll, das will ich nicht unterstellen, aber als ganz gewöhnliche Technokraten eben.
Einspruch Michael Wächter: Bresche
Es wäre den Schauspielern zu raten, die Bresche, die der unabhängige und hellsichtige Hinrichs für die Freiheitsansprüche (denn Vergnügen auch an der Tragödie empfindet der Zuschauende nur durch Freiheit und Zweckmäßiges ohne Zweck; siehe Schiller „Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen“ oder Georg Simmel „Philosophie des Schauspielers“) zu nutzen. Hinrichs verstehe ich unzweifelhaft so, dass es ihm nicht ausschließlich um den Gestaltungsräume von Regisseuren geht, sondern um mschtökonomische Entwicklungslinien. Und Herr Wächter, wenn die Arbeit an der Sprache so individuell war, warum hören sich alle auf der Bühne gleich an? Ein Arzt würde sagen, hier kann nicht von einer Infektion durch Sprache ausgegangen werden, sondern doch eher von einer Formatierung. Hinrichs liefert eine schlagende kulturtheoretische und -kritische Analyse, voller Verhe, geschrieben zum Niederknien. Wenn der durchschnittliche Kritiker so schreiben und denken könnte, stünden wir nicht so tief im Sumpf wie es jetzt ganz offensichtlich der Fall ist. Also Leute, nutzt Eure Stunde und werdet die, die ihr sein könntet.
Fabian Hinrichs' Laudatio: Dank
(...) man kann Hinrichs nur dankbar sein, mit seiner Laudatio eine Diskussion über die Arbeitsbedingungen und Unfreiheiten an deutschen Stadttheatern zu unterstützen.
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