Angstfrei gegen den Schaufelradbagger

von Cornelia Fiedler

Köln, 30. Mai 2018. "Garantiert ritterliches Mittelmaß in garantiert angstfreier Atmosphäre", verspricht Stefko Hanushevsky mit gewinnendem Lächeln demjenigen, der ihm, dem Ritter Don Quijote, als Knappe dienen will. Einen "angstfreien Raum" versprach auch Stefan Bachmann zu Beginn seiner Intendanz in Köln 2013.

Heute, wenige Tage nachdem Der Spiegel von einer "toxischen Atmosphäre“ am Hause schrieb, klingt das seltsam. Bachmanns Ehefrau Melanie Kretschmann wird Machtmissbrauch und Mobbing vorgeworfen, über Bachmann heißt es, er würde dieses Verhalten schützen. Den Anschuldigungen widersprachen Teile des Ensembles in einem Statement, andere stimmten zu, Fortsetzung folgt. Für den Premierenabend von "Don Quijote" belässt es das Team bei seiner kleinen ironischen Anspielung – und steckt alle Energie in ein Bühnenspektakel im Breitwandformat.

Schluffi im Bademantel

Der Mann, der eines Tages beschließt, als Don Quijote zum Helden zu werden, ist bei Regisseur Simon Solberg ein Schluffi im Bademantel und ein klassischer Film- und Serienjunkie. 2007 hat Solberg "Don Quijote" übrigens schon einmal inszeniert, als junger Wilder in der Nebenspielstätte des Schauspiels Frankfurt, schon damals mit sichtlichem Spaß am Verschneiden von Film und Roman.

donquijote231 560 Bavid Baltzer uAus Leinwandfantasien gespeist: Simon Solbergs "Don Quijote" in Köln © Bavid Baltzer

Auch in der 2018er Inszenierung speisen sich Don Quijotes Heldenphantasien – oder psychotische Wahrnehmungsverschiebungen – kaum mehr aus Ritterromanen, wie im früh-neuzeitlichen Original von Miguel de Cervantes, sondern unmittelbar aus den Welten, in denen sich die Teenies der 1990er am wohlsten fühlten: "Pulp Fiction", "Star Trek", "Matrix" und und und. Die flimmern zu Beginn als Mash-up über den etwa drei Meter hohen Röhrenfernseher, der das Zentrum des Messie-Bühnenbilds von Solberg und Bühnenbildnerin Franziska Harm bildet.

Angriff auf die Realität

Nach einem Ritterschlag durch einen Zuschauer zum Soundtrack von "Game of Thrones" folgt das erste Miniabenteuer des Ritters von der traurigen Gestalt. Schon nach wenigen Minuten schlappt der Weltflüchtling verprügelt und gedemütigt nach Hause. Dort formiert sich umgehend ein freundliches Normierungsteam, bestehend aus Barbier Justus Maier, Pfarrer Benjamin Höppner und Haushälterin Annika Schilling, das ihn den ganzen Abend über verfolgen wird. Schließlich ist zu viel Phantasie ein Angriff auf die Realität. Schließlich kratzt jeder, der einfach tut, worauf er Lust hat, an der Legitimation der Leistungsgesellschaft.

Die drei wollen ihn durch strenge Filmabstinenz kurieren. Dumm nur, dass Don Quijotes Ritterwahn ratzfatz zurückkehrt, diesmal verschärft durch eine verschwörungstheoretische Komponente: Künftig ist das geheime Wirken des mächtigen Zauberers und Erzrivalen Friston an allem schuld.

Im popkulturellen Gedächtnis gewildert

Gut gelaunt macht sich der quirlige Ritter für die zweite Runde auf Knappensuche, Jobbeschreibung siehe oben. Die Wahl fällt auf Nikolaus Benda. Der ist zwei Köpfe größer als Hanushevsky und markiert zunächst den tumben Macker. Schon bald aber wird er keinen Hehl mehr daraus machen, für wie verrückt er seinen Don wirklich hält. Begleitet von den "Winnetou"- und "Robin Hood"-Themes stürzen sich die zwei in ein Best-of der bekannten Abenteuer. Der Text springt dabei munter zwischen Ritterduktus und schnodderigen Aktualisierungen im Sitcom-Stil. Jeder Episode verpasst Solberg durch Musik und Kostüme einen Frame aus dem kollektiven popkulturellen Gedächtnis.

Der Kampf gegen die Windmühlen (hier gegen die Sandkastenversion eines Tagebau-Schaufelradbaggers) beginnt zum Sound von "A-Team". Als der tapfere Ritter vom Windrad mitgerissen wird (hier an einem Seil hängend zu Stroboskopblitzen im Kreis geschleudert) läuft Rage against the Machine, nomen est omen. Mit dem Spiegelritter duelliert sich Don Quijote dann in einem Games-Universum. Maier und Hanushevsky spielen das wunderbar ernsthaft, inklusive alberner Hüpfer, "Super Mario"-Siegerposen und ungewollter Pausen, wenn ein Knappe vergisst, den Controller zu bedienen.

donquijote421 560 Bavid Baltzer uDas Bühnenbild von Simon Solberg und Franziska Harm © David Baltzer

Wie die alte Geschichte hier über neue Fallstricke stolpert, zeigt, welches Potenzial darin liegt, Cervantes tragikomischen Roman mit heutigen Spielarten der Heldenreise zu verschneiden. Doch in den meisten der Kombi-Szenarien von "Star-Wars" über "Das Boot" bis "2001" nutzen Solberg und Dramaturgin Nina Rühmeier die Assoziationsräume kaum. Statt neue Narrations- oder Reflexionsebenen zu öffnen, inszenieren sie unter enormem Materialaufwand eine Polonaise altbekannter Antihelden durch neue Filmsets. Die wirkt in ihrer Beliebigkeit auf Dauer etwas ermüdend.

Liebenswert bockig

Don Quijote passt nicht in diese Welt, heute wie damals. Zu groß ist die Abweichung zwischen seiner Wahrheit und der der restlichen Welt. Mit dieser Einsicht könnte man ihn getrost sterben lassen. Das verweigert die Inszenierung allerdings, liebenswert bockig wie das ritterliche Pferd Rosinate vor einem Wassergraben. Solberg lässt den Sterbenden in die Filmleinwand hinein und dort über ein Feld in den Sonnenuntergang gehen.

Und plötzlich entscheidet sich der coole, bisher so hämisch vernünftige Klugscheißer Sancho Pansa für das völlig irre Rittertum, für die Phantasie, für die Freiheit – und, ja, letztlich für den Kampf gegen das Böse. Er rennt los – und der Film geht weiter: Benda packt sein Schwert, sucht sich einen Knappen, findet Hanushevsky und reitet mit ihm durch den Hambacher Forst dem RWE-Tagebau und seinen unbesiegbaren Baggern entgegen. "Aber das sind ja..." stammelt der eine, "Riesen", sagt der andere ruhig, "und sie haben es verdient, vom Angesicht der Erde zu verschwinden."

 

Don Quijote
nach Miguel de Cervantes
Regie: Simon Solberg, Dramaturgie: Nina Rühmeier, Bühne: Simon Solberg und Franziska Harm, Kostüme: Franziska Harm.
Mit: Nikolaus Benda, Stefko Hanushevsky, Benjamin Höppner, Justus Maier, Annika Schilling.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.schauspiel.koeln

 

Kritikenrundschau

"Wer Solberg engagiert, will zeitgenössisch aufgepepptes Event-Theater. (...) Den Bildungsbürger mag's grausen, Generation YouTube frohlockt“, heißt es es in der Kölnischen Rundschau (3.6.2018). Ideenmangel sei hier nie das Problem, eher drohe dieses Schnappatmungstheater am Gegenteil zu ersticken. "Cervantes' Geschichte in moderne Heldenhorizonte zu spiegeln, könnte durchaus interessant sein, bleibt hier jedoch zwischen Nebelwerfer und Konfettikanone eher reizgewittriger Zitatenreigen." Zumal der Abend in seiner rastlosen Jagd nach Gags auch manchem Kalauer der traurigen Gestalt erliege. "Wer sich freilich vom Energiestrom der Inszenierung mitreißen lässt, dürfte dieses extrem kurzweilige Erlebnis kaum bereuen."

"Es darf gelacht werden", schreibt Christian Bos im Kölner Stadtanzeiger (4.6.2018). "Dieser Abend atmet den Geist des Videobands – oder lädt angespannte Kulturbürger zum 'Netflix and chill' ein." Solberg kleide den Stoff in ein zitatwütiges Gelärme, "das Freunde der Dekla­mationskunst und viele Theater­kritiker den Untergang des Abend­landes heraufbeschwören lassen wird". Derweil fresse sich das Ensemble durch ein popkulturelles Schlaraffenland, in dem ihnen die Querverweise nur so in den Mund flögen. "Die Grenzen zwischen Schauspiel und Cosplay verschwimmen."

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