Space ist the place

1. Juni 2018. Choreographin Constanza Macras arbeitet mit Kindern und Jugendlichen aus dem Theaterprojekt der Outreach Foundation Boitumelo im Johannesburger Stadtteil Hillbrow zusammen. Mit ihnen hat sie ein Stück entwickelt, das den Aufbruchsgeist feiert und dem Tanztheater einen Energiestoß versetzt.

Von Elena Phlipp

"Hillbrowification" von Constanze Macras © John Hogg

Space is the place

von Elena Philipp

Berlin, 1. Juni 2018. So sieht eine Zukunft aus: schwarz, sendungsbewusst und souverän. Bereit, die Bühnen dieser Welt zu bespielen. Eine tanzkundige Taskforce für Veränderung, der die Choreographin Constanza Macras bei Proben in Südafrika begegnet ist – Kinder und Jugendliche aus dem Theaterprojekt der Outreach Foundation Boitumelo im Johannesburger Stadtteil Hillbrow. Mit dieser Crew ausdrucksstarker Multikünstler*innen hat Macras fürs Berliner Gorki "Hillbrowification" entwickelt, ein Stück, das den Aufbruchsgeist feiert und dem Tanztheater einen Energiestoß versetzt.

Die Körperfresser kommen

Eine Alieninvasion soll die Erde erfasst haben, motiviert eine Sci-Fi-Story den Auftritt von Brandon Magengelele und Bongani Mangena im ruckenden Roboting-Style. Die Erdbevölkerung – entfremdete Arbeitsnomaden, mehr Ding als Mensch, so eines der assoziativen Textfragmente, die das Stück lose strukturieren und von wechselnden Performer*innen vorgetragen werden – wird von der virenartigen "Grenze" (the barrier) besetzt, genetisch modifiziert und ausgetauscht. Wie das body snatching aussehen könnte, führt der 21-köpfige Cast zu Sun Ras afrofuturistischem Sci-Fi-Song "Space Is The Place" auch gleich vor, im Improstyle, bei dem ein eigenes Körperteil als bedrohlicher Fremdkörper imaginiert wird, was zu bizarren Verknotungen führt. Aber weil ausnahmslos alle in dieser altersgemischten Truppe – der Jüngste ist neun Jahre alt – eine umwerfende Bühnenpräsenz haben und weitgehend virtuos über ihren Körper verfügen, verfängt dieser eigentlich simple choreographische Trick.

Man möchte sie gerne einzeln vorstellen, die 15 jungen Menschen, die bei der Outreach-Stiftung in ihrer schulfreien Zeit Kurse im Tanzen, Singen, Musikmachen belegen und die hier mit drei Ensemblemitgliedern aus Macras’ freier Kompanie DorkyPark und drei bei Outreach geschulten Profis – Zibusiso Dube, Bigboy Ndlovu und Nompilo Hadebe – auf der Bühne stehen. Aber die Geschichte mit den Aliens geht ja weiter.

Wer nicht tanzt, stirbt

Als die menschlichen Leitungseliten durch die Aliens ersetzt sind, wird der Machtwechsel offiziell. Und was macht die neue Herrschaft als erstes? Installiert ein Schreckensregime und schafft eine neue Hierarchie, beruhend auf einem willkürlichen Selektionskriterium – so absurd wie etwa die Unterteilung nach Hautfarbe: Wer nicht tanzen kann, wird von den Aliens eliminiert. Überlebende sind vor allem Menschen aus Afrika und afrikanischer Abstammung, beruft sich Brandon Magengelele mit deutlicher Ironie auf das Klischee vom "Afrikaner" als Tanzexperten.

Anlass bietet diese Episode für eine schön dick aufgetragene Tanzstilparodie. Das sogleich fleißig exerzierte Ballett wird in der neuen Erdordnung zur Existenzform der happy few, zur exkludierenden Ideologie rechtsgesinnter Eliten – Leistung ist alles. Der Konzepttanz hingegen rettet Leben, schließlich ist seine Stilvielfalt so groß, dass auch für jede*n Tanzunkundige*n etwas dabei ist. Als Beleg für die Barrierefreiheit des zeitgenössischen Tanzes zeigen einige Ensemblemitglieder das Im-Quadrat-Gehen-und-so-tun-als-ob-da-Ecken-wären, das an Becketts Theaterexperimente erinnert und ein bisschen an den Postmodern Dance.

hillbrowfication1 560 Themba uRoman Handts Kostüme © Themba

Lustig ist das, ja, aber offensichtlich wird hier einmal mehr, dass Macras nicht zu den Choreograph*innen zählt, die Ambivalenzen offenlegen oder allzu tiefenkritisch arbeiten: Was eine Reflexion auf die Apartheid und ihre Auswirkungen sein könnte, wird in eine komische Szene gepackt und weggelacht. Schließlich soll es ja um die Zukunft gehen. Diese Zukunft hat in "Hillbrowification" eine politische Dimension, die Menschen fühlen sich unter der Alienherrschaft gefangen oder befreit.

In dieser Zukunft spielt, wie jetzt ja auch, der Konsum eine wichtige Rolle. Nostalgiker mit Sehnsucht nach dem 21. Jahrhundert integrieren ihre Smartphones in die Handfläche, und alle tragen die spektakuläre (afro)futuristische Stage Wear des südafrikanischen Designers Roman Handt – bunte Leggins mit Löchern, geometrisch oder psychedelisch gemusterte Oberteile, Überwürfe mit Rüschen, Troddeln, Fransen, expressive Gesichtsbemalung und, in einem Fall, eine Stachelmaske (die das Gesicht des einzigen Weißen im Cast verbirgt und die Frage aufwirft, wie es die Aliens wohl mit den Hautfarben halten, denn tanzen kann Emil Bordás).

Wir werden siegen!

Irgendwann bricht dann, wenn man denn eine chronologische Narration herauslesen möchte aus "Hillbrowification", der Kampf aller gegen alle aus. Die präzise Choreographie dieser Prügeleien und Kickbox-Sequenzen würde in jedem Actionfilm bestehen. Lange, lange begegnen sich die Performer*innen immer wieder in Zweikämpfen, über die Bühne taumelnd – nur um dann, so frisch, als sei nichts gewesen, eine Tanzsequenz hinzulegen. In Tanz und Gesang verortet "Hillbrowification" das Potenzial fürs Überleben, aber eben auch für Emanzipation und Widerstand: in einer hybriden Bewegungssprache mit Elementen der Contact Improvisation und, als wesentlichem Anteil, (süd-)afrikanischen Tanzstilen, und in Black Music vom (live gesungenen) Spiritual über Jazz bis zum Rap. Wie singt Amahle Meine, in einem übertitelten Traditional vor der letzten hochenergetischen Choreographie: Sie kommen mit ihren Gewehren und denken, wir fürchten uns vor ihnen – aber wir werden siegen. Und so stehen die Performer*innen denn zum Schluss hochaufgerichtet, machtvoll, zukunftssicher. Space must be the place!

 

Hillbrowification
von Constanza Macras | DorkyPark
Regie: Constanza Macras, Choreographie: Constanza Macras und Lisi Estarás, Dramaturgie: Tamara Saphir, Kostüme: Roman Handt, Bühne und Requisiten: Roman Handt und Outreach Foundation Boitumelo (Sibonelo Sithembe, Roggerio Soares), Licht und Technik: Sergio De Carvalho Pessanha, Sound Design: Stephan Wöhrmann, Regieassistenz: Helena Casas und Linda Michael Mkhwanazi.
Mit: Miki Shoji, Emil Bordás, John Sithole, Zibusiso Dube, Bigboy Ndlovu, Nompilo Hadebe, Rendani Dlamini, Karabo Kgatle, Tshepang Lebelo, Brandon Magengele, Jackson Magotlane, Bongani Mangena, Tisetso Maselo, Vusi Magoro, Amahle Meine, Sandile Mthembu, Thato Ndlovu, Simiso Ngubane, Blessing Opoka, Pearl Sigwagwa und Ukho Somadlaka.
Dauer: 80 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

 

Mehr dazu: Astrid Kaminski schreibt in der taz über die Produktion von Hillbrowification

 

Kritikenrundschau

"Es ist erstaunlich, was Constanza Macras mit den Kids auf die Beine gestellt hat", schreibt Sandra Luzina im Tagesspiegel (4.6.2018). "Die jungen Darsteller erobern das Publikum im Sturm mit ihrer Ausdruckskraft, ihrer Fantasie und ihrem Enthusiasmus. Sie können nicht nur tanzen und singen, sie tragen auch philosophische Texte überzeugend vor, etwa von Achille Mbembe, einem Vordenker des Postkolonialismus."

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