Punk und Pop

von Sascha Westphal

Oberhausen, 3. Juni 2018. Amir ist wütend. Die Stadt hat die Turnhalle, in der auch sein Kickbox-Club seit Jahren eine Heimat hatte, in eine Notunterkunft für Geflüchtete umgewandelt. Wo bisher alternde Kickboxer und junge Talente Roundhouse-Kicks trainiert und an ihrer Hand- wie ihrer Fußtechnik gearbeitet haben, leben nun Menschen aus dem Irak und aus Syrien, aus Bangladesch und Afghanistan. Das ist eindeutig zuviel für Amir. Nicht einmal vor einem Begriff wie "Umvolkung" macht er noch halt. Doch dann passiert etwas, das alles auf einen Schlag verändert.

Amir und die Kickboxerin Renee werden Zeugen, wie ein zwölf- oder dreizehnjähriges Mädchen, das an einer Hand nur drei Finger hat, einen deutlich älteren und viel größeren Mann, der sie schikaniert, mit einem Roundhouse-Kick und einem Schlag in den Solarplexus außer Gefecht setzt. Fortan sind die beiden Feuer und Flamme. Sie nehmen sich des Mädchens an, trainieren sie und andere Geflüchtete.

NurdieHarten2 560 KatrinRibbe uHehre Ideale und handfeste Interessen. Emilia Reichenbach, Ronja Oppelt, Daniel Rothaug, Mervan Ürkmez, Burak Hoffmann © Katrin Ribbe

In diesem plötzlichen, sich nur einem Zufall verdankenden Sinneswandel offenbaren sich die heillosen Verstrickungen von Politischem und Privatem. Enttäuschung schlägt in Begeisterung um, dumpfe Abneigung in freudige Sympathie. Aber es hätte eben auch ganz anders kommen können. Mit "Nur die Harten (kommen in den Garten)", einem Auftragswerk des Theater Oberhausen, das aus Recherchen vor Ort entstanden ist, wirft Dirk Laucke noch einmal einen Blick zurück auf den Spätsommer und Herbst des Jahres 2015. Seine Perspektive auf die Zeit der Willkommenskultur, die schon die Saat späterer Entwicklungen in sich trug, ist unsentimental und kritisch. Von "Helfernarzissmus" ist einmal die Rede. Um diesen Zwiespalt, dieses permanente Nebeneinander von Altruismus und Egoismus, hehren Idealen und handfesten Interessen, geht es Laucke.

Goldmaries flinke Fäuste

Amir, den Burak Hoffmann ganz ohne jede wohlfeile Ironie als harten Kerl mit einem weichen Herzen spielt, hilft dem Mädchen, das er und Renee nur "Drei Finger Joe" nennen – ihren richtigen Namen können sie nicht aussprechen. Aber er verspricht sich von ihr auch ein großes Geschäft und neuen Ruhm. Sie ist eine "Goldmarie" für ihn und seinen Club, der seine besten Tage schon vor dem Verlust der Halle hinter sich hatte. Und auch im zweiten Erzählstrang der Stücks, der zeitlich ein paar Tage vor Amirs und Renees Geschichte angesiedelt ist, den Laucke aber parallel zu ihr montiert, geht es letztlich vor allem um Geld.

NurdieHarten3 560 KatrinRibbe uInes Loskas Bühnenbild. Burak Hoffmann, Mervan Ürkmez, Emilia Reichenbach, Ronja Oppelt
© Katrin Ribbe

Jörg, dem ein Plattenladen gehört, steckt in großen finanziellen Schwierigkeiten. Also hat er sich von seinem Freund Ludi, Mervan Ürkmez als überkorrekter Idealist, der sich schnell für etwas begeistert und genauso schnell wieder in Apathie versinkt, als Fahrer und Tonmann engagieren lassen. Nun steht dieser von Daniel Rothaug wunderbar hemdsärmelig gespielte Pragmatiker, der keinen Gedanken an politische Korrektheit verschwendet, zusammen mit Ludi und der schnippischen Aktionskünstlerin Mina an der südöstlichen Außengrenze Europas. Gemeinsam warten sie auf die Geflüchteten, die sich über die Balkanroute auf den Weg Richtung Westen machen.

Für Jörg ist es der perfekte Moment, eine Doku zu drehen, für die Arte sicher viel Geld zahlen wird. Schließlich wollen alle etwas von den und über die Flüchtenden hören. Nur kommt für Ronja Oppelts in vielem recht habende Mina, die aber auch schrecklich rechthaberisch ist, so ein Projekt keinesfalls in Frage: "Ich mach trotzdem keine sozialpornographischen Dokus, Hauptsache die Kasse klingelt." Sie setzt stattdessen auf Guerillakunst im öffentlichen Raum und liefert Jörg die perfekte Steilvorlage: "Und ich hab keine Lust auf Aktionskunst. Na und? Machen wir beides."

Hoffnungsvolle Töne

Diese Art von Realismus ist zwar Mina fremd, aber ihrem Schöpfer dafür umso vertrauter. Dirk Laucke macht tatsächlich beides. Auf der einen Seite bildet er sehr luzide die gesellschaftlichen Verwerfungen des Jahres 2015 ab und erzählt ganz lakonisch vom Scheitern nahezu aller Bemühungen seiner Figuren. Auf der anderen schlägt er mit seinen pointierten Dialogen und komödiantischen Zuspitzungen einen überraschend hoffnungsvollen Ton an. Und den greift Regisseur Florian Fiedler dankbar auf. Er setzt in seiner spielerisch leichten Uraufführungsinszenierung vor allem auf die Komik der Szenen wie der (verbalen) Gefechte.

Wenn Emilia Reichenbachs patente Renee, die es einfach nicht schafft, ihre Gefühle offen auszusprechen, und Burak Hoffmanns Amir sich ständig missverstehen, entwickelt sich "Nur die Harten (kommen in den Garten)" fast schon zu einer Screwball Comedy. Und auch die ständigen Beleidigungen, die sich Daniel Rothaug und Ronja Oppelt als Gegenspieler in Sachen Kunst und Kommerz an den Kopf werfen, provozieren ein befreiendes Lachen.

Es geht eben nicht darum, wer recht hat. Laucke und Fiedler bieten keine politischen und gesellschaftlichen Patentlösungen an. Sie setzen auf die versöhnende Kraft der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. So kann das Ensemble in einem Augenblick den SLIME-Song "Sie wollen wieder schießen dürfen" anstimmen und im nächsten Moment die integrative Kraft der "neuen deutschen Volksmusik" einer "Keliné Fischer" feiern. Punk und Pop harmonisch vereint, auch das muss einem erst einmal gelingen.

 

Nur die Harten (kommen in den Garten)
von Dirk Laucke
Uraufführung
Regie: Florian Fiedler; Bühne: Ines Loska; Kostüme: Andrea Barba; Musik: Martin Engelbach; Dramaturgie: Patricia Nickel-Dönicke.
Mit: Mervan Ürkmez, Ronja Oppelt, Daniel Rothaug, Emilia Reichenbach, Burak Hoffmann.
Dauer: 1 Stunde 25 Minuten, keine Pause

www.theater-oberhausen.de

 

Kritikenrundschau

"Ein Stück wie gutes Pfefferminzbonbon: Auch wenn es längst weg ist, kaut man noch eine Weile darauf herum," schreibt Jens Dirksen in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (4.6. 2018) Dirk Laucke hat aus seiner Sicht "in der Manier eines Ödön von Horvath, fünf Figuren aus Schichtsprache und Hochdeutsch-Witz erzeugt, die der Realität furchtbar nahe kommen, ohne Verwechslungsgefahr aufkommen zu lassen. Dialog-Sätze fliegen dem Publikum um die Ohren, als wär's ein Battle-Rap, und die 80 Minuten rasante Inszenierung des Hausherrn Florian Fiedler im spartanischen Saal-2-Bühnenbild von Ines Loska würde auch dann erfrischend jung wirken, wenn die fünf Schauspieler nicht so punktgenau besetzt wären und eine grandios kernige Vorstellung abliefern würden."

Laucke habe sein Stück "dem jungen, multikulturellen Ensemble gebrauchsfertig in den Mund gelegt". Der Autor habe ein gutes Gehör, "der Jargon seiner Figuren passt perfekt zur Mentalität des Ruhrgebiets und zu dessen lakonischem Humor", schreibt Martin Krumbholz in der Süddeutschen Zeitung (6.6.2018). Florian Fiedler setze auf ein enormes Tempo, seine Methodik verlange den durchtrainierten Schauspielern körperlich eine Menge ab, wobei die Akrobatik nie zum Selbstzweck werde. "Die Fantasie der Zuschauer spielt bei dieser Art Gebrauchstheater eine Hauptrolle. Lösungen werden nicht angeboten, die Konflikte bleiben akut, Glücksmomente sind rar, Verständnis für die Perspektiven der anderen ist mühsam zu erarbeiten."

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