Fette Beute in Sicht

von Michael Wolf

6. Juni 2018. Theater muss unbedingt politisch sein. Warum, weiß ich auch nicht. Ist halt so. Wenn ein Theater es politisch richtig krachen lassen will, engagiert es Philipp Ruchs Zentrum für politische Schönheit. Wenn ein Theater es nur ein kleines bisschen krachen lassen will, lädt es Jean Peters' Peng-Kollektiv ein.

Masterplan Aktivismus

Peters' größter Coup war eine Torte im Gesicht der AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Das war eine Verzweiflungstat angesichts der allumfassenden "Haifischisierung". Unter diesem Begriff subsumierte er bei einer Rede anlässlich der Verleihung des George Tabori-Preises die ganze Schlechtigkeit der Welt: von der Überfischung der Meere über das ökonomische Diktat des steten Wachstums bis zur Bedrohung durch künstliche Intelligenz oder den neuen Faschismus.

kolumne wolfZum Glück ist die Rettung nahe, denn Peters hat einen Masterplan: Theater sollen Aktivisten Asyl gewähren. Eine solche Allianz sei dringend geboten, denn "kaum jemand sabotiert die Bagger in den Kohlegruben, kaum jemand sabotiert die Frontex-Boote, kaum jemand schneidet die Strommasten vor den Panzerhallen von Rheinmetall durch oder stoppt die Marineboote von Thyssen Krupp".

Man stelle sich vor: Klaus Maria Brandauer kettet sich an einen Kran, Corinna Harfouch macht als femme fatale der Frittenbuden der Palmöl-Plage den Garaus, Volker Löschs Bürgerchor lenkt sirenengleich Kriegsschiffe von ihrem Kurs ab und mit dem Faust-Preis werden schlagkräftige Aktionen gegen den Imperialismus ausgezeichnet. Das wären wahrhaft revolutionäre Pläne für das Stadttheater.

Nichts als Spielerei

Aber weit gefehlt. Peters möchte gar nicht das Schauspiel revolutionieren, er will es kapern. Fette Beute ist in Sicht. Zunächst natürlich der Schatz der Kulturförderung. Und da erweist sich die Idee schon als reichlich krude. Zur Erinnerung: Der Staat finanziert das Theatersystem. Lieber Herr Peters, wollen Sie wirklich ein Gehalt vom Staat bekommen? Nicht vergessen, das ist der Schweinehund, der die ganzen Ungerechtigkeiten duldet oder sogar verantwortet.

Noch wichtiger als Geld ist Jean Peters der juristische Segen der Kunstfreiheit. Auf diesem Taschenspielertrick beruht sein Geschäft, auch Artivismus genannt. Er und die seinen möchten durchaus die Welt retten, aber die Verantwortung für ihre Aktionen wenn irgend möglich lieber nicht übernehmen. Sollte er Gesetze übertreten, wird er einen Anwalt vorschicken, der beschwichtigend die Hände hebt und versichert: Das war doch Kunst. Also nur Kunst. Also nichts als Spielerei.

Von der Freiheit der Kunst

Ich wundere mich, dass Peters keine Hemmungen hat, vor Theaterschaffenden eine solche Rede zu halten. Und mehr noch: dass sie ihm auch noch für seine offen zur Schau gestellte Kunstfeindlichkeit applaudieren. Theater ist für ihn nur Feigenblatt, ein Argument auf dem Förderantrag, und später dann vor Gericht. Er will keine freie Kunst schaffen, er will die Kunstfreiheit ausnutzen. Frei nach Rudi Völler: Wer so was sagt, hat das Theater nie geliebt.

Lieber Herr Peters, Ihre Motive sind zweifellos ehrbar, aber die Freiheit der Kunst besteht eben nicht darin, sie nach Belieben vor den Karren einer Agenda zu spannen. Im Gegenteil genießt die Kunst das Privileg, keinen Zweck außerhalb ihrer selbst zu erfüllen. Deswegen ist sie frei, und diese Freiheit muss man auch vor Wohlmeinenden wie Ihnen schützen.

 

Michael Wolf, Jahrgang 1988, ist Redakteur bei nachtkritik.de. Er mag Theater am liebsten, wenn es schön ist. Es muss nicht auch noch wahr und gut sein.

 

Zuletzt dachte Michael Wolf über politisches Theater vor Ort nach.

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Kommentare  
Kolumne Wolf: Befindlichkeiten
Ach du Schande, so viel Stuss habe ich hier schon lange nicht mehr gelesen. Hier scheint es dem Autor weit weniger um Kunstfreiheit, sondern vielmehr um persönliche Befindlichkeiten und Beharren auf starren Disziplinen zu gehen. Als einzigem und angeblich größtem Beispiel für das PENG Kollektiv nur den Tortenwurf zu nehmen zeugt entweder von absoluter Unkenntnis oder Ignoranz gegenüber deren Arbeit. Ein bisschen mehr Beschäftigung mit den Dingen und vielleicht auch mal mit Texten zur politischen Kunst oder Begriffsarbeit zur Kunstfreiheit darf wohl durchaus sein, auch wenn sie anschließend nur in eine Kolumne gegossen sein will.
Kolumne Wolf: Fleischhauer
Liebe nachtkritik, habt ihr jetzt Euren eigenen Jan Fleischhauer?
Kolumne Wolf: reaktionär
Kunst darf keinen Zweck erfüllen?! Sie darf jeden Zweck erfüllen, der muss nur vom Künstler gesetzt sein! Das ist im Kunst-Diskurs spätestens seit Ende der 1960er Jahre angekommen. Lange nicht mehr einen so jungen Mann mit einem so reaktionären Kunstbegriff gelesen. Erinnert ein wenig an die Reaktion des hannoverschen CDU-Kultursprechers auf Kay Voges' Freischütz an der Staatsoper. Der hat etwa die gleichen Theatervorlieben: Schöner Mist.
Kolumne Wolf: Hinweise
https://www.zeit.de/freitext/2018/05/17/political-correctness-kunst-leupold/

"Ich bin der Hilfsgärtner der Kritischen Theorie – die Poesie ist da nicht so anerkannt, aber die Pflanzen wachsen ja nicht von allein." - derstandard.at/2000081028255/Filmemacher-Alexander-Kluge-Was-Trump-tut-ist-antirealistisch

Die Political Correctness ähnelt der chinesischen Kulturrevolution. Nur vorerst gewaltfrei.
Kolumne Wolf: eine Antwort
Lieber Michael,

danke für die Kritik. Ich lese das als Polemik, als "lass uns mal eine Gegenthese veröffentlichen." Das finde ich prima und freu mich über eben diesen Streit - denn der steht an. Dazu hätte ich mir gewünscht, dass Sie sich etwas mehr mit unserer Arbeit auseinandersetzen und auch auf das eine oder andere Argument eingehen. Ich wurde immer wieder gefragt, ob der Aufruf zum Tortalen Krieg Kunst sei - und habe immer geantwortet, dass das erst mal ein Tortenwurf war. Schauen Sie sich doch mal Intelexit an, oder die Aktion Artikel26. Ich meine das lieb, vielleicht haben Sie sich wirklich einfach keine Zeit nehmen können, bevor sie ein Urteil gefällt haben.

Viel wichtiger aber: Ich denke zum einen, dass es extrem gefährlich ist, wenn man die Kunst vor bestimmten Menschen schützen will, wie Sie es fordern. Das führt zu einem verengten Kunstbegriff, der die Freiheit der Kunst extrem einschränkt. Zugespitzt gesagt: die Weimarer Verhältnisse hatten wir schon mal. Darüber hinaus sollten wir dringend die Begrifflichkeiten klar haben: ich rede immer von der Kunst- und Kulturproduktion, nicht von "der Kunst" - und habe explizit gesagt, dass der Kampf um den Kunstbegriff ein anderer ist. Ich finde, wie Sie Ihre Argumente vorführst ist unsauber, auch für eine Polemik. Das steht dir nicht gut.

Meine Argumentation war (schauen Sie doch vielleicht nochmal in den Text), dass die politischen Akteur*innen "Asyl" in der Kunst- und Kulturproduktion bekommen sollten - nicht damit sie den Kunstbegriff erweitern, sondern damit es Denk- und Handlungsräume gibt, die nicht so eingeschränkt sind, wie die immer enger werdende Zivilgesellschaft. Und damit diejenigen, die in sozialen Bewegungen sozialisiert wurden, neues Handwerk und Denkschemata lernen. In meiner Zusammenarbeit mit Theatern war es immer ein schöner gegenseitiger und konstruktiver Lernprozess. Es geht mir also auch nicht um Status, Ruhm und Ehre oder sonst was, ich meine es ganz praktisch.

Zum anderen ist Kunst - ich weiß nicht ob Sie das selber wirklich vertreten oder nur meinem fiktiven "Anwalt" in den Mund legen - Kunst ist nicht nur Spielerei. Kunst ist, oder Kunst kann viel mehr sein. Gerade in politisch aufwühlenden Zeiten kann eine einfache Inszenierung zu einer Verhaftung führen, oder, je nach staatlicher Verfassung, zur Absetzung der Politiker*in, die ein Stück verbieten wollte. Das Sie, der die Kunstfreiheit vermeintlich doch verteidigen wollen, dazu dann noch ein solch schlechtes Bild von einem Schweinehunde-Staat in meinen Mund legen wollen, ist auch wieder schmuddelig. Ich denke, Sie machen sich da keine Freunde. Und übrigens: wir haben nur Anwältinnen, keine Anwälte.

Ich freue mich, wenn Sie darauf und andere Kommentatoren eingehen möchten und vielleicht mal mit Ihnen einen gemeinsamen Theaterabend zu verbringen. Oder wie wärs mit einer Oper? Vielleicht in Halle?

Herzlich,

Jean
Kolumne Wolf: wirklich Hofnarr werden?
#5
Lieber Herr Peters,
trotz Ihrer 5 Absätze in der Entgegnung auf die Kolumne von Michael Wolf drücken Sie sich vor der Beantwortung der darin gestellten Frage: Diese lautete:"Wollen Sie wirklich ein Gehalt vom Staat bekommen?" - Der jüngst verstorbene Dieter Kunzelmann, Mitglied der
Kommune 1 und damit Vorläufer Ihres künstlerischen Politaktivismus, stellte zwar viele Forderungen an den Staat, aber nicht die Forderung nach staatlicher Subventionierung seiner "Happenings". Er tat es vermutlich deshalb nicht, weil er wusste, dass er sich in einer solchen Rolle in die Tradition des feudalen Hofnarren begeben hätte.
Möchten Sie, dass diese Stelle zukünftig vom Berliner Senat öffentlich ausgeschrieben wird? Und wieviele dieser Hofnarren sollte sich das karnevalsfreie Berlin Ihrer Meinung nach leisten??
Kolumne Wolf: Antwort auf Antwort
Lieber Jean Peters,

meine Kolumne ist eine Reaktion auf Ihre Rede. Fast die Hälfte lese ich als Analyse des Weltgeschehens (die ich übrigens im Großen und Ganzen teile). Danach kommen Sie – in rascher Folge - auf Fördermöglichkeiten zu sprechen, und danach auf die Kunstfreiheit im juristischen Sinne.

Und da drängt sich mir der Gedanke auf: Jean Peters möchte eigentlich Politik machen. Oder anders gesagt: Sie möchten, dass die Gesellschaft/Welt anders ist, als sie jetzt ist. Sie möchte sie gestalten, verbessern. Aber eben nicht klassisch (z.B. einer Partei beitreten), sondern mit künstlerischen (Förder)Mitteln.

Zugleich reklamieren Sie für sich selbst gar nicht, Kunst zu machen, mindestens lassen Sie diese Frage offen. In Ihrer Rede sagen Sie: „Aber was ich mit Peng! immer gespürt habe, ist eine soziale Verantwortung, das juristische Privileg der Kunstfreiheit nutzen zu müssen.“

Nun finde ich eben, das juristische Privileg der Kunstfreiheit sollten Künstler genießen. Für die anderen Akteure gibt es ein ganzes Ensemble an anderen Möglichkeiten. (Schauen Sie, wie die – uns beiden wohl diplomatisch ausgedrückt eher unangenehme – AfD die politischen Debatten prägt. Die brauchten dafür nicht viel mehr als die Meinungsfreiheit bislang.)

Ich weiß, dass es z.B. in der DDR eine große Tradition der verdeckten Kritik gab. Dass man die Kunst benötigt hat, um das Fehlen der Meinungsfreiheit zu kompensieren. Ich glaube aber nicht, dass das in Deutschland 2018 nötig ist. Ich teile auch Ihre Ansicht nicht, es brauche Aktivisten im Theater, damit es „Denk- und Handlungsräume gibt, die nicht so eingeschränkt sind, wie die immer enger werdende Zivilgesellschaft“. Ich glaube, es wird sehr viel gedacht und gehandelt in unserer Gesellschaft und es sind sehr abwegige Gedanken und Handlungen dabei. Verengt finde ich das nicht, ich bin eher beunruhigt über die blühende Fantasie mancher Akteure.

Sie schreiben: „Kunst ist nicht nur Spielerei. Kunst ist, oder Kunst kann viel mehr sein. Gerade in politisch aufwühlenden Zeiten kann eine einfache Inszenierung zu einer Verhaftung führen, oder, je nach staatlicher Verfassung, zur Absetzung der Politiker*in, die ein Stück verbieten wollte.“

Da habe ich wieder den Eindruck, dass Sie sich von einem ästhetischen Standpunkt für Kunst nicht besonders interessieren. Denn das Höchste, was Ihnen an Wirkung eines Stücks hier einfällt, ist, dass ein Politiker zurücktritt, weil er sich an dessen Zensur verhoben hat. Sie haben schon recht, ich vertrete eine engeren Kunstbegriff als Sie. Für mich geht es eben erst mal um die Kunst bzw. das Theater, das ich mir anschauen kann, das (Hilfsausdruck) in mir etwas auslöst – sei es intellektuell, emotional oder meinetwegen auch meine politischen Vorstellungen betreffend. Und aber eben nicht sofort darum, wie eine Institution auf sie reagiert und was die Kunst für politische/personelle Konsequenzen hat.

Das ist kein Vorwurf, es sei Ihnen unbenommen. Nur möchte ich eben lieber Kunst von Menschen (gefördert) sehen, die sich auch für Kunst selbst interessieren. Und nicht nur dafür, wie sie von Kunst institutionell, juristisch oder auch handwerklich profitieren können.

Viele Grüße
Michael Wolf
Kolumne Wolf: lasst Euch nicht verschlucken
#6 Die Frage "Wollen Sie wirklich ein Gehalt vom Staat bekommen?“ (und dadurch korrumpierbar sein), ist zwar erst einmal polemisch interessant, für mich tatsächlich aber nicht die relevanteste hier. Der 'Gegner' von Peng! ist m.E. nicht, wie von Michael Wolf so verkürzt konstruiert, der anonyme Staat. Die Aktionen rufen doch zumeist konkretere Akteur*innen, mindestens Institutionen (BDI), meist aber auch einzelne Bürger*innen (Geheimdienstler*innen, ) zum Handeln auf, die sogenannte Zivilgesellschaft. Manchmal aber auch niemanden. Und das ist auch ganz egal - da alle von Peng! durchgeführten oder ausgelösten Aktionen als Zeichen wirken, die einen Diskurs (wieder)aufleben lassen sollen.
Ihre Diskursmacht erhalten sie durch die realen Regelbrüche, durch ‚Ungeheuerlichkeiten‘ wie den Tortenwurf oder einen Aufruf zum Klauen, die (muss ich nochmal betonen) in der realen Welt stattfinden, wo wir sie nicht erwarten würden.
Je eindeutiger Peng! sich nun im Bereich der Kunst verortet, desto eher erwarte ich diese Übertretungen. „Ach, das ist ja Kunst“, drückt die für mich die eigentlich bedenkenswerte Frage aus: Was passiert, wenn die Peng!-Aktionen nur noch oder vorwiegend im Rahmen der Kunst stattfinden?
Dabei gehe ich soziologisch von gesellschaftlichen Feldern aus, die unterschiedliche Funktionen erfüllen. Die Kunst soll aufregen, ausprobieren, spielen. Das darf sie dann auch. Aber sich in ihren sicher sehr verlockenden Schutzraum zu begeben, heißt auch, sein eigenes Provokationspotenzial, das ‚realpolitische Spiel‘ zu entkräften.
Insofern, liebes Peng!: ihr habt leider keinen eigenen Raum! - Bitte bleibt im besten Sinne parasitär, und unabhängig. Von staatlichen Akteur*innen, Wirtschaftsverbänden und Theater GmbHs. Denn pssst: das Theater ist längst nicht so losgelöst von Partikularinteressen, wie es immer tut.
Ich fürchte, die ‚totale Freiheit der Kunst‘ gibt’s deshalb nur draußen, außerhalb von ihr.
Aber das ist ja eigentlich gar nicht der Punkt, habt ihr ja oft genug gesagt, es geht nicht um den Kunstbegriff!
Lieber Michael Wolf #7: Ich glaube auch, dass Peng! sich weniger für ein ästhetisches, denn für ein wirkungsmechanisches Potenzial der Kunst interessieren. Da sitze ich jetzt nicht an den Hebeln, um über Förderungen zu entscheiden. Aber falls sie davon lernen wollen, könnte man sie ja mal ganz generös dazu einladen.
Nur, lieber Jean Peters: lasst euch nicht verschlucken. Auch dieser Haifisch hat Zähne.
Jean Peters' Rede: Antwort auf Antwort auf Antwort
Lieber Michael Wolf,
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Sie fänden es gut, wenn ein Uwe Tellkamp mal ein Stück bei Langhoff inszenieren würde, und sprechen sich gegen alles explizit Politische am Theater aus. Ich freue mich mit Ihnen zu diskutieren, aber ich befürchte, dass Sie sich schnell hinter Zynismus verstecken.

Nochmal: ich redete von der Kunst- und Kultur*produktion*, nicht von der Kunst. Und wie Sie da immer wieder vermeintlich die Kunst verteidigen wollen, erscheint als klassischer Whataboutism. Aber ich gehe trotzdem gern auch auf Ihren Eindruck ein, ich interessiere mich nicht für "die Kunst"..

Ich vermute, dass ich einen anderen Begriff von Ästhetik habe als Sie, und eventuell auch einen anderen Geschmack. Ich mag Opern sehr gerne, liebe klassisches Sprechtheater. Castorfs Faust fand ich schauspielerisch super, aber als Gesamtwerk tat es ästhetisch weh – denn auch die Entscheidungen der Repräsentationsfiguren (alles Weiße, dann ein paar schwarze Nebenrollen) und das Bühnenbild, was einen unkommentierten Bezug zum Kolonialismus herstellte, sind in ihren Beziehungen für mich ästhetische Entscheidungen. Ein Aspekt von Ästhetik ist, denke ich, die Performativität, der Kontext in dem etwas passiert - visuell, sonor, aber eben auch als Handlung, als Reproduktion von Machtverhältnissen. Da bin ich ganz ein Kind der Postmodernen, die in Epistemen denkt. Schönen und hässlichen Epistemen (Nein, nicht guten oder falschen, das steht woanders!!).

Als wir es schafften, dass der britische Geheimdienst interne Workshops organisierte um sich vor unserem Aussteigerprogramm zu schützen, fand ich das nicht zuletzt ästhetisch interessant. Als die deutschen Verfassungsschutzmitarbeiter*innen am dritten Tag länderübergreifend (!!) immer die selbe Email vorlasen, wenn unser Theaterpublikum im Call-a-Spy-Callcenter dort anrief, die beteuerte sie seien "demokratisch und rechtsstaatlich verpflichtet", fand ich das auch ästhetisch interessant: unsere Schauspieler*innen wurden zum Publikum, der Pressechef des Verfassungsschutzes verwandelte sich zum Dramaturgen. Das war doch ein epistemologischer Wandel, der schön war.

Wenn wir mit Peng arbeiten, ist niemand ein Künstlergenie, diese Erzählung ist vorbei. Wir arbeiten, wir produzieren. Ob das dann Kunst ist, was da raus kommt - das entscheiden gern andere. Ob es gefällt genauso. Ich frage mich ehrlich gesagt, lieber Michael Wolf, warum Sie dieses Thema so zentral machten, obwohl ich was völlig anderes äußerte. Aber dabei entsteht ja eine nette Diskussion.

Beitrag #8: ja, ich denke in der Kunstproduktion besteht immer die Gefahr, dass politische Aktionen als Geste verpuffen und in Symbolik verharren. Eine Weitere Gefahr ist dass diese Welt noch sehr nach den klassischen Mustern der (meist weißen, männlichen) Genies organisiert wird und dann das "Werk" einzelner rezipiert und beurteilt wird. Beides ist für unsere Arbeit nicht hilfreich.

Also lieber Michael Wolf. Ich denke, dass durch die Forderung, politischen Aktivist*innen in der deutschen Kunst- und Kulturproduktion Asyl zu bieten, "die Kunst" nicht gefährdet. Es bringt allen was: die Menschen, die sich als Künstler*innen verstehen, können durch den Austausch inspiriert werden, die Aktivist*innen auch, und alle, die die Grenzen zwischen diesen Bereichen als existenziell beachten, können die Ergebnisse als schlechte Kunst oder unwirksamen Aktivismus beschimpfen. Und ganz nebenbei können eventuell die Menschen, die sonst in Thailand oder der Türkei verfolgt werden hier arbeiten, ohne eine Auslieferung befürchten zu müssen. So hat alles seine Ordnung.

Oder?

Alles Liebe,

Jean
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