Ein populistischer Hühnerhaufen

von Falk Schreiber

8. Juni 2018. Manchmal ist es gut, Gras über eine Sache wachsen zu lassen. Als im Januar 2015 Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" erschien, konnte man diese Vision eines vom politischen Islam beherrschten Frankreichs als islamophobe Dystopie lesen, als feuchten (Alp-)Traum eines Rechtskonservativen, in dem der Konflikt zwischen französischem Laizismus und orientalischer Religiosität als Kampf auf Leben und Tod geschildert wurde. Und dass einen Tag nach Erscheinen des Buches in Frankreich Islamisten einen Anschlag auf die Pariser Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo verübten, ließ den Autor noch ein Stück weit hellsichtiger erscheinen. Als ein Jahr später Karin Beier den Stoff am Hamburger Schauspielhaus uraufführte, war diese kulturfatalistische Deutung schon wieder überholt: Beier zeigte Houellebecqs Roman vor allem als aasige Satire auf das Duckmäusertum großstädtischer Intellektueller, mit einem beeindruckenden Edgar Selge in der Hauptrolle, der sich mit Lust an der Selbstentblößung in das Stück warf.

Unterwerfung1 560 rbb NFP Manon Renier uDie Stadt islamisiert sich in Windeseile: Edgar Selge als Francois in Titus Selges Verfilmung
von "Unterwerfung" © rbb NFP / Manon Renier
Wenn man heute auf die Hamburger Inszenierung des zumindest in Deutschland häufig nachgespielten Stücks schaut, fällt auf, dass auch dieser satirische Blick schlecht gealtert ist. Der Stoff wirkt gewollt, auch ein wenig aus der Zeit gefallen, Beiers Theatermittel allzu routiniert. Einzig Selges Soloperformance ist weiterhin atemberaubend: Knapp drei Stunden wütet, ätzt, kämpft sich der heute 70-Jährige durch eine Textwüste, und das ist eine Leistung, die man einfach honorieren muss. Nur provokant, verstörend, politisch hellsichtig ist an dieser "Unterwerfung" nichts mehr: Der Abend ist süffiges, unterhaltendes, ästhetisch eher unspektakuläres Schauspielertheater mit einem sehr, sehr tollen Performer. Warum auch nicht – so etwas findet sein Publikum, und es ist verständlich, dass die Aufführung ständig ausverkauft ist.

Zum Rundumschlag genutzt

Der Erfolg von Beiers Inszenierung erklärt, weswegen Selges Neffe Titus das Stück verfilmt hat. Interessant dabei ist, welche Form Titus Selge hier gewählt hat: Zur Hälfte ist "Unterwerfung" ein klassischer Theaterfilm, der aus Aufnahmen einer Schauspielhaus-Aufführung besteht (und man muss der ARD danken, auf diese Weise dem Theater vergangenen Mittwoch zur Primetime Aufmerksamkeit verschafft zu haben), zur anderen Hälfte ist es ein Spielfilm, in dem Selges Figur durch ein sich in Windeseile islamisierendes Paris stolpert. Das funktioniert, auch wenn die Regie-Idee, in einer dritten Ebene Szenen von den Protesten gegen den Hamburger G20-Gipfel 2017 einzuwerfen, zwischen ungeschickt und politisch fahrlässig changiert. Aber egal – der Fernsehfilm "Unterwerfung" ist ordentliche TV-Konvention, der in seinen besten Momenten tatsächlich nicht uninteressant die Ebenen Livetheater und Spielfilm zum Tanzen bringt.

Allerdings nutzte die ARD den Film zum Rundumschlag, weswegen die Ausstrahlung von einer Talkshow mit Sandra Maischberger flankiert wurde, Thema: "Sind wir zu tolerant gegenüber dem Islam?" Diese Fragestellung wurde schon im Vorfeld als lupenreines AfD-Wording kritisiert, unter anderem auf Facebook vom Theatermacher Björn Bicker (der freilich nicht schrieb, dass er selbst vor vier Jahren an Beiers Schauspielhaus gearbeitet hatte und entsprechend nicht ganz unabhängig ist).

Unterwerfung Screenshot Maischberger 280Diskussionsrunde bei Sandra Maischberger:
"Wo endet die Toleranz?"

Aber nicht nur die Terminologie schien problematisch, auch die Diskussionsteilnehmer: Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die ihr Image als Soccer Mom der CDU weiter pflegte, Haluk Yildiz von der politisch irrelevanten Erdogan-nahen Partei BIG, die in ihrem forcierten Islamhass von rechts gefeierte Frauenrechtlerin Necla Kelek, sowie die Journalisten Bettina Gaus (taz) und Jan Fleischhauer (Spiegel). Das Ergebnis bewegte sich jedenfalls zwischen kaum erträglichem Gekeife (Kelek: "Herr Yildiz, ich spreche jetzt nicht mit Ihnen!") und groteskem Irrsinn (Klöckner: "Die Kirchen sind ja nicht deshalb leer, weil sie überfüllt sind!").

Und es spricht wirklich nicht für eine politische Talkshow, wenn einem ausgerechnet Spiegel-Rechtsaußen Fleischhauer als Stimme der Vernunft auffällt: Ihm gegenüber habe noch nie ein Muslim Anstoß empfunden, wenn er ihm Frohe Weihnachten gewünscht hätte. Erzählte Fleischhauer, nachdem Klöckner die längst widerlegte Fake News vom aus Rücksicht auf Muslime zum "Sternschnuppenmarkt" umbenannten Weihnachtsmarkt wiederkäute.

Moschee neben dem Kölner Dom

Die Kontextualisierung durch Maischbergers Talkshow sorgte dann doch dafür, dass man "Unterwerfung" vielleicht nicht so einfach als halbwegs langweiligen, aber doch handwerklich guten Fernsehfilm abtun konnte. Wenn nämlich ein Film mehr oder weniger diskutabel über eine angebliche Islamisierung schwadroniert, dann ist das das eine. Wenn im Anschluss aber ein rechtspopulistischer Hühnerhaufen denselben Schmu diskutiert, und als Studiodeko zeigt man auch noch ein Foto vom Kölner Dom, neben den eine absurd große Moschee montiert wurde, dann fragt man sich schon: Weiß eine reflektierte Theaterfrau wie Karin Beier eigentlich, in was für ein Umfeld ihre Inszenierung hier gerückt wird?

"Unterwerfung" ist noch bis 13. 6. in der ARD-Mediathek verfügbar.

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