Jeff Koons - Lilja Rupprecht inszeniert Rainald Goetz' Künstlerdiskurs-Stück an der Schaubühne Berlin
Sekt zum Seelenstriptease
von Simone Kaempf
Berlin, 7. Juni 2018. Was ist das größte Problem eines Künstlers? Natürlich nicht seine Kunst. Jedenfalls nicht in Rainald Goetz' Text "Jeff Koons", benannt nach dem amerikanischen Hohepriester der Vereinigung von Kunst, Kitsch und Kommerz. Des Künstlers größtes Problem ist darin das Hin- und Hergerissensein zwischen Sehnsucht und Verachtung, zwischen Menschenekel und Zuneigung, Erniedrigung und Erhabenheit à la: "Ich schreie, ich gröle, bin saugut drauf. Ich hasse euch alle, ich finde mich toll."
Goetz' Identität suchendes und Befindlichkeit ausspeiendes Theaterstück erschien 1998, zu einer Zeit, als in Berlin der Kunstbetrieb der ganzen Clubkultur noch viel näher stand und eine Galerie-Ausstellungs-Eröffnung mit Ausgehen, Trinken, Tanzen, Drogen untrennbar verbunden war.
Hedonistisches Textrauschen
Und so weiß man in Goetz' Text auch nie ganz sicher, ob man sich gerade im Club, im Atelier oder im Schlafzimmer befindet. Ein lautes, fast hedonistisches Textrauschen, voll lebensbejahender Momente, aber auch melancholischer Abstürze, dem Lebensgefühl potentieller Party- und Kunstpeople entsprungen.
Regisseurin Lilja Rupprecht versetzt an der Berliner Schaubühne ihre Inszenierung des Stücks denn auch stimmig in eine Art Clubraum. Rechts und links große Videoleinwände: anfangs sieht man auf der einen Film-Ausschnitte vom stets smart lächelnden realen Jeff Koons, auf der anderen posiert die Pornodarstellerin Ilona Staller alias Cicciolina mit Blumenkranz, Schmollmund und halb entblößten Brüsten. Als Metapher für die Selbstdarstellung des Künstlerlebens als Kunstwerk funktionieren diese Bilder immer noch bestens. Im Bühnenhintergrund thront der Musiker Romain Frequency auf einer verspiegelten DJ Kuppel und untermalt den Abend vom Mischpult.
An Musik, Videos, Text, Glitzer- und Plüschtier-Kostümen wird nicht gespart. Die Leinwände klappen zur Seite, alte Gemälde mit einer fast paradiesischen Baum- und Tierwelt sind zu sehen, und alles läuft an wie ein bunter, greller Ich-Erkundungs-Abend, der sich seinen Spaß mit Zitaten macht. Kay Bartholomäus Schulze tritt auf mit Langhaar-Perücke im Beltracchi-Look. Sexuelle Enthemmung artet in einen Mordrausch aus, der gleich als Foto-Kunstwerk an der Wand landet. Inmitten dieser Spielszenen ist monologisch immer wieder von "ihm" die Rede, vom Künstler, "er“, der alle Gefühlslagen durchlebt. Er, der wütet, irrt, spuckt, tobt, fickt, ein Kind macht. Und der in Rupprechts Inszenierung mit seiner selbstmitleidigen Larmoyanz immer uninteressanter und ziemlich öde wirkt.
Augenstern und Blütenball
Melancholisch sentimental wird der Ton an vielen Stellen, ob nun Lukas Turtur die Geliebte als "Augenstern, Blütenball, Spatz und Hase" beschreibt. Oder Kay Bartholomäus Schulze mit Langhaar-Jesus-Perücke wortreich vom großen, göttergleichen Erschaffen träumt. Das Schwelgerische raubt der Inszenierung Tempo, ohne neue Erkenntnisse zu liefern oder einen packenden Zugriff zu bieten.
Als Stefan Bachmann das Stück uraufführte und die Inszenierung im Jahr 2000 zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, erhitzte das popsatte Oberflächenspiel gehörig die Gemüter. Die Jury war gespalten, wie weit sich das Theater in den Dienst eines Texts stellen soll, der die Form zum Inhalt erhebt. Von einigen wurde das als Provokation empfunden und deutlich kommuniziert. Dieses provokante Potential ist jedoch geschwunden.
Altbekannte Verkleidungs-Szenen
Rupprechts Inszenierung offenbart, dass man diese Art des Seelenstriptease mittlerweile gewohnt ist und sich in diese Sprechweisen gut eingehört hat. Denn Befindlichkeits-Wort-Ströme füllen längst lange Timelines. So sieht man an diesem Abend im Studio der Schaubühne altbekannte Verkleidungs-Szenen. Oder es werden in Mitmach-Nummern Zuschauer auf die Bühne geholt, die als Gäste der Ausstellungs-Eröffnung auf Sitzhockern platziert sind, Sekt trinken und ihre Aufgabe damit schon erfüllt haben.
Als Parodie auf die deformierte Kunst-Szene treten die vier Schauspielerin in Fat-suits ans Mikro, hüftsteif und auf Greis gemacht, mit Mullbinden-Masken wie nach einer Schönheits-Operation, womöglich einer missglückten? Widerhaken wirft die Inszenierung reichlich aus, tief greifen sie aber nicht. Die Idee, Goetz' Text im Club- und Galerie-Kontext melancholisch klingen zu lassen, mag hehr sein, aber sie geht nicht auf. Und so verpufft auch die suchende, existenzielle Grundierung des Texts im anything goes wie aus einer anderen Zeit.
Jeff Koons
von Rainald Goetz
Regie: Lilja Rupprecht, Bühne und Kostüme: Annelies Vanlaere, Video: Moritz Grewenig, Musik: Romain Frequency, Dramaturgie: Maja Zade.
Mit: Damir Avdic, Iris Becher, Kay Bartholomäus Schulze, Lukas Turtur, Romain Frequency (Musik).
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.schaubuehne.de
"Munter bild- und soundüberladen hüpft die Inszenierung durch den Text, mit den Szenen wechseln die Ästhetiken, ganz wie bei Goetz", schreibt Anke Dürr auf Spiegel online (8.6.2018). "'Man probiert dauernd alles aus': Dieses Diktum gilt offenbar auch für die Regisseurin." So vertraut der allerdings die Klub- und Beziehungsszenen zu sein schienen, so fern schienen ihr die Passagen zu sein, in denen es um das Hadern des Künstlers mit seinem Künstlerdasein geht, so Dürr: "Fast so, als kenne sie selbst gar keine Schaffenskrisen und Selbstzweifel. Oder nimmt sie sich einfach weniger wichtig?" Die Texte wirken jedenfalls plötzlich "seltsam hohl und aufgesagt". "Aber vielleicht ist Goetz' Text auch nur mit Reizüberflutung beizukommen und ist es nur konsequent, dass Rupprecht gar nicht erst versucht, aus 'Jeff Koons' ein harmonisches Ganzes zu machen."
"Wie ein Puzzle setzt sich jedoch langsam ein Gesamtbild des Kunstbetriebes zusammen", schreibt in der Berliner Morgenpost (9.6.2018). Und "ganz Klischee, findet Kunst hier in einer Factory statt, wie weiland bei Andy Warhol". Immer wieder verwandeln sich die Schauspieler zudem in Kunstobjekte. "Die Bilder bekommen ironisch gebrochen Tiefe. Fazit: "Die Inszenierung zeigt über weite Strecken eine Karikatur des Kunstbetriebes und des Künstlers. Mit vielen unterhaltsamen Einfällen, aber mit Klischees, die zunehmend ermüden. Letztlich ist 'Jeff Koons' wie die Kunst und das Leben selbst. Oft hart am Chaos entlangsurfend, aber immer mit genialen Momenten."
'Jeff Koons' sei ein lyrischer, rhythmisierter, musikalischer Text, der von Stimmungen lebt, vom Rausch, aber auch von den Abstürzen des einsamen Künstlers, so Barbara Behrendt im Kulturradio (8.6.2018). Lilja Rupprechts Inszenierung ermüdet die Kritikerin. "So oder so ähnlich hat man das schon Dutzende Male auf der Bühne gesehen. Was bei der Uraufführung vor 20 Jahren noch eine akkurate Abbildung des Zeitgeists war, wirkt heute wie Retro-Inszenieren mit Mainstream-Regieeinfällen." Die nervigen, oberflächlichen Künstlertypen kenne man inzwischen in- und auswendig, interessant seien sie noch nie gewesen. "Wie man 'Jeff Koons' heute überhaupt noch mit Gewinn inszenieren kann, bleibt also weiterhin offen."
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Und so verlässt die Inszenierung Goetz‘ irgendwann sprachliches Tasten, missversteht die Materialhaftigkeit seiner Sprache immer mehr als denn doch traditionell Zeichenhaftes und verschanzt sich im Theaterhandwerk. Sie bricht die Suche ab, während der Text sich immer weiter pflügt. Da bleibt den vier engagierten und wandelbaren Darsteller*innen Damir Avdic, Iris Becher, Kay Bartholomäus Schulze und Lukas Turtur, unterstützt von Klangwerker Romain Frequency, dessen Soundscapes mit zunehmender Dauer zwischen illustrativ und überflüssig pendeln, dann nur, eine nach der anderen resigniert abzugehen. Das Publikum folgt ihnen gern.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/06/08/kunst-gewerbe/
Moritz Grewenigs Videoeinspieler und die Beats von Romain Frequency eröffnen den zweistündigen Abend, der in der Folge zwischen Kindergeburtstag und lustvoller Feier von Künstler-Klischees pendelt, mit Reizüberflutung. Die vier SpielerInnen Damir Avdic, Iris Becher, Kay Bartholomäus Schulze und Lukas Turtur haben sichtlich Spaß daran, auf den Schmierspuren der Schwarzwälder Kirsch-Torte auf dem Boden zu rutschen, sich abseitige Perücken aufzusetzen und sich in die zu Karikaturen überzeichneten Rollen aus der Kunst- und Galerien-Blase hineinzuwerfen.
„Jeff Koons“ ist ein Publikumsrenner auf der ausverkauften Studiobühne: ein komischer Abend, an dem sich das Ensemble richtig austoben darf und ausgewählte ZuschauerInnen mit Sektglas bei der Vernissage mit anschließender Bondage-Aktion live auf der Bühne dabei sein können. Die Kritiken waren nach der Premiere im Juni zurecht verhaltener. Auf die Dauer ermüdet diese schrille Nostalgie-Show etwas, da sie zu eindimensional in unterschiedlichen Varianten immer dasselbe erzählt: Sie porträtiert eine Künstlerclique, die narzisstisch nur um sich selbst kreist, und taucht in eine Zeit an, als man sich diesen Luxus noch erlauben konnte.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/09/07/jeff-koons-lilja-rupprecht-schaubuehne-kritik/