Braunschweig,10. Juni 2018

Auf der Suche nach neuer Bedeutung für Spielorte

von Enos Nyamor

Das kenianische Theater wird seit Jahren vernachlässigt. Hat es überhaupt jemals existiert? Eine Beschreibung kolonialer und postkolonialer Einflüsse auf Theaterorte.

Dieses Jahrhundert ist vielleicht auf kaum etwas so fixiert wie auf die Schnittfläche von Raum und Zeit. Zeitgenössische Narrative werden beherrscht von Themen wie Diversität, kulturellem Austausch, Migration und Globalisierung. In Kenia wie auch in den meisten anderen ehemaligen Kolonien liegen diese Aspekte unserer postmodernen Zeit verborgen im Nebel des imperialen Erbes.

Kenya National Theater 1950ies 280 Jim and Hilda DixonKenya National Theater, späte 1950er Jahre
© Jim and Hilda Dixon/www.mccrow.org.uk/EastAfrica/
Nirgends wird das so deutlich wie beim Zustand der Theaterräume in Kenias Hauptstadt Nairobi. Das Nationaltheater von Kenia, heute der zentrale Spielort der ostafrikanischen Staaten, wurde 1950 auf dem Höhepunkt der Kämpfe um die Unabhängigkeit erbaut. Während der Kolonialzeit zeigte das Haus europäische Produktionen für Europäer auf Safari und zum Vergnügen der Siedler; für Afrikaner war es im Grunde unerreichbar. Auf mysteriöse Weise konnte der Übergang von der Kolonialherrschaft zur Unabhängigkeit die Raum-Zeit-Verbindung suspendieren und Bedeutungen aus der Vergangenheit nahtlos in die Gegenwart übertragen.

"Die wahre Bedeutung dieses Ortes liegt in der kollektiven Hoffnung der Menschen, nicht in seiner Struktur. Mit einem Abriss des Theaters würde man ihm nicht unbedingt eine neue Bedeutung geben können", sagt Alacoque Ntome, Theatertechniker am Nationaltheater von Kenia.

Neben dem Nationaltheater gibt es eine Reihe alternativer Spielorte. Das Phoenix Theater ist das prominenteste von ihnen. In den 1980er und 1990er Jahren war es ein lebendiger Spielort, doch die Abonnements gingen zurück, bis es aufgrund ausstehender Zahlungen 2017 geschlossen wurde. James Falkland, der das Phoenix Theater in den 1980er Jahren gegründet hatte, war zuvor der letzte europäische Geschäftsführer im Kenya Cultural Centre (zu dem auch das Kenya National Theater gehört) gewesen. In den 1970er Jahren wurden in einer Welle von Afrikanisierungsprogrammen die letzten kolonialen Verwalter inklusive der Theaterintendanten abgesetzt.

Die Theater liegen in wohlhabenden Gegenden

Wie das Nationaltheater von Kenia befand sich das Phoenix Theater in einer wohlhabenden Gegend, nur wenige Meter entfernt vom nationalen Parlament. Mugambi Nthiga, Mitglied des aufgelösten Ensembles der Phoenix Theater Players, bemerkte nach seiner Schließung 2017, dass das Theater in Apathie verfallen war und schließlich Umsatzeinbrüche zu verzeichnen hatte.

propose mePlakat des Phoenix Theatre 2010
© www.nairobinow.wordpress.com
In seiner Hochzeit während der 1990er Jahre gedieh das Phoenix Theater unter James Falkland, der Managementtalent mit künstlerischem Gespür vereinte. Jeden Monat kam eine Premiere heraus. Einige der größten Talente Kenias wie die Schauspielerin Lupita Nyong’o konnten am Phoenix ihr Talent vervollkommnen. Zu dieser Zeit war das Phoenix Theater die wichtigste Alternative zum Nationaltheater, besonders nachdem dieses in den 1980er und 1990er Jahren unter Präsident Daniel Moi vernachlässigt wurde.

"Irgendwann mussten Theatergruppen vor der Aufführung die Erlaubnis der Special Branch einholen“, berichtet Alacoque. Die special branch war die repressive Geheimpolizei, die in Kenia bis 2002 existierte.

Insgesamt ist die Zahl der Theater in Nairobi in den vergangenen zehn Jahren drastisch zurückgegangen. Einige Einrichtungen wie etwa das Französische Kulturzentrum und das Goethe-Institut wurden zu alternativen Spielorten für Theatergruppen. Das Französische Kulturzentrum bietet seinen Theatersaal zu vergünstigten örtlichen Tarifen an und arbeitet vor allem aufgrund langjähriger Beziehungen mit einigen Theatergruppen zusammen.

Ausverkauft ist das Nationaltheater nie

"Unser Haus steht jeder Produktionsgruppe offen, solange sie unsere Richtlinien bezüglich nichtreligiöser und nichtpolitischer Inhalte einhalten“, sagt Harsita Water, Leiterin des Kulturprogramms des Französischen Kulturzentrums.

Kenya National TheatreKenya National Theatre  © www.sde.co.ke

In einem Land, in dem die meisten Menschen von weniger als zwei Euro am Tag leben, sind Eintrittspreise zwischen vier und zehn Euro für viele eine unüberwindliche Hürde zum Theater. Bezeichnenderweise ist das Nationaltheater von Kenia mit seinen 375 Plätzen kaum je ausverkauft. Theatergruppen müssen profitabel arbeiten, um betriebsfähig zu bleiben, und ganz offensichtlich können Geringverdiener über die Eintrittspreise vom Besuch abgehalten werden.
"Ich glaube", so Harsita Water, "dass es möglich ist, die Kosten so erschwinglich wie möglich zu machen und den Zugang sogar zu erleichtern, indem mindestens drei Vorstellungen am Tag gezeigt werden. Aber das liegt im Ermessen der jeweiligen Theatergruppen."

Schwer bewaffnete Paramilitärs vor dem Theater

Im Zuge der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit hat die kenianische Regierung zusammen mit der führenden Brauerei im Land die Renovierung des Nationaltheaters finanziert. Der größte Posten dabei war die Reduzierung von 475 auf 375 Plätze, insbesondere durch die veränderte Anordnung und das neue Design der Sitze.

Für einige jüngere Künstler stellte der Komplex des Kenya Cultural Centre einen Ort uneingeschränkter Freiheit dar. Nach der Renovierung allerdings wurde das Haus zunehmend unzugänglicher. Der ganze Komplex wird von schwer bewaffneten Paramilitärs bewacht.
"Die Beamten", berichtet Alacoque, "nahmen ihre Rundgänge auf, nachdem Künstler wiederholt Gesetzwidrigkeiten begangen hatten. Ein Wachmann wurde angegriffen. Das war der Anlass für die Verwaltung, die Polizei zu bitten, die Streifen innerhalb des Komplexes auszuweiten."

John Kerry Meets Boniface Mwangi at PAWA 254 US-Außenminister John Kerry und Boniface Mwangi im PAWA 254, 2015  © www.nairobiwire.comEs gibt inzwischen zwar mehr freie Theatergruppen, jedoch haben die meisten von ihnen nur eingeschränkt Zugang zu dauerhaften Spielorten. Das revolutionäre Pawa 254 mit seiner berühmten Bühne auf dem Dach des Gebäudes wurde für Schauspieler*innen und Spoken-Word-Künstler*innen eine wichtige Plattform. Boniface Mwangi, einer der explizitesten Aktivisten Kenias, gründete diesen Veranstaltungsort 2011, der seitdem viel Widerstandskunst inspiriert hat.

In Kenia wird das Theater außerdem von Fernsehen und Film überschattet. Die Unterstützung der Wirtschaft geht zurück, die Eintrittspreise fallen, dazu die Zensur – all das hat die Entwicklung des kenianischen Theaters im Allgemeinen und ganz besonders in Nairobi untergraben.

Die Methode, ehemals ausländische und exotische Orte umzubenennen, zu reinigen und zu übernehmen, um sie zu Orten der nationalen Kultur zu machen, hat im postkolonialen Narrativ Tradition. Ohne Frage warten die Theater und Spielorte in Nairobi noch auf eine Demokratisierung, die sie schließlich in Heterotopien verwandelt – in Räume also, die sich von den Orten ringsum radikal unterscheiden und dazu taugen, diese zu inspirieren.

Aus dem Englischen von Bochert Translations (Henning Bochert)

 

Enos Nyamor 80Enos Nyamor arbeitet als Kulturjournalist in Nairobi, Kenia. Seine Arbeiten sind in den Zeitungen Sunday Nation und Business Daily Africa sowei bei Contemporary And (C&) erschienen. Er hat bei einem Kulturjournalismus-Workshop von C& teilgenommen und arbeitet seit 2013 als Kulturjournalist.

 

Hier steht das englische Original des Textes von Enos Nyamor.

Hier berichtet Milisuthando Bongela über die Lage des Kulturjournalismus' auf dem afrikanischen Kontinent. Yvon Edoumou schreibt über die Frage, ob "arme" Leute Kunst genießen können. Stéphanie Dongmo portraitiert den Theaterregisseur Martin Ambara aus Kamerun.


Der Text ist im Rahmen des Journalist*innen-Projekts "Watch & Write" des Festivals Theaterformen entstanden und wird im Rahmen einer Medienkooperation auf nachtkritik.de veröffentlicht. Er ist nicht Teil des redaktionellen Programms von nachtkritik.de.

 

 

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