14. Juni 2018

Teilhabe: Die kulturelle Trennung in Kapstadt herausfordern

von Carla Lever

Wenn das Dramatische Sie interessiert, dann sind Sie in Kapstadt richtig. Diese Stadt, gelegen zwischen Berg und Meer auf einer Halbinsel zwischen zwei Ozeanen, quillt über vor künstlerischem Talent. Vergessen wir kurz die begabten Schauspieler*innen: Kapstadt selbst sorgt für einen großen Auftritt.

Die neugierigsten Theatergänger lernen ein Kapstadt kennen, das verstreut in einem kleinen Innenstadtbereich mit einem Radius von vielleicht zehn Kilometern Durchmesser liegt, einer angenehmen Gegend mit Verkehrsanbindung und Cafés, Modeläden und jeder Menge Street Art. Wendet man die Augen allerdings von der Inszenierung der Stadt ab, erzählt das verborgene strukturelle Narrativ eine nicht so schöne Geschichte.

Denn das Kapstadt, welches die meisten Touristen nicht zu sehen bekommen, besteht aus ausgedehnten vorstädtischen Landschaften – sandigen Gegenden, die häufig überschwemmt werden, unbeleuchteten Wellblechschuppen, Bezirken mit Dünen und Buschwerk, Gemeinschaftstoiletten und angezapften Stromleitungen. Kapstadt genauer erkunden heißt daher, eine schachbrettartige, rassistische Geschichte planerischer Eingriffe zu überwinden: Wie bei den meisten südafrikanischen Städten ist seine Skelettstruktur ein Machwerk der Apartheid. Die Hindernisse, die Menschen davon abhalten, ein Leben in besseren Wohnverhältnissen zu führen, sind auf beinahe alberne Weise verstreut: ausnehmend breite Autobahnen, die zu Fuß unmöglich zu überqueren sind, strategisch platzierte Golfplätze und Eisenbahngleise als Pufferzonen zwischen wohlhabenden weißen und armen schwarzen Vororten, öffentlicher Nahverkehr, der praktischerweise nur bis zum Rand des Innenstadtgebiets reicht.

In einem Land, in dem das Erbe der Apartheid bedeutet, dass die Hautfarbe fast unweigerlich die soziale Klasse bestimmt, bedeutet Gentrifizierung, dass Kapstadt sich zwar als Stadt in raschem Wandel befindet, aber immer noch von grundsätzlicher Ungleichheit bestimmt ist. Zwar wird niemand mehr per Gesetz daran gehindert, dort zu leben, wo es ihr oder ihm gefällt, dafür aber umso mehr von den wirtschaftlichen Gegebenheiten – und auf diese Weise sogar noch effektiver.

Politik im Rampenlicht

Daher überrascht es nicht, dass Theater – jedenfalls so, wie ein westlich geprägter Verstand es sich vorstellt – in Südafrika nach wie vor eine vorherrschend weiße Industrie ist. Das ist auch schlüssig: Künstler zu sein ist ein Luxus, den sich nur wenige ohne zusätzliche wirtschaftliche Unterstützung leisten können. Und als Zuschauer muss man über ausreichend Einkommen verfügen, um sich Eintrittskarten leisten zu können.

Theater in Kapstadt ist zwar spannend und die Diversität der Schauspieler durchaus gegeben, aber Hauptrollen und Preise gehen immer noch an die etablierten weißen Darsteller*innen und Regisseur*innen, die in Mittelklassevororten vor einem gleichermaßen weißen Publikum spielen. Auch wenn das eine Verallgemeinerung ist: Man kann mit Recht behaupten, dass Schwarze Schauspieler, die in großen Stadttheatern spielen, kaum je in Stücken mitwirken, die sie selbst geschrieben haben oder inszenieren. In der Regel erzählen sie die Geschichten weißer Theaterautor*innen und Regisseur*innen.

Vor diesem Hintergrund spielen kleine, unabhängige Spielorte, die bereit sind, risikofreudige Künstler zu unterstützen, eine wichtige Rolle. Häuser wie die Alexander Bar – eine gemütliche Blackbox mit 42 Plätzen mitten in Kapstadts lebhaftem Ausgehviertel – setzen in einer Szene, die mit Diversität ihre liebe Mühe hat, ein echtes Zeichen. Das Theater, das sich praktischerweise im Stockwerk über der Bar befindet, die für seine finanzielle Betriebsfähigkeit sorgt, bietet Künstlern eine etablierte Plattform für neue Arbeiten auf Beteiligungsbasis. Hohe Kautionen und Mieten, die über Eintrittspreise kaum wieder reinzuholen sind, fallen weg – und damit eines der größten Zugangshemmnisse für Theateramacher*innen.

Theatermacher, die keine Gatekeeper sein wollen

"Die Vorstellung von Gatekeepern in der Kultur regt mich auf – dass nur wenige Leute die Möglichkeit haben, neuen Stimmen eine Plattform zu bieten", erläutert der Geschäftsführer Jon Keevy, ein preisgekrönter Produzent und Theaterautor. "Ich glaube, wer eine Plattform stellen kann, hat auch die Verantwortung, Risiken einzugehen. Institutionen haben die Macht, Zugang zu Training und Möglichkeiten zu schaffen, und bisher haben viele in Südafrika das hinsichtlich einer Veränderung der Lage kaum ausgenutzt. Ich habe jetzt ein Theater, und ich lehne niemanden ab, der leidenschaftlich gern in diesem Bereich arbeiten möchte. Ich möchte nie zum Gatekeeper werden."

CarlaLever TheChampion 560 NardusEngelbrecht u"The Champion", gezeigt in der AlexanderBar  © Nardus Engelbrecht

Die Alexander Bar verhilft auch anderen Spielorten zum Erfolg. Mit Open Theatre Toolkit haben sie eine Software entwickelt, mit der sich der zeitliche und finanzielle Aufwand beim Betreiben eines Spielorts drastisch reduzieren lässt, indem der Betrieb über eine einzige Plattform verwaltet wird. Trotz solcher Initiativen ist Keevy frustriert vom Widerwillen des kapstädtischen Mainstream-Publikums, sich für vielfältiges Theater abseits der regulären – überwiegend weißen – Kunstszene zu interessieren. Ob er nun hochangesehene Tourauftritte vom übrigen Kontinent oder aufstrebende Lokalgrößen bucht – wenn die Arbeit von unbekannten Schwarzen Künstlern stammt, bleiben die Zuschauer meist geschlossen weg. Seine Frustration ist spürbar. "Örtliche Künstler arbeiten nicht gern mit uns, weil sie aus Erfahrung wissen, dass in dieser Stadt nur wenige Zuschauer kommen. Und sie haben Recht. Sie bekommen nicht die nötige Unterstützung und die Zuschauer bleiben weg, weil sie nichts riskieren wollen und lieber Arbeiten von bekannten Künstlern sehen, die typischerweise weiß sind."

"Schuppentheater" in einer inoffiziellen Siedlung

Glücklicherweise wartet der Rest der Stadt nicht, bis die Mittelklassekapstädter ihren Geschmack ändern. Dreißig Kilometer entfernt von der Alexander Bar, in der inoffiziellen Siedlung Khayelitsha, geriert sich der neu erbaute Makukhanye Art Room als das erste "Schuppentheater" ("shack theatre") Südafrikas, das ein "ständig wachsendes Publikum und Netzwerk bedient, das in der kulturellen Infrastruktur in Kapstadts Zentrum nur schwer Anschluss findet".

CarlaLever Art Room 560 DavidHarrison uMakhukhanye Art Room © David Harrison

In Khayelitsha wohnen zweieinhalb Millionen Kapstädter. Nichtsdestotrotz wird es von der Regierung vielfach nur als temporäre Wohnlösung betrachtet, wobei die Zahl der Bewohner*innen, die die eingeschränkt vorhandenen öffentlichen Dienstleistungen, Transportwege und Infrastrukturen nutzt, zwei Drittel der Einwohner*innen des offiziellen Kapstadt entspricht. Im selbstgebauten Makukhanye Art Room arbeitet das Theater 4 Change (Theater für den Wandel), eine Aktivisten- und Künstlergruppe, die ein Zentrum für Kulturprojekte fordert, damit Künstler und Zuschauer nicht mehr lange und gefährliche Strecken von ihren Wohnvierteln zurücklegen müssen.

Mandisi Sindo, Gründer des Theaters, meint, dass "es im Theater viel Politik gibt – deswegen gibt es ein Mainstream-Theater in der Stadt und ein Nachbarschaftstheater, das von Schwarzen in den Townships betrieben wird. Das wird sogar schon in der Universität etabliert, es gibt da Schauspiel für Theater und Fernsehen, und daneben gibt es Nachbarschaftstheater, das im Grunde für Schwarze gedacht ist".

"Schwarze Künstler bekommen eigentlich keine Plattform, besonders Schwarze Regisseur*innen nicht", sagt er. "Unter anderem aus diesem Grund mussten wir ein Theater in den Townships aufmachen. Und wenn einer von uns um acht Uhr abends eine Vorstellung in der Stadt hat, kann niemand hier zu dem großen Theater hinfahren und sich das anschauen. Das ist ein Nachteil davon (das Dumme), Arbeit in einem großen Theater zu bekommen, und wir werden ja nicht mal eingeladen!"

Theater im Hinterhof eines Townships

Mit Theatre in the Backyard (Theater im Hinterhof) fordert eine weitere Theatergruppe die räumliche Trennung in Kapstadts Kunstszene heraus. Sie bietet genau das an, was ihr Name verspricht: Eine Vorstellung in einem sorgfältig ausgesuchten Hinterhof eines Township-Bewohners. Die Nachbarschaftstheatergruppe Ikhwelo Arts hat sich mit einem örtlichen Tourenanbieter zusammengetan und fährt die Theaterbesucher von Kapstadt-Mitte bis ins Township Langa, zeigt dort eine knapp dreißigminütige Vorstellung und lädt das Publikum anschließend zu Hause zu Bier und selbstgekochtem Abendessen ein. "Ich nutze die Hinterhöfe der Leute”, sagt Mhlanguli George, Regisseur und Produzent, "und jeder einzelne Hof erzählt eine Geschichte – Geschichten, die dem Leben sehr nah sind."

Funktionieren diese Initiativen? An einigen Tagen mag das den müden Theatermachern und frustrierten Theaterleitern nicht so scheinen. Man sehe sich aber die Ergebnisse an. Anfang Juli zeigt das Theatre in the Backyard zwei Produktionen beim renommierten National Arts Festival in Grahmstown, hunderte Kilometer östlich von Kapstadt. "The Champion" (Der Sieger) wurde im Makukhanye Art Room in der informellen Siedlung Khayelitsha produziert und uraufgeführt, lief zwei Wochen lang erfolgreich in der Alexander Bar, bekam hervorragende Kritiken und viel Zulauf. Sein Schauspieler, Khayalethu Anthony, gewann außerdem den angesehensten Mainstream-Preis Kapstadts für den besten Darsteller in einem Monolog, ein außergewöhnlicher Erfolg für ein Stück, das sonst gar nicht von den Juroren gesichtet worden wäre.

Umgekehrt wird "Selwyn and Gabriel", ein neuer, hier entstandener Text, der erfolgreich in der Alexander Bar lief, im Makukhanye Art Room gezeigt. Die Mauern fallen: Schauspieler*innen arbeiten, und die Arbeit verändert sich deutlich. In Kapstadt steht der Wandel vielleicht nicht mitten auf der Bühne, aber er steckt hinter jeder Kulisse.

 

Aus dem Englischen von Bochert Translations (Henning Bochert)

 

Carla Lever 80Carla Lever (Südafrika) hat in Performance Studies promoviert und zu nationaler südafrikanischer Identität geforscht. Sie arbeitet als Theaterkritikerin, Kulturjournalistin und Dozentin.


 

Read the English original of the article here.

Hier berichtet Milisuthando Bongela über die Lage des Kulturjournalismus auf dem afrikanischen Kontinent. Yvon Edoumou fragt, ob Kunst im kongolesischen Kinshasa für "arme" Leute zugänglich ist. Stéphanie Dongmo porträtiert den Theaterregisseur Martin Ambara aus Kamerun. Ismael Fayed schreibt über die Inszenierung "Saigon" von Caroline Guiela Nguyen und Les Hommes Approximatifs. Enos Nyamor berichtet über das Theater in Kenia, Aboubacar Demba Cissokho über Theater im Senegal.

 

Der Text ist im Rahmen des Journalist*innen-Projekts "Watch & Write" des Festivals Theaterformen entstanden und wird im Rahmen einer Medienkooperation auf nachtkritik.de veröffentlicht. Er ist nicht Teil des redaktionellen Programms von nachtkritik.de.

 

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