Ein Schwank aus Babylon

von Valeria Heintges

Chur, 18. Juni 2018. 518 Seiten hat Michail Bulgakows Roman "Meister und Margarita" in der deutschen Übersetzung von Alexander Nitzberg. Elf Jahre hat Bulgakow daran geschrieben und doch ein unvollendetes Werk hinterlassen, ein Meisterwerk, eine hochpolitische Gesellschaftssatire mit multiplen Deutungsmöglichkeiten und ähnlich komplex wie Goethes "Faust", an das es sich deutlich anlehnt, dieses Drama um den Teufel, der als Magier Woland nach Moskau kommt, den Literaturclub aufmischt und Margaritas Seele kauft.

Und dieser Roman soll als Sommertheater, als italienische Commedia des Origen-Festival Cultural gespielt werden, auf einer kleinen, mit rotem Samt beschlagenen Bühne und anderthalb Stunden dauern? Soll das ein Witz sein?

Meister 560 AliceDasNeves uPurpurner Guckkasten Open Air © Alice das NevesNein, ein Witz nicht. Aber eine Komödie schon. Und eher ein Spiel mit Motiven des Romans. Aber doch: Was die drei Akteure, alle mit clowneskem Teatro-Dimitri-Hintergrund, und ihr Musiker da vor den roten Samtvorhang zaubern, das hat viel mit Bulgakows "Meister und Margarita" zu tun, mit Humor und Groteske, mit Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung.

Deutsch, französisch, italienisch, rätoromanisch

Da ist etwa die Critica Latunskaja, ein arrogantes Frauenzimmer von Literaturkritikerin, die ganz nach Belieben Autoren befördert oder fallenlässt. Hochnäsig stolziert sie im Pelz daher, nestelt an ihrer Brille – und die Autoren kuschen. Vor allem Iwan Nikolaevic, der ihre Gunst erreicht hat. Sie diskutieren über Zensur und über Gott und die Welt und Jesus Christus und den Teufel. Der sitzt im Publikum, mit langem Haar und Gesichtsmaske, die ihm eine dicke Wange macht und ein kaputtes Auge, und der gentlemanlike seinen Stock schwingt. Als Spezialist für Schwarze Magie stellt er sich vor – und gibt sich gleich mit Taschenspielertricks als Zauberer zu erkennen.

Meister 560 6960 © Alice das Neves

Er ist ein Satan in mehrerlei Gestalt, wird daher von zwei Schauspielern gespielt, mal mit langem, mal mit kurzem Haar, mal mit größerer, mal mit kleinerer Figur. Er hat auch seine Assistenten dabei, eine Nackte mit wallendem, grünem Haar, einen mit karierter Weste und einen dicken Kater, der sich vor allem für "le saumon" interessiert, der ihm abhandengekommen ist. Die Nackte, Heike Möhlen, spricht Hochdeutsch mit norddeutschem Akzent, der Kater, David Labanca, meist Französisch, der mit der karierten Weste, Fabrizio Pestilli, Deutsch mit italienischem Akzent.

Der schmierige Theaterdirektor, mit dicker Wampe und diversen Mädels für verschiedene Tages- und Nachtzeiten, parliert Italienisch. Dieser Abend ist ein babylonischer, ein Wechsel von Deutsch, Französisch, Italienisch und ein wenig Rätoromanisch, das der Musiker Antonio Ghezzani spricht, etwa wenn er als Gewichtheber im Varieté glänzt. Das passt, weil es die Absurdität der Figuren und Situationen steigert, ist aber auch schade, weil zwar Sprachunkundige den großen Handlungsbogen verstehen, aber Sprachwitz verlorengeht, der selbst noch in dieser Radikalfassung vorhanden ist.

Meister AD 280 7115 © Alice Das NevesDie drei Akteure geben dabei alles; Heike Möhlen als gestrenge Kritikerin, verführerische Hexe Hella oder naiv-forsche Margherita. Fabrizio Pestilli, der als Regisseur verantwortlich zeichnet, ist ein traumwandlerisch-verrückter Maestro im Spitzen-Nachthemd, ein tänzelnder Korovev und ein hochkorrupter, aber lebensfroher Theater-Direttore Varenucha. David Labanca gibt als Behemoth seinem Kater Zucker, schnurrt und faucht und maunzt, und ist als aalglatter Dramaturgo Ivan Nikolaevic, der dem Wahnsinn anheimfällt, kaum mehr wiederzuerkennen. Wunderbar wie er, vom Satan verhext, sich selbst ohrfeigt und piesackt, als gehorchten seine Hand, seine Arme wirklich einem anderen Meister als ihm selbst.

In Richtung Monty Python

Dem Origen Festival Cultural von Intendant Giovanni Netzer ist der gekonnte Umgang mit sparsamen Mitteln, die Reduktion aufs Wesentliche zueigen. Und der Anspruch, trotzdem gute Kunst zu zeigen. So setzen die Akteure punkt- und detailgenau Mimik, Gestik und Akrobatik ein, wechseln zwischen Wortszenen und kräftiger Komik hin und her, die etwa in einer bitterbösen Gehirnoperation so drastisch wird, dass sie auch der Monty-Python-Truppe gefallen hätte.

Diese Drastik ist ganz bei Bulgakow, der auch übertreibt und überdreht und überzieht. Er weiß, welche Folgen Gehirnwäschen in diktatorischen Regimes im Allgemeinen und im stalinistischen Russland im Besondern haben. Sicherlich, die Origen-Fassung streicht den Pilatus-Roman im Roman komplett, der Meister schreibt auch keinen biblischen Roman, sondern ein – nun ja, es muss heraus – Musical. Und spätestens, wenn er in der Irrenanstalt, in die er sich hat einweisen lassen, daraus schlechteste Tonproben gibt, kann man sich schon fragen, ob die Freiheit mit dem Text wirklich so weit gehen musste. Margherita ist bei Bulgakow auch nicht annähernd so naiv-dümmlich und die Liebesgeschichte viel weniger süßlich. Aber eine Sommer-Commedia ist auch keine Slawistik-Vorlesung.

 

Maestro e Margherita
nach Michail Bulgakow
Regie: Fabrizio Pestilli, Komposition: Antonio Ghezzani, Masken: Colette Roy, Produktion: Maurus Candreja, Rita Genelin, Flavia Kistler, Antonis Michalopolous, Anna Möll, Kesha Rüeger, Maria Steinocher.
Mit: Antonio Ghezzani, David Labanca, Heike Möhlen, Fabrizio Pestilli.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.origen.ch

 

Kritikenrundschau

"Es spricht für die Könnerschaft der Commedia, aus einem solchen Stoff durch beherzte Verkürzung und tollkühne Neudichtung eineinhalb Stunden leichtfüssiges Sommertheater gemacht zu machen", schreibt Ruth Spitzenpfeil in der Bündner Zeitung (20.6.2018). Die grösste Raffinesse: "wie alle drei Kantonssprachen eingesetzt wurden – und irgendwie russisch klangen".

"Einen turbulenten und äusserst unterhaltsamen Abend" verbrachte Tobias Humm von der Zürichsee-Zeitung (21.6.2018). Die Geschichte trete hin und wieder in den Hintergrund; "man überlässt die Aufmerksamkeit einfach gern dem bunten Bühnengeschehen".

 

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