Blog: Über die Gründe des Scheiterns dreier Intendanten

Das Experiment geht weiter

Das Experiment geht weiter

von Georg Kasch

21. Juni 2018. Was läuft falsch mit dem Stadttheater der Zukunft? Drei Intendanten nahmen jüngst ihren Hut, die für den Aufbruch standen. Für radikale Brüche mit der Tradition, für postdramatische, performative, immersive Formate. Für eine Erweiterung des Theaterbegriffs, für spartenübergreifendes Arbeiten, fürs Experiment. Chris Dercon musste nach nicht einmal einer Spielzeit an der Berliner Volksbühne gehen, Tomas Zierhofer-Kin nach zwei bei den Wiener Festwochen, Matthias Lilienthal kündigte seinen Rückzug von den Münchner Kammerspielen an, nachdem klar war, dass der Stadtrat ihn über seine fünf Jahre hinaus nicht verlängern würde.

Ist das ein Backlash?, fragte Kulturjournalist und nachtkritik.de-Autor Falk Schreiber auf Twitter. Schließlich stellte Zierhofer-Kin die Wiener Festwochen, vorher eher auf prominente Gastspiele und Koproduktionen abonniert, in queere, postkoloniale, postmigrantische Kontexte. Chris Dercon wollte in seiner Volksbühne Spartengrenzen einreißen, sie international vernetzen, den Repertoirebegriff erweitern. Matthias Lilienthal integrierte in sein Ensemble sowohl Schauspieler als auch Performer aus aller Welt, zeigte Musiktheater, außereuropäische Perspektiven, mischte Hoch- und Popkultur, Chris Dercon 280 uChris Dercon © Dazaifu89 CC BY-SA 4.0setzte auf weibliche, auch schwarze Perspektiven. Alles progressive, ja linke Positionen. Haben die sich jetzt überholt?

Nein. Denn die Gründe für das Ende der jeweiligen Intendanz sind sehr individuell: Dercon scheiterte am Dilettantismus – der eigenen wie der Berliner Kulturpolitik. Zierhofer-Kin ignorierte offenbar die seit Horaz gültige Binse, dass ein Publikum nicht nur belehrt, sondern auch unterhalten sein will und die Tatsache, dass man mit Abgehangenem aus München und Hamburg (Ersan Mondtags Orestie, Susanne Kennedys Selbstmord-Schwestern, Christoph Marthalers Tiefer Schweb) kein verlorenes Stammpublikum zurückgewinnt. Und Lilienthal würde in München weitermachen, hätten sich nicht die politischen Machtverhältnisse in der Stadt von Rot-Grün zu Rot-Schwarz verschoben.

Worin sich die Fälle dennoch ähneln: Alle drei Intendanten folgten auf Phasen der Theater und Festivals, die als herausragend galten. Hätte Dercon seinen Job nach den lähmenden Castorf-Jahren am Ende der Nullerjahre übernommen, hätte man ihm seinen Fehlstart vermutlich eher verziehen. Hätte das Kammerspiel-Ensemble nicht als eines der besten im deutschsprachigen Raum gegolten, wäre Lilienthal dessen Umbau auch nicht so auf die Füße gefallen. Und der Hochglanz, den die Wiener Festwochen unter Markus Hinterhäuser ausstrahlten, war durch künstlerische Qualität legitimiert.

Die Phrasendrescher

Außerdem traten alle drei Intendanten mit Großsprech an und auf: latent unangenehmer Klugschiss, oft verpackt in Dramaturgendenglisch. Von Phrasen aber ernährt sich kein Mensch. Keiner der drei bemühte sich ausreichend, die Traditionen der Orte und Institutionen zu verstehen, sie ernst zu nehmen, Brücken zu schlagen, das Publikum zu umarmen. Die preußische Arroganz, mit der Lilienthal die Maximilianstraßen-Besucher über ihre Matthias Lilienthal Kammerspiele 268 Sima DehganiMatthias Lilienthal @ Sima DehganiDoppelmoral belehren wollte, wurde ihm von den in Stilfragen besonders sensiblen Münchnern stärker übelgenommen als alles andere. Das Selbstbewusstsein, mit dem Dercon begriffliche Nebelkerzen warf und vom Theater der Zukunft faselte, kam in Berlin gar nicht gut an in Bezug auf ein Haus, das mit den vergangenen 25 Jahren das Gegenwartstheater prägt wie kein zweites. Über Zierhofer-Kin schrieb Ronald Pohl im Standard: "Nicht nur Freunde des traditionellen Theaters fühlten sich unangenehm belehrt."

Vor allem aber: Das Stadttheater der Zukunft ist ja nicht tot. Es wird nun woanders weiterexperimentiert. In Dortmund erprobt Kay Voges seit Jahren erfolgreich, den Bereich dessen auszuweiten, was künstlerisch in so einer Struktur möglich ist – und die Struktur damit selbst zu verändern. In Bochum schlachtet Johan Simons ab Herbst die heilige Repertoire-Kuh – allerdings nur halb, weil das gastspiel- und koproduktionsfreundliche Stagione-Prinzip allein für die Kammerspiele gilt. Sein Versuch, die Überproduktion zu stoppen, könnte maßgebend sein. Sein Ensemble ist ebenso international wie das von Milo Raus NT Gent, der dort ebenfalls mit einem Stagione-Repertoire experimentiert – und seine Produktionen weiterhin um die halbe Welt schicken will. In Nürnberg gehören ab Herbst unter dem nicht gerade als Revoluzzer verdächtigen Jan-Philipp Gloger postdramatische Freie-Szene-Leute wie Boris Nikitin, Oliver Zahn und die Costa Compagnie zum Repertoire. Vielleicht kriegen sie ihre Experimente und Systemwechsel stilsicherer hin.

Kommentare  
Blog Intendanz-Scheitern: Fortschritt Einheitsbrei?
Ich habe so meine Probleme mit Falks Schreibers Unterstellung eines Backlashs. Ich verstehe nicht, warum man die Kunst immer noch in einen hegelianisch-adornitischen Fortschrittsgedanken einsperrt und sich dann auch noch sicher zu sein glaubt, wo dieser Fortschritt liegt: nämlich bei der Performance. Warum eigentlich? Und warum kann es nicht die friedliche Koexistenz geben? Oder die produktive Verflechtung? Und bei dem sogenannten Fortschritt ist es auch nicht immer hilfreich, sämtliche vorgängige Strukturen zu ignorieren oder zu zerstören. Und noch etwas nervt bei den Backlash-Phobikeren: Sie propagieren schon längst eine Monokultur. Man sehe sich doch einmal an, was auf den Festivals so läuft - die Namen sind immer dieselben. Diese nun auch an die festen Häuser zu holen, ist das ein Fortschritt? Wohin wird denn da fortgeschritten? In den Einheitsbrei?
Blog Intendanz-Scheitern: Leipzig voraus
Das spannendste Stadttheater-Projekt probiert gerade in Leipzig mit Lübbe/Frank und dem Residenz-Format und der Parallelprogrammierung Gegenwartsdramatik. Konnten uns die Tage bei der Doppelspass-Tagung vor Ort ein Bild machen. Vielversprechendste Arbeit machen momentan für mich die Leipziger.
Blog Intendanz-Scheitern: lesenswerter Artikel
stimme fast forward voll zu: genau dieses alt-neu und links-rechts Denken mitsamt seiner Rhetorik und Botschaftsdrescherei zur Selbstpositionierung von Alphatieren hat die eigentliche Frage nach der Qualität der künstelrischen Arbeit überdeckt und leider spielen viele Journalisten nach wie vor das gleiche Spiel mit.
Trotz allem: lesenswerter Artikel und schön, dass jemand mal differenziert und die gängingen Narrative zumindest in Teilen unterläuft. So kann man jenseits der Wir-sind-die-Theatererneuerer Behauptungen genauer auf das schauen, was künstlerisch an Interessantem und Abgehangenem an den Häusern passiert.
Blog Intendanz-Scheitern: Krise der Kritik
Theaterdeutschland hat Jahrzehnte darunter gelitten, dass der ehemalige grosskritiker der FAZ seine Rezensionen zur Produktion von theaterideologie missbrauchte. Mittlerweile gibt es zahllose ähnliche und bedeutend jüngere gestalten, die das unter dem Vorzeichen einer vermeintlichen Avantgarde fortsetzen und sich in ideologieproduktion ergehen. Sie sind schon mit 35 Jahren derartig von ihrem Beruf deprimiert, dass sie vollkommen dem dernier cri verfallen. Dafür aber kann das Theater nichts. Es sind kritiker, die sich durch ideologieproduktion selbst entwerten. Agenten ihres bedeutungsverlust mit der übereilten Analyse: die Gesellschaft wandert nach rechts, das avantgarde resistente Theater auch. Oh je - Krise der Kritik. Keine Krise des Theaters.
Blog Intendanz-Scheitern: München
Die im Text so gelobte Intendanz von Simons wurde vor Ort eigentlich eher als Langeweile empfunden ... Es ist auch auffällig, wie wenige der damaligen Schauspieler jetzt mit Simons nach Bochum gehen.
Intendanz-Scheitern: Leere hinter den Begriffen
Sehr interessanter Beitrag. Wenn nur noch um der Erneuerung willen eine Erneuerung eingefordert wird, quasi als Marketingtrick aber hinter den Begriffen nur noch große Leere steckt - dann ist man in der bildenden Kunst, die sich in den letzten zwanzig Jahren mit all ihren -Ismen die Zähne ausgebissen hat und eigentlich nichts mehr zu sagen hat. Da sollten sich die Theater davor hüten.
Intendanz-Scheitern: bescheiden kommunizieren
Sorry guys, aber ich bin raus. All diese "Experimente" sind für mich Establishment. Wenn man sich die hierarchischen Strukturen all dieser Bühnen anschaut, die angeblich experimentell sind, wird doch schnell klar, dass sie nichts mit einer anderen Produktionsweise der Zukunft zu tun haben. Wir brauchen Wege aus dem Selbstverkauf, nicht neue, weiße Männer, die ihre Streicheleinheiten brauchen. Kunst muss anders gedacht werden. Ich stimme dem Artikel zu: große Sprechblasen seitens der (allesamt) neuen, männlichen Leiter. Ich weiß, wir sind in diesem System hier irgendwie gelandet, aber ich warte immer noch auf die Institutionen, die zum Beispiel bescheiden kommunizieren. Das heißt nicht, nichts Großes wollen, sondern einfach sich selbst dabei nicht so aufzublasen. Milo Rau's Theater tönt von neuen bahnbrechenden Änderungen und Regelwerk und Co., schaut man sich dann aber mal das "Public Program" des NT GENT an, ist das derselbe Abklatsch, Abwasch wie überall. Und die Frage bleibt - wie bezieht man Leute anders in Theaterprozesse ein? Auch die ganze Struktur ist nichts Neues. Mit dieser selbstrepräsentierenden Eitelkeit der europäischen Theaterszene kann für mich nicht mehr viel erreicht werden. Und manchmal lob ich mir dann noch ein stilles Experiment, das nicht so viel von sich reden macht. Natürlich sind die Herren auch immer gezwungen viel von sich zu geben, vorzustellen was sie vorhaben, den Personenkult mitzumachen. Aber ich glaube das versaut den Charakter, und wir sollten endlich mal darüber sprechen, wie wir aus dieser Repräsentationsfalle rauskommen.
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