Schloss an der Loire - Ins (Irr-)Witzige überdreht Henri Hüster in Nürnberg Roman Sikoras absurdes Stück
Mährischer Wein
von Christian Muggenthaler
Nürnberg, 28. Juni 2018. Jedes Schloss, das auf sich hält, hat für gewöhnlich einen Geist. Ein Gespenst, einen genius loci – oder eine "Gnädige Frau", wie in Roman Sikoras "Schloss an der Loire" jene Tschechin, die von ihrem Mann im Franzosenschloss zwangskaserniert worden ist. Der Mann, offenbar ein reicher, mächtiger tschechischer Politiker, ist ihrer noch offenbarer überdrüssig geworden und hält sie nun im goldenen Käfig, wo das Personal ihre Ausbrüche von Verzweiflung, Wut, Liebessehnsucht mit ans Toxische grenzendem mährischen Rotwein zu bändigen versucht. Ihre Bändiger sind ein Dienerpaar, ein Koch und ein gewisser Boris, der das ganze Stück über einfach nur drohend am Ausgang hockt und die zuletzt Rasende zurück in ihren Käfig trägt.
Absurdem Theater verpflichtet
Roman Sikoras Stück, das in Nürnberg uraufgeführt wurde, ist das Gewinnerstück des Dramenwettbewerbs "Talking About Borders" vom vergangenen Jahr, das durch seinen ersten Platz eine Aufführungsgarantie erhielt. Der Wettbewerb, der jetzt mit dem Wechsel von Schauspieldirektor Klaus Kusenberg nach Regensburg erst eimal auf Eis gelegt ist, widmet sich mit wechselnden Partnerländern der zeitgenössischen osteuropäischen Dramenliteratur und ist eine Garantie für Entdeckungen. Im vergangenen Jahr war Tschechien dran, und weil Sikora ein sehr erfahrener Dramatiker ist und das Stück nun wahrlich ein Handlungs- und Sprachgenuss, hatte er die Jury überzeugt.
Genauso überzeugt Sikora jetzt das Publikum. "Schloss an der Loire" ist dem absurden Theater verpflichtet, spielt mit allerlei von dessen Ingredienzien – Dienerschaft und Herrin, beispielsweise – und macht schnell klar, dass der Schlossgeist in diesem Fall ein Ungeist ist. Die Frau tyrannisiert Koch Alfred und die livrierten Angestellten Jean-Luc und André nach Strich und Faden, und die lassen sich das insofern gern gefallen, weil sie dafür gut bezahlt werden. Aber eigentlich ist in dieser Grundkonstellation alles, einschließlich der Beziehungen der Menschen untereinander, so kaputt, dass auch die Sprache zerstört ist: man spricht halbe Sätze, Stammelsätze, Satzgirlanden, die erst nach mehreren Anläufen richtig herum Sinn ergeben. Die Frau ist halb irre geworden in ihrer Gefangenschaft, der Wahnsinn färbt ab aufs Personal.
Irrwische des Irrsinns
Dass das alles nicht bedrohlich, sondern vielmehr irre witzig ist, verdankt sich der Regie von Henri Hüster, der die Überdrehtheiten des Texts dankbar aufnimmt und in körperliche Durchgedrehtheiten der Darsteller umsetzt. Die kommen dabei ganz schön ins Schwitzen. Auf einer Bühne, die alte Bildkunst (so etwa Botticellis "Geburt der Venus") zu Läufern degradiert und ansonsten vom Käfig der Gnädigen dominiert ist, tänzeln sie, in antiquiert anmutender Dienstbotenkonfektion (Ausstattung: Tanja Berndt und Linda Hofmann), verdrehen sich, winden sich und fallen, hetzen herum und vollführen den Kotau. Diese Leute verhaspeln sich nicht nur sprachlich, sondern auch körperlich. Und das unentwegt. Vor allem Julian Keck als André fungiert als Irrwisch des Irrsinns.
Und Sikora hat hübsche Witze eingearbeitet, beispielsweise über die Bezahlung von Prager Theaterwissenschaftlern, gescheit tuende Null-Kenntnis über osteueropäische Nachbarländer und die Wirkung mährischen Rotweins auf die Gaumen von Köchen, die sich nach Genuss desselben entweder entleiben oder in Schockstarre verfallen. Sebastian Griegel zeigt diesen Koch vor und nach Schockstarre in wohlmeinend-naiver Tumbheit, Heimo Essl ist ein melancholischer, verzagter Diener, dessen Klugheit ihm eigentlich permanent verbietet, das zu tun, was er tut. Die Gnädige Frau (Svetlana Belesova) bekommt den Schlussabschnitt des Stücks: Erst einmal hatte sie ganz harmlos besagten Wein kredenzt bekommen und als Ex-Model zu tschechischer Pop-Musik diverse Kleidung und Haltungen ausprobiert. Zuletzt aber hat sie ein bemerkenswertes, radikales Solo als Frau, die allmählich von der süßen Liebenden zum rasenden Ungeheuer mutiert. Und hier wird's dann zwischenzeitlich sogar bedrohlich. Svetlana Belesova schafft sowas.
Schloss an der Loire
von Roman Sikora, aus dem Tschechischen von Barbora Schnelle
Regie: Henri Hüster, Bühne und Kostüme: Tanja Berndt und Linda Hofmann, Dramaturgie: Arne Bloch und Jascha Fendel.
Mit: Julian Keck, Heimo Essl, Sebastian Griegel, Mario de Diago, Svetlana Belesova.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.staatstheater-nuernberg.de
Kritikenrundschau
Herbert Heinzelmann schreibt in den Nürnberger Nachrichten (30.6.2018): Womöglich verfehle die Uraufführung von Roman Sikoras "Schloss an der Loire" mit ihrem "artifiziellen Überschwang" den "brutalen Kern dieses Textes". Henri Hüster habe dieser Vorlage eine "temporeiche und schweißtreibende Melange aus stilisierter Commedia dell'arte und Slapstick abgewonnen". Die Akteure seien hervorragend. "Aber (er)trägt dieses Stück tatsächlich eine Spieldauer von zwei Stunden?" Beim Post-Premieren-Bier habe Autor Sikora auf die "aktuelle Brisanz seines Stückes" verwiesen. Den Politiker, der seine Frau verbannt habe, gebe es in "hoher Machtposition" tatsächlich. Sein Stück dürfe derzeit in Tschechien nicht gezeigt werden. Von dieser Sprengkraft lasse die Nürnberger Inszenierung nichts ahnen.
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Anmerkung: In Berlin, wo der Text auf dem Festival "Ein Stück Tschechien" als szenische Lesung präsentiert wurde, sagte der Dramatiker, dass er in seinem Heimatland leider überhaupt nicht gespielt würde. Seine Uraufführungen fänden alle im Ausland statt, seine Stücke würden (fast) nur in Übersetzungen wahrgenommen.