Presseschau vom 29. Juni 2018 – In der Süddeutschen Zeitung spricht Frank Castorf über Frauen in der Regie und auf der Bühne und über die Zukunft der Berliner Volksbühne

"Das ist mir zu wenig Kunst"

"Das ist mir zu wenig Kunst"

29. Juni 2018. In der Süddeutschen Zeitung erklärt Frank Castorf im Interview mit Christine Dössel, warum während seiner langen Volksbühnenintendanz so wenig Frauen inszeniert haben. "Wir haben eine Frauen-Fußballweltmeisterschaft und eine Männer-Fußballweltmeisterschaft, und in der Qualität des Spiels unterscheidet sich das schon sehr." Regieführende Frauen müssten "dieselbe Qualität haben" wie Regisseure: "Ich war ein großer Verehrer von Pina Bausch, oft kopiert, nie ist einer rangekommen. Nicht jeder, der ein Diplom in Theaterwissenschaft hat, ist dafür prädestiniert, Kunst ausüben zu dürfen und andere Menschen damit zu belästigen. Oder sich schlau hinzustellen und zu sagen: Dieses Stück von Shakespeare geht heute aber gar nicht mehr. Wenn eine Frau besser ist, habe ich nichts dagegen. Nur habe ich so viele nicht erlebt."

Kein Zurück

Als Dössel die Theatertreffen-Debatte um "sein sexistisches Frauenbild" anspricht, "um all die nackten, hysterisch kreischenden Schauspielerinnen" in seinen Inszenierungen, antwortet Castorf: "Die Frauen, die bei mir spielen, kriegen aus allen möglichen Refugien Texte, die haben nicht nur ihren Gretchen- oder Lieschen-Text. Die haben riesige intellektuelle Interpretationsmöglichkeiten. Meinen Sie, einer emanzipierten Frau wie Sophie Rois muss ein Mann aus dem Feuilleton sagen, dass sie unterdrückt wird von mir? Oder einer Kathi Angerer? Das sind absolut selbständige Frauen, die haben eine Kraft, da fällst du hinten runter."

Daneben basht er ein wenig Matthias Lilienthal ("Das ist mir zu wenig Kunst.") und behauptet, weder frustriert zu sein wegen des Volksbühnen-Verlusts noch Schadenfreude zu empfinden angesichts des Scheiterns seines Nachfolgers Chris Dercon: "Ich kann mich doch nicht freuen, dass man vor einem Scherbenhaufen steht und die Leute im Kostümfundus und in den Werkstätten Depressionen haben." Ihn ärgere nur, dass er seinem "Nachfolger und damit praktisch dem Land Berlin 2,15 Millionen Euro Überschuss hinterlassen" habe. Nun aber habe er abgeschlossen: "Es ist so wie mit einer Liebe, die vorbei ist. Ich hätte auch nicht die Kraft, es noch einmal zu machen. Ich müsste alles neu aufbauen, mit einer völlig neuen Mannschaft. Das trau ich mir in meinem Alter nicht mehr zu. Will ich auch gar nicht."

Wer soll an die Volksbühne? Vinge / Müller natürlich!

Eine Berlin-Option allerdings könne er sich vorstellen: "Ich habe zu Klaus Lederer, dem Berliner Kultursenator, gesagt: Wenn du für mich einen Ort findest, wie in Paris das Bouffes du Nord für Peter Brook gefunden wurde oder die Cartoucherie für Ariane Mnouchkine, eine Fabrikhalle oder so, dann würde ich da gerne Theater machen - nach französischem Prinzip und mit Freunden: Marthaler, Fritsch, Pollesch. Dazu Frauen, die das leiten. Dann würden wir dort spielen und touren, jede Truppe geht auf Reisen."

Die Volksbühne wiederum würde er Vegard Vinge und Ida Müller geben: "Die beiden haben die Kraft. Sie haben den Prater bespielt, sie kennen das Haus, sie haben alles gesehen, alles von mir, Marthaler, Schlingensief, Benno Besson - und sie sind keine Kopisten. Mit ihnen wäre möglich, was Lederer jetzt fordert: künstlerische Exzellenz."

(geka)

 

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