Presseschau vom 4. Juli 2018 – die kanadische National Post über Rassismus-Vorwürfe gegen eine Inszenierung von Robert Lepage beim Montreal International Jazz Festival

Blackfacing ohne Farbe

Blackfacing ohne Farbe

4. Juli 2018. Die kanadische Tageszeitung National Post berichtet von öffentlichem Streit um die Ende Juni im Rahmen des Montreal International Jazz Festival herausgekommene Inszenierung "SLĀV" des international bekannten kanadischen Theatermachers Robert Lepage. Das Musical basiert auf Sklavenliedern aus den US-amerikanischen Südstaaten, die von einem fast ausschließlich weißen Cast auf die Bühne gebracht werden.

Nun hat der (schwarze) Sänger Moses Sumney sein Konzert beim Festival abgesagt – und die Absage damit begründet, dass er nicht in einem Spielplan mit "SLĀV" stehen wolle: "Es gibt keinen Kontext, innerhalb dessen es okay ist, wenn weiße Menschen schwarze Sklavenlieder singen", schreibt Sumney in einem auf seiner Webseite veröffentlichten Statement. "Ganz besonders nicht, wenn sie wie Baumwollpflücker kostümiert sind, ihre Regieanweisungen von einem weißen Regisseur erhalten haben und in einem Theater spielen, das mit teuren Karten für die Show eine Menge Geld verdient." Diese Art der "black imitation" erinnere ihn an das Blackfacing der Minstrel Shows. "Das einzige, was fehlt, ist die schwarze Farbe."

SLAV Lepage 560Screenshot aus dem Trailer zu "SLAV"

Es kursiert, so die National Post, außerdem ein Offener Brief, den Musiker*innen Künstler*innen, Akademiker*innen und "community organizers" unterzeichnet hätten und in dem es unter anderem heißt: "Diese Sklavenlieder sind entstanden aus den unzähligen Arten der Gewalt, die eine weiße Machtstruktur etablierte, durchsetzte und festigte. Dass nun weiße Künstler*innen und Produzent*innen von der Ausbeutung dieser Gewaltgeschichte profitieren, symbolisiert die historische Ausbeutung und Marginalisierung schwarzer Menschen in Quebec und auf der ganzen Welt – und schreibt sie fort."

In einem Facebook-Statement verwehren sich Robert Lepage und seine (weiße) Hauptdarstellerin Betty Bonifassi gegen die Vorwürfe und schreiben: "Diese Geschichte wurde von den Unterdrückern genauso geschrieben wie von den Unterdrückten, von den Weißen wie von den Schwarzen. Und es ist notwendig einen Dialog zu führen über diese schwierige Zeit, um sie zu dokumentieren, aber auch, damit sie sich nicht wiederholt." Diversität und ihr künstlerisches Potential stünden genauso im Fokus von "SLĀV" wie das Erbe der Sklaverei. "Haben wir das Recht diese Geschichten zu erzählen?" Das Publikum solle das entscheiden. "Aus unserer Perspektive tragen wir alle, ob schwarz oder weiß, Verantwortung uns mit den dunkelsten (sic!) Episoden unserer Geschichte zu beschäftigen und zu versuchen ein wenig Licht in ihnen zu finden."

(sd)

 

 

Kommentare  
Lepage in Montreal: schädliche Empörung
Und wie ist dann dies zu bewerten: "Zusammen mit dem italienischen Pianisten und Musikforscher Francesco Lotoro entwickelte Ute Lemper das Programm 'Songs for Eternity' mit Liedern aus Ghettos und Konzentrationslagern der Jahre 1942 bis 1944, die sie überall auf der Welt fanden und die nun erstmals in Deutschland zu hören sein werden. Ute Lemper selbst, schon lang in New York wohnhaft und mit dem jüdischen Musiker Todd Turkisher verheiratet, sieht es als ihre Pflicht, den Dialog über die Vergangenheit zu führen und an die Verbrechen der Shoa zu erinnern. Sie erzählt die Geschichten der Menschen und lässt ihre Lieder erklingen, so in den 'Songs for Eternity'." Oder dies: "Die Grenzgänger aus Bremen feiern mit diesem Programm den Mut und die Zivilcourage der vielen tausend Menschen, die sich gegen eine unmenschliche Diktatur wehrten. Sie singen und spielen Lieder und Texte aus den Lagern und Gefängnissen des NS-Staates und dem Widerstand gegen das Hitler-Regime. Angefangen vom Lied der 'Moorsoldaten', dem 'Buchenwaldlied' bis zu 'Wir zahlen keine Miete mehr' führen die Lieder mitten hinein in die Gedanken und Gefühle der Gefangenen, zeigen ihren Überlebenswillen und sind Ausdruck einer humanitären Gesinnung. Wunderbar arrangiert für Cello, Akkordeon und Gitarren, mit Geschichten rund um die Lieder und ihre Verfasser. Eine Veranstaltung der KZ-Gedenkstätte Moringen in Kooperation mit der Initiative Kunst und Kultur Northeim e.V." Ohne die alten weißen Männer John und Alan Lomax, Woody Guthrie, Pete Seeger wäre die musikalische Tradition der Sklaven vielleicht in Vergessenheit geraten. John Lomax hat nicht nur Leadbellys Songs im Gefängnis aufgenommen, er hat auch dessen Begnadigung bewirkt. Manchmal gewinnt man den Eindruck, dass eine allzu schablonenhafte Empörung der guten Absicht mehr schadet als nützt.
Lepage in Montreal: Sichtbarkeit
Vielen Dank für die Berichterstattung.

Das Problem ist wieder die Sichtbarkeit. Aly Ndiaye schrieb dazu, daß es problematisch ist ein prominentes Stück über Sklaverei mit weissen Sängern zu besetzen, wenn auch in Quebec die Diversität der Bevölkerung nicht auf der Bühne repräsentiert ist.

Die Kostümierung ist ebenfalls grenzwertig. Mir käme es auch nicht in den Sinn für eine Revue mit Liedern der türkischen Arabeske weisse Deutsche mit Gastarbeiterkleidern auszustatten.

Es geht -wie ich es verstehe- eben nicht um das Konzert eines Künstlers/Künstlerin, die sich konzentriert mit dem Studium eines Stils oder Inhaltes befasst, sondern um eine grundsätzliche Aussage über die Thematik. Wenn es darum geht dass Leid universell ist wäre es wohl klüger die Auswahl des Liedguts geographisch zu streuen anstatt es spezifisch zuzuspitzen.

Interessant finde ich die Frage, wenn auch nur als Nachgedanke, wie und ob eine künstlerische Aufarbeitung aus der Perspektive der "Unterdrücker" möglich ist.

Unabhängig davon möchte ich auf die Arbeit von Kira Thurman aufmerksam machen. Sie beschäftigt sich mit der Schnittfläche zwischen (klassischer) Musik und Identität. Beispiele Ihrer Arbeit findet man unter "Singing Against the Grain:
Playing Beethoven in the #BlackLivesMatter era" und "Hearing Race and Music in Communist East Germany"
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