Strukturelle Ignoranz

5. Juli 2018. Die Tageszeitung Die Welt veröffentlicht einen Offenen Brief, den die Dramaturgin Felizitas Stilleke initiiert hat und den mehr als 600 teils prominente Theaterschaffende unterzeichnet haben. Anlass ist ein Interview, das der Regisseur und ehemalige Volksbühnen-Intendant Frank Castorf unlängst der Süddeutschen Zeitung gab und in dem Castorf unter anderem über regieführende Frauen sagte: "Wenn eine Frau besser ist, habe ich nichts dagegen. Nur habe ich so viele nicht erlebt." Und: "Wir haben eine Frauen-Fußballweltmeisterschaft und eine Männer-Fußballweltmeisterschaft, und in der Qualität des Spiels unterscheidet sich das schon sehr."

Die Unterzeichner*innen des Offenen Briefs von Felizitas Stilleke, hier in vollem Wortlaut, bekennen nun, dass sie solcher Art "white male privileged-'Gedanken- und Assoziationsstrudel' satthaben". "Dass auch viele von uns Pina Bausch und ihr Werk lieben und gerne auf mehr Frauen ihrer Sorte zurückblicken können würden. Doch sehen wir sehr deutlich die Gründe, warum sich ihresgleichen nicht etablieren konnten in einer Gesellschaft, die auf dem strukturellen Ausschluss von Frauen aufbaut – mit oder ohne Diplom"; und dass es nun darauf ankomme, "zu erfahren, wie die Veröffentlichung derartig unhaltbarer Aussagen in den Ohren von Frank Castorfs künftigen Arbeitgeber*innen klingt. Dass diese Leitungspositionen ausschließlich mit Männern besetzt sind, ist sicherlich Zufall – oder ist das Fußball?"

Zu den Unterzeichner*innen gehören zahlreiche Regisseur*innen, Schauspieler*innen, Wissenschaftler*innen und Autor*innen, darunter Felicitas Brucker, Katja Brunner, Marie Bues, Julia Hölscher, Jörg Albrecht, Holger Bergmann, PeterLicht, Simone Dede Ayivi, Monika Gintersdorfer, Adrienne Goehler, Anta Helena Recke, Kevin Rittberger, Dries Verhoeven, Tine Rahel Völcker, Gob Squad, das Peng! Collective und She She Pop.

(Welt / sd)

 

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Kommentare  
Offener Brief an Castorf: zur Konzeptionsprobe
Castorf reagiert so vorhersehbar wie die meisten alten Männer auf den Widerstand: die Zeitungen brauchen den Skandal zum Verkauf, wir Opfer (Melanie Kretschmann und ich) lassen uns nicht unterkriegen, ich bin stolz auf das Gesagte und "das nette Mädchen" Christine Dössel hat mich nicht umfänglich verstanden. Wer hat irgendwann behauptet, dieser Mann habe originelle Ansichten?
Offener Brief an Castorf: originelle Ideen
Dieser Mann hat im Theater-Bereich originellerweise die Ansicht, dass der Zeitpunkt der Abschaffung der Leibeigenschaft für die gesellschaftliche Situation in Russland von Bedeutung war und diese Bedeutung Konsequenzen hatte für Mitteleuropa, die sich später zu u.a. zwei Weltkriegen auswuchsen. Und dass es sich lohnt, diese Situation spielerisch näher zu untersuchen und zu schauen, was dabei herauskommt. Mit dieser originellen Sicht auf Geschichte auch jenseits der inneren eisernen Vorhänge steht er unter den zeitgenössischen deutschsprachigen Regisseuren wie Regisseurinnen doch recht allein da. Was das mit seinem Alter zu tun haben sollte, weiß ich nicht. Also ich - ich z.B. - behaupte - und zwar hier nochmals: Dieser Mann hat originelle Ideen. Zwar lockten sie mich nicht ins Theater, weil ich alleine ähnlich originelle Ideen habe und mit meiner Zeit für Dinge, die ich auch alleine kann - schon wegen des Alters! - mittlerweile sparsam umgehen muss - aber ich fände es innerhalb des Theaterbetriebes auch von den kleinen Mädchen schicklich, diese Art von Originalität anerkennenswert zu finden. Ich finde deren Unfähigkeit, das nicht zu tun im Übrigen ebenfalls so vorhersehbar wie die Handlungen und Denkweisen der meisten kleinen Mädchen - hier hebt sich also ein Chauvinismus gegen den anderen auf - so what-
Mein Problem mit dieser Konzeptionsprobe war: ich hätte nicht dabei sein können, weil ich bei langen Monologen von eitlen Bossen - selbst wenn sie von der Sache her interessant sein sollten - einschlafe. So etwas ist in einem Inszenierungsteam leider nicht tragbar. Ich wäre aber andererseits in keinem Inszenierungsteam, das nicht aus durchweg Leuten bestünde, die sich den Ausgangstext nicht spätestens vor der Konzeptionsprobe reingezogen haben und sich dazu vor allem eine e i g e n e Meinung gebildet haben- Das gilt auch für die Technik - leider... Insofern ist es also kein Verlust, wenn ich nicht dabei war-
Offener Brief an Castorf: kein Chauvinismus
@1

Ich liebe die Erben von Castorf! Ich verstehe seinen Respekt für Ruth Berghaus und vor allem seinen originären Respekt vor der Kunst und Literatur, indem er völlig geschlechtsunabhängig deren Qualität berücksichtigt. Eine Benachteiligung von Frauen konnte ich bei ihm niemals feststellen und wenn die weiblichen gegen die männlichen Fußballmeister der gleichen Weltklasse antreten würden/müßten (oder sogar als "Wahrheitsbeweis" werden müssen^^) - wie würden Sie dann von ihrer (männlichen) Altersdiskriminierung auf einen humanen und emanzipierten Feminismus um-argumentieren?

"Ich weiß gar nicht, worüber ich den Kopf am meisten schütteln soll. Über den Titel, der Männer kurzerhand zu "Feinden" erklärt? Über die ebenso albernen, wie lächerlichen Klischees, die hier gedroschen werden, über die triefende Opferattitüte einer offenbar hochprofessionellen FrauInnenclique oder über den völlig unverhohlenen weiblichen Chauvinismus ..."

http://www.spiegel.de/forum/lebenundlernen/fuer-eine-woche-mann-im-koerper-des-feindes-thread-11918-10.html



Es gibt keinen Grund sich das gefallen zu lassen - im dabei völlig mißbrauchten Namen des Feminismus wäre es sogar Verrat an dieser progressiven Idee.

"Das war so ein junger Wilder mit Nickelbrille und Trenchcoat, der sich gleich zu den Beleuchtern und Technikern an den Tisch gesetzt hat."

https://www.berliner-zeitung.de/kultur/theater/milan-peschel--es-ist-dumm--dass-man-die-volksbuehne-zerschlaegt--26884620

Der Verweis von Milan Peschel auf das Fehlen jedes Klassenchauvinismus von Castorf hat für mich einen sehr wesentlichen (menschlichen) Wert.

"Ihr Stolz" auf Ihren Bashing-Beitrag ist an Peinlichkeit schwer zu überbieten ... ich wünsche Ihnen jedoch, als "alte weise Frau" dies möglicherweise erkannt zu haben.
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