Tun statt Lassen

von Barbara Behrendt

Berlin, 3. Juli 2008. Am Anfang war das Tun. Dann das Denken. Viel später kam das Wort. Denn erst, als der Affe seine Hände nicht mehr zur Fortbewegung nutzte, sondern als Werkzeug, wuchs sein Gehirn schlagartig und der aufrechte Gang folgte. So ist denn auch der auftretende Affe wiederkehrendes Mahnmal in "Goldener Boden" im Berliner Ballhaus Ost – ein Stück der Gruppe Lubricat über die nötige Rückbesinnung zum Handwerk, zum Tun. Lubricat geben damit ihr Debüt als Artists in Residence am Ballhaus Ost, nachdem sie sich im März von ihrem langjährigen Zuhause, den Berliner Sophiensaelen getrennt haben. Fehlende Unterstützung von der neuen Leitung, gab Regisseur und Gründer der Gruppe Dirk Cieslak als Grund für den Auszug an.

Gemäß dem Lubricat-Konzept, "Forschungen in der Wirklichkeit" zu betreiben, hat Cieslak "Goldener Boden" wieder mit einer Mischung aus professionellen Darstellern und Laien inszeniert: Vier Handwerker und zwei Schauspieler agieren gemeinsam auf der Bühne, auf der sich nur wenige Stühle, ein Stehpult und ein Overhead-Projektor befinden. Die einen erklären und demonstrieren ihre Fertigkeiten, die anderen umspielen das Thema mit komplexer Theorie des Kultursoziologen Richard Sennett und der heutigen gesellschaftlichen Wahrnehmung von Handwerk.

Wer sind wir, wenn nicht das, was wir machen?

"Sie sind nur Weberin – sonst nix?" fragt Armin Dallapiccola als Arbeitsvermittler überspitzt die Handwerkerin, bei der es "nicht so gut läuft", in dieser Szene gespielt von Kristina Brons. "Ja, als Zusatzqualifikation, wenn Sie jetzt Therapeutin wären, da wäre das hilfreich – aber so richtig als Beruf?" Daraufhin verliert er sich in nostalgischen Ergüssen über das perfekte Handwerk eines Schmiedes in seinem Heimatdorf. Mit Verklärung einerseits, Unverständnis andererseits, verkörpert Dallapiccola, der hier seit zehn Jahren zum ersten Mal wieder mit Lubricat auftritt, den Blick von Außen auf das Handwerk in einer industrialisierten Welt, die es sich zum Ziel gesetzt hat, jeden Handgriff von einer Maschine ersetzen und perfektionieren zu lassen.

Was geht uns verloren, wenn wir eine Arbeit nicht mehr um ihrer selbst willen tun, worüber definieren wir uns, wenn nicht über die Dinge, die wir selbst erschaffen, sind die Fragen, die auf verschiedene Weisen in "Goldener Boden" gestellt werden. Die Theaterlaien geben darauf ganz unterschiedliche Antworten, indem sie Teile ihrer Biografie und ihren Umgangs mit dem Material offenlegen: Für den Tischler Reimund Crüger ist sein Handwerk die Befolgung eines göttlichen Befehls – zu Beginn des Stückes zitiert er aus der Bibel, wie präzise Gott die Erbauung der Stiftshütte bei den Menschen in Auftrag gab. Die Maschinenbauzeichnerin Angela Richter kann mit "Liebe zum Werkstoff" wenig anfangen, ihr geht es um größtmögliche Präzision.

Im schlauchförmigen Obergeschoss des Ballhaus Ost hat Angela Richter genügend Raum, jeden Meter abzuschreiten und die Fläche in Maschinen und Walzen einzuteilen, die sie gezeichnet hat. Die Personen bewegen sich die meiste Zeit gemeinsam auf der Bühne, wechseln Positionen, fallen sich ins Wort, bewegen sich zwischen szenischem Spiel, Monologen, eingestreuten Anekdoten, biografischen Schnipseln und Gesprächen hin und her.

Es wird gepfiffen, gezischt, gesummt

Die Einbettung der Laien in das Spiel wirkt respektvoll und authentisch. Tischler, Zimmermann (Hermann Strohm), Weberin (Uta Maria Mazurowicz) und Maschinenbauzeichnerin – ihr eigenes Verhältnis zu den Dingen wird gewürdigt und dargestellt. Durch Zeichnungen auf dem Overhead-Projektor, durch das akustische Imitieren einer Kreissäge oder eines Hobeleisens. Es wird gepfiffen und gezischt, zwischendurch auch mal gesummt. Allein ihre irritierende Uniform mit weißen Hosen und grellen, schlecht sitzenden Hemden, die an Kaufhof-Mode der 90er Jahre erinnert, scheint die Darsteller verständlicherweise zu verunsichern.

Armin Dallapiccola und Kristina Brons brechen die Monologe der Laien immer wieder ironisch auf, reichern sie mit Anekdoten über pfuschende Handwerker oder romantisch-verklärten Vorstellungen witzig an. Allerdings überwiegen die zahlreichen Erzählpassagen das gemeinsame Spiel bei weitem und lassen einen darüber grübeln, warum in einer Ode ans Handwerk eigentlich so viel geredet und so wenig getan und gezeigt wird.

Das letzte Wort behält der mahnende Affe, beziehungsweise Kristina Brons, die unter seinem Kostüm schwitzt: "Perfektion ist der Tod für das Leben." Im Foyer wurden dann die gewebten Tücher von Uta Maria Mazurowicz verkauft.

 

Goldener Boden
von Lubricat
Regie: Dirk Cieslak, Ausstattung: Kerstin Elchner.
Mit: Kristina Brons, Raimund Crüger, Armin Dallapiccola, Uta Maria Muzurowicz, Angela Richter und Hermann Strohm.

www.lubricat.de
www.ballhausost.de

Kommentare  
Lubricat-Kritik: Kann fühlen, wie es ausgesehen hat
Ich kann fühlen wie das ausgesehen haben muss. Gut geschrieben, liest sich sehr interessant!
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