Politisches Theater

München, 18. Juli 2018. Die Münchner CSU-Fraktion fordert in einem Schreiben an Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, den Münchner Kammerspielen und damit ihrem Intendanten Matthias Lilienthal die Teilnahme an der für Sonntag geplanten Anti-Rechtsruck-Kundgebung "#ausgehetzt" zu untersagen und "dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen" einzuleiten. Das berichtet unter anderen der Bayerische Rundfunk. Zur Demonstration haben neben den Kammerspielen mehr als 130 Organisationen aufgerufen, darunter das Münchner Sozialreferat, der Migrationsbeirat und das Volkstheater. Die Münchner Stadtrats-CSU echauffiere sich speziell über die Beteiligung der Kammerspiele mit der Begründung, dass der städtische Eigenbetrieb zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet sei.

37331066 10212127420729432 5854259515024736256 oLilienthal, der seinen Intendantenposten im Jahr 2020 auf Betreiben der Münchner CSU räumen muss, will weiterhin an der Demonstration teilnehmen, wie er im Gespräch mit BR24 mitteilt. Er selbst wisse nicht, ob seine Neutralität in seinem Arbeitsvertrag verankert sei, wird er im BR-Beitrag zitiert, womöglich sei dem so, allerdings habe er sich früher schon oft bei anderen Demonstrationen engagiert, ohne negative Folgen. Er wisse ebenso wenig, wieso er als einziger Demonstrationsteilnehmer den Zorn der CSU auf sich gezogen hat. Er hätte von der Partei ein weitergehendes Verständnis für Kunst und die Aufgaben eines Theaters erwartet, wird Lilienthal zitiert.

"Verfall der politischen Streitkultur"

Die Münchner SPD stellte sich der Meldung zufolge hinter die Kammerspiele – und gegen die CSU. Man sei entsetzt über deren Antrag. Dieser sei ein Tiefpunkt des demokratischen Grundverständnisses. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) versprach laut BR, den Antrag der CSU "selbstverständlich fristgerecht" zu bearbeiten. Viel Hoffnung machte er den Christsozialen aber nicht. Schließlich seien die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kultur ein "überragend schützenswertes Gut".

Aus Anlass der Vertragsverlängerung von Christian Stückl als Intendant des Münchner Volkstheaters äußerte sich Münchens Kulturreferent Georg Küppers (SPD): "Christian Stückl, Matthias Lilienthal und andere Kulturschaffende setzen sich aktiv ein für Humanität, die Wahrung der Menschenrechte, die Werte unseres Grundgesetzes und das gute Miteinander aller Menschen hier in München. Ich halte das in einer demokratischen Gesellschaft nicht nur für legitim, sondern auch für geboten – vor allem angesichts des Verfalls der politischen Streitkultur, der verbalen Verrohung in der öffentlichen Diskussion und der populistischen Meinungsmache. Position zu beziehen war und ist Teil unseres kulturellen Auftrags. Und wir werden uns all denen – auch Politikern – entgegenstellen, die sich in munterer Kaltblütigkeit, mit populistischer Stimmungsmache und voll eitler Selbstgerechtigkeit von demokratischen, kulturellen und moralischen Grundwerten unserer Gesellschaft verabschieden."

Solidaritätserklärung

Martin Kušej, Intendant des Münchner Residenztheaters, das nicht in den Verantwortungsbereich der Stadt München, sondern dem Freistaat Bayern angehört, unterstützt seine Intendanten-Kollegen in einer Solidaritätserklärung: "In den letzten Monaten habe ich insbesondere auf den politischen Druck aufmerksam gemacht, dem Theaterschaffende in Polen oder Ungarn ausgesetzt sind. Doch auch die politischen Debatten in Deutschland haben sich spürbar verändert. Die Demonstration '#ausgehetzt' am 22. Juli finde ich wichtig, sie richtet sich meiner Ansicht nach nicht pauschal gegen die CSU, sondern gegen eine verantwortungslose Politik der Spaltung – gegen diesen dummen Wahlkampf-Populismus und die ideologische Verzerrung des Christlichen, den die CSU in ihrem Namen führt. Damit wird der humanistische, tolerante, barmherzige und mitmenschliche Aspekt durch eine deutliche Ausgrenzung ersetzt – mit 'Kultur' hat das meines Erachtens wenig zu tun und Kulturschaffende sollten sich ungestraft dazu verhalten dürfen."

(BR / Münchner Volkstheater / Residenztheater / geka)


Presseschau

"Solch ein blamables und kleinkariertes Demokratieverständnis steht im direkten Widerspruch zum Wesen einer liberalen Großstadtpartei, die die CSU in München so gerne sein will", kommentiert Heiner Effern in der Süddeutschen Zeitung (online 17.7.2018) den Vorgang. "Sie diskreditiert damit auch ihren bisherigen Einsatz für eine offene Gesellschaft: Ohne großes Tamtam stimmte sie zum Beispiel im Stadtrat für viele teure Initiativen, die eine weitgehend vorbildhafte Integration der vielen neuen Bürger ermöglichen."

Verschiedene Stimmen zur CSU-Intervention versammelt Dominik Hutter in der Süddeutschen Zeitung (online 18.7.2018). Bürgermeister Josef Schmid, der der Pressekonferenz zur Vertragsverlängerung von Volkstheater-Intendant Christian Stückl wegen dessen Unterstütztung der #ausgehetzt-Veranstaltung demonstrativ ferngeblieben war, begründete sein "Fernbleiben mit dem politischen Neutralitätsgebot öffentlicher Institutionen". Für CSU-Kultursprecher Richard Quaas ist Kammerspiel-Intendant Matthias Lilienthal "ein besserer Politkommissar, der glaubt, mit Berliner Schnoddrigkeit die Münchner beglücken zu müssen". SPD und Grüne verteidigen die politische Einmischung der Münchner Intendanten. Münchens Kulturreferent Hans-Georg Küppers (SPD) hält es "nicht nur für legitim, sondern auch für geboten', dass sich Künstler für das gute Miteinander aller Menschen in München engagieren - "vor allem angesichts des Verfalls der politischen Streitkultur, der verbalen Verrohung in der öffentlichen Diskussion und der populistischen Meinungsmache", so zitiert ihn die SZ.

Über prominente Unterstützter der #ausgehetzt-Demo und über die Protest-Aktion "CDU Bayern" vom Zentrum für politische Schönheit (CDU steht für "Club der Unterstützer") berichtet Myriam Siegert in der Abendzeitung (18.7.2018).

Im Gespräch auf Deutschlandfunk Kultur (18.7.2018) spricht Kammerspiel-Intendant Matthias Lilienthal: "Die CSU in Bayern versucht, eine Orbánisierung der deutschen Politik herbeizuführen."

Am vergangenen Donnerstag verlängerte Christian Stückl seinen Vertrag als Intendant des Münchner Volkstheaters. Weil auch er die Demo unterstützt, blieb der zweite Bürgermeister Münchens Josef Schmid (CSU) der Vertragsunterzeichnung fern. Das berichtet Stückl im Interview mit der Welt (20.7.2018). 

 

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