Im Warteschleifensingsang

von Petra Hallmayer 

München, 3. Juli 2008. Am Ende bekommt er Recht. Da allerdings steht seine Hinrichtung schon unmittelbar bevor. Auf dem Weg dorthin liegen verbrannte Städte hinter ihm und mehr als eine Leiche. Als einen "der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit" führt Kleist Michael Kohlhaas in seiner großen Novelle ein, deren Dramatisierung im Münchner Volkstheater Premiere feierte. Dramatisierung ist ein nicht ganz treffender Ausdruck für Hanna Rudolphs streng antillusionistische Inszenierung. Sechs Schauspieler tragen (weitgehend wörtlich) die Novelle vor, die stellenweise dialogisch aufgelöst und von kleinen Spielszenen begleitet wird.

Von der kargen, von durchsichtigen Vorhängen gerahmten Bühne reicht ein Laufsteg weit in den Zuschauerraum, an dessen Ende zwei Schäferhundfiguren thronen. Von Zwischenrufen unterbrochen, berichtet Friedrich Mücke als Kohlhaas wie alles begann, von dem unsäglichen Unrecht, das ihm widerfuhr, als er mit seinen Pferden zur Burg des Junkers Tronka kam. Wie er diese als Pfand für einen willkürlich geforderten Pass zurücklassen musste und wie sie und sein Knecht misshandelt wurden.

Die Geschichte einer Radikalisierung

Nur sparsam dürfen die Schauspieler, die im engen Rahmen ihrer Möglichkeiten alle überzeugend agieren, die Erzählung spielerisch umsetzen. Da sprintet etwa Kohlhaas' Frau Lisbeth (Xenia Tiling), die für ihn intervenieren will, "von Kohlhaasenbrück nach Berlin" rufend im Kreis, bis sie ausrutscht und tot zusammenbricht.

"Michael Kohlhaas" ist die Geschichte einer Radikalisierung. Für diese nimmt sich Rudolph bewusst viel Zeit. Sie betont die vergeblichen Appelle an alle Rechtsinstanzen, die Ohnmachtserfahrungen, die seinem Amoklauf vorausgehen. Immer wieder werden Briefe geschrieben, hin und her gereicht und wenn Kohlhaas in dem Bericht des Dresdner Tribunals als "unnützer Querulant" abgekanzelt wird, dann hören wir gleich mehrfach die Frage: "Was soll er tun?"

Die Vertreter der Tronka-Sippe (Gabriel Raab, Nico Holonics, Andreas Tobias) und des Staatsapparats sind schnöselige aalglatte Bubis in Anzügen. Auch der einstige Rebell Luther (Robin Sondermann) ist längst Teil des Systems. Die Gewalt und der Terror, mit dem Kohlhaas sich wehrt, finden hinter einem Vorhang statt, durch den wir ihn schemenhaft wüten sehen. Der Selbstjustiz übende Rächer taucht nur als Schatten auf.

Ohne politische Festschreibungen 

Wenige literarische Figuren haben durch die Jahrhunderte so unterschiedliche identifikatorische Impulse ausgelöst wie Kleists Pferdehändler, der Unrecht nicht dulden mag und dem Gewaltmonopol der Herrschenden den Krieg erklärt. Die Liste der Vereinnahmungen ist lang. Als Propagandafigur des Wilhelminismus und der Nationalsozialisten diente Kohlhaas ebenso wie als Günter Bartschs "Prototyp des deutschen Anarchisten" und als Seelenverwandter der RAF. Hanna Rudolph lehnt sich an das vertraute Muster der Rebellennarration an, doch sie verzichtet auf klare politische Festschreibungen. Es ist ein netter junger Jedermann, den sie da mit spürbarer Sympathie zeichnet.

Dass die Mächtigen so dreist alle Regeln brechen, ist für ihn unfassbar. "Aber es kann doch nicht sein", sagt er ein ums andere Mal sanft entgeistert, als er sich entgegen aller Versicherungen als Gefangener wiederfindet. Kniend verfasst er ein Schreiben, streckt es hilflos ins Leere, während ihn gesichtslose Stimmen in einem Warteschleifensingsang und kaltem Amtsdeutsch auf den Tag X vertrösten. So starke Szenen hätte man sich häufiger gewünscht. Oft aber erschöpfen sich die Akzentuierungen der Regie in Satzwiederholungen.

Illustrierte Erzählpassagen

Dabei macht die Konzentration auf das Epische, das streckenweise eine fesselnden Sog entwickelt, durchaus Sinn. Wer Kleists komplexe Prosa auf ihren Plot reduziert, sie der Sprache beraubt, zerstört sie. Doch die Wirkung der Lektüre ist nicht einfach ins Theater übertragbar. Die Paradoxien, Verstörungen des Textes verwischen sich zwischen den mit Spielskizzen illustrierten Erzählpassagen und die etwas mageren interpretatorischen Ansätze können das nicht wirklich kompensieren.

Die mangelnde Entschiedenheit beim Zugriff auf den Stoff wird gegen Ende noch einmal deutlich. Was es mit der Zigeunerin auf sich hat, deren Part bis auf Rudimente gekürzt ist und die schnell noch durch die Aufführung huscht, bleibt leider so vage wie die Rolle der deutschen Schäferhunde.

 

Michael Kohlhaas
nach Heinrich von Kleist
Regie: Hanna Rudolph. Bühne: Nadia Fistarol, Kostüme: Sara Schwartz. Mit: Nico Holonicsm Friedrich Mücke, Gabriel Raab, Robin Sondermann, Xenia Tiling und Andreas Tobias.

www.muenchner-volkstheater.de

 
Mehr über Hanna Rudolph erfahren Sie in der Kritik zu ihrer Grazer Palmetshofer-Inszenierung "wohnen. unter glas".

Kritikenrundschau

Florian Welle, der in der Süddeutschen Zeitung schreibt (5.7.), hatte erwartet, dass der bis zur "Hysterie tollkühne" Kleist (Thomas Mann) die "junge Regisseurin" Hanna Rudolph zu einer "waghalsigen" Inszenierung "befeuern" würde – doch am Ende vermisste er die "radikal junge Hingabe an den unerbittlichen Stoff". Der Inszenierung fehle "eine eindeutige Haltung zu des Rosshändlers Kampf gegen die Obrigkeit." Rudolph liefere von allem etwas: "ein bisschen Herr-Knecht-Dialektik, ein bisschen Vetternwirtschaft, Bürokratie und Selbstjustiz und ein bisschen Identitätsproblematik." Aber sie überrasche nicht, bewege und inspiriere nicht. Die sechs Schauspieler schienen mit angezogener Handbremse zu spielen, den "komplexen Fragen Kleists" nach "Bedeutung und Legitimität von Recht, Macht, Gewalt und Widerstand" gebe die Inszenierung weder Ort, noch Zeit oder Richtung. 

   
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