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Türkische Musikgruppe sagt Ruhrtriennale-Auftritt ab

Falschem Urteil ausgesetzt?

14. August 2018. Das Istanbuler Hezarfen Ensemble hat seinen für morgen geplanten Auftritt bei der Ruhrtriennale abgesagt. Das gab das Ensemble bereits vor zwei Tagen auf seiner Webseite bekannt. Als Absagegrund nennt die Musik-Gruppe einen Artikel in der Tageszeitung Die Welt vom vergangenen Wochenende. Darin wirft der Schriftsteller Dogan Akhanli dem Hezarfen Ensemble vor, den Völkermord an den Armeniern zu leugnen.

Hintergrund für den Vorwurf ist die Ankündigung des Hezarfen-Konzerts durch die Ruhrtriennale. Im Festivaltext zum Hezarfen-Projekt "Music of Displacement" zum Thema Flucht und Vertreibung in der Türkei ist die Rede "von den zahlreichen Umsiedlungen, erzwungenem Bevölkerungsaustausch und Vertreibungen von Armeniern, Griechen und Türken in der Zeit von 1915 bis 1923". Dem Kölner Schriftsteller Dogan Akhanli zufolge wird so "nicht nur die planmäßige und nationalistisch motivierte Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich zu einer Umsiedlung verharmlost, sondern der Genozid als solcher geleugnet", wie er gegenüber der Welt sagte. "Hätten wir Genozid ins Programmheft geschrieben, hätte das Ensemble in der Türkei Schwierigkeiten bekommen", äußerte sich, anstelle der Ruhrtriennale-Chefin Stefanie Carp, die Dramaturgin Barbara Mundel gegenüber der Tageszeitung. Mit der Begrifflichkeit der Umsiedlung bediene sich die Ruhrtriennale jedoch "genau des Schlüsselwortes, das Genozid-Leugner und der türkische Staat seit Jahren propagierten", entgegnet im Welt-Artikel wiederum Dogan Akhanli, der als Kritiker des türkischen Präsidenten Erdoǧan bekannt ist.

In seiner Stellungnahme schreibt das Hezarfen Ensemble am Tag nach Erscheinen des Artikels, es sehe sich nach Kriterien beurteilt, "die nicht zu unserem Programm – Vertreibung und Flüchtlinge – passen", sondern die "sowohl durch politische Agenden als auch kleinliche Machtspiele" bestimmt seien. Ihre Arbeit werde benutzt "in Versuchen, den Ruf von Stephanie Carp zu beschmutzen", als "einverleibter Beweis für andere Agenden" und "um falsche Urteile und Annahmen über uns zu treffen, einfach weil wir ein Ensemble aus der Türkei sind". Daher ziehe es das Ensemble vor, "nicht in einer solchen Umgebung zu spielen".

Schon seit einigen Wochen stehen die diesjährige Ruhrtriennale und ihre Intendantin Stefanie Carp in der Diskussion. Anlass war im Juni 2018 die Ausladung, Wiedereinladung und schließlich Absage der schottischen Band "Young Fathers", welche offenbar dem israelfeindlichen Teil der BDS-Kampagne "Boycot-Divestment-Sanctions" nahe steht. Aufgrund der Debatte um Antisemitismus bei der diesjährigen Ruhrtriennale sagte auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet seine Teilnahme am Festival ab.

(Hezarfen Ensemble / Die Welt / ruhrbarone.de / eph)

 

Mehr zum Thema:

Offener Brief des Assoziierten Künstlers Christoph Marthaler – Meldung (11.8.2018)

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NRW-Ministerpräsident sagt Ruhrtriennale-Teilnahme ab – Meldung (7.8.2018)

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"Es ging um meine Glaubwürdigkeit" – Interview mit Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp (7/2018)

Konflikt um Ruhrtriennale-Einladung der Band "Young Fathers" – Meldung (6/2018)

 

Kommentare  
Absage Ruhrtriennale-Auftritt: Tobak
Den Begriff "Umsiedlung" zu nutzen, ist allerdings ein schwerwiegender Fehler und die Erklärung hierfür politisch so leichtsinnig, dass es niemand wundern dürfte, wenn es zu personellen Konsequenzen käme. Das ist schon zusammen gesehen mit dem "Antisemitismus-Vorwurf" starker Tobak. Bis eben empfand ich das Interview mit Frau Carp sehr sympathisch und klug, nun nach der Lektüre dieser Nachricht befallen mich Zweifel. Auch kann ich nicht glauben, dass Babara Mundel wirklich ein solch fadenscheinige Erklärung abgibt. Da bleibt doch sehr viel Raum für Vorwürfe.
Absage Ruhrtriennale-Auftritt: Kampagne
(...)
Anscheinend ersäuft die derzeitige Sucht nach political correctness, wahrscheinlich ausgelöst durch den derzeit in Deutschland grassierenden bedenkenswerten Populismus, in Vorwürfen zu falschen oder falsch gewählten Ausdrücken. Nur weil die Deutschen eine historische Schuld tragen und Leben, müssen sie nicht Anwälte für den Genozid an den Armeniern spielen. Das ist ein weitreichenderes Problem, im übrigen auch ein weltpolitisches. Der Genozid ist leider noch immer nicht von allen Staaten als ein solcher anerkannt.
Diese nicht enden wollenden Vorwürfe an die Intendanz und Dramaturgie der Ruhrtriennale sind doch nichts weiter als eine simpel gestrickte Medienkampagme gegen die Leitung. Kommt mal runter und erfreut euch an dem tollen Programm anstatt ständig alles in Frage zu stellen.

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(Redaktion)
Absage Ruhrtriennale-Auftritt: peinlich
Der Begriff ist sicherlich falsch gewählt, aber man muss sich auch bewußt machen, dass keine türkische Gruppe den Begriff "Genozid" in Zusammenhang mit Armeniern verwenden kann, ohne nicht direkt ins Gefängnis zu wandern. Zumindest nicht, wenn man noch in der Türkei wohnt und arbeitet wie dieses Ensemble. Also das ganze kann tatsächlich auch zum Schutz der Truppe passiert sein. Man kann doch niemanden tatsächlich hier die Leugnung des Genozids vorwerfen. Man hätte es eben umschwurbelter im Pressetext schreiben müssen, diplomatischer. Aber das ist doch kein Grund jetzt so einen Aufwasch zu machen. Man sollte nach den wirklichen "Brandstiftern" Ausschau halten und die auch benennen, nicht solche "Scheindebatten" zugunsten einiger außer Rand und Band geratener moralisch tuender Journalisten - wie Stefan Laurin und Christiane Hofmanns von der "Welt" - führen. Alles nur parteipolitisches KleinKlein, anstatt die Probleme dieser Welt ernsthaft anzugehen und zu diskutieren. Peinlich!
Absage Ruhrtriennale-Auftritt: Definitionsfragen
Danke, Nummer 3. Tatsächlich kann man den Veranstaltern ja nicht vorwerfen, dass sie die Gruppe schützen und das Wort "Genozid" in solch einer Ankündigung nicht verwenden.

Man muss aber auch Doğan Akhanlı recht geben: Wenn das, was u.a. auch der Deutsche Bundestag als "Völkermord" benannt hat, so verharmlosend formuliert wird, müssen engagierte Menschen wie er natürlich öffentlich reagieren. Ich schätze sein Engagement sehr und war von seinen Auftritten etwa bei Milo Raus "General Assembly" in Berlin sowie in den Stücken von Nuran D. Calis am Schauspiel Köln sehr beeindruckt. Er hat für sein Engagement schon hart bezahlen müssen, siehe zuletzt die Festnahme in Spanien 2017.

Soweit, so gut: Das Thema bekommt gebührende Aufmerksamkeit und jeder spielt die Rolle, die ihm dabei im gesellschaftlichen Diskurs eben zukommt - die einen übernehmen mehr, die anderen weniger Risiko und Verantwortung.
Das Problem ist doch: Warum muss es darüber zur Absage des Konzerts kommen? Warum diese Sucht der Skandalisierung? Und auch der "Moralisierung"? Werden ab jetzt alle Künstler*innen vorher von der Sittenpolizei und von jungen Moralkeulenjournalist*innen kritisch durchleuchtet auf irgendwelche Positionen, die nicht ganz der eigenen Haltung entsprechen? Oder im Prinzip schon, aber irgendwo gibt es eine Formulierung, die so dann doch nicht sein darf?
Wo soll das hinführen? Müssen Kulturinstitutionen ab jetzt jeden Ankündigungstext politisch und jurstisch prüfen lassen? Beipackzettel hinzufügen? ("Wir meinen 'Völkermord', aber wir schreiben es in diesem Fall lieber nicht, um die Gruppe in der Türkei nicht in Probleme zu bringen?).

Und ja, mit der Doppelmoral ist es natürlich so eine Sache: Bekanntlich hat der Deutsche Bundestag das Morden an den Armeniern 2016 als Völkermord benannt. Die vergleichbaren Verbrechen der Deutschen an den Herero in Namibia wollte er hingegen nicht als Völkermord benennen. Dort unterstützt nun widerum die Türkei die "Genozidforschung". Symbolpolitik ist Machtpolitik, ja. Solange wir selbst da aber so heuchlerisch sind, unsere eigenen moralischen Urteile so zweifelhaft und wendehälsisch, sollten wir ein bisschen vorsichter sein mit vorschnellen Verurteilungen von Kulturschaffenden, Musikern usw. Das Eis ist ohnehin schon dünn, und die Luft auch. Machen wir sie nicht unnötig noch dünner.
Absage Ruhrtriennale-Auftritt: Kernaufgabe
Man kann und darf eine historische Wahrheit, die sogar vom Bundestag als Genozid verhandelt wurde, nicht leugnen und in etwas umformulieren, das die Wahrheit entstellt und verzerrt, sogar annulliert. Und natürlich gibt es für eine erfahrene Dramaturgin und ehemalige Intendantin wie Barbara Mundel vielfache Möglichkeiten einen Begleittext so zu formulieren, dass niemand beschädigt wird. Es ist ein Leichtes in einem solchen Text eben diesen Umstand, dass man etwas in der Türkei nicht aussprechen darf, was hierzu Lande und anderswo als wahr gilt, zu thematisieren und in einer Ankündigung oder einem begleitendem Text den Diskurs so zu beschreiben, wie er tatsächlich stattfindet, ohne das einzelne Personen oder eine Gruppe daran Schaden nehmen müssen. Denn auch wenn die Regierung in der Türkei den Genozid leugnet, nicht leugnen kann sie, dass es darum eine Debatte gibt. Diese Debatte ist darstellbar und es gehört zu den Kernaufgaben einer Dramaturgie hier auf dem Stand der Zeit zu agieren und nicht hinter dem Diskurs zurück zu bleiben, ja ihn geradezu zurückzuschrauben. ich denke bei solch einer Problematik an eine armenische Schauspielerin wie Sesede Terziyan, aber auch an das Engagement des Gorki Theaters in diesem Bereich. Es ist schon schändlich sprachlich hinter diesen Diskurs zurückzufallen. Und die Nennung dieses Vorgangs als Genozid ist letztendlich unumgänglich, zumindest in der klugen Beschreibung der Debatte, die man jeder Dramaturgin und Leitung zumuten darf. Auch ist es so, dass die Leugnung historischer Tatsachen nicht zu verwechseln ist mit Sprachregelungen innerhalb des Bereiches von politisch korrektem Verhalten. Ich kann ja auch nicht von der "Umsiedlung von Juden nach Theresienstadt" schwadronieren, nur um ein paar Leugner der Shoa zu schonen.
Absage Ruhrtriennale-Auftritt: danke
Danke danke Nr. 2, 3, 4,
Absage Ruhrtriennale-Auftritt: Frage der Beratung
Es ist wirklich schade, dass der erste Ruhrjahrgang von Carp und Co. von Diskussionen über Gruppen überschattet werden, die da nicht zu sehen sind. Und wie ich höre, ziehen es auch viele Alphafiguren aus dem Theaterbetrieb vor, da gar nicht erst zur Eröffnung zu erscheinen. Allerdings bin ich genau so erstaunt, wie die künstlerische Leitung derart ins offene Messer laufen konnte, nachdem der BDS spätestens beim Festival Pop-Kultur in Berlin vor einem Jahr zu einem überregionalen Feuilletonthema wurde. Das war kein Nischenwissen mehr. In einem so gut ausgestatteten Festival müsste es mindestens eine Person geben, die etwas informierter ist. Oder man kauft sich etwas popkulturelle oder medienerfahrene Beratung, es gibt genug Leute in Deutschland, die das machen würden, auch in NRW. Je komplexer diese Läden - Festivals wie Theaterhäuser - werden, je wichtiger wird die Zusammensetzung des Teams und die ggf. rasche Einsicht, es kurzfristig und flexibel zu erweitern. Das wäre alles problemlos zu verhindern gewesen. Und: schnelles Denken ist Frau Carp keinesfalls fremd, was ja sofort auffällt, wenn sie über ihr Programm oder über die Doppelmoral der Politik spricht. Ich meine das nicht polemisch, mich hat dieser Kommunikationsgau echt überrascht.
Absage Ruhrtriennale-Auftritt: das Naheliegende
Ja, der Völkermord ist eine Tatsache. Und auch wenn Nr. 2 dies ausdrücklich bestätigt, bedrückt mich doch, wie in diesem Thread der Begriff der ‚Political Correctness‘ verwandt und von ‚Heuchelei‘ gesprochen wird. Und was bitte sind ‚Moralkeulenjournalisten‘? Der Staunende und Gabriele, ganz ungefragt rate ich Ihnen folgendes: wenn Sie das Thema interessiert, sprechen Sie mit Armenier*innen in Ihrem Umfeld und erkundigen Sie sich nach der Geschichte ihrer Eltern und/oder Grosseltern. Das ist ganz einfach, wirklich, es gibt ja einen aktuellen Bezug, so ein Gespräch anzuknüpfen, nämlich diese Diskussion. Und dann überprüfen Sie sich selbst und Ihre Begrifflichkeiten bitte noch einma, im Angesicht erlebter und weitergetragener, realer (!) Familiengeschichte. Führen Sie ein Gespräch, erkundigen Sie sich nach den Rissen und Leerstellen im Stammbaum, nach den sehr konkreten und in der Erinnerung noch sehr lebendigen Ereignissen rund um den Genozid. Ist das zu viel Mühe, umstrittenen Begriffen Gesichter und biographische Bezüge zu geben und ihnen so, aufgeladen mit Erfahrung, Wahrheit und Bedeutung zuzubilligen? Ich denke: nein. Und schon gar nicht für eine Festspiel-Kuratorium. Hier läge der Begriff der Heuchelei näher finde ich.
Absage Ruhrtriennale-Auftritt: Link
Man glaubt es kaum...

https://amp.berliner-zeitung.de/kultur/festival-pop-kultur-klaus-lederer-und-lizzie-doron-werden-niedergebruellt-31121352
Absage Ruhrtriennale-Auftritt: Freedom of Speech?
Interessant ost, was bei der Podiumsdiskussion in Bochum diskutiert und was nicht diskutiert wurde. Was nicht diskutiert wurde, bei einer Diskussion, die sich mit dem Thema freedom of speech befasste erstaunlich, ist doch, dass Künstler, die den BDS unterstützen, Festivals, bei denen Künstler auftreten, die aus Israel kommen, oder deren Auftritte mit Zuschüssen der israelischen Regierung finanziert werden, boykottieren. Zu diesen Künstlern gehörten letztes Jahr In Berlin u.a. auch die young fathers. Wer also Künstler, die den BDS unterstützen einlädt, muss damit rechnen, das diese die "freedom speech" anderen nicht zubilligen. Und das ist auch der wahre Grund für Stefanie Carps Lavieren. Nachdem sie die young fathers ausgeladen hatte drohten verschiedene Gruppen sich nicht an der Ruhrtriennale zu beteiligen. Das es Festivalleitungen gibt, die mehr Klarheit in dieser Frage haben und sich nicht zum verlängerten Arm des BDS und seiner Anliegen machen lassen zeigte unter anderem die Leitung des Pop-Kultur Festivals in Berlin (s.o. #9)
Absage Ruhrtriennale-Auftritt: Vermittlung
@ martin baucks und Emil: Und was sagen Sie angesichts Klaus Lederers (LINKE) dann zu den LINKEN-Politikern, die vor acht Jahren auf dem Free Gaza-Schiff dabei waren?

Ich sage dazu: Es gibt also auf der einen Seite die (politische) Freiheit der Kunst. Und es gibt auf der anderen Seite freie, politisch unabhängige soziale Bewegungen. Warum sich dann hier die CDU zu Wort meldet und da die LINKE engagiert, das bleibt für mich widersprüchlich. Da, wo die Kunst für Vermittlung und Versöhnung zwischen den politischen Ideologien eintritt, und nicht für ideologische Verhärtung, sehe ich einen Weg. Und am Samstag war der jüdische Friedhof in Weissensee geschlossen. Aha.
Absage Ruhrtriennale-Auftritt: Frage
Ich frage mich und alle diejenigen , die sich so rege an der Diskussion beteiligen : Hätte diese Medienkampagne auch stattgefunden, wenn die Intendanz der Triennale in Händen von Stefan Carp statt von Stefanie Carp gelegen hätte???
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