Kommentar: Benedikt von Peter wechselt 2020 aus Luzern nach Basel ans größte Dreispartenhaus der Schweiz
Große Schuhe
von Valeria Heintges
Basel, 21. August 2018. Benedikt von Peter also. Der, der die Luzerner mit seinem "Raumtheater" begeistert, ihnen die Holz-Box als Kleine Bühne vor das ehrwürdige Theater gesetzt und es in jeder Hinsicht geöffnet hat, der den "Jedermann" auf den Jesuitenplatz platzierte, die Jesuitenkirche gleich mit bespielte, den Biedermann mit seinen Brandstiftern den Zuschauern ins Wohnzimmer schickt und Herbert Fritsch für Ligetis Oper "Le grand Macabre" zurück ins Luzerner Theater holte (wo er schon 2005 als Regisseur arbeitete). Der Benedikt von Peter, der sich mit der Freien Szene zu verbinden weiss, etwa die Off-Bühne Südpol integriert und mit dem Musikfestival B-Sides zusammenarbeitet. Der "sehr beliebte" von Peter, dessen Sozialkompetenz überall gelobt wird. Und der Benedikt von Peter, der keine Scheu hat, das Luxus-Uhrengeschäft Bucherer als Hauptsponsor an Bord zu holen (mit, so munkelt man, einer halbe Million Franken im Gepäck).
Musiktheatermensch durch und durch
Dieser Benedikt von Peter also wird 2020 Nachfolger von Andreas Beck am Theater Basel. Von Peter musste kein Hellseher sein, um trotzdem zu wissen, welche Frage ihm die Journalist*innen an der Medienkonferenz sofort stellen würden. "Ja, ich werde einen superstarken Schauspielleiter nach Basel holen", sagte er in seiner Vorstellungsrunde, noch ehe die Medienvertreter zu Wort kommen konnten. Denn von Peter kann noch so oft betonen, dass Dreispartenhäuser "das Schönste sind, was man haben kann": Er ist Musikwissenschaftler, leitete die Musiktheatersparte des Theaters Bremen und auch noch als Intendant des Luzerner Theaters dessen Opernsparte, wenn auch zusammen mit Brigitte Heusinger. Er ist Musiktheater-Mensch durch und durch.
Groß, größer, am größten aber sind die Fußstapfen, die Andreas Becks Schauspiel in den Basler Boden gesetzt hat. Welcher "superstarke Schauspielleiter" diese Spuren füllen soll, konnte und wollte Benedikt von Peter auf der Medienkonferenz nicht verraten. Sicher ist, dass er diesmal ein besseres Händchen haben muss, als es in Luzern der Fall war. Dort hat Regula Schröter zwei Spielzeiten lang die Schauspielsparte geleitet, und die lief gut. Aber "gut", das ist für Basel mit seiner Grösse und seiner Geschichte nicht gut genug. Und das war auch Benedikt von Peter in Luzern nicht genug. Darum holte er Dramaturgin Sandra Küpper vom Thalia Theater Hamburg, die ab dieser Spielzeit die Sparte leitet. Ihre Pläne klingen vielversprechend, etwa wenn Kornél Mundruczó und Kata Webér "Traumland", eine "theatrale Schiffstour", inszenieren oder die Esten Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo Dostojewskis Werk in "Schuld" und "Sühne" aufteilen und parallel zeigen.
Von Basel nach Hollywood
Dennoch: Andreas Beck rührte in Basel mit viel größerer Kelle an: Simon Stones John Gabriel Borkman und seine Drei Schwestern wurden ebenso wie Ulrich Rasches Woyzeck zum Theatertreffen eingeladen, Stefan Bachmanns Tell kann auf eine Auslastung von fast 96 Prozent verweisen. Stones Hotel Strindberg, eine Kooperation mit dem Wiener Burgtheater, ist ab Januar in Basel zu sehen, der Regisseur selbst arbeitet jetzt in Hollywood. Klar ist aber auch: Wenn Basel sich mit steigenden Zuschauerzahlen brüstet, so sind die vor allem dem Schauspiel zu verdanken; laut letztem Geschäftsbericht sind sie im Oper und Ballett sogar gesunken. Zudem hat Beck am Rheinknie ein grossartiges Schauspielensemble aufgebaut, das ihm aber, so hört man, großteils ans Residenztheater folgen wird. Hier wird Benedikt von Peter Aufbauarbeit leisten und sich auch dafür große Schuhe besorgen müssen.
Hinzu kommt: Der Markt an Schauspielern für die Schweiz wird gerade jetzt sehr beackert. Denn in Zürich werden neue Schauspieler gesucht, wenn Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg ab Sommer 2019 das Schauspielhaus leiten werden. Und zum gleichen Zeitpunkt wollen Julia Reichert, Tine Milz und Hayat Erdoğan das Theater Neumarkt neu positionieren. Das Duo Blomberg / Stemann will dafür eine "kleine Gruppe von Theatermacherinnen und Theatermachern unterschiedlicher Herkunft und ästhetischer Positionierung an das Schauspielhaus binden", wie sie bei ihrer Wahl verlauten liessen. Und das Damentrio im Programm "neue Formate und Produktionsweisen, ästhetische Experimente, zeitgenössische Stoffe sowie spielerisch-unakademische Wissensvermittlung vereinen". Das klingt bei beiden ein wenig nach Gorki-Theater in Berlin, und im Fall von Stemann / Blomberg zusätzlich nach einer modifizierten Lilienthal-an-den-Münchner-Kammerspielen-Variante. Hoffentlich achten die Herren in Zürich ein wenig mehr darauf, für welche Stadt und welche Menschen sie Theater machen – dann könnte ihre Verweildauer am Zürichsee länger als in München sein.
Die Frage der Abgrenzung
Eine "Trutzburg" sieht Benedikt von Peter in dem Schauspielhaus-Konzept, und schliesst Kooperationen mit Zürich aus, das sei "zu nah". Das "nah" bezieht sich allerdings auch auf die Tatsache, dass von Peter und von Blomberg eine lange Arbeitsbeziehung verbindet: Gemeinsam gründeten sie die freie Operngruppe "evviva la diva", gemeinsam leiteten sie das Theater Bremen, von Peter die Musiktheater-, von Blomberg die Schauspielsparte. Wenn man dann noch hört, dass Nicolas Stemann mit Matthias von Hartz studiert hat, der gerade zum ersten Mal auf der Landiwiese am Zürisee zeigt, wie er das Theaterspektakel verstanden wissen will, dann kann man sich wirklich fragen, wie stark die Abgrenzung der Orte und Festivals in Zürich und Basel faktisch sein wird. Von Hartz selbst sprach da schon von einem "Klassentreffen". Sein Vorgänger am Theaterspektakel, Sandro Lunin, leitet übrigens ab Herbst die Kaserne Basel. Auch das bleibt also in der Theaterfamilie.
Valeria Heintges, Jahrgang 1968, hat Germanistik, Geschichte und Philosophie in Münster und Freiburg/Breisgau studiert. Sie war u.a. Redakteurin für die Sächsische Zeitung in Dresden und die Tagblatt-Medien in St. Gallen. Sie lebt heute als selbstständige Journalistin in Zürich.
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