Neuer Wille zur Macht

von Alexander Jürgs

Mainz, 25. August 2018. Wer hat hier das Sagen? Die Männer stehen an der Rampe, vier brutale Typen. Ihre weißen Hemden sind dreckig, der Schweiß steht ihnen in den bleichen Gesichtern und das harte Licht lässt ihre Haut glänzen. Sie zertrümmern ein Versteck und greifen sich den Schmuck, sie schlagen die Amme blutig, sie zetern und fluchen im Chor. Die Musik dröhnt, die Bühne ist dunkel und akkurat. Die Liste der Vorwürfe, die die Männer gegen Maria Stuart, Königin von Schottland und Gefangene der Königin von England, erheben, ist lang. Vier, fünf, sechs Minuten geht das so. Maria Stuart, gespielt von Anika Baumann, bleibt in all dieser Zeit stumm. Im purpurnen Kleid, die Hände hinterm Rücken verschnürt, sitzt sie stoisch da, ohne die Stimme zu erheben. Dann drehen die Männer ab.

Aufbegehrende Gefangene

Einen ruft Maria zurück, den Ritter Paulet (Denis Larisch), der sie in ihrer Gefangenschaft bewacht und behütet. Sie will wissen, wie es tatsächlich um sie steht, ob mit einer Verurteilung zu rechnen ist, ob sie einen Geistlichen als Beistand braucht. Paulet schlägt vor, sie könne mit einem Dekan sprechen. Dann explodiert sie, dann schreit sie: Keinen evangelischen Dekan, sondern einen katholischen Priester will sie sprechen. Jetzt ist es Maria, die ihr Gegenüber einschüchtert, jetzt ist sie die Starke.

Maria Stuart2 560 Andreas Etter uAm Boden: Maria Stuart (Annika Baumann) und Elisabeth, Königin von England (Hannah von Peinen), die den Tod ihrer Widersacherin in Kauf nimmt, um dem Volkswillen gerecht zu werden 
© Andreas Etter

Friedrich Schillers "Maria Stuart" handelt vom Ringen um die Macht, vom Kampf um die Hoheit. Enttäuscht vom Verlauf der französischen Revolution, vom Umschlag des Befreiungskampfs in ein unterdrückerisches Regime, fragte der Dichter darin nach der Verantwortung der Herrschenden, fragte danach, wie sich politische Strategie und individuelles Rechtsempfinden in die Quere kommen können.

Bilder, die überwältigen sollen

Königin Elisabeth fürchtet, dass Maria Stuart ihr den Thron rauben will. Ihre Einflüsterer drängen sie deshalb dazu, das Todesurteil gegen ihre Widersacherin zu sprechen und sich mit Frankreich zu verbünden. Maria Stuart, der vorgeworfen wird, an der Ermordung ihres eigenen Mannes schuldig zu sein, kämpft also ums pure Überleben. Diplomatie, Komplotte und Missverständnisse bestimmen den Lauf der Handlung. Das Stück über den ungleichen Zweikampf der Königinnen ist das, was man gerne einen Polit-Thriller nennt. Die historischen Ereignisse hat Schiller dabei so geformt, wie es ihm passte.

Maria Stuart3 560 Andreas Etter uGut eingeflüstert: der Hofstaat umringt Elisabeth © Andreas Etter

Dariusch Yazdkhasti setzt in seiner Inszenierung, mit der am Mainzer Staatstheater die neue Spielzeit eröffnet wird, jedoch auf Szenen und Bilder, die überwältigen sollen. Alles wirkt ein wenig überladen, wuchtig und ernst, die Figuren sind überdeutlich gezeichnet. "Maria Stuart" ist seine zweite Regie-Arbeit in Mainz, zuvor hat der Regisseur dort Ibsens "Ein Volksfeind" auf die Bühne gebracht. Auch auf Kampnagel und am Thalia Theater in Hamburg, in Heidelberg, Coburg, Bielefeld und Kiel hat Yazdkhasti, Jahrgang 1973, bereits inszeniert. Auf der düsteren Bühne im Großen Haus in Mainz lässt er seine Darsteller in historischen Kostümen auftreten. Das Licht ist grell und kontrastreich, die Musik dramatisch und erzeugt Spannung. Häufig kommt eine Live-Videokamera zum Einsatz, übergroße Gesichter werden dann in Schwarz-Weiß auf die Bühnenwand projiziert. Man fühlt sich an das konzentriert-reduzierte Theater eines Michael Thalheimer erinnert.

Im Dreck wühlen

Der Schlüsselmoment des Stücks ist das Aufeinandertreffen der Königinnen. Am Anfang dieser Szene wirft sich Maria Stuart auf demütigende Weise vor ihrer Kontrahentin auf den Boden. Anika Baumann klaubt mit den Händen den Dreck auf dem Bühnenboden zusammen, sie schmiert ihn ins Gesicht, robbt der englischen Königin entgegen, fleht um Leben und Freiheit. Doch Elizabeth, gespielt von Hannah von Peinen, lässt sich darauf nicht ein. Sie ätzt gegen die Stuart, die wiederum mit einem Wutausbruch reagiert und ihr Gegenüber als "Bastard" beschimpft. Mit diesem wütenden Ausbruch besiegelt die schottische Königin ihr Todesurteil, sie selbst spricht trotzdem von einem "Augenblick der Rache, des Triumphs".

Es steckt viel Aktualität in Schillers Stück. Elizabeth kämpft darin, dem Volkswillen gerecht zu werden. Den Tod ihrer Widersacherin nimmt sie in Kauf, weil die Bevölkerung ihn fordert. Man muss dabei an all die Politiker denken, die sich bereitwillig nach Rechts bewegen, weil der neue Wind dort weht. Man bekommt den Spruch des nordrhein-westfälischen Innenministers in den Kopf, der im Fall Sami A. forderte, dass Gerichtsentscheidungen doch bitte schön "dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen" sollten. Und man denkt an die, die sich an die Macht klammern. Dariusch Yazdkhasti macht diese Verbindung zwischen dem Stoff aus der Zeit der Klassik und der Gegenwart nicht deutlich, er zeigt die Parallelen nicht. Worum heute gestritten wird, das findet in seiner Inszenierung keinen Einlass. So bleibt sie im Historischen stecken. Das kann man als vertane Chance begreifen.

 

Maria Stuart
von Friedrich Schiller
Inszenierung: Dariusch Yazdkhasti, Bühne: Anna Bergemann, Kostüme: Josephin Thomas, Video: Konrad Kästner, Licht: Peter Meier, Dramaturgie: Carmen Bach.
Mit: Hannah von Peinen, Anika Baumann, Henner Momann, Sebastian Brandes, Denis Larisch, Julian von Hansemann, Andrea Quirbach.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.staatstheater-mainz.com

 

Kritikenrundschau

Einen "großen, schaurig-schönen Schiller-Schocker", "grandios besetzt", hat Bettina Boyens gesehen und schreibt in der Frankfurter Neuen Presse (27.8.2018): "Dariusch Yazdkhasti gelingt, was wenige schaffen: Den 200 Jahre alten Klassiker derart fesselnd auf die Bretter zu wuchten, als sei er gestern erst aus Schillers Feder geflossen."

"Geradezu betont klassisch" sei diese Maria Stuart, schreibt Johanna Dupré in der Allgemeinen Zeitung und im Wiesbadener Kurier (27.8.018), besteche aber immer wieder "durch starke Bilder und emotional mitreißende Szenen".

"Dariusch Yadkhastis klug mit Videotechnik spielende und wirkungsvoll auf wenige Figuren fokussierte 'Maria Stuart' ist ein vielversprechender Start in die neue Theatersaison am Staatstheater Mainz", findet Andreas Bischoff in der FAZ (27.8.2018). Auch wenn die Inszenierung sich ein paar "läppische Episoden" erlaube, habe das Publikum Schauspieler und Regieteam am Ende zu Recht gefeiert.

Eine "beglückende, eindringliche Kühle" liege über dieser "Maria Stuart", schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (30.8.2018). Sie sei "nicht kursorisch, aber die Figuren, ihre Absichten und ihre Hilflosigkeit werden kondensiert und kanalisiert". Eine "Mischung aus Schauwerten und Details" diene "als guter Staubschutz". "Obwohl Schülerinnen und Schüler anwesend waren, hörte man die Stecknadel fallen. Weil Schülerinnen und Schüler anwesend waren, fiel einem diese Formulierung wieder ein. Ein spannungsreicher Abend."

 

Kommentare  
Maria Stuart, Mainz: die Ferne bringt die Nähe
Sehr geehrter Herr Jürgs!
Bitte können Sie mir sagen, an welchem Theater es eine Aufführung eines Schiller-Dramas gibt, in der es dem Regisseur nach Ihrer Meinung gelingt "die Parallelen zwischen dem Stoff aus der Zeit der Klassik und der Gegenwart" deutlich zu machen. Sie beschreiben, welche Assoziationen zur heutigen Welt Sie beim Ansehen der Vorstellung hatten. Und Sie schreiben dann: "Worum heute gestritten wird, das findet in seiner Inszenierung keinen Einlaß."
Ich bin überzeugt, Elisabeth die Erste und Maria Stuart und die Herren, die die beiden umgeben und auch der Autor, wußten von vielen Dingen, "um die heute gestritten wird", nichts. Die Schillerschen Figuren können unsere heutigen Konflikte nicht verhandeln. Aufführungen, die behaupten, das ginge, zerstören das Stück oder sind unglaubwürdig. Gute Assoziationen sind das Beste, was geschehen kann, denn es gilt noch immer "Die Ferne bringt die Nähe!" und historisches Geschehen wird nicht angeeignet, indem wir es als heutiges Geschehen behaupten und uns auf Kosten unserer Vorfahren bereichern.
Wenn Sie aber ein Beispiel kennen, daß geeignet ist, mich vom Gegenteil zu überzeugen - ich wäre Ihnen sehr zu Dank verpflichtet.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Ibrik
Maria Stuart, Mainz: Freiheit mit dem Stoff
Lieber Herr Ibrik,
ich finde, dass es dem Theater häufig gelingt, anhand von alten Stoffen auf die Gegenwart zu schauen, Zeitanalyse zu betreiben (nur ein besonders markantes Beispiel: Simon Stones "Drei Schwestern" in Basel). Und auch Schiller schrieb ja mit der "Maria Stuart" – auch – über seine Zeit. Die Freiheit, frei mit den Stoffen umzugehen, zähle ich zu den Stärken des Theaters, habe aber auch viel Verständnis für diejenigen, die es anders sehen.
Herzliche Grüße, Alexander Jürgs
Maria Stuart, Mainz: Personen oft nur Symbole
Lieber Herr Ibrik,
Ich behaupte mal frech, das die Ursachen und Mechanismen der Konflikte seit Menschengedenken die Gleichen sind.
Es ändern sich nur die Mittel.
Vom Stein zum Schwert zum Gewehr zu den Sozialen Medien.
Von daher denke ich schon, das man im Schillerschen Werk die Konflikte von Heute findet.
Personen sind in diesem Zusamenhang oft nur Symbole.
Maria Stuart, Mainz: (Vor)Freude
Oh wie herrlich, wenn Menschen wie in diesen Kommentaren achtungsvoll miteinander kommunizieren! Ich bin sehr gespannt auf die 2. Vorstellung am Abend!
Maria Stuart, Mainz: freier Umgang
Auf so viel Freundlichkeit muß man reagieren.
Ich bin sehr dafür auf sachliche Weise einen (heftigen) Disput zu führen.
Lieber Herr Jungmann - danke für das leise Lob an uns. Wie war denn die zweite Vorstellung?
Lieber Herr "Leser"! Ich gehe nicht so gern ins Theater, um Symbole zu sehen. Mich interessieren Geschichten zwischen Menschen, zu denen ich mich als Zuschauer verhalten kann, und mich interessieren deren Formen des Zusammenlebens, zu denen ich mich verhalten kann. Das ist möglicherweise "altmodisch", aber daran kann und will ich nichts mehr ändern.
Ich glaube nicht (das heißt: ich weiß es nicht genau), daß die Konflikte der Menschen in der Urgesellschaft unseren gleichen. Ich behaupte: Sie waren sehr anders in Interessenlage und Ursachen. Ich weiß, daß sich meine Konflikte und mein Umgang damit im Laufe eines langen Lebens oft geändert haben. Und wenn ich heute darüber nachdenke, so ist das vergnüglich, auch dann, wenn ich große Unterschiede feststelle.
Lieber Herr Jürgs! Sie beschreiben sehr eindrücklich, welche Assoziationen Sie bei Schillers Stück hatten. Beim Lesen oder bei der Aufführung?
Wenn eine Aufführung das leistet, dann hat Theater doch wieder einen guten Grund. Ich bin nur dagegen, daß mir mit Fremdtexten und anderen Maßnahmen erklärt wird, wie ich es denn verstehen müßte. Und der freie Umgang mit dem Stoff ist immer "erlaubt". Aber der Stoff - pardon! - ist etwas anderes als das vorliegende Drama.
Ich kenne die Aufführung "Drei Schwestern" in Basel leider nicht. Aber - wenn ich die Rezensionen recht erinnere - war es doch eine heftige Bearbeitung des Tschechow, wogegen nichts zu sagen ist (?).
Ich erinnere indessen eine Schiller-Aufführung: Beim letzten "Don Carlos" am Deutschen Theater Berlin habe ich schon beim ersten Ansehen mehr über das Verhalten von Menschen in heutigen Demokratien als über das Verhalten in der spanischen Monarchie nachgedacht. Die Aufführung hatte Striche im Text und Umstellungen und war nicht in ein historisches Bild gezwängt, und das Spiel der Schauspielerinnen und Schauspieler war bestimmt durch den Blick derjenigen, die im 21. Jahrhundert leben und dort Erfahrungen machen, auf eine "alte" Geschichte und ein "altes" Drama, das Schiller eindeutig für seine Zeit geschrieben hat. Es war ein großes Vergnügen.

Mit freundlichen Grüßen
Peter Ibrik
Maria Stuart, Mainz: Assoziationen
Genau, wenn eine Aufführung es leistet, diese Assoziationen hervorzukehren, sehe ich sie auch als gelungen. Das muss nicht mit modernen Kostümen oder Fremdtexten geschehen, sondern scheint schon beim Lesen durch jedes Wort hindurch. Das dann aber auch auf der Bühne zuzulassen, erfordert Schauspieler, die diese Aktualitätsbezüge mitdenken. Und das lässt sich durch die Probenarbeit entweder unterstützen oder verringern. Ich hatte auch das Gefühl, dass sich in Mainz gegen die Aktualität entschieden wurde.


Übrigens glaube ich auch, dass die philosophischen Konflikte von Macht und Ohnmacht, Sehnsucht, Verführung und Gewalt, die in bestimmten Personenkonstellationen entstehen, immer die selben sind - und deshalb ja in jeder Zeit oder Kultur verstanden werden können.
Maria Stuart, Mainz: Erläuterung
Hallo Herr Ibrik.
Wieder einmal zeigt sich, wie schwer es ist mit unbekanten schriftlich zu diskutieren.
Als erstes muß ich mich dafür entschuldigen, das ich hier als "Leser" aufgetaucht bin. Da ich "Alexander" als Name genannte hatte hat die Redaktion um verwechselungen mit Alexander Jürgs diesen (zu recht) geändert.
Vereinfacht gesagt möchte auch ich möchte keine Symbole sondern Menschen auf der Bühne sehen. Theater ist ja etwas sinnliches. Vieleicht habe ich das falsche Wort benutzt.
Im Endeffekt wollte ich auf das hinaus, was sie in ihrem letzten Absatz beschreiben, welcher aber, meinem Verständniss nach, zumindestens teilweise eine gegenteilige Aussage gegenüber ihrem ersten Absatz ist.
Mit herzlichen Grüßen,
Alexander Joseph
Maria Stuart, Mainz: Yazdkhasti in Kiel
Ja, Dariusch Jazdkhasti inszeniert(e) regelmäßig in Kiel, im übrigen -in der Spielzeit 2011/2012- auch schon einmal die "Maria Stuart" (für meine Begriffe eine der nennenswertesten Inszenierungen am Schauspielhaus Kiel in den vergangenen Jahren, nur wenig, wie etwa "16 Verletzte" , reicht für mich an diesem Hause an diese Leistung heran).
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