Bad Ass Medea

von Julika Bickel

Berlin, 8. September 2018. Medea ist ins kulturelle Gedächtnis vor allem als rachsüchtige Kindsmörderin eingegangen. Ungeachtet der zahllosen Ausleuchtungen und Neudeutungen, die Künstler*innen dem Mythos in den vergangenen Jahrhunderten gegeben haben. Es hält sich das Bild, das Euripides 431 v. Chr. zeichnete: die Furie, die ihre eigenen Kinder tötet. Vor ihm galt Medea als gefallene Göttin, die ihre Kinder sogar retten wollte. Das Berliner TAK Theater im Aufbau Haus hat sich dem Stoff in "Medea Rromnja“ aus einer vielversprechenden frischen Perspektive genähert, nämlich aus der feministischen Rroma-Perspektive.

Hexe, Fremde, Wilde – mit diesen Stereotypen haben sowohl Medea als auch die Rromnja (Bezeichnung für die weiblichen Angehörigen von Rroma-Gruppen) zu kämpfen. Nach "Yousef war hier" ist es die zweite Eigenproduktion des zum Jahresbeginn 2018 angetretenen neuen Leitungskollektivs, das sich aus mehreren Künstler*innen und Künstlergruppen zusammengeschlossen hat: kainkollektiv (Bochum), suite42 (Berlin), France-Elena Damian (Berlin) und Anna Koch/Moritz Pankok (tak e.V. Berlin/Mülheim). Ihr experimentelles Leitungsmodell ist konsequent horizontal, ohne straffe Hierarchien; man teilt sich die Verantwortung. Gemeinsam wollen sie das Kreuzberger Theater in ein transnationales Haus und Exiltheater verwandeln.

Diskriminierung, Verfolgung und Ausgrenzung

Das Regieteam Slaviša Markovic und Moritz Pankok lässt "Medea Rromnja" zunächst mystisch und düster beginnen: Medea betet still vor einem buddhistisch anmutenden Altar, sie läuft barfuß auf das Publikum zu und hält ihm einen Spiegel hin. Anmutig gespielt wird sie von Delaine Le Bas, einer britischen Künstlerin mit rromanischem Hintergrund, die auch für das Bühnenbild verantwortlich ist. Ein weißes Laken bildet ein Dach, von dem bunte Bänder herunterhängen. An die Wände sind verzerrte Körper und Totenköpfe gemalt. Bei jedem Schritt erklingen Glöckchen, die an ihrem glitzernden Gewand befestigt sind. Nachdem sie kräftig Räucherstäbchen gewedelt hat, treten zwei weitere Medeas auf die Bühne. "Sag mir nicht, wer ich bin", sagen sie auf Deutsch, Englisch und Romanes.

MedeaRromnja 560 Benjamin Renter uSpiel mit Vorurteilen: Delaine Le Bas als Medea © Benjamin Renter

Medea und die Rroma-Minderheiten eint eine Geschichte der Diskriminierung, Verfolgung und Ausgrenzung. Sie erleben sowohl Neid als auch Hass, werden als exotische und barbarische Heimatlose und Außenseiter konstruiert: Negative oder romantisierende Fremdbezeichnungen wie "Zigeuner" oder "fahrendes Volk" halten sich bis heute hartnäckig im öffentlichen Sprachgebrauch. Das internationale Theaterkollektiv aus Rroma und Nicht-Rroma spielt bewusst mit diesen Vorurteilen. In einer Szene ertönt Jahrmarktsmusik, zwei Mädchen treten als Showmasterinnen auf (wunderbar erfrischend nach der etwas unheimlichen Anfangsszene) und kündigen ihren Gast Medea an: Sie wolle sich integrieren, könne außerdem zaubern und habe den bösen Blick. "Wie konntest Du deine Kinder töten und das abfeiern?", fragen sie und beschimpfen Medea als Monster mit einem Herz aus Stein.

Medea als Cyber-Hexe

Als Motiv für die Kindstötung gibt sie Liebe an. Die griechische Schauspielerin Dafni Sofianopoulou als Medea erzählt von einer Mutter, die ihre Kinder getötet hat, um sie vor der Sklaverei zu bewahren. "What you say about me, says nothing about me. But all about you. I am the mirror." Medea als Spiegel klagt die Mehrheitsgesellschaft an. Sie spricht von der Enttäuschung darüber, dass viele Menschen wenig über die Rroma wissen. Leider will hier das Stück zu viel, es wirkt wie eine Kompensation des Unwissens und gibt zu viel Input. In den aufgesagten und vom Band gespielten Texten geht es um Hexenjagd, Sexismus, Flucht, Kapitalismus ("Dem Schweinesystem werde ich keine Träne nachweinen!") und das Muttersein ("Diejenigen, die keine Kinder haben, sind gesegnet.").

MedeaRromnja5 560 Benjamin Renter uMedea multimedial: im Bühnenbild von Delaine Le Bas © Benjamin Renter

Schön ist der immer wieder auftretende Chor aus sechs Jugendlichen, angelehnt an das griechische Drama. Wenig originell hingehen kommen die Livekameras, Tablets, Videoprojektion und der Overhead-Projektor daher (auch wenn es natürlich die Thematik der Selbst- und Fremdwahrnehmung einer ethnischen Minderheit gut wiedergibt). Dann kommt das überraschende, empowernde, witzige, einfach grandiose Finale. Mihaela Drăgan (die bereits in Roma Armee am Maxim Gorki Theater glänzte) tritt als selbstbewusste Bad Ass Medea auf und lässt es richtig krachen. Gauland, Trump und einige andere Hassredner werden mit einem roten Stöckelschuh ausgepeitscht. Es tritt das Zeitalter der Cyber-Hexen mit ihrer Techno-Witchcraft an. Zu Techno-Beats und im goldenen, hautengen Anzug wird Medea zur Revolutionärin und ruft: "This time is our turn! The future is ours!"

 

Medea Rromnja
Theater. Installation. Performance
Regie: Slaviša Markovic und Moritz Pankok, Bühne: Delaine Le Bas, Dramaturgie: Tina Turnheim, Produktionsleitung: Sabrina Apitz, Musik: Flo Thamer, Video: Matthias Schellenberger, Theaterpädagogik: Anna Koch.
Mit: Mihaela Dragan, Sakip Jusić, Estera Iordan, Delaine Le Bas, Ramona Rahimić, Theresa Selter, Dafni Sofianopoulou, Estera Sara Stan, Tamara Weber, Luca-Zoé.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

tak-berlin.de

 

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