Unendlich reflektierte Spiegelwelt
Von Kaa Linder
Zürich, 13. September 2018. Radikal streng ist diese Lesart von "Hamlet", die den Totenkopf zum Programm erklärt: In ihrer letzten Amtszeit bringt Intendantin Barbara Frey ihre sechste Shakespeare-Inszenierung auf die Zürcher Pfauenbühne. Das auftretende Personal am dänischen Hof ist von Anfang an mausetot. In uniform blickdichtem, schwarzem Samt, die Gesichter kreidebleich, geistert es zugeknöpft auf der ebenso schwarzen wie blickdichten, da spärlich erleuchteten, Bühne umher.
Der eine Körper zweier Könige
Allen voran spukt der Geist des ermordeten dänischen Königs, der seinem Sohn und offiziellen Thronfolger Hamlet immer wieder erscheint und von ihm in einem Maß Besitz ergreift, welches letztendlich zur systematischen Auslöschung des gesamten Hofes führt. Denn der Geist fordert Rache, hat doch Bruder Claudius den König eigenhändig umgebracht. Ist auf höchst skrupellose Weise auf den Thron und an die Königin Gertrud herangekommen.
Es ist ein kluger Streich, den umhergeisternden Untoten und seinen blutsverwandten Widersacher mit ein- und demselben Schauspieler zu besetzen, um Hamlets ausweglose Situation zu unterstreichen. Markus Scheumann spielt den Claudius schnurrend spitz, kaltschnäuzig Befehle ausspuckend, messerscharf zielorientiert auf seinem Weg zur Macht. Den Geist des toten Königs dagegen gibt er, einzig durch ein Paar bleischwer goldbesetzte Handschuhe gekennzeichnet, verwirrt ganz ohne Eile, zielsicher schwankend auf dem Weg in Hamlets Arme.
Das doppelte Spiel von Geist und selbst ermächtigtem König spiegelt das dramatische Motiv der Mehrdeutigkeit wider, die sich wiederum in der Figur von Hamlet kondensiert. Intrigen, vorsätzliche Täuschung und gestellte Theaterszenen durchziehen den Plot und machen auch vor dem Bühnenbild (Bettina Meyer) nicht Halt. Der düstere, fast unheimliche Spielraum zeigt die bis ins kleinste Detail nachgebaute Rückseite des leeren Guckkastens: mit Arbeitspasserelle, Heizungsrohren und Notausgängen.
Physische Enge, klösterliche Stille
Erst auf den zweiten Blick wird klar, dass diese Rückwand nicht nur identisch nachgebaut, sondern auch um einige Meter nach vorne verschoben ist. Die dadurch erwirkte physische Enge wird nur durch einen leuchtend roten Theatervorhang gebrochen. Geht dieser auf, entsteht eine weitere Spielebene und damit die Illusion eines Spiegels, welcher alles bis ins Unendliche reflektiert. So wie Hamlet sich selbst und seine Welt unendlich reflektieren muss.
Jan Bülow tut dies mit großer, unaufdringlicher Bühnenpräsenz und einer sprachlichen Klarheit, die verblüfft. Der 22-jährige Schauspieler kann dabei gebrochener Greis und zögerlich Verliebter sein, entsetzliche Wut und tiefe Verwundbarkeit zeigen, scheinbar mühelos das alles im schweißnassem Hemd.
In ihrer strengen, schwarz-weiß durchorchestrierten Inszenierung lässt Barbara Frey die Figuren also psychisch zappeln, wobei sie die Handlungszeit bis zur Schmerzgrenze ausreizt. Es herrscht eine vornehmlich klösterliche Stille, die als Zitate bekannten gewichtigen Sätze werden fast beiseite gesprochen. Überhaupt haftet dem Sprechduktus etwas Gezähmtes an. Flüstern statt schreien, schweigen statt quasseln, scheint die Devise zu sein. Die schier obsessive Entschleunigung lässt starken Bilder ihren Platz: Ophelia (Claudius Körber) versinkt unter der scheinbar zärtlichen Hand von Königin Gertrud (Inga Busch) stumm im Bühnenboden.
Emotional ist allein die Musik. Iñigo Giner Miranda am Flügel hält die Fäden in der Hand und lässt die Puppen tanzen: in einem trotzig herausgebrüllten Mikrofonsolo von Hamlet oder einem überirdisch glasklaren Falsettgesang von Ophelia, die dem Wahnsinn verfällt.
All das mündet – das Ausharren hat sich gelohnt – im finalen Gefecht von Hamlet und Ophelias Bruder Laertes (Benito Bause). Es ist ein Fechtkampf, virtuos und präzis, der sich über schmerzhafte fünf Runden hinzieht und mit physisch-strotzender Lebenskraft die Bühne in Beschlag nimmt. In diesem endlosen Labyrinth von inszenierten Spielen ist das so authentisch, vital und befreiend wir nur möglich. Ein großartig klassischer Höhepunkt, der sich selbst übertrifft.
Hamlet
von William Shakespeare
Regie: Barbara Frey, Bühne: Bettina Meyer, Kostüme: Esther Geremus. Musik: Iñigo Giner Miranda, Dramaturgie: Andreas Karlaganis, Fechtchoreographie: Klaus Figge
Mit: Markus Scheumann, Inga Busch, Jan Bülow, Gottfried Breitfuss, Edmund Telgenkämper, Benito Bause, Claudius Körber.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus.ch
"Kalt und kanonisch" starte Barbara Frey mit "Hamlet" in ihre letzte Spielzeit, schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung (15.9.2018). Jede Generation habe ihren Hamlet, "dieser wird so schnell nicht vergessen gehen. Und das nicht nur im Guten". "Sein oder nicht sein? Wo sein und wieso sein? Dort, im Reich der Illusion und der Manipulation? Bei den inneren Kräften, der Kunstanstrengung und beim Sein?" Frey stelle ontologische Fragen, ohne wohlfeilen realpolitisch expliziten Bezug allerdings. Und "Bettina Meyers Raum scheint ein Totenreich zu sein". Freys Hamlet ist auch eine Zuschauerzerreissprobe. "Das macht durchaus Sinn, ihr Konzept ist in Erz gegossen: Sie nimmt Shakespeares Geist beim Wort, 'Remember me!'."
"Großartig, wie Jan Bülow und Benito Bause (als Laertes) zu gespenstischer Stimmung einen hoch athletischen Fechtkampf bieten", schreibt Johannes Bruggaier im Südkurier (15.9.2018). Freys "Hamlet" überzeuge als politisches Psychogramm, könne aber über manche Längen nicht hinwegtäuschen.
Dezidiert still und von spektakulärem Understatement, sei diese Inszenierung auch "ein lautstarkes, ein kratzbürstiges Credo" von Barbara Frey zu ihrer Zürcher Handschrift – einer "Ästhetik der aufmerksamen musikalischen Textlektüre, der dramatischen Ode, die unaufdringlich in die Gegenwart hineinhallt", bemerkt Alexandra Kedves im Tagesanzeiger (15.9.2018). "Es ist auch ein Theater, das sich Minderheitenrechte nicht knallig auf die Fahnen schreibt, sondern einfach mal durchzieht." Hautfarbe, Geschlecht spielten beim Zusehen keine Rolle. Eher stünde die Frage im Raum, was Hamlet 2018 noch zu erzählen habe, so Kedves. Bei Frey künde die "Choreografie der Beziehungen" von Schmerz und Vergänglichkeit. "Keiner stützt den andern, im Gegenteil, die Königin wird Ophelia in den Orkus hinuntertätscheln." Power verleihe der Inszenierung auch die Schauspielleistung: Jan Bülows schweisstriefender Zombie-Hamlet sei "eine Parforceleistung", und die Vielschichtigkeit sowie Präsenz von Markus Scheumanns Claudius "die eigentliche Überraschung" der Inszenierung. Die habe durchaus Längen, so Kedves, "freilich meist mit Gewinn".
Auf Simon Strauss von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (17.9.2018) wirkt Jan Bülows Hamlet "nur wie ein quengelndes Kind". Bülow spreche "den Text zwar gut und ernsthaft, versucht ihn hier und da auch hoch- und anzunehmen und muss doch merken: Er ist zu groß, zu schwer für ihn." Überhaupt wirke vieles an diesem Abend "aufgesagt, abgespult". Nur Markus Scheumanns Auftritte als Geist und insbesondere als Claudius seien "Höhepunkte" eines "sonst spannungsarmen Abends".
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Und da die Schönheit im Auge des Betrachters liegt, wird eine Handschrift gesehen; die Figuren agieren wie ihr eigenes Totes Ich.
Aber was soll uns das über die Welt sagen?
Zumal Barbara Frey das in den letzten Jahren mit jedem Stoff genauso erzählt!!
Ob Shakespeare, ob Horvat, ob Walser....
Immer wieder finden sich Rezipienten, die in der, meiner Empfindung nach, bleiernen Langeweile, bereit sind; Weltbeschreibung zu sehen.
Die Schauspieler agieren aber einfach verklemmt, gehemmt, eingezwängt und bis in die Fingerspitzen von der Regisseurin kontrolliert!
Das ist Untertanentheater!
Und das mit Hamlet, dem Rüttler an den bestehenden Verhältnissen.
Erstaunlich zu was Schauspieler sich machen lassen....
Erschreckend, dass Verzweiflung so unterhaltsam sein kann.
Ein zweites Plus dieser Aufführung sind Gesangssoli von Inga Busch, die als Gertrud ihren Sohn Hamlet mit „Nothing´s gonna hurt you Baby“ trösten und zur Besinnung bringen möchte, oder von Jan Bülow, der dem gesamten Hofstaat mit einer stark gekürzten Fassung von „Fuckers“ den Krieg erklärt. Sie werden vom spanischen Pianisten Iñigo Giner Miranda live aus dem Bühnen-Hintergrund begleitet.
Sahnehäubchen der Inszenierung ist schließlich der finale Fechtkampf zwischen Hamlet und Laertes (Benito Bause), den Klaus Figge als eindrucksvollen Schlagabtausch über fünf Runden choreographiert hat.
Der Rest ist zwar nicht Schweigen, aber bleierne Düsternis.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/03/07/hamlet-barbara-frey-schauspiel-zurich-kritik/