Menschen im Hotel - Sönke Wortmann inszeniert Vicki Baums ironischen Kolportageroman aus den 1920ern am Düsseldorfer Schauspielhaus
Raus hier, Sie transpirieren Bürgerlichkeit
Von Gerhard Preußer
Düsseldorf, 14. September 2018. Plastikbahnen knattern im Wind. Vorne gähnt eine riesige Baugrube, darüber ragen die Baukräne in den Himmel. Seit Jahren wird das Düsseldorfer Schauspielhaus, der Prachtbau aus den frühen 60er Jahren, renoviert und ist noch lange nicht fertig. Aber immer wieder erobert Intendant Wilfried Schulz das Haus für einzelne Inszenierungen während der Bauzeit zurück. Wie jetzt zur Spielzeiteröffnung mit Vicki Baums "Menschen im Hotel". Hinein kommt man ins Theater nur durch den schmuddeligen Hintereingang. Aber drinnen ist alles in Ordnung. Man trifft sich wieder in Düsseldorfs guter Stube.
Kolportageroman mit Hintergründen
Einen Erfolgsroman veröffentlichte Vicki Baum 1929, der sofort auch eine steile Bühnenkarriere begann – in ihrer eigenen Fassung, denn sie wollte nicht, dass ihr Roman von jemand anderem "vergulascht" würde. Eine der ersten Regiearbeiten von Gustaf Gründgens war "Menschen im Hotel", im Berliner Theater am Nollendorfplatz 1930, ein Jahr nach dem Erscheinen des Romans. Am Broadway reüssierte der Stoff, und auf Grund des US-Erfolgs kam 1932 eine Verfilmung zustande. Vicki Baum nannte ihren Roman einen "Kolportageroman mit Hintergründen". Das war Ironie. Aber niemand merkte, dass sie sich über die abgedroschenen Elemente (adeliger Hoteldieb, kleiner Mann macht große Sause, arme, ehrliche Schönheit verkauft sich usw.) lustig gemacht hatte.
Menschen im Hotel: Peter Jordan, Lieke Hoppe, Glenn Goltz, Kilian Bierwirth, Jürgen Sarkiss
© Thomas Rabsch
Für Düsseldorf hat der Fotokünstler und Stückeschreiber Stephan Kaluza Vicki Baums Bühnenfassung noch einmal überarbeitet. Bühnenbearbeitungen skelettieren oft die Romane: auf dem Theater klappert dann das dürre Handlungsgerippe. Manchmal lässt man pietätvoll noch etwas Erzählfleisch daran hängen. So auch bei Kaluzas Bearbeitung. Neben den sich verflechtenden Handlungssträngen (todkranker Buchhalter verprasst sein letztes Geld in einem Berliner Hotel, verarmter Baron verliebt sich in alternde Ballerina, wird beim Diebstahl erwischt und von einem Generaldirektor erschlagen) werden den Zuschauern so noch einige von Vicki Baums präzisen Beschreibungen des Innenlebens der Figuren durch eine Erzählerin zu Gehör gebracht.
Das Grau in Grau der Hotelmenschen
Die Süffigkeit des richtig Trivialen aber fehlt der Düsseldorfer Inszenierung von Sönke Wortmann. Immer geht es um das Leben, das wahre Leben, das richtige ("die langen Korridore des Lebens"). In diese Weisheiten kann man sich wohlig hineinsetzen oder sie für Dienstmädchenphilosophie halten. Aber ein wirklich ironisches Verhältnis zu ihren Figuren und deren Sentenzen hat die Inszenierung nicht.
Im Grau in Grau der Hotelmenschen funkelt auf Florian Ettis Drehbühne (schon wieder eine Lebensmetapher) am ehesten noch das düstere Schwarz des pessimistischen Dr. Otternschlag (Rainer Philippi). Seine Zynismen zünden als Pointen ("Das ganze Hotel ist ein dummes Kaff, genau wie das Leben"). Baron von Gaigern (Stefan Gorski) strahlt nicht, nur sein kobaltblauer Anzug. Aber Vicki Baum meinte selbst, die Figur sei schlecht erdacht und Kitsch. Diesen urplötzlich verliebten Schönling und Verbrecher kann kein Schauspieler retten.
Vegetieren im dummen Kaff namens Leben: Dr. Otternschlag (Rainer Philippi) mit Buchhalter Kringelein (Torben Kessler) © Thomas Rabsch
Primaballerina Grusinskaya (Karin Pfammatter) bietet immerhin, wie zu erwarten, schöne große Gesten und kleine Tanzschritte auf, um ihre Verzweiflungsliebe zu zeigen. Am meisten aber sticht Lieke Hoppe als Flämmchen heraus, nicht nur farblich (in sehr eleganten gelb-roten Kostümen von Esther Walz). Diese Tipse und sexuelle Dienstleisterin ist mehr als ein Farbtupfer. Ihr schnippisches Berlinerisch, ihr Vergnügungswille bei echter Bodenständigkeit, ihre kokette Eleganz mit hölzerner Direktheit, wie sie auch bei den ärgsten erotische Zumutungen nur versteckt die Nase rümpft ("Sie hatte ein Gefühl, als müsse sie sich von einem außerordentlich ungeschickten Zahnarzt einen Zahn plombieren lassen") – das hat einen eigenen Zauber, der die Figur vor dem Klischee bewahrt.
"Gehen Sie raus, Sie transpirieren Bürgerlichkeit". Das war der am meisten belachte Satz des Abends bei der Premiere. Die Düsseldorfer Bürger waren da und blieben und konnten manchmal über sich lachen: Die wütenden Tiraden des Buchhalters Kringelein (Torben Kessler) gegen die da oben und Generaldirektor Preysings (Peter Jordan) hasserfüllte, hochmütige Verachtung der kleinen Leute nahmen sie hin als Zeitkolorit der 20er-Jahre unter den Portraits von Bismarck und Hindenburg. Eine Vorahnung der Nazi-Epoche aber ist weder in Vicki Baums Roman noch auf der Düsseldorfer Bühne zu spüren.
Vicki Baum meinte selbstironisch, sie sei "eine erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte". So ist auch Sönke Wortmanns Regiearbeit eine erstklassige Inszenierung von zweiter Güte. Der Vorlage völlig angemessen.
Menschen im Hotel
Nach dem Theaterstück von Vicki Baum in einer Fassung von Stephan Kaluza
Regie: Sönke Wortmann, Bühne: Florian Etti, Kostüm: Esther Walz, Dramaturgie: Robert Koall.
Mit: Karin Pfammatter, Rainer Philippi, Torben Kessler, Stefan Gorski, Peter Jordan, Glenn Goltz, Lieke Hoppe, Markus Danzeisen, Jürgen Sarkiss, Kilian Bierwirth, Laura Maria Trapp, Tobias Weindorf.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.dhaus.de
Die Inszenierung, der man anmerke, dass der Regisseur vom Film komme, könne man gefällig, sogar bieder nennen, schreibt Dorothee Krings von der Rheinischen Post (17.9.2018), "doch erzeugt sie eine Atmosphäre der Konzentration, die alle Aufmerksamkeit auf die berührende Schauspielkunst lenkt. Jeder der Darsteller bekommt Raum in der Drehtür, um seine Figur in all ihrer Verzweiflung und ihrem Aberwitz zu entfalten." Wortmann habe "einfach mit so etwas Altmodischem wie Anteilnahme einen lebensklugen Roman auf die Bühne gebracht, auf seine Schauspieler vertraut und ihnen ein Karussell gebaut, das läuft wie geschmiert. Sein 'Menschen im Hotel' ist Theaterkulinarik, wie sie in Grand Hotels serviert wird."
Eine atmosphärische Inszenierung, aber keinen Theaterabend mit packender Handlung und Charakteren, rotem Faden und zwingendem Spannungsbogen hat Max Kirschner von der Westdeutschen Zeitung (17.9.2018) gesehen. "Eher einen Reigen von Figuren quer durch die Gesellschaft, den Wortmann durch vitale Personenregie Leben einhaucht. Bosse, Buchhalter und Banditen kommen an, bleiben kurze Zeit und verschwinden wieder, meist auf Nimmerwiedersehen. Es sind nicht mehr als Momentaufnahmen und Schicksals-Häppchen, die sich zu einem in Maßen unterhaltsamen Abend zusammenfügen."
"Übersichtliche Begeisterung" gibt Anna Brockmann in der NRZ (17.9.2018) zu Protokoll. Zwar sei Wortmanns Zugriff konsequent, aber "vielleicht ein Statement für Entschleunigung in dieser Zeit der immer schnelleren Schnitte". Doch die kurzen, dem Publikum zugewandten Szenen würden mehr erzählt, als dass sie sich entwickelten. Erfrischend findet die Kritikerin nur Peter Jordan als kantigen Macher, "der sogar als Mörder mit Strumpfhaltern für einen souveränen Eindruck sorgt – und Lieke Hoppe als Männer betörende Schreibkraft Flämmchen".
Die Adaption sei nur halbwegs gelungen, schreibt Martin Krumbholz in der Süddeutschen Zeitung (20.9.2018). Vicki Baum bezirze ihre Leser. Auch von der Bühne aus wolle man "nun gepackt, verführt werden vom Duft der Küche und der noch ungemachten Betten". Jedoch: "Das geschieht leider nicht. Regisseur Sönke Wortmann kommt vom Kino – seine Theaterregie hat über weite Strecken etwas Hölzernes."
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Äußerst überzeugend auch Torben Kessler als "kleiner Mann" der über sich hinaus wächst und seinen Chef konfrontiert. Große Schauspielkunst!
Ich bin übrigens nicht durch einen schmuddeligen Hintereingang ins Schauspielhaus gegangen, sondern dort wo die atemberaubend schönen riesigen Blumen des Gartens im gleichen Orange erstrahlen wie der Schriftzug "Dhaus" und die Streifen an der "Verpackung" des Schauspielhauses. Könnte ästhetisch nicht besser sein, aber vielleicht wird der neue Eingang demnächst ja noch prächtiger.
Unglaublich wie wenig Gefühl Sönke Wortmann für Sprache, Rhythmus und Musikalität beweist! Der ganze Abend hat eine altbackene 90er Jahre Ästethik. Die Spieler wirken zahm & lahm wie unter einem Schalldämpfer!
Für eine Spielzeiteröffnung eindeutig zu wenig!
Danke, wirklich danke dass ich das von Ihnen lesen durfte. Viele Gespräche hatte ich gestern die in eine, wenn auch weniger brachiale Richtung verlaufen sind.
Wahnsinnig belangloses Provinztheater, geschmeidig, glatt und mit Pseudobezug zu heute. Ich liebe das Theater, aber was Düsseldorf gerade macht, für die guten Zahlen, ist leider wahnsinnig uninspiriernd und anbiedernd. Mit weniger Ausnahmen.
Und das merkt sich das Publikum leider auch.
Ich gebe aber nicht auf.
Peter Zadeck hat in Endproben immer wieder Kinder zuschauen lassen.
*Donata Elschenbroich, „Weltwissen der Siebenjährigen“ ISBN 9783888972652
Sönke Wortmann schafft in dieser Inszenierung eine Atmosphäre, welche den Zuschauer unmittelbar in ihren Bann zieht. Präzise und unaufwendig entwickeln sich die Figuren von scheinbaren Stereotypen zu nahbaren Individuen, deren Geschichten sich ineinander verweben und indessen Folge sich dem sehenden Auge zutiefst Menschliches offenbart.
Weiterhin schafft es die Inszenierung an einigen Stellen, den Betrachter in reflektierende Distanz zum Geschehen zu rücken. Dabei wird zum Glück auf Ironie oder Zynismus verzichtet, und das Bühnenbild insgesamt erweist sich an vielen Stellen als geschickt eingesetzte Metapher, wandelbar und doch eindeutig.
Die Schauspieler*innen haben überzeugt. Die Gegensätzlichkeiten in den Figuren, ihre Sehnsüchte, Umstände, Motive und Entscheidungen waren differenziert, stark und bedeutend. Das Geschehen auf der Bühne wirkt Substanziell und dabei leicht. Die Figuren werden authentisch verkörpert.
Das düsseldorfer Schauspielhaus beeindruckt durch stilistische Vielfalt, und großartigen Künstlern auf und hinter der Bühne. Das man es nicht jedem Recht machen kann ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings verdient dieser Abend wie viele andere Abende schallenden Applaus und Respekt!
Nach meinem Besuch in Düsseldorf habe ich im Internet den Hinweis gefunden, dass es auch in Altenburg eine Inszenierung des Romans gibt.
Gestern war ich dort und habe mir deren Fassung angesehen.
Ich empfand es als sehr spannend, wie unterschiedlich beide Inszenierungen an den Stoff herangegangen sind. Ich hätte eine vergleichende Kritik spannend gefunden.